Støeda 31. ledna 1849

Officielle stenographische Berichte über die Verhandlungen des österr. Reichstages.

Zweiundachtzigste (XXX.) Sitzung des österreichischen constituirenden Reichstages in Kremster am 31. Jänner 1849.

Tagesordnung.

I. Ablesung des Sitzungsprotokolles vom 31. Jänner 1849.

II. Zweite Lesung der Grundrechte. 

Vorsitzender: Präsident Smolka.

Auf der Ministerbank: Thinnfeld. Anfang: 10  1/2 Uhr.

Präs. Die zum Beginne der Sitzung erforderliche Anzahl Abgeordneter ist anwesend. Ich erkläre die Sitzung für eröffnet. Der Herr Schriftführer Cavalcabó wird das Protokoll der gestrigen Sitzung verlesen. (Das Protokoll wird gelesen.) Ist gegen die Fassung des Protokolles etwas einzuwenden?

Da Niemand etwas dagegen einwendet, so erkläre ich das Protokoll für richtig aufgenommen. Der Herr Abg. Albert Deym wurde der 9. Abtheilung zugelost. Ich ersuche den Herrn Schriftführer der 1. Abtheilung, die im Vorstandsbureau vorliegenden, diesen Herrn Abgeordneten betreffenden Wahlacten zu erheben.

Es wurde von mehreren Mitgliedern die Anfrage gestellt, wegen verspäteten Erscheinens der stenographischen Berichte. In dieser Beziehung kann ich die Aufklärung geben, daß zwar einige stenographische Berichte gedruckt sind, aber nicht vertheilt werden können, weil die Umschlagsböigen ausgegangen sind, und bei der gehinderten Kommunikation über die Donau noch keine Frachten aus Wien anlangen; aber Dienstag werden wieder mehrere stenographische Berichte vertheilt werden können. Die Herren Vorstände der 5., 6., 7. Abtheilung ersuchen die Mitglieder dieser Abtheilungen, zuverlässig morgen um 9 Uhr sich zu versammeln.

Abg. Bininger. Ich bitte Herr Präsident, auch die Herren der 1. Abtheilung anzuweisen. morgen in derselben zu erscheinen.

Präs Also auch die Herren der 1. Abtheilung, demnach möchte sich die 1., 5., 6. und 7. Abtheilung morgen um 9 Uhr versammeln, um die vorliegenden Wahlacte zu prüfen. Der Vorstand der Commission zur Prüfung eines Rechtsfalles, betreffend den Herrn Abg. Kaim, ersucht die Mitglieder dieser Commission, morgen Nachmittag um 5 Uhr zusammenzutreten, nachdem der Herr Berichterstatter den Bericht bereits ausgearbeitet hat, und diesen vorzutragen wünscht. In dem Ausschüsse zur Vorlage einer Gemeindeordnung wurde folgende Wahl der Funktionäre vorgenommen u. z.: Zum Vorstande wurde gewählt der Abg. Strobach, zum Vorstandsstellvertreter der Abg. Schmitt, zu Schriftführern die Abg. Cerne Joseph und Janesch, ferner wurde ein engerer Fünferausschuss gewählt, bestehend aus den Herren Abg. Schuselka, Strobach, Schmitt, Janesch und Smarzewski.  Der Abg. Hawelka hat den gestern angemeldeten Protest eingebracht. Der Herr Secretär wird denselben verlesen. 

Schriftf. Ullepitsch (liest).

P r o t e s t.

In der gestrigen Sitzung hat sich am Schlusse der Debatte über den §. 7. der Grundrechte Abgeordneter Hein als Referent des ConstitutionsAusschusses eine nach Inhalt und Form gegen die rechte Seite der Reichsversammlung gerichtete Äußerung erlaubt, wodurch den nicht deutschen  zunächst czechischen Mitgliedern des Hauses ohne allen Grund eine nationale Missstimmung oder Feindschaft gegen die Deutschen angeschuldet, und eine die Brüderlichkeit der Nation verletzende Gesinnung angedichtet wird.

Da Abgeordneter Hein zu diesem unparlamentarischen Ausfalle gegen eine ganze Seite der Reichskammer nicht die mindeste Veranlassung hatte, daher nur aus Motiven der Persönlichkeit dazu sich bestimmt haben kann, so hätte es dem §. 78 der Geschäftsordnung entsprochen, wenn der Herr Präsident gemäß meines Ansuchens den Redner zur Ordnung gerufen hätte. Da dieß nicht geschah, lege ich dagegen als gegen eine Geschäftsordnungswidrigkeit im Vorgang diesen Protest ein, indem ich mich gegen jede Zumuthung einer die Gleichberechtigung und Brüderlichkeit aller Nationalitäten verletzende Gesinnung feierlichst verwahre.

Kremsier, am 31. Jänner 1849.

Mathias Hawelka, Abgeordneter für Czaslau in Böhmen.

Präs Dieser Protest wird in das heutige Sitzungsprotokoll aufgenommen werden. Nachdem übrigens derselbe gegen mein Verhalten in dieser Frage gerichtet ist, so finde ich mich veranlaßt, folgendes zur Rechtfertigung anzuführen: der Herr Abg. Hein hat in seiner Rede keineswegs auf die r e c h t e Seite des Hauses gewiesen, sondern nur von einer gewissen Seite gesprochen, wie dieses die stenographischen Berichte ausweisen;  ferner hat der Herr Abg. Hein keineswegs die Besorgniß ausgesprochen, daß ihm irgend Jemand seine Äußerung Übel nehmen werde;  im Gegentheile, er hat seine vollkommene Überzeugung ausgesprochen, daß es von einer gewissen Seite des Hauses nicht Übel genommen werden wird. (Heiterkeit.)

Endlich habe ich weder in den Worten, noch in dem Sinne der bezüglichen Stelle irgend etwas entnehmen können, woraus ich hätte auf die Absicht schließen können, daß der Herr Abg. Hein irgend Jemanden zu nahe habe treten wollen. Ich glaubte, dieß zu meiner Rechtfertigung anführen zu müssen, und verzichte auf das mir zustehende Recht, eine schriftliche Gegenerklärung einzugeben. (Beifall.)

Abg. Hein. Obwohl ich glaube, daß dieser Protest nicht  (Häufiger Ruf von der Rechten: keine Debatte.) Ich bitte mich sprechen zu lassen.

P r ä s. Vielleicht will der Herr Abgeordnete eine Gegenerklärung anmelden, welches Recht demselben jedenfalls zusteht. 

Abg. Hein. Obwohl ich glaube, daß dieser Protest nach dem gestrigen Vorgang nicht zu Protokoll zu nehmen sei, wie das Haus bereits einmal entschieden hat, so melde ich doch, da der Herr Präsident beschlossen hat, ihn zu Protokoll zu nehmen, meine Gegenerklärung an.

Präs. Sie wird zu Protokoll genommen werden, falls sie morgen überreicht wird.  Der Herr Abg. Borrosch hat ebenfalls den gestern angemeldeten Protest überreicht.

Schriftf. Ullepitsch (liest).

P r o t e s t.

In Wahrung der parlamentarischen Rechte der Kammermitglieder protestire ich gegen den geschäftsordnungswidrigen Vorgang in der gestrigen Reichstagssitzung, zufolge dessen meinem, in der vorhergegangenen Sitzung öffentlich angemeldeten und vom Herrn Reichstagspräsidenten zugelassenen Proteste die Aufnahme in das Reichstagsprotokoll verweigert worden ist. Zwar wurde nicht der Inhalt, sondern nur der Rechtstitel jenes Protestes zur Einprotokollierung angefochten; allein es bleibt dieser Vorgang nicht minder ein Willkürverfahren, weil nach Wortlaut und Sinn des §. 99 der Geschäftsordnung über einen einmal zugelassenen Protest gar keine Debatte gestattet ist.

Kremsier, am 31. Jänner 1849.

Alois Borrosch, Abgeordneter.

Präs. Dieser Protest wird in das heutige Protokoll eingeschaltet.  Der Herr Abg. Schuselka hat einen Dringlichkeitsantrag gestellt, welcher heute gedruckt unter den Mitgliedern des hohen Hauses vertheilt wurde. Dieser Antrag wurde bezüglich seiner Eigenschaft als Antrag, so wie auch bezüglich seiner Dringlichkeit gestern unterstützt, es handelt sich nun darum, wann derselbe zur Verhandlung kommen soll;  ich habe mich schon gestern dahin geäußert und auch keinen Widerspruch gefunden, indem ich glaubte, er könnte morgen auf die Tagesordnung gefetzt werden;  wenn das hohe Haus damit einverstanden ist, so wird es geschehen. (Vielseitiger Ruf: Ja, ja.) Der Herr Abg. Rulitz hat eine Interpellation an den Vorstand des Entschädigungs-  Ausschusses angekündigt.

Abg. Rulitz. Nach dem Inhalte des Patentes vom 7. September vorigen Jahres wurde eine aus Mitgliedern aller Gouvernements gebildete Cominission zur Ausarbeitung eines Gesetzentwurfes über die Entschädigung der aufgehobenen Grund und Untertänigkeitslasten niedergesetzt. In diese Commission wurden 50 Mitglieder, fünf aus jedem Gouvernement gewählt. Seit der Zeit der vorgenommenen Wahl werden in einigen Tagen fünf Monate abgelaufen sein, und die Berechtigten sowohl, als die Verpflichteten harren mit Ungeduld auf die Vorlage dieses Elaborates; denn die Berechtigten möchten wissen, was sie seiner Zeit zu empfangen, die Verpflichteten, was sie zu bezahlen haben werden. Dieser Umstand ist besonders für den Landmann von größter Wichtigkeit, nach ihm beurtheilt er den Gehalt der Errungenschaften, die Thätigkeit dieses hohen Reichstages, und nur dem Umstande, daß er nicht weiß, wie viel er an die Herrschaft für Zehent und andere Giebligkeiten als Ablösung zu bezahlen haben wird, ist es besonders zuzuschreiben, daß er sehr gern Einflüsterungen, die von mancher Seite kommen, bereitwillig sein Ohr leiht.

Diese so lange Zeit andauernde Ungewißheit ist aber übrigens für die Verpflichteten, wie auch für die Berechtigten und eben so für die intabulirten Gläubiger unheilbringend. Was die Verpflichteten betrifft, so zeigt die Erfahrung, daß dieselben in vielen Provinzen jahrelange Rückstände nicht mehr bezahlen wollen. Hierdurch häufen sich diese Rückstände, und je mehr die Entschädigungsrage hinausgeschoben wird, desto mehr werden sie seiner Zeit abzutragen haben;  daß hierdurch Manche in die Notwendigkeit versetzt sein werden, sich ihrer Realitäten zu entäußern, oder diese zur Feilbietung bringen zu sehen, bedarf meiner Ansicht nach keiner besonderen Nachweisung. Was die Berechtigten betrifft, so laufen viele derselben Gefahr, auf den Bettelstab zu kommen, denn ihre Einkünfte gehen nicht mehr ein, doch müssen sie leben, ihre Beamten bezahlen und Viele, die verschuldet sind, auch die Zirpen von den intabulirten Capitalien entrichten, endlich sollen auch manche Capitalien, die oft wegen nicht berichtigten Zinsen, oft wegen besonderer Verhältnisse der Gläubiger aufgekündet werden, rückbezahlt werden;  nun haben die Herrschaften viel am Werthe verloren, sie finden daher sehr schwer Ablöset, deßhalb werden sehr Hausieg Herrschaften zur executiven Veräußerung gebracht

Bei dieser Gelegenheit ereignet es sich öfters, daß für eine solche Herrschaft ein Spottpreis gebothen wird, wodurch viele intabulirte Gläubiger oft ihre einzige Habe verlieren. Dieses wirkt demnach sehr nachtheilig nicht bloß auf die Berechtigten und Verpflichteten, sondern auch auf den Verkehr der ganzen bürgerlichen Gesellschaft ein. Ich frage demnach im Interesse so vieler Millionen von Staatsbürgern, die dabei betheiligt sind, den Vorstand des Entschädigungsausschusses: Erstens, ob die Entschädigungskommission den ihr zur Aufgabe gewordenen Gesetzentwurf bereits ausgearbeitet habe? und zweitens, bis wann sie ihn dem hohen Hause zur Berathung vorzulegen gedenkt?

Präs. Wünscht der Herr Vorstand des Entschädigungsausschusses diese Interpellation zu beantworten.?

Abg. Brauner. In Abwesenheit des Vorstandes erlaube ich mir als Stellvertreter das Wort zu ergreifen. Wir haben diese Gründe, die der geehrte Herr Sprecher vor mir entwickelt hat, eben so genau erwogen, sie gehen uns gewiß ebenso nahe zu Herzen, und ich glaube, der ganzen hohen Versammlung. Jedoch um die Beantwortung darauf so vollständig zu geben, wie es die Interpellation war, beantrage ich, daß der Herr Präsident die Provinzialreferenten zu einer Versammlung um 6 Uhr Abends berufe, damit wir eine bestimmte und befriedigende Antwort auf den Tisch des Hauses niederlegen können. Ich glaube, dieß wird dem Herrn Interpellanten recht sein.

Abg. Rulitz. Ich bin damit zufrieden.

Präs. Ich ersuche daher die Herren Provinzialreferenten, um 6 Uhr Abends in der 6. Abtheilung zusammen zu kommen.  Der nächste Gegenstand der Tagesordnung ist die Fortsetzung der zweiten Lesung der Grundrechte, namentlich die Fortsetzung der Debatte über §. 10. Es haben sich weiterhin als Redner einzeichnen lassen, und zwar gegen den Paragraph die Herren Abg. Thiemann und Wiser. Der Herr Abg. Kudler hat sich ebenfalls hier vormerken lassen, und wird, wenn die Reihe an ihn kommt, vom Platze aus zu sprechen das Recht haben. Es sind einige Zusatzanträge vorgelegt worden. Vor allem muß ich aber bemerken, daß der Herr Abg Ullepitsch, welcher gestern einen Verbesserungsantrag auf den Tisch des Hauses niedergelegt hat, lautend: "Die Entrichtung des Abfahrtsgeldes, die Fälle der Reziprozität ausgenommen, findet nicht Statt, " ersucht hat, daß dieser Verbesserungsantrag derart vervollständigt werde, indem gesagt wird: "Die Entrichtung des Abfahrtsgeldes, Fälle der Notwendigkeit der Reziprozität ausgenommen, findet nicht Statt. " Ich bringe dieß zur Kenntniß der hohen Kammer, und glaube, daß diese Verbesserung keinem Anstand unterliegt, da es ja den Herrn Abgeordneten, zumal der Schluß der Debatte noch nicht ausgesprochen ist, noch freisteht, auch ein ganz neues Amendement einzubringen. Ein weiterer Verbesserungsantrag des Abg. Pokorny, eigentlich Zusatzantrag, liegt hier vor. Er lautet: daß vor dem letzten Satze des Paragraphes: "Es darf kein Abfahrtsgeld gefordert werden, " einzuschalten sei: "Die Auswanderung der Besitz oder Erwerblosen wird vom Staate durch ein eigenes Colonisationsgesetz unterstützt. " Ein fernerer Antrag des Abg. Szábel lautet, einzuschalten nach dem Worte "Beschränkungen", mit Beibehaltung der folgenden Sätze: "Die Colonisationsangelegenheit innerhalb des Staatsgebietes wird unter den Schutz und die Fürsorge des Staates gestellt. " Endlich hat der Herr Abg. Jonák den Verbesserungsantrag eingebracht, anstatt "im Gemeindegesetze" zu sagen,, in den Gemeindeordnungen. "  Gestern sprach als letzter Redner der Abg. Borrosch. Die Reihe trifft nun den Abg. Trojan.

Abg. Trojan. Ich trete den an Abg. Jonák die Priorität ab.

Abg. Jonák. Meine Herren, es haben sich gestern aus Anlaß dieses Paragraphes in diesem Hause so wenig Meinungsverschiedenheiten ergeben, daß ich es nicht für nothwendig halte, auf die Begründung dieses wichtigen Principes einzugehen, und lediglich Ihre Aufmerksamkeit so weit in Anspruch nehmen will, um mein Amendement zu begründen und ein paar Bemerkungen des sehr ehrenwerthen Redners, der gestern vor mir gesprochen hat, zu widerlegen. Sie haben, meine Herren, in diesem Paragraphe ein wichtiges Princip ausgesprochen, es lautet nicht anders, als daß es jedem Menschen gestattet sei, überall, wo er wolle, auf ehrliche Weise sein Brot zu verdienen, unbekümmert um die Scholle, unbekümmert um die positive Grenze, welche andere Verhältnisse gezogen haben. Die nächste Consequenz dieses Principes ist die Freizügigkeit innerhalb der Staatsgrenzen, eine weitere Consequenz ist die der Auswanderung in der Verbindung mit der Kolonisationsfrage. Da ich hoffe, über die Kolonisationsfrage beim §. 23 sprechen zu dürfen, so beschränke ich mich lediglich auf ein paar Bemerkungen, welche dem Amendement gelten, das der Abg. Ullepitsch gestern dem Hause vorgelegt hat. 

Ich begreife sehr wohl die Humanität, welche kein Abfahrtsgeld fordern will von dem, der sein Vaterland verläßt, weil sie ihm nicht eine Strafe dafür diktieren will, daß ihn die Verhältnisse zwingen, das Vaterland zu verlassen. Meine Herren, ich begreife aber sehr wohl die Reziprozität dort, wo sie nothwendig wird; ich begreife sie aber nicht in der diplomatischen Weise, wie sie der sehr ehrenwerthe Abgeordnete für den 4. Wahlbezirk von Prag auffasst, der sie so versteht, daß man für einen Menschen zwei hängen laßt, sondern ich begreife sie in allen jenen Fragen, die in das materielle Leben im Staate und ihrer Mitglieder eingreifen. Der sehr ehrenwerthe Herr Abgeordnete von Prag 4. Wahlbezirk ist selbst ein Industrieller, ich glaube, die Schwankung des industriellen Lebens werde ihm hinreichend bekannt sein, um zu begreifen, daß, wenn es im Zollwesen namentlich keine Reciprocitäten gäbe, der eine Staat leicht das Opfer materieller und industrieller Übermacht des andern Staates wird. Doch von diesem abzugehen meine Herren, ich schätze das Princip der Freizügigkeit außerordentlich hoch, wenn ich auch gestehen muß, daß es bitter ist, sein Vaterland, die Scholle, auf der man geboren ist, meiden zu müssen. Ich gestehe Ihnen, es ist nicht angenehm, durch fehlerhafte Institutionen gezwungen zu sein, in fremden Ländern die Bahnen zu suchen, auf denen man sein bescheidenes geistiges oder materielles Capital geltend machen kann. Ich gestehe, es ist sehr traurig, wenn die neue Zeit heranbricht mit ihren gewaltigen Bewegungen, mit ihren Lebensschwingungen, fern von dem Vaterlande Demütigungen ausgesetzt zu sein. Ich kann mir nicht helfen, ich halte noch an dem Köhlerglauben, ich halte noch an der Sehnsucht zum Vaterlande, ich halte es mit dem Dichter, dem deutschen Dichter: "Ans Vaterland, ans theure schließ dich an. " (Bravo.) Aber, meine Herren, die Lebensverhältnisse bringen manch energisches Gebot und nötigen den Menschen, auf seine Gefühle zu verzichten, und den praktischen Weg der Nothwendigkeit zu gehen.

Meine Herren, es gibt eine Menge von verschiedenen Stadien und Situationen, von dem reichen Kapitalisten, der in der Ferne Menschen und Dinge, seinem Kapitale zinsbar macht, bis zu demjenigen der hingeht sein Brod zu verdienen, weil über ihm das Gebot schwebt: Im Schweiße des Angesichts sollst du dir dein Brod verdienen. Es gibt eine Menge Situationen zwischen dem, der hingeht in ferne Regionen, um die Wissenschaften dort zu erforschen, und demjenigen der von seinem geistigen Kapitale in der Ferne Rechnung trägt. Es gibt sehr viele Unterschiede da, wo Jemand zu seinem Vergnügen jahrelang in fremden ihm angenehmen Kreisen lebt, bis zu dem armen Vagabunden, der mit dem Stocke in der Hand von Ort zu Ort bettelt, um ein Stück Brod für seinen Hunger zu finden, ein Stück Brod, das ihm sein Vaterland nicht gibt, nicht geben kann, weil ein Gesetz der Natur eine harte Consequenz ausgesprochen hat, das ist die Übervölkerung. Meine Herren, gäbe es nicht positive Grenzen, die zu beachten sind, ich wünschte, es gäbe kein Hinderniß der Freizügigkeit, es gäbe kein Hinderniß der Auswanderung, es gäbe überhaupt kein Hinderniß für den, der will und kann, da oder dort eben sich ansässig zu machen, um sein Brod zu verdienen. Die Hindernisse sind nun einmal in der Wirklichkeit gegeben. Ich verkenne keinen Augenblick, daß Beschränkungen in dieser Illymithirten Freiheit eintreten müssen; während sie auf der einen Seite eine Ausgleichung der Bevölkerung verspricht, während sie dadurch verspricht eine Basis abzugeben für eine materielle und geistige Ausgleichung der Lebenssphären, drängt sie andererseits mit mannigfachen Gefahren nach jenen traurigen Situationen hin, für die die Neuzeit das Wort Proletariat geschaffen hat. Ich begreife eine Grenze. Der sehr ehrenwerthe Abgeordnete für Prag vierten Wahlbezirk findet diese Grunze in der Bestimmung "vorbehaltlich der gesetzlichen Bestimmung. " Ich muß leider gestehen, daß ich auch ein Jurist bin, dessen vorurteilsfreier Blick in die Zukunft eben durch seine Beschäftigung mit einer leichten Blende überzogen ist; mit einer Blende, die es nicht gestattet, todte Schemen in dem Staatsleben zu sehen, sondern darin nur lebenskräftige, organische Gestalten zu erblicken. Wenn wir den Ausdruck: "gesetzliche Bestimmungen" annehmen wollen, so gestehe ich, daß ich nicht begreife, was er eigentlich soll. Wollen wir über diesen Gegenstand ein organisches Gesetz, und ein solches möchte ich eben haben, in wie fern die Constitution darauf beruht, so ist mir die Abfassung eines solchen mit Rücksicht auf das hier gegebene Verhältniß nicht recht hinreichend; wollen wir aber singuläre, gesetzliche Bestimmungen haben, so besorge ich in jene Confusion zu kommen, welche bisher in unserer politischen Gesetzgebung geherrscht hat, wo man vor lauter gesetzlichen Bestimmungen nicht weiß, was das Gesetz ist. Ich finde aber eine Grenze, eine richtige Beschränkung in einer organischen Gestaltung des Staatslebens, und das ist die freie Gemeinde.

Meine Herren, wenn wir von einem freien Staate sprechen, so müssen wir die freie Gemeinde haben, und ohne dieser freien Gemeinde ist alles Übrige eine Illusion. Ich will diese freie Gemeinde in Gottes Namen so haben, als eine Gemeinderepublik, die sich ihre Angelegenheiten selbst ordnet und selbst schafft, die ihre eigenen Rechte hat, die aber auch ihre eigenen Pflichten hat, und beide diese Rechte und Pflichten sind zu berücksichtigen, mit Hinblick auf die Freizügigkeit. Ich wünsche es nicht, daß durch eine zu weit getriebene Freizügigkeit das Armenwesen sich gerade dort einnistet, wo die Gemeinde irgend ein Vermögen hat, wo sie irgend etwas leisten kann, wo die Gemeinde als den Preis ihrer Mühe und Anstrengung eben nichts anderes hat, als das Proletariat bei sich groß zu ziehen, und allenfalls Kolonien abzugeben für das Proletariat, welches aus den großen Städten dann hinzieht. Ich will, daß man das Recht der Gemeinde respective im vollen Sinne des Wortes. Meine Herren! Zum Staatsbürgerthume muß man durch das Gemeindebürgertum kommen, man muß Mitglied einer Gemeinde sein, und wer Mitglied  wohl verstanden  ob Gemeindebürger oder Gemeindeangehöriger sein soll, das mag die Gemeinde sich selbst bestimmen. Freilich wird man mir allenfalls einwenden, wir werden wohl dann eine Masse Freiheiten haben, aber keine Freiheit. Es wird sich wiederholen dieses kunft und kassenmäßige Treiben, welches wir aus dem Mittelalter kennen. Glauben Sie nicht, meine Herren, daß ich die freie Gemeinde in der Art verstehen möchte in der Handhabung der Ordnung und Regelung ihrer Verhältnisse, so daß es dann heißt nach dem schwäbischen Sprichworte: Man macht den Bock zum Gärtner. Ich weiß sehr wohl, daß es einigen engherzigen Gemeindemitgliedern einfallen könnte, deßwegen, weil ihr Vortheil einigermaßen geschmälert ist, Jemanden die Ansässigkeit zu versagen; nichts desto weniger verlange ich eben eine maßgebende Norm, nach der sich die Gemeinden zu halten, nach der sie sich zu richten haben. Und diese Norm finde ich in dem Gemeindegesetze nicht. Meine Herren, in dem Gemeindegesetze  ich kann darin die Bestimmungen über die Freizügigkeit nicht wollen, nachdem die Verhältnisse, wie sie namentlich in Österreich sind und nicht weggeleugnet werden können, etwas anderes gebieten. Ich sage, ich halte sie von der Art, daß man darüber mit einer ganz und gar uniformen Bestimmung nicht hinüberschreiten kann. Eben, meine Herren, mit Rücksicht auf die Armenverhältnisse, mit Rücksicht auf das Gemeindevermögen, mit Rücksicht auf noch viele andere Umstände kann ich mir gar nicht denken, daß die Gemeindebestimmungen in Zara dieselben sein sollen, wie sie in Tarnpool sind, oder die in Bielitz, wie sie es in Salzburg und Hallein sind.

Ich glaube, meine Herren, diesen Verhältnissen wird Jeder von Ihnen eine billige Rechnung gerne tragen; sei es nun, daß man ihn entweder einer allzu weit gehenden Zentralisation, oder einer gar zu exzentrisch ausgehenden Föderation beschuldigen möchte. Selbst, meine Herren, der Entwurf eines Gemeindegesetzes, der in dem Haufe hier zirkulierte ich weiß nicht officiell, woher er stammt  hat ausdrücklich hingewiesen auf Bestimmungen dieser Art, welche trotz dem Gemeindegesetze in den Gemeindeordnungen stattfinden werden, und in der Voraussetzung, meine Herren, daß diese Version alle Parteien des Hauses befriedigen und einigen werde, habe ich das Amendement gestellt.

