Støeda 29. listopadu 1922

Pøíloha k tìsnopisecké zprávì

o 175. schùzi poslanecké snìmovny Národního shromáždìní republiky Èeskoslovenské v Praze ve støedu dne 29. listopadu 1922.

1. Øeè posl. Häuslera (viz str. 1311 tìsnopisecké zprávy):

Geehrte Damen und Herren! Unter der Gruppe, die jetzt zur Beratung steht, befindet sich auch das Kapitel Ernährung. Obwohl für jene Leute, die über genügende Geldmittel verfügen, genug Lebensmittel vorhanden sind, gibt es doch Tausende und Abertausende armer Menschen, die nicht genug zu essen haben, die Not leiden müssen und hungern. Für diese hat das Ernährungsministerium die Pflicht zu sorgen. Von der Koalition ist ja dieses Ministerium bereits ins Ausgedinge gesetzt worden, was sich bei der Neubildung der Regierung gezeigt hat. Es wollte sich nämlich bei der Regierungsbildung kein Anwärter für dieses Ministerium finden. Obwohl im Juni der Ernährungsausschuß beschlossen hat, das Ministerium aufzulösen und Konsumentenkammern zu schaffen, wurde der Beschluß bis heute nicht durchgeführt, das Ministerium wurde vielmehr belassen, wahrscheinlich deshalb, um alle Parteien der Koalition mit Ministerposten befriedigen zu können. Wenn es nun aber einmal besteht und 17 Millionen Kronen dafür im Budget eingesetzt worden sind, so müssen wir uns auch mit diesem Kapitel befassen.

Die letzte Sitzung, die der Ernährungsausschuß im Juni gehalten hat, hat 18 Thesen aufgestellt, um die Teuerung wirksam zu bekämpfen. Seit dieser Zeit war keine Sitzung mehr, die irgend etwas geleistet hätte, trotz Krise, Not, Teuerung und Elend. Was wurde bisher von den 18 Thesen verwirklicht? Ich möchte nur einige Punkte herausgreifen: Ermäßigung der Tarifsätze für Lebensmittel: außer bei Kartoffeln ist von einer Ermäßigung bei Lebensmitteln nichts bekannt; Schaffung von Kühlanlagen: nichts ist bis jetzt durchgeführt worden; Schaffung von Preisprüfungskommissionen und Überwachungsstellen: bis jetzt nichts; Verschärfung der Strafbestimmungen für Wucher: nichts; bezüglich der zollfreien Einfuhr von Lebensmitteln, wie Fleisch und Fett, ist bis jetzt ebenfalls nichts veranlaßt worden, obwohl ich der Anschauung bin, daß bei der èechoslovakischen Schweinewirtschaft Fett genug vorhanden sein müßte und eine Einfuhr desselben nicht notwendig wäre. In der erwähnten Sitzung des Ernährungsausschusses wurde weiters die Schaffung von Konsumentenkammern gefordert, bis heute ist jedoch nichts durchgeführt worden. Die große Masse der Konsumenten hat keine Interessenvertretung. Die Konsumentenkammern wurden wahrscheinlich deshalb nicht beschlossen, weil es den Agrariern nicht gepaßt hat. Trotz des Beschlusses des Ernährungsausschusses, das Ernährungsministerium aufzulösen und Konsumentenkammern einzurichten, geschah weder das eine, noch das andere. Statt der Konsumentenkammern wurde eine ständige Konsumentenenqu@ete für die Verbraucher errichtet. Die Tätigkeit der Enqu@ete bestand bis jetzt darin, daß vor einigen Tagen eine einzige Sitzung stattgefunden hat, in der sich die Mitglieder der Enqu@ete eine schöne Rede des Ernährungsministers anhören konnten, in der es unter anderem hieß, daß es notwendig sei, Konsumentenkammern zu errichten.

Was seitens der Regierung, bisher tatsächlich geschehen ist, war ein Apell an die Händler und an die Produzenten, mit den Preisen herunterzugehen. Aber es wird doch wohl niemand glauben, daß Händler oder Produzenten diesen Aufruf ernst nehmen, wenn die Regierung nicht selbst mit gutem Beispiel vorangeht. Wir brauchen Preisprüfungsstellen, die die Preise ständig kontrollieren und festsetzen sollen. Diese so festgesetzten Preise müssen dann auch wirklich eingehalten werden. Geschieht das nicht, dann bleibt das schönste Wuchergesetz ein leerer Fetzen Papier. Bisher gab es keine festen Richtpreise. Niemand hat beim Wuchergericht eine Anzeige erstattet, weil das ja ganz zwecklos war, denn wenn die Anzeige tatsächlich erfolgte, so kam dabei regelmäßig nichts heraus, weil der Produzentenbeirat ziffernmäßig den Beweis erbracht und nachkalkuliert hat, daß der angeklagte Händler keinen Wucher getrieben hat, und letzten Endes stellte es sich heraus, daß der betreffende Händler eigentlich hätte mehr verlangen können. Das Vertrauen zu den Wuchergerichten ist infolgedessen vollständig geschwunden; man hat gesehen, daß die Preistreiber entweder überhaupt nicht oder im besten Fall sehr selten bestraft worden sind. Wir brauchen daher notwendig die Errichtung von Preisprüfungs- und Kontrollstellen, damit Richtpreise festgesetzt werden können, um die Wuchergerichte in die Lage zu versetzen, entsprechende Entscheidungen zu fällen.

Eine Überprüfung des Preisabbaues ist notwendig, weil die Preise der Wersteigerung der Krone nich entsprechen. Es wurde bereits von dieser Stelle aus darauf verwiesen, daß zu der Zeit, als unsere Krone auf ca. 5 gestanden ist, das Fleisch billiger war als heute, wo die Krone um das Dreifache gestiegen ist. Ich konstatiere, daß in erster Reihe die Regierung schuld daran ist, weil die indirekten Steuern, welche vorwiegend Verbrauchssteuern sind, die wichtigsten Lebens- und Bedarfsartikel in wucherischer Weise verteuern. Bei uns ist die Valuta langsam gestiegen und es wäre die Möglichkeit vorhanden gewesen, durch systematischen Abbau der Preise sich anzupassen. Wir müßten heute gegenüber dem Vorjahr um zwei Drittel billiger leben. Das ist aber nicht der Fall, weil die Händler von dem perzentuellen Nutzen, den sie in Kriegs- und Nachkriegszeit gewohnt sind einzuheimsen, nichts nachlassen und sich nicht mit einem bürgerlichen Gewinn begnügen, wie das in Friedenszeiten der Fall war. Aber da ist wieder die Regierung mit schuld daran. Sie bietet die Handhabe dazu, weil sie die ungeheueren Verbrauchssteuern, die teilweise schneeballensystemartig wirken, nicht beseitigt und nicht abbaut. In die Preise werden alle diese Steuern hinein multipliziert und nach oben abgerundet, dadurch hat der Händler die Möglichkeit, sich immer wieder außerordentliche Profite zu sichern. In das Budget für 1923 sind die Einnahmen für die indirekten Steuern, das sind Kohlensteuer, Zuckersteuer, Umsatz-, Tabak-, Fleisch-, Verkehrssteuer und Zölle, für das ganze Staatsgebiet mit einem Betrag von insgesamt 7033 Millionen eingestellt. An direkten Steuern sind eingestellt 1844 Millionen, oder in Prozenten ausgedrückt: an indirekten Steuern, also jenen Steuern, die die Lebensmittel ungeheuer verteuern, 78·88% während an direkten Steuern nur 21.12% in Betracht kommen; also ein Fünftel direkte und vier Fünftel indirekte Steuern. Diese Steuern muß das Volk tragen, weil die Republik einen für die Größe und Leistungsfähigkeit dieses Staates viel zu großen Verwaltungsapparat besitzt.

Wie das wirkt, möchte ich an einem oder zwei Beispielen zeigen. Bei der Einfuhr von Gefrierfleisch, die angeblich zur Verbilligung und zum Preisabbau beitragen soll, hebt der Staat ca. 20 % für Zölle und Steuern ein. Ein Fünftel steckt also der Staat ein. Ich möchte aber ein besonders krasses Beispiel anführen: Kakao, gewiß ein wichtiges Nahrungsmittel, kostet bei dem derzeitigen Stande der èechischen Krone in Holland 5 Kronen. Der èechoslovakische Staat legt darauf eine Steuer von 1·60 per Kilogramm und 20 Kronen Zoll. Wenn Sie dazu den Händlergewinn rechnen, so ko mmt ein Kilogramm Kakao hier im Detailverkauf auf 38 bis 40 Kronen. Das ist der größte Wucher in der schamlosesten Weise, der da von der Regierung und den verantwortlichen Faktoren getrieben wird. Da sollte das Wuchergericht eingreifen, da sollte es die Schuldigen zur Verantwortung ziehen, und wenn das geschähe, so wissen wir, daß in erster Reihe die Regierung, voran der Herr Rašín jener wäre, den wir als Straßenkehrer begrüßen könnten. Aber es wird nichts geschehen. Aus der Regierungserklärung des Herrn Ministerpräsidenten Švehla finden wir heraus, daß auf dem Gebiete der Zölle nichts zu machen ist. Unter dem demokratischen Deckmantel sagte er: "In der Frage der Zollpolitik wird die Industrie und Landwirtschaft gleich behandelt werden." Wir sind gegen eine derartige Anschauung. Vor zirka eineinhalb Jahren haben die Agrarier hier nach dem freien Handel gerufen, weil noch die staatliche Bewirtschaftung, die Zwangswirtschaft bestand und die Agrarier nicht öffentlich zu Wucherpreisen ihre Produkte verkaufen konnten, weil die eingeführten Lebensmittel teuerer waren. Jetzt rufen sie nach dem Schutzzoll, weil die eingeführten Lebensmittel infolge der besseren Valutaverhältnisse auf die inländischen Preise drücken. Wir wenden uns gegen die Agrarzölle, weil dadurch eine neue Verteuerung, der Lebensmittel und Bedarfsartikel herbeigeführt wird. Ein Vergleich mit der Industrie ist nicht begründet. Nach einer Aufstellung des Professors Hutchinson, eines hervorragenden Nationalökonomen, welcher in der Nachkriegszeit von Hoover mit der Lebensmitteldistribution in der Èechoslovakei betraut war, ist der Bedarf für ein Jahr, zu 150 kg per Kopf und Jahr gerechnet, für die ganze Èechoslovakei 857.000 Tonnen Weizen und 1,183.000 Tonnen Roggen. Das Ernteergebnis von 1920 war 560.000 Tonnen Weizen nd 760.000 Tonnen Roggen. Es mußte also ungefähr der Bedarf für 3 Monate an Lebensmitteln, Mehl und Getreide eingeführt werden. Diese Ziffern stimmen nicht ganz, denn wir wissen, daß ein Teil des Getreides an Schweine verfüttert und ein anderer Teil im Schleichhandel zu hohen Preisen verkauft wurde. Heuer wird aber konstatiert, daß das Ernteergebnis um 50 % höher ist als im Vorjahre und es ist anzunehmen, daß wir das Auskommen finden können; aber ganz bestimmt ist eine Überproduktion nicht zu verzeichnen. Wenn keine Zollschranken aufgerichtet werden, so kann durch die Einfuhr wenigstens so weit auf die Preise gedrückt werden, daß wir die wichtigsten Lebensmittel und Bedarfsartikel nicht teuerer bezahlen müssen, als wir sie aus dem Ausland bekommen können. Wenn aber Zollschranken errichtet werden, so wissen wir, daß dann die Konsumenten höhere Preise werden bezahlen müssen, weil sie uns von Seite der Agrarier werden diktiert werden. Dagegen werden sich dieArbeiter mit allen zu Gebote stehenden Mitteln in der schärfsten Weise wehren. Die Zollfrage der Landwirtschaft ist mit der in der Industrie nicht zu vergleichen, weil die Industrie in der Èechoslovakei 70 % der Erzeugung exportieren muß, und wenn die Möglichkeit geschaffen werden soll, den Arbeitern Arbeit und Verdienst zu geben, muß die Zollpolitik der Industrie eine andere sein als für agrarische Produkte.

Es wird immer erklärt, es müßten alle Opfer bringen. Ich konstatiere aber, daß die Arbeiter ständig, und zu jeder Zeit die größten Opfer gebracht haben und bringen müssen. Als die Preise hoch waren, gab es niemals einen Lohnausgleich. Kaum sind die Preise zurückgegangen, so werden die Löhne durchschnittlich um 30% wieder herabgesetzt. Immer müssen die Arbeiter in erster Reihe die Opfer tragen. Aber nicht das allein, tatsächlich müssen die Arbeiter noch größere Opfer bringen, weil durch die Kurzarbeit ein 60 %iger Lohnabbau in Betracht kommt. Industrie und Agrarier hatten sieben fette Jahre, sie werden sich jetzt mit ein paar mageren Jahren begnügen und Opfer bringen müssen. Es wird immer mit Recht auf den Bankwucher hingewiesen, aber auch für ihn wird die Stunde kommen, und wir sehen bereits, daß die Banken auf eine andere Bahn gedrängt werden. Wenn die "Prager Presse" in ihrer Sonntagsnummer schreibt, daß die Häuser in der inneren Stadt aufgekauft werden, daß es beinahe keine Kaffeehäuser mehr geben wird und daß dadurch für Hunderte von Angestellten die Gefahr der Arbeitslosigkeit entsteht, so wird auch die Stunde kommen, wo diese Bankhäuser wieder für andere Zwecke zur Verfügung stehen werden.

Wenn also eine Besserung und ein Preisabbau eintreten soll, dann müssen Preisprüfungsstellen, Kontrollstellen errichtet werden, dann muß der Wucherei an den Leib gerückt werden. Bis jetzt hat die Regierung nichts getan.

Ein Kollege hat bereits vor einigen Tagen einen Auszug aus einer Rede des Dr. Masaryk, des heutigen Präsidenten, zitiert. Ich möchte dies wiederholen und etwas ergänzen. Vor ungefähr 10 Jahren, am 7. November 1911, hat Professor Masaryk, der heutige Präsident, in der Budgetdebatte ausgeführt: "Seine Exzellenz (Graf Stürgkh) hat auch über die Verteuerung gesprochen. Verteuerung ist zu wenig gesagt, es handelt sich um Hunger. Große Massen der österreichischen Völker haben nicht genug Brot, nicht genug zu essen. Das ist die Tatsache. Ich erinnere mich, daß ich als Student in Leipzig den Professor Roscher, gewiß eine Autorität, vortragen hörte, daß der Hunger angeblich nur im Mittelalter und in Indien, höchstens in Rußland, zu Hause sei, nicht aber in zivilisierten Staaten, im zivilisierten Westen. Meine Herren, das ist nicht richtig. In Österreich ist chronischer Hunger vorhanden, und diese Teuerung ist nur eine akute, verschärftere Manifestation unserer elenden, wirtschaftlich faktisch asiatischen Verhältnisse. Das ist die brutale Tatsache. Und wenn Sie die Auswandererstatistik zu Rate ziehen, was besagt Ihnen diese? Daß wir nicht genug Brot haben. Hat die österreichische Regierung je über dieses Problem nachgedacht, hat sie irgendeinen Plan ausgeheckt? Beí uns kommen solche Erscheinungen vor, aber die Regierung kümmert sich nicht darum." Das hat der heutige Präsident der Republik vor 10 Jahren gesagt. Genau wie vor 10 Jahren, wie im alten Österreich, schaut es in dieser Republik aus. Das alte Österreich in zweiter verschärfter Auflage! Und was für einen Plan hat die Regierung in der konsolidierten Èechoslovakischen Republik bisher ausgeheckt? Vielleicht wird eingewendet werden, daß keine Not besteht. Ich will deshalb einige Beispiele anführen.

Vor einigen Tagen wurde Ihnen hier von dieser Stelle aus der Beweis erbracht, daß Tausende Menschen in Karpathorußland hungern, daß sie Rüben, Pferdefleisch und Brot aus Mist essen müssen. Tausende und Tausende müssen auswandern und wandern aus, weil sie nicht genügend zu essen haben, weil sie nicht lohnende Arbeit finden. Aber wir brauchen nicht hinüber na ch der Slovakei zu gehen; das statistische Staatsamt weist aus, daß in den ersten drei Monaten dieses Jahres vom Jänner bis März rund 6800 Menschen ausgewandert sind, davon ca. 2000 für immer. Und zu diesen 2000, die für immer ausgewandert sind, stellten den größten Teil die Arbeiter aