So sehr man sich bemüht hat, alles Sichtbare zu entösterreichern, so hat man die wirkliche Schande, die man aus dem alten Österreich mit herübergenommen hat, nicht entfernt. Ich erinnere nur daran, daß es z. B. für die demokratische Auffassung der Republik eine Schande ist, wenn heute noch immer das Prügelpatent besteht, welches auf Grund eines kaiserlichen Patentes aus dem Jahre 1854 erlassen wurde, und daß es noch politische Bezirksverwaltungen gibt, die auf Grund dieses kaiserlichen Patentes amtieren und Strafurteile fällen. Ich erinnere weiter, daß es unseres Erachtens nach eine Schande ist, wenn heute, wo wir ein allgemeines demokratisches Wahlrecht haben, das den Jugendlichen und Frauen die Möglichkeit der politischen Betätigung gibt, den Frauen sogar die Möglichkeit gewährt, ins Parlament gewählt zu werden, dafür aber gleichzeitig ein altes Vereins- und Versammlungsgesetz existiert, wonach Jugendliche und Frauen nicht Mitglieder politischer Vereine sein dürfen, während sie politische Rechte auszuüben imstande sind. Man sage nicht, daß dies nur eine reaktionäre Bestimmung sei, die auf dem Papiere steht. Es ist Tatsache, daß es politische Bezirksverwaltungen gibt, die auf Grund des Vereins- und Versammlungsgesetzes so amtieren, daß sie von den politischen Vereinen Mitgliedsverzeichnisse verlangen, um festzustellen, ob nicht auch Personen in dem Verzeichnis enthalten sind, die nicht Mitglieder sein dürfen. Das alles scheint das Ministerium des Innern nicht zu bemerken. Die äußere Sichtbarkeit der Entösterreicherung war wichtiger als die Reformierung des Verwaltungsapparates im allgemeinen. Von der Vers ammlungsfreiheit will ich gar nicht erst reden. Ich will nur darauf verweisen, daß es heute so ist, daß zu jeder Mitgliedsversammlung oppositioneller Parteien Regierungsvertreter nebst einem Aufgebot von Gendarmerie entsendet werden. Ich will weiter darauf verweisen, daß sich in puncto des Verhältnisses der Staatsverwaltung zur Arbeiterschaft nichts an den Zuständen geändert hat, wie sie schon im alten Österreich bestanden haben, daß man nach wie vor Gendarmerie gegen die Arbeiter schickt, daß man nach wie vor die Macht des Staates zum Schutze des heiligen Eigentums benützt. Wir konnten das beim Bergarbeiterstreik in Mähr.-Ostrau sehen, wo ein ganzer Kriegsplan ausgearbeitet wurde, wo dem Gendarmeriekommando in Troppau der Auftrag gegeben wurde, 200 Mann zu entsenden, wo die Mannschaft aus ganz Schlesien aus den entlegensten Dörfen nach Ostrau dirigiert wurde, wo man den Leuten 25 Kronen pro Tag gab, während sie 10 Kronen allein für ein Nachtlager bezahlen mußten. Wenn man nun die Polizei und Gendarmerie auch für diese Aufgaben verwendet, dann finden wir es schon begreiflich, daß im Zeichen des allgemeinen Preisabbaues, des allgemeinen Lohn- und Gehaltsabbaues, die Ausgabepost für Polizei und Gendarmerie vom Jahre 1919 bis zum heutigen Tage um 681% gestiegen ist.
Gleichzeitig müssen wir heute hier darüber Beschwerde führen, daß der ganze Verwaltungsapparat, die Behörden und ihre Organe offen zugunsten der Regierungsparteien für Wahlzwecke und sonstige Angelegenheiten verwendet werden. Wir konnten bei den Gemeindewahlen in Hultschin die krassesten Gesetzesverletzungen konstatieren. Vor allem war es die Polizeidirektion in Mähr.-Ostrau, die geradezu krasse Gesetzesverletzungen begangen hat. Ich will mit Rücksicht auf die Kürze der mir zur Verfügung stehenden Zeit hier nur einiges anführen. So kamen in verschiedene Wählerversammlungen als Vertreter der Polizeidirektion im Mähr.-Ostrau nicht nur Regierungsvertreter, sondern sogar Geheimagenten, trotzdem sie kein Recht haben, in solche Versammlungen als Regierungsvertreter zu erscheinen. Tatsächlich haben sie die Rechte von Regierungsvertretern ausgeübt und die Androhung einer Beschwerde bei den Vorgesetzten wurde damit beantwortet: "Da können Sie machen, was Sie wollen, Sie können die Sache auch im Parlament zur Sprache bringen. Das nützt Ihnen nichts." Man sieht, welcher Respekt bei den untergeordneten Organen der Polizeidirektion in Ostrau für das Parlament vorhanden ist. Versammlungen wurden aufgelöst, nur weil einige Nichtwähler anwesend waren. Die Gendarmerie hat Versammlungen gesprengt. Der Kandidat Heinrich Kubný wurde aus dem Bette herausgeholt und dem Bezirksgericht eingeliefert nur deshalb, weil er ein unangenehmer und kein Regierungskandidat gewesen ist. Der Vertreter beim Troppauer Landesamt Ing. Kozák erklärte einer Deputation aus Groß Darkowitz: "Nur die bekommen Grund und Boden, die bei der Wahl èechisch wählen". Und so sehen wir Gesetzesverletzungen, Wahlbeeinflussungen von Behörden und deren Organen (Výkøiky.) und trotz dieser Wahlbeeinflussungen, trotz dieser krassen Gesetzesverletzungen war es in vielen Orten nicht möglich, die Mehrheit für die Regierungsparteien zu erzielen. Kurzerhand hat man einfach diese Wahlen sistiert und bis zum heutigen Tage wurden Neuwahlen noch nicht vorgenommen. So ließe sich dieses Kapitel noch weiter ausdehnen. Auch Sie, meine Herren von den Regierungsparteien, müßten gegen solche Vorkommnisse einen wahrhaft energischen Protest einlegen.
Eine weitere Frage, die ich heute behandeln muß und die speziell das Ministerium des Innern betrifft, sind die Staatsbürgerangelegenheiten. Das Ministerium des Innern entscheidet über die Staatsbürgerschaft. Nach dem Gesetze hat eigentlich die Landesverwaltung zu entscheiden. Aber in der Praxis ist es so, daß die Landesverwaltungen nicht enscheiden dürfen, bevor sie nicht den Akt dem Ministerium zur Begutachtung vorgelegt haben. Nun hat man sich für die Entscheidung und Verleihung der Staatsbürgerschaft ein geradezu ungeheuerliches Rezept zurecht gelegt. Abgesehen davon, daß solche Ansuchen oft mehrere Jahre laufen, bis 2 Jahre, abgesehen davon, daß sie nach Ablauf dieser Frist noch abschlägig entschieden wird, ist es interessant festzustellen, daß, bevor die Verleihung der Staatsbürgerschaft ausgesprochen wird, ein sogenanntes Ermittlungsverfahren eingeleitet wird. Die Grundlage dieses Ermittlungsverfahrens ist ein Erhebungsbogen, dessen Inhalt sehr interessant ist, der aber auch aufzeigt, welcher Beeinflußung Entscheidungen der Staatsbürgerschaftsangelegenheiten zugänglich sind. Diesen Fragebogen will ich dem geehrten Parlament zur Ken tnis bringen; er enthält 14 Fragen und der Inhalt ist sehr bezeichnend und zeigt, welche Einflüsterungen bei Verleihung der Staatsbürgerschaft oft entscheidend sind. Vor allem wird darin nach der Nationalität und einigen ganz formalen Angelegenheiten gefragt. Im Punkte 6 wird jedoch die Frage gestellt: War der Ansuchsteller vor oder nach dem 28. Oktober 1918 in irgend einer Weise politisch tätig? Im Punkt 8 wird gefragt: Wie hat er sich den Interessen des èechischen Volkes gegenüber vor dem Umsturz verhalten und wie stellt er sich zu der èechoslovakischen Republik nach dem Umsturz? Ich möchte vor allem feststellen, daß die Beantwortung der gestellten Fragen ein geheimes Verfahren ist, das von dem Referenten der einzelnen politischen Behörden durchgeführt wird, ohne Wissen des betreffenden, der um die Staatsbürgerschaft angesucht hat. Dann wird weiter gefragt: Hat er seinerzeit österreichische oder ungarische Kriegsanleihen gezeichnet? Bejahenden Falles für welchen Betrag. Also, wenn einer Kriegsanleihe gezeichnet hat, so kann das unter Umständen das Verhängnis sein, daß er keine Staatsbürgerschaft bekommt, obwohl tausende Menschen zur Zeichnung der Kriegsanleihen gezwungen worden sind und es vielfach nicht von ihrem freien Ermessen abhängig war. Aber noch schöner wird es in dem Punkt 11, wo gesagt wird: Hat er sich an der Zeichnung èechoslovakischer Staatsanleihe oder sonstiger öffentlicher Anleihen beteiligt, bzw. hat er an irgend welchen Wohltätigkeitsaktionen teilgenommen? In diesem Falle kann er unter Umständen auch eine Befürwortung erhalten, wenn der Nachweis nach der Richtung erbracht ist. Dann wird weiter gesagt: Bezieht der Gesuchsteller aus den Mitteln seines gegenwärtigen Heimatsstaates oder aus öffentlichen von jenem Staat verwalteten Fonds eine Pension oder Versorgungsgenüsse, Invaliditätsrente, Erhaltungsbeiträge oder erhebt er vielleicht Anspruch auf solche als Pensionist usw. Die in einem früheren Dienstort tätigen Pensionisten, die sich die Zusicherung in den Heimatsverband eines Ortes der Republik haben geben lassen, können unter Umständen, weil sie Anspruch auf eine Pension erheben, der Staatsbürgerschaft verlustig werden. Nun kommt der letzte Punkt, der wohl der bezeichnendste ist. Da heißt es: sind keine Ursachen vorhanden, aus welchen geschlossen werden könnte, daß durch die Verleihung der èechoslovakischen Staatsbürgerschaft dem Staate oder seinen Einrichtungen ein Schade oder Nachteil in materieller, moralischer, oder nationaler Hinsicht erwachsen könne, und ist die erwähnte Person aus politischen oder wirtschaftlichen Gründen eine unerwünschte oder unbequeme. Es kann also jeder Vertrauensmann der Regierungspartei, irgend ein Mensch aus Gehässigkeit einfach eine unbequeme Bemerkung machen und der Mann verliert unter Umständen die Staatsbürgerschaft. Was das bedeutet, kann man nur dann erfassen, wenn man weiß, daß es tausende Menschen gibt, die durch die Nichtverleihung der Staatsbürgerschaft in Mitleidenschaft gezogen werden, daß es Eisenbahn- und Staatsangestellte gibt, die sich um die Erwerbung des Heimatsrechtes nicht bemühten, daß es viele Arbeiterinnen in Tabakfabriken gibt, die durch Verheiratung die Staatsbürgerschaft verloren haben, alle diese Leute hängen in der Luft, das Ministerium des Innern trifft keine Entscheidung, in den meisten Fällen wird das Gesuch abschlägig beschieden. Genau so trifft das auch zu bei den Pensionisten. Wenn ein Pensionist in Bielitz-Biala Dienst gemacht hat und noch vor dem Jahre 1918 in die Èechoslovakei gekommen ist und sich dort die Zusicherung in den Heimatsverband irgend einer Gemeinde geben ließ, so wird er von der polnischen Regierung abgewiesen, weil er die Zusicherung in eine Heimatsgemeinde des èechoslovakischen Staates bekommen hat, der èechoslovakische Staat aber weist ihn wieder ab, weil er aufgrund der Verträge seine Pension von dort beziehen muß, wo sein letzter Dienstort gewesen ist. Ein solches Vorgehen, eine solche geheime Fehme ist unseres Erachtens unmenschlich, ist gewissenlos und wir müssen daher verlangen, daß diese Zustände verschwinden und daß auch das Ministerium des Innern eine Reform bei Verleihung der Staatsbürgerschaft trifft, daß es nicht einzelnen einflußreichen Menschen überbleibt, über das Schicksal und Wohl und Wehe von vielen Menschen zu entscheiden.
Ich möchte noch ganz kurz dem Ministerium des Innern und dem Parlamente folgendes zur Kenntnis bringen. Wir haben uns vor kurzer Zeit auch in diesem Hause mit den Verhältnissen in Deutschland beschäftigt und sogar èechische Parteien haben eine Wolhtätigkeitsaktion zur Unterstützung des deutschen Proletariats eingeleitet; ich stelle daher fest, daß in dem Gebiete der Bezirkshauptmannschaft Tetschen zwei Arbeiter für deutsche Proletarier gesammelt haben, daß sie durch diese Sammlung die Not und das Elend mit lindern helfen wollten, daß aber die Bezirkshauptmannschaft in Tetschen nicht nur den Betrag beschlagnahmte, sondern diese zwei Arbeiter auch mit 24 Stunden Arrest bestrafte. Das ist jedenfalls ein sehr bezeichnender Vorgang, ich hoffe, daß das Ministerium nichts unversucht lassen wird, um die Schande, die hier begangen wurde, wieder in irgend einer Form gutzumachen. Nun, meine Damen und Herren, solange die Demokratie nicht in der Verwaltung Einzug hält, solange nicht auch hier eine Reformierung erfolgt, solange nicht auch hier der schwerfällige Apparat vereinfacht wird, solange werden wir auch hier keine Gesundung haben, und solange werden auch solche Einzelübergriffe einzelner bürokratischer Organe zu verzeichnen sein. Aus allen diesen Gründen sind wir nicht imstande, für dieses Kapitel des Voranschlages zu stimmen. (Potlesk na levici.)