Pondìlí 18. prosince 1922

Der Herr Kollege Dr. Winter, der vor mir gesprochen hat, hat vollständig Recht, wenn er sagt, daß das österreiche Problem im Wesen und im Grunde dasselbe ist, wie jenes in Deutschland, und auch ich bin überzeugt, daß auch die Mittel zur Heilung dieser beiden Probleme die gleichen oder doch sehr ähnliche sein werden. Dabei läßt sich nicht leugnen, daß es die internationalen Drahtzieher mit meisterhafter Geschicklichkeit verstanden haben, mehrere Staaten und Regierungen als Handlanger zu gewinnen, indem sie die rein wirtschaftlich ökonomischen Fragen des Bestandes und der Gesundung Österreichs mit politischen Bestrebungen dieser Staaten enge in Zusammenhang brachten, so zwar, daß sie Österreich in die Zwangslage versetzten, die ihm umgeworfene Schlinge seiner Herabwürdigung zur Kolonie des Finanzkapitals selbst zuzuziehen.

Die brutalen Maßnahmen militärischer Besetzung und unmittelbare Eingriffe in die Hoheitsrechte werden bei diesem Schauspiel vermieden. Man begnügt sich damit, Österreich die seidene Schnur zuzuwerfen und seine angeblich so ängstlich gehütete Unabhängigkeit mit barem Golde abzukaufen, wobei man es versteht, die Arbeitskraft der armen österreichischen Deutschen zur Verzinsung und Rückzahlung des verwendeten Kapitales heranzuziehen. Wenn wir nicht aus anderen Anzeichen wüßten, daß über die demokratische Entwicklung eine Art Götterdämmerung hereingebrochen ist, könnten wir dies unfehlbar den Vorlagen entnehmen, welche uns heute die Regierung zur Beratung übergeben hat.

In formeller und sachlicher Beziehung äußert sich in ihnen der Bankerott des Parlamentarismus, der im Kampfe mit dem internationalen Bankkapital sich bisher stets als der schwächere Teil erwiesen hat, und es sei daher gestattet, zunächst in formeller Beziehung auf einige Merkwürdigkeiten aufmerksam zu machen, die diese Vorlagen enthalten.

Zunächst einmal die Bemerkung im Protokoll I, daß die Wiederaufrichtung im Interesse Österreichs und des allgemeinen Friedens erfolgte. Dies vermag dem Eingeweihten gewiß nur ein Lächeln zu entlocken. Auch der Punkt 7 des Protokolls III, nach welchem die österreichische Regierung zur Aufrechterhaltung der Ruhe und Ordnung verpflichtet wird, deutet auf eine ganz merkwürdige Auffassung von Demokratie hin. Sie will offenbar die Ruhe und Ordnung in Österreich deshalb verbürgen, damit dieses arme Land umso sicherer ausgebeutet werden kann.

Höchst interessant ist der Artikel 14 des Protokolles II. Er besagt, daß das Kontrollkomitee und die garantierenden Staaten beim Völkerbund Einspruch erheben könnten, der ohne Verzug seine Entscheidung treffen wird, und ebenso wird im Artikel 15 die Registrierung des Protokolles dem Sekretariate des Völkerbundes aufgetragen. Es ist sicher ein völkerrechtliches und staatsrechtliches Novum, wenn die Vertragsteile einem dritten, nämlich dem Völkerbund, der bei dem Vertrag gar nichts zu tun hatte, Verpflichtungen irgendwelcher Art auflegen. Offenbar trauen sich die vertragschließenden Teile die Macht zu, den Völkerbund zur Befolgung ihrer Abmachungen zu zwingen. Auf jeden Fall aber werfen diese Bestimmungen ein merkwürdiges Licht auf die Achtung und die Auffassung von dem Völkerbunde, der dadurch diesmal in einem staatsrechtlichen Akt zum Vollzugsorgan der siegreichen Mächte gestempelt wird.

Im Protokoll I wird das im Artikel 88 des Vertrages von St. Germain bekannte Anschlußverbot wiederholt. Ich will nicht weiter darauf eingehen, daß die vorliegenden Protokolle am allerdeutlichsten beweisen, daß es sich den vertragschließenden Staaten keineswegs um die Wahrung der Unabhängigkeit Österreichs, vielmehr darum handelt, Österreich in ihrer Abhängigkeit zu erhalten. Ich will auch kein Wort darüber verlieren, daß eine aufgezwungene Unabhängigkeit selbstverständlich keine Unabhängigkeit ist. Ich begnüge mich, darauf hinzuweisen, daß diese Bestimmung sowie alle übrigen Bestimmungen der Protokolle unmittelbar und mittelbar aus den Friedensvertrrägen erfließen, und insoferne fällt ein Teil der Verantwortung für die gegenwärtigen Protokolle auf alle die jenigen, welche jenen Frieden sverträgen zugestimmt haben, weil sie vor den Folgen der Nichtunterzeichnung zurückschreckten. Die Entwicklung hat ja gezeigt, daß diese Folgen in der Gestalt von Drohungen trotz Unterzeichnung bis heute andauern und daß der einmal getane Schritt immer neue Demütigungen im Gefolge hat, ohne daß die besiegten Völker aus der Bedrohung herauskommen. Ich muß aber feststellen, daß der betreffende Satz im Protokoll I das Anschlußverbot wesentlich verschärft. Denn während nach dem Friedensvertrag der Anschluß mit Zustimmung des Völkerbundes gestattet wurde, verpflichtet das Protokoll I die Regierung Österreichs, sich jeder Verhandlung oder Bindung zu enthalten, welche geeignet wäre, die Unabhängigkeit mittelbar oder unmittelbar zu beeinträchtigen. Wenn daher die Regierung Österreichs die Absicht hat, die eingegangene Verpflichtung loyal einzuhalten, dann wird sie in Hinkunft auch alles unterlassen müssen, was geeignet wäre, den Anschluß Österreichs an Deutschland auch mit Zustimmung des Völkerbundes vorzubereiten oder herbeizuführen. Für diese Verschärfung des Anschlußverbotes sind in erster Reihe diejenigen verantwortlich, welche diese Bindungen eingegangen sind und es ist mir unverständlich, wie am Parteitag der Großdeutschen Volkspartei in Wien am 11. Oktober behauptet werden konnte, daß die Genfer Protokolle vom Standpunkt des Anschlusses keine Verschlechterung unserer Lage bedeuten, obzwar ich natürlich ganz gut weiß, daß diese Bestimmung auf einander widerstrebende Interessen Italiens einerseits und der Èechoslovakei andererseits zurückzuführen ist und daher angeblich eine andere Bedeutung bekommen hat. Diese meine Auffassung wurde durch die Erklärung des Vertreters des Ministers für auswärtige Angelegenheiten Dr. Krèmáø in der Donnerstagsitzung des Außenauschusses bekräftigt, welche dahin geht, daß die Bestimmung des Protokolles I tatsächlich eine Neuerung gegenüber dem Friedensvertrag bedeutet.

Und schließlich noch eine Bemerkung in formeller Beziehung, die eigentlich weit mehr die Regierungsparteien als die Opposition interessieren sollte. Regierung und Berichterstatter haben die Genfer Protokolle I und II mit dem Antrag auf Genehmigung, das Protokoll III zur Kenntnis vorgelegt. Nach § 64 der Verfassungsurkunde schließt der Präsident der Republik die internationalen Verträge und ratifiziert sie. Nur Handelsverträge und solche Verträge, aus denen für den Staat oder die Bürger irgendwelche Vermögens- oder persönliche Lasten fließen, bedürfen der Zustimmung der Nationalversammlung. Die Protokolle I und II enthalten nun derartigebelastende Bestimmungen nicht, es sei denn, daß man die feierliche Erklärung bezüglich der Beachtung der österreichischen Unabhängigkeit und Integrität als eine solche Belastung darstellen will. Das Protokoll II enthält überhaupt nur eine Verppflichtungn der èec hoslovakischen Regierung, nämlich die, von ihrem Parlamente die Ermächt gung zu den Garantiekrediten für Österreich zu verlangen. Und daß dies eine selbstverständliche Verpflichtung dem Parlament gegenüber ist, das ist doch wohl klar. Die eigentliche Belastung des Staates und seiner Bürger erfolgt keineswegs durch die Genfer Protokolle, sondern durch das eigens angebrachte Gesetz, mit welchem die Bürgschaft für den österreichischen Kredit übernommen wird.

Ich habe seinerzeit bei der Beratung des sogenannten Vertrages von Lana die Vorlage des politischen Teiles der Abmachungen im Hinblick darauf verlangt, daß dort die Einhaltung der Neutralität für gewisse Fälle vorgesehen war und daß die wirtschaftlichen Abmachungen mit den politischen zusammenhingen. Die Vorlage wurde damals von der Regierung mit der Begründung abgelehnt, daß der Vertrag keine Belastung des Staates oder der Staatsbürger bedeutet und daher lediglich vom Präsidenten der Republik zu ratifizieren sei. Im Gegensatz zu dieser Auffassung werden uns nun heute Protokoll I und II zur Ratifizierung vorgelegt, obzwar sie noch viel weniger Belastungen des Staats oder der Staatsbürger enthalten, sondern lediglich Rechte des Staates, und ich möchte mir daher denn doch sowohl an den Herrn Berichterstatter, wie an den Herrn Minister des Äußern die eindeutige Frage erlauben, in welchen Bestimmungen der Protokolle I und II sie die im § 64 der Verfassung er wähnte Bel stung erblicken. Können sie mir hierüber keine Auskunft geben, dann stelle ich fest, daß die Vorlage der Protokolle I und II zur Genehmigung durch das Parlament einen Eingriff in die Rechte des Präsidenten bedeutet und daß dieser Vorgang keineswegs damit begründet werden könnte, daß die Vorlage an die Nationalversammlung zwar nicht notwendig gewesen wäre, trotzdem aber darüber hinaus erfolge. Denn die Verfassungsurkunde ist dazu da, in erster Reihe von der Regierung und dem Parlament beachtet und durchgeführt zu werden und darf keineswegs nach Willkür der Regierung einmal so und einmal so ausgelegt werden. Entweder war der Vorgang im Falle Lana verfassungswidrig oder ist es der jetzige.

Was das Protokoll III anbelangt, wird es zur Kenntnisnahme vorgelegt. Staatsrechtlich stellt es sich als eine Art Motivenbericht zur Gesetzesvorlage über die Kredite, über die Übernahme der Bürgschaft dar und in der gleichen Weise wären meiner Ansicht nach die Protokolle I und II zu behandeln gewesen, nämlich als Motivenberichte. Einen internationalen Vertrag, den das Parlament zur Kenntnis nimmt oder nicht zur Kenntnis nimmt, gibt es nach unserer Verfassung überhaupt nicht. Entweder hat das Parlament den Vertrag zu genehmigen oder es kann ihn verwerfen. Der Antrag des Berichterstatters fällt daher außerhalb des Rahmens der Verfassung und müßte vom Abgeordnetenhaus abgelehnt werden. Selbstverständlich ist der Inhalt des Protokolls III derartig, daß von ihm die Übernahme oder Nichübernahme der Bürgschaft abhängt, verfassungs- und staatsrechtlich aber ist es ein Unikum, daß ein Staat irgend einen Vertrag staatsrechtlich behandelt, den er gar nicht abgeschlossen hat, denn unterschrieben ist das Protokoll lediglich von Österreich, vom Bundeskanzler Seipel, und es hätte daher vollkommen genügt, das Protokoll III als Motivenbericht der finanziellen Vorlage beizufügen.

Ich habe schon eingangs meiner Ausführungen erwähnt, daß es sich um nichts anderes als um einen großangelegten Raubzug des internationalen Finanzkapitals auf die Taschen wehrloser Menschen handelt, und alle Bestimmungen der Protokolle sind auf diesen Zweck zugeschnitten. Um die hiezu notwendigen Arbeiten ungestört verrichten zu können, wird das österreichische Parlament zunächst auf die Dauer von zwei Jahren ganz einfach ausgeschaltet und die ganze gesetzgebende und verwaltende Macht der jeweiligen Regierung übertragen. Vier Jahre lang haben die sogenannten Siegerstaaten den blutigsten Krieg zur Sicherung der Demokratie geführt. Throne wurden gestürzt, Kaiser und Könige wurden abgesetzt, um dem demokratischen Prinzip den Siegeszug zu sichern, das Gottesgnadentum ist entwurzelt worden, um Platz zu schaffen für die Souveränität des Volkes, das die einzige Quelle aller Staatsgewalt sei. Und nunmehr erleben wir das widerliche Schauspiel, daß eben dieselben Mächte unter dem Vorwand der finanziellen Hilfe die von ihnen angepriesene Demokratie beseitigen, mit der Begründung, daß eben diese Demokratie unfähig sei, die im wirtschaftlichen und finanziellen Interesse notwendigen Maßnahmen durchzuführen.

Wenn dies nicht der vollständige Bankerott der Demokratie ist, dann weiß ich nicht, was die wahre Demokratie bedeutet, und ich kann das geschilderte Vorgehen nicht anders bezeichnen als damit, daß die westliche Demokratie nunmehr vor sich selbst flieht, um sich in die Arme der Dikikiktatur zu werfen. Dahinter aber steht das internationale Bankenkapital, dem es keinewegs um Demokratie oder Diktatur, sondern einzig und allein darum geht, die Arbeitskraft der Menschheit in den Dienst seiner mit Gold gefüllten Kassen zu stellen, und welches daher in dem einen Fall die Einführung demokratischer Einrichtungen, im anderen Falle die Diktatur anpreist, je nachdem das eine oder das andere Mittel zum Ziele führt. An diesen Bestrebungen ist bisher eine jede internationale Solidarität gescheitert. Und so auch in diesem Falle, in dem wir die Verkünder dieser Solidarität Arm in Arm mit den Vertretern des Bankenkapitals marschieren sehen, wie überall, so auch in diesem Haus.

Bei dieser Gelegenheit möchte ich auf einiges zurückkommen, was Herr Kollege Dr. Winter ier vorgebracht hat, denn es scheint mir immerhin in diesem Zusammenhang wichtig zu sein und hierher zu gehören. Zunächst einmal nehme ich mit Dank und Interesse die Erklärung des Sozialdemokraten Dr. Winter zur Kenntnis, daß er schon seinerzeit im Jahre 1918 es in einer Versammlung in Wien als Aufgabe des - wahrscheinlich damals künftigen - èechischen Staates verkündet hat, sich um die èechische Nation in Österreich, um die èechische Minderheit zu kümmern. Das ist heute eigentlich eine selbstverständliche Forderung und Pflicht des èechischen Volkes im Èechoslovakischen Staate und wird weiter kein Befremden und keine Verwunderung erregen. Aber der Grundsatz ist darin enthalten, daß es die Pflicht der nationalen Staaten ist, sich um ihre Minderheiten in den anderen Staaten zu kümmern. (Posl. dr. Winter: Já neøekl státu, nýbrž národù!) Also Völker. Die Völker, soweit sie in nationalen Staaten organisiert sind, werden durch ihre jeweiligen Regierungen vertreten. Dieses Zugeständnis ist aus diesem Munde sehr wichtig. Weiters hat Herr Kollege Dr. Winter, und mit vollem Recht, gesagt, daß das Elend Österreichs zum guten Teil darauf zurückzuführen sei, daß sich hier ein Staat gebildet hatte, mit dem Umfang von 50 Millionen Menschen beiläufig - denn Ungarn zählte ja wirtschaftlich dazu - mitten in diesem Staate eine Weltstadt, die die Kräfte aus den verschiedenen Provinzen - so auch aus den Sudetenländern - hereingezogen hat, um sie in den sogenannten passiven Ländern zu verwenden. Es läßt sich nicht leugnen, daß sehr viel wahres daran ist und daß in der Tat in Österreich die sogenannten passiven Länder auf Kosten der sogenannten aktiven Länder erhalten wurden. Aber ich weiß nicht, was für Schlüsse man aus dieser rein notwendigen, geschichtlichen und geographischen Tatsache ziehen kann. Auffallend ist diese Sache auch an Wien nicht. Denn wir erleben - si parva licet componere magnis - ein ähnliches Sch auspiel auch hier. Auch hier beklagen sich einzelne Teile dieses Staates, daß sie mit Unrecht Prag und einigen anderen Gebieten hintangesetzt werden. Ich will nicht prüfen, ob mit Recht oder Unrecht. Das ist eine begreifliche Erscheinung des Verwaltungszentralismus und ich bin in der glücklichen Lage, mich auch in dieser Frage mit Kollegen Herrn Dr. Winter zu begegnen, denn ich war einer der schärfsten Gegner des österreichischen Zentralismus, ich war immer dafür, Österreich zu dezentralisieren auf dem Grundsatze und nach den Gebieten der einzelnen Nationen, und er wird mir gewiß diese Tatsache bestätigen. Er hat nun mit Rücksicht auf diese geschichtliche Entwicklung Österreichs eine Lehre gegeben und gesagt, es wäre seine erste Pflicht gewesen, sich den neuen Verhältnissen möglichst rasch anzupassen. Das unterschreibe ich. Aber, meine Damen und Herren, darüber hat uns Kollege Dr. Winter kein Privatissimum gehalten, wie Österreich, wie diese zwei Millionen umfassende Stadt Wien mit ihren Hunderttausenden, wenn Sie wollen, unproduktiv arbeitenden Menschen, welche sich nicht nur infolge des Zerfalles Österreichs in dem jetzt kleinen Österreich als österreichische Staatsbürger angesammelt haben, sondern welche auch aus den es umgebenden Nachfolgestaaten Österreich zum Teil einfach überwiesen worden sind, wie es sich dieser Menschen hätte entledigen sollen. Es wird mir der Herr Kollege Dr. Winter und es werden mir alle anderen Herren darin zustimmen, daß es nicht leicht ist, sich solcher Menschen zu entledigen, um wieviel weniger konnte Österreich es, und noch dazu auf die Weise, wie Herr Kollege Dr. Winter es verlangt, rasch durchsetzen. Ich glaube, daß allerdings an diesem Umstande eine sofortige Anpassung an die gegebenen Verhältnisse in Österreich gescheitert wäre. Er sagt weiters, die Beseitigung der Friedensverträge könne und werde nicht helfen, sondern einzig und allein die Tatsache, daß sich Österreich auf den gegebenen Boden stellt und von dort aus die Verhältnisse zu ändern trachtet. Ich kann ihm natürlich in diesem Gedankengang nicht folgen. Denn als Demokrat und zumal als Sozial-Demokrat muß er gewiß zumindest das eine zugeben: man kann über die Friedensveträge denken wie man will, mögen sie wirtschaftlich gut oder schlecht sein - ich meine persönlich, sie waren das schlechteste, was man seit Jahrhunderten, vielleicht seitdem die Welt steht, in wirtschaftlicher Beziehung gesehen hat - aber demokratisch sind sie auf gar keinen Fall. Wenn man daher von den Grundsätzen der Demokratie ausgeht, dann muß man doch wohl zu diesen Friedensverträgen zurückkehren, wenn man Demokrat ist, dann muß man gegen die Friedensverträge sein, denn ein Demokrat kann keinen Friedensvertrag anerkennen, der von einem anderen Staat aufgezwungen und oktroyiert ist.

Herr Dr. Winter wirft den Österreichern vor, daß sie ihre eigene Republik sabotieren, weil sie sie nicht wollen. Mir wirft Herr Kollege Dr. Winter vor, ich hätte mich seit meiner österreichischen Zeit sehr zu meinem Ungunsten verändert. Wenn er sich im Spiegel besieht, dann wird er auch so manche Veränderungen in seinem politischen Antlitz erkennen. Denn das hätte der Sozialdemokrat Winter und keiner seiner alten Kollegen im alten Österreich vorgebracht, einem Staat sein Dasein aufzwingen zu wollen, das die Einwohner dieses Staates selbst nicht ertragen und bekämpfen. Das mag politisch klug, es mag, wenn Sie wollen, vom proletarischen oder kapitalistischen Interesse diktiert sein, aber demokratisch ist es nicht. Daher ist es nur ein halber Weg der Sanierung, wenn Herr Dr. Winter einige Andeutungen in seinem Sinne gegeben hat. Ja, wo bleibt denn schließlich dann die Selbstbestimmung, wenn man nicht nur Staaten schafft, ohne die Bevölkerung zu fragen, sondern wenn solche Staaten sogar zwangsweise erhalten werden, die gar nicht bestehen wollen? Ja, woher sollen denn die psychologischen Voraussetzungen für die Begeisterung für diesen eigenen Staat kommen? Und schließlich spielt bei den Menschen die psychologische Voraussetzung eine gewaltige Rolle. Das müßte in erster Reihe ein Vertreter der èechischen Nation erkennen. Herr Dr. Winter wird daher mit seinen Klubgenossen gegen die Anträge stimmen, welche hier, ich glaube von sozial-demokratischer Seite - gegen unsere wird er ohnehin stimmen - vorgebracht worden sind, und er fühlt sich in diesem Punkte eins mit seinem Gesinnun gsgenossen Buxton in England, der angeblich mit seiner Partei auch die Genfer Protokolle genehmigt hat, obzwar er vollkommen zugibt, daß sie im höchsten Grad undemokratisch sind, und er sie daher ablehnen sollte.

Ich werde mir erlauben, dem Herrn Kollegen Dr. Winter und seinen Gesinnungsgenossen einen Antrag zu unterbreiten, der in gar keiner Weise diese Protokolle berührt und ich hoffe, daß er ihm zustimmen wird, um wenigstens vor der Öffentlichkeit kundzutun, daß er zwar schweren Herzens von der streng demokratischen Linie abgewichen ist, daß er aber bereit ist, die Demokratie öffentlich anzuerkennen dort, wo sie wirklich vorhanden ist, und das ist in der Schweiz. Ich werde mir im Namen meiner Parteigenossen erlauben, dem hohen Hause eine Entschließung zu unterbreiten, welche lautet:

"Das Abgeordnetenhaus spricht der Schweizer Eidgenossenschaft seine Bewunderung über die Art ihrer Teilnahme an der Unterstützung und dem Wiederaufbaue Österreichs aus." (Potlesk na levici.) Ich bin überzeugt, daß es keinen Demokraten in diesem Hause geben wird, der nicht begeistert für diesen Antrag stimmen wird. Denn dadurch werden die Protokolle materiell in gar keiner Weise berührt und die Garantieaktion für Österreich kann unbeschadet ihren Weg gehen.

Schließlich hat Herr Kollege Dr. Winter hier die Befürchtung ausgesprochen, daß sich diese Sanierung Österreichs unter Umständen zu einer Aktion gegen die österreichische Arbeiterklasse ausweiten könnte und er hat für sich und seine Partei die Versicherung abgegeben, daß sie im gegenteiligen Sinne in der Regierung wirken werden, und daß die Regierung des èechoslovakischen Staates ihrerseits bestrebt sein werde, jeden Übergriff, sagen wir, gegen die Arbeiterklasse hintanzuhalten und zu verhindern. Herr Kollege Dr. Winter traut sich sehr viel zu. Er hat zwar gemeint, leider sei die sozialdemokratische Partei Frankreichs viel zu schwach im Verhältnis zu ih rer eigentlichen Bedeutung - ich glaube, so hat er sich ausgedrückt. Sie spiele parlamentarisch und also auch in der Regierung eine zu geringe Rolle, sie sei zu klein, oder wenigstens habe sie zu wenig Macht. In England stehen die Dinge mein es Wissens nicht viel besser; dort ist jetzt die konservative Partei am Ruder. Es ist selbstverständlich, daß die englischen parlamentarischen Verhältnisse wesentlich anders sind, als auf dem Kontinente und die Opposition unter Umständen dort einen größeren Einfluß ausübt als bei uns und anderwärts. Aber jedenfalls kann sich Dr. Winter unmittelbar für die konservative Regierung Bonar Laws nicht verbürgen; von Italien will ich nicht sprechen, ich glaube, es wird wohl auch nicht die Absicht des Herrn Dr. Winter sein, auch Italien in diesen Konzern der Hüter der Rechte der Arbeiterschaft und sozialdemokratischer Prinzipien zu stellen. Im Wesen bleibt doch nur mehr oder weniger die èechoslovakische Sozialdemokratie übrig, die mit ihrem Gewicht dahin arbeiten muß, daß die Arbeiterklasse Deutschösterreichs vor dieser Aktion des Finanzkapitals - ich glaube in einem Unterbewußtsein gibt Dr. Winter wohl zu, daß es sich hier um eine großartige Aktion des Finanzkapitals handelt - zu schützen. Alle Achtung, ich verstehe solche Bestrebungen und ich glaube auch dem Vertreter der èechoslovakischen Sozialdemokratie den Ernst dieser Worte vollständig. Aber, meine Damen und Herren, eine Merkwürdigkeit tritt dabei denn doch zutage. Zuerst wird ein Staat in die Gewalt des internationalen Kapitals und seiner Hintermänner ausgeliefert und dann bemühen sich die Herren, die Schäden, die gegen die Arbeiterklasse aus diesem Umstand erwachsen könnten, abzustellen und zu paralysieren. Glauben Sie nicht, daß es wenige geben wird, die an den Ernst der Durchführung einer solchen Absicht glauben können? Glauben Sie nicht, daß es viele Demokraten geben wird, die sagen werden: Die Kontrollmaßnahmen, die Ihr anstreben müßet, um das von Euch garantierte Gold zu sichern, die hättet Ihr auf andere Weise ebenfalls erreichen können, ohne die Souveränität Österreichs zu stürzen, und ohne das Schicksal nicht nur der Arbeiterklasse, sondern aller produzierender Stände Österreichs in die Hände von tatsächlich unverantwortlichen Regierungen zu geben, deren Zusammensetzung wir heute nicht einmal kennen. Denn das, was in dem Wiederaufbaugesetz Österreichs enthalten ist, der Kabinettsrat, der dort gebildet wurde, das ist doch natürlich ein Feigenblatt, welches nunmehr die in Österreich verfassungsmäßig eingerichtete Diktatur bemänteln und bedecken soll.

Man muß sich wi rklich fragen, warum denn Österreich nicht jene Maßnahmen, welche zu seiner Wiederaufrichtung otwendig sind, aus eigener Kraft hättedurchführen können. Auch Herr Kollege Dr. Winter hat davon gesprochen. Darauf kann man zwei Antworten geben: Entweder wäre ein demokratisch regiertes Österreich in der Tat außer Stande gewesen - und auf diesem Standpunkt steht Herr Kollege Dr. Winter - durch sein Parlament und durch seine Regierung diese Maßnahmen durchzuführen. Dann, meine Damen und Herren, ist der Bankerott der Demokratie auf der ganzen Linie klar erwiesen und dann war die demokrati sche Fahne, mit der die sogenannten Siegermächte oder Westmächte in denn Krieg gezoge sind, nur dazu bestimmt, die Bevölkerung irrezuführe. Denn in Österreich ist sicherlich ein durchaus demokratisches Wahlrecht, eine durchaus demokratische Regierung, die sogar gewählt wird, eingeführt. Wenn also diese Demokratie, die durchaus klar herrscht, in Österreich außerstande ist, wirtschaftlich, ökonomisch, politisch oder sozial notwendige Maßnahmen zu treffen, dann, meine Damen und Herrren, muß die Demokratie abdanken. Oder aber die österreichische Demokratie wäre imstande, derartige Maßnahmen durchzuführen, und dann ist es klar erwiesen, daß es sich den Mächten durchaus nicht darum gehandelt hat, Österreich zu stützen, sondern Österreich diese Möglichkeit des Aufbaues aus eig ner Kraft zu benehmen, um diesen Staat nach ihrem eigenen Willen, nach ihrer Willkür verwalten zu können. In dem einen wie dem anderen Falle liegt zweifellos eine Versündigung am demokratischen Grundsatz vor, zu der wir am allerwenigsten unsere Zustimmung geben können. Nach meiner und nach der Auffassung meiner Parteigenossen kann und wird es solange keine wahre Demokratie geben, als sie nicht schon bei der Gründung der Staaten berücksichtigt wird. Denn, wenn das Volk die einzige Quelle aller Staatsgewalt ist, wie unsere Verfassung au sspricht, dann muß es in erster Reihe zunächst über die Bildung des Staates entscheiden und muß daher grundsätzlich die Freiheit haben, diesen oder jenen Staat aufzugeben oder zu verlassen, um einen neuen zu bilden oder sich einem anderen anzuschließen. Ist diese Grundbedingung nicht erfüllt, dann bleibt die Demokratie ein leeres Schlagwort.

Wenn jemand daran zweifelt, daß es sich bei den Genfer Protokollen um einen großzügigen Raubzug gegen die geplagte Menschheit handelt, dann kann er leicht durch das Protokoll II hievon überzeugt werden. Trotz allen Wohlwollens und trotz allen Verständnisses, welche durch die Worte der Protokolle so reichlich fließen, hat es das Kapital gar eilig, sich ein bevorzugtes Einkommen durch die Kredite zu sichern. Zu diesem Zwecke bestimmt der Artikel 1, daß die auszugebenden Staatsobligationen von allen Steuern, Abgaben oder Belastungen zugunsten des österreichischen Staates freizubleiben haben. Mit Recht weist die "Neue Preie Presse" vom 11. Oktober daraufhin, daß diese Obligationen auch von der Einkommen- und jeder Vermögenssteuer befreit sein werden, und es sind wahrlich diejenigen zu beneiden, denen es auf diese Art möglich gemacht wird, sich ein durchaus steuerfreies Einkommen zu sichern; dies werden aber selbstverständlich die internationalen Banken und ihre Hintermänner sein. Dagegen wird es in Österreich in Hinkunft unmöglich sein, die übrigen Steuern herabzusetzen, soferne sie im Protokolle III als Pfänder für die Anleihe bezeichnet werden; zu solchen Pfändern aber können nicht nur die Zoll- und Tabakeinnahmen, sondern auch alle andere Steuerquellen verwen det werden. Auch die Einführung oder Umwandlung von Monopolen, sowie die Vergebung oder Verpachtung solcher Konzessionen wird sich in Hinkunft ohne den Willen des österreichischen Parlamentes, jeden falls aber nach dem Diktate der menschenfreundlichen Bürgen und des Bankenkapitals vollziehen. Alle diese, sowie die Bestimmungen des Punktes 7 des Protokolles III bedeuten die vollständige Ausschaltung der österreichischen Nationalversammlung vom Gebiete der Steuergesetzgebung, die von der Regierung unabhängige Notenbank aber wird mit den Aufgaben eines Staatskassiers betraut, Österreich also eigentlich an das internationale Bankenkapital verpachtet.

In politischer Beziehung wäre zu bemerken, daß es den Siegerstaaten nunmehr gelungen ist, alle maßgebenden Parteien Österreichs auf den Artikel 88 des Friedensvertrages von St. Germain zu vereidigen, indem ihn die einen früher, die anderen später unterschrieben haben. Die Angst der Sieger und Nachfolgestaaten vor dem Anschlusse Österreichs an Deutschland wurde von der internationalen Kapitalswelt geschickt ausgenützt, um diese Staaten in den Dienst der Anleihe zu stellen. An ihrem Zustandekommen und an dem Zustandekommen der zunächst demütigenden, in der nächsten Zeit aber die österreichische Bevölkerung schwer treffenden Maßnahmen haben alle maßgebenden Parteien Österreichs einen wesentlichen Anteil, nicht nur deshalb, weil sich auch die früheren österreichischen Regierungen erbötig zeigten, die Hoheitsrechte Österreichs in höherem oder geringerem Grade den fremde Staaten zu vergeben, sondern auch deshalb, weil es in der Macht der Opposition in Wien gestanden hat, das Zustandekommen der betreffenden Gesetze zu verhindern, wenn sie im Bundesrate die Vorlagen zu Falle gebracht hätte; dies hätte sie aber tun können, wenn sie es aabgelehnt hätte, an der Abstimmmug teilzunehmen, nachdem die Regierungsparteien die Sitzung verlassen hatten. Dann wäre ein Beschluß des Bundesrates nicht zustande gekommen, die endgiltige Entscheidung wäre nach der Verfassung um einige Wochenhinausgeschoben und dadurch vereitelt worden, weil der gesetzte Termin nicht hätte eingehalten werden können. So begnügten sich die sozialdemokratischen Bundesräte damit, die Vorlagen abzulehnen, wodurch es erst den Regierungsparteien möglich gemacht wurde, ihre Beschlüsse in der Nationalversammlung zu wiederholen und dadurch endgiltig zu machen. (Posl. Èermak: Möchten Sie nicht auch etwas von den Großdeutschen erzählen?) Das habe ich schon gesagt. (Výkøiky.) Aus diesem Verhalten darf geschlossen werden, daß es sich der Opposition in Österreich keineswegs um die Vereitelung der Gesetzwerdung der Regierungsanträge gehandelt hat, sondern daß sie sich damit begnügen wollte, die Entwürfe Seipels in der Bevölkerung zu bekämpfen, und sie kann sich daher der Verantwortung für all das, was mit dem Wiederaufbau- und den sonstigen Gesetzen in Zusammenhang steht, nicht entziehen.


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