Ich muß nur noch auf einige Bemerkungen zurückkommen, welche der sehr ehrenwerthe Abgeordnete für Prag, vierten Wahlbezirk gestern hier vorgebracht hat; er hat von einem Despotismus der Gemeinden gesprochen, und hat sich namentlich auf die Schweiz berufen. Ich muß gestehen, daß in diesem Beispiele eine sehr arge Vermengung des Freizügigkeits-  Rechts mit dem Staatsbürger  Rechte vorhanden ist. Über das Staatsbürgerrecht entscheidet, wenn ich nicht irre, der §. 2 der Grundrechte, der da sagt: "Inwiefern die Eigenschaft eines österreichischen Staatsbürgers erworben, ausgeübt und verloren werde, bestimmt das Gesetz. " Ich glaube, wenn es sich um die Bestimmungen des Staatsbürgertums handeln wird, so werden wir darin nicht unterscheiden, wir kennen nur, wie die Grundrechte sagen, eines, das ö st e r r e i c h i sch e Staatsbürger  Recht, wir werden nicht auf ein provinziales Staatsrecht übergehen, und das scheint mir dasjenige zu sein, was der sehr ehrenwerthe Abgeordnete in schweizerischen Verhältnissen berührt hat; hätte er sich die Mühe genommen, etwas tiefer in die schweizerischen Verhältnisse einzugehen, so hätte er gefunden, daß seine Bemerkungen allenfalls nur für jene Zeit einige Geltung haben, als die einzelnen Cantoneu ihre mehr als hundertjährigen Rechte gewahrt, ihre Autonomie erhalten haben wollten, nachdem Napoleon seinem allgemeinen Grundsatze gemäß sie alle unter das mehr als eiserne Joch einer zu weit gehenden Zentralisation gebracht hatte. Der sehr ehrenwerthe Herr Abgeordnete, hätte er die Bestimmungen der Neuzeit seit etwa 10 Jahren sich vor die Augen gehalten, so wäre er auch dazu gekommen, daß in der schweizerischen revidierten Verfassung ein Paragraph steht, der da heißt: "Das Cantoanalbürgerrecht begründet zugleich das schweizerische Staatsbürgerrecht. "  Wenn der sehr ehrenwerthe Herr Abgeordnete ein prägnantes Beispiel, und ich werde es ohne Spott, sondern im vollen Ernste anführen, vorbringen wollte, so hätte er sich an den armen bedauernswerten Juden erinnern sollen, der vor zwei oder drei Jahren aus Hannover nach Holstein, von Holstein nach Mecklenburg und von da wieder nach einem anderen Staate geschafft, überall mit einer tüchtigen Ranzion Schläge bewillkommnt, und dann wieder an einen andern Staat ausgeliefert wurde, weil über sein Heimatrecht nichts eruiert werden konnte; und da war dieß allerdings ein fühlbarer Grund, warum in der Neuzeit eine solche Bestimmung aufgekommen ist, daß man mit der Erwerbung des Staatsbürger  Rechts eines deutschen Staates zugleich das Reichsbürgerrecht erhält.

Der ehrenwerthe Herr Abgeordnete hat einige weitere Befürchtungen ausgesprochen. Er hat gesprochen vom Nationalitätshader, unter dem zunächst die Consequenz stattfinden soll, daß die Leute elend auf der Straße sterben. Wenn der ehrenwerthe Abgeordnete auf die praktischen Verhältnisse hinsehen will, auf das wirkliche Leben, so bitte ich ihn, aller jener Stunden und Tage zu gedenken, wo Noth und Elend auf die Bewohner des Riefen und Erzgebirges, wo Noth und Elend über die Bewohner Schlesiens gekommen ist, daß diese aus Verzweiflung vor dem Hungertode in das flache Land gezogen sind, und er frage diese Armen, ob das flache Land aus Nationalitätshader diese Leute hat sterben lassen (Bravo!); wenn aber mit diesem Worte auf die Verhältnisse des Hauses hingewiesen wird, nun wohlan, ich will das Wort im Namen der meist geschmähten Nationalität dieses Hauses ergreifen, um so Gott will diese Sache ein für allemal abzutun. (Rechts Beifall.) Wer gibt dem sehr ehrenwerthen Abgeordneten das Recht, mit so harten Worten gegen uns loszuziehen? (Rechts Beifall, Links Zischen.)

Abg. Borrosch. Herr Präsident, ich fordere Sie auf, den Herrn Redner zur Ordnung zu rufen. Wer gestern hier zuhörte, wird wissen, daß nicht Ein Wort von diesen Anschuldigungen wahr ist, (Unruhe, Zischen,) das heißt inkriminieren auf die unwürdigste Weise, und selber den Hader hierher verpflanzen. (Fortwährende Unruhe und Zischen.) Ein Redner, der sich nicht die Mühe gibt, richtig aufzufassen, soll nicht in der Widerlegung eines selbstverschuldeten Mißverständnisses Andere dafür verantwortlich machen.

P r ä s. Bis nun zu sehe ich noch nichts in der Rede des Herrn Abgeordneten, welches mich veranlassen könnte, ihn zur Ordnung zu rufen. Ich ersuche, fortzufahren. (Bravo!)

Abg. J o n á k. Ich habe die revidierte Geschäftsordnung so ziemlich genau gelesen, um zu wissen, wie weit man gehen kann, aber auch um zu wissen, daß jeder Abgeordnete frei seine Meinung sagen kann, ob er dieser Partei angehöre oder jener. (Ja!)

Meine Herren! Wie weit soll es mit uns kommen, wenn immer und, immer wieder der wundeste Fleck den wir tragen, aufgerüttelt wird?

Meine Herren! Was sollen wir dazu sagen, wenn auf einer Seite Friedigung und Versöhnung gepredigt wird, und auf der andern Seite Worte in das Haus geworfen werden, die unser Herz bluten machen? (Bravo.) Sind wir vielleicht Schulknaben, über die von Zeit zu Zeit der schulmeisterische Bakel geschwungen wird, damit sie Manieren lernen? (Unruhe. Ruf: zur Sache!)

Ich bin bei der Sache. (Nein, Nein!)

Ich, und mit mir muß es das ganze Haus wünschen, daß nie wieder ähnliche Worte fallen und so tief verwunden. (Zur Sache!)

Meine Herren! Wenn Sie sich die Mühe nehmen wollen mich anzuhören, so werden Sie sehen, ob ich zur Sache komme. (Unruhe.)

Ich wenigstens für meinen Theil, und wie ich hoffe, im Namen meiner Landleute sage, wir werden nichts thun, um einen ähnlichen Kampf, sei es auch nur ein Scharmützel, herbeizuführen (Bravo!); aber man taste nicht das an, was unserem Herzen so theuer ist, wie ein Mutterherz. Meine Herren! Vergessen wir nicht über dieses Mutterherz die Braut, die wir Alle mit vereinten Kräften in Einigkeit anstreben wollen  es ist die Freiheit; wir sind noch nicht mit ihr vermählt, es ist noch sehr möglich, daß der Trauring ein Trauerring wird mit einer Perle der tränenreichen als Andenken an etwas Todtes. Um jene Gefahren zu beseitigen, die sich gegenwärtig in der hartbedrängten Zeit uns entgegenstellen, glaube ich, daß wir an die Worte des Dichters, auch eines deutschen Dichters halten, der da sagt: "Wir wollen sein ein einig Volk in Tagen der Gefahr. (Beifall rechts.)

Präs. Ich habe berichtigend zu erwähnen, daß ich aus Irrthum den Herrn Abg. Weiser als gegen den Paragraph eingeschrieben angezeigt habe. Er hat sich für den Paragraph einschreiben lassen. Es ist nun die Reihe an dem Herrn Abg. Brestel.

Abg. Brestel. Ich trete mein Wort dem Abg. Wiser ab.

Abg. Wiser. Meine Herren! Ich bin nicht gewohnt, an die Leidenschaft des Hauses zu sprechen, sondern an die Friedfertigkeit und Eintracht desselben (Beifall). Ich habe mich gegen den Paragraph einschreiben lassen, weil ich glaube, daß einem Gesetze der Freizügigkeit nicht jene vollständige Rechnung daselbst getragen ist, welche ich für das allgemeine Beste für gedeihlich ansehe.

Ich erlaube mir daher vorerst meinen Antrag abzulesen, um ihn dann in meinem Vortrage zu begründen. Mein Antrag lautet: "Die Freizügigkeit der Person und des Vermögens innerhalb des Staatsgebietes unterliegt keiner Beschränkung.  Erwerbsunfähigen wird die nöthige Unterstützung kraft eines die Beitragslicht aller Staatsbürger in jedem Kreise bestimmenden Gesetzes zukommen. " Sie werden sich vielleicht wundern, daß ich hier eine Sache mit in Verbindung gebracht habe, die an und für sich eine sehr große Wichtigkeit hat. Ich gestehe auch, daß ich kaum glaube, daß Sie auf meinen Antrag eingehen werden, und zwar aus dem Grunde, weil er eine solche Wichtigkeit hat, daß er vielleicht eine besondere Behandlung bedürfte, und weil ihm eine sorgfältigere, ausgedehntere Besprechung zu Theil


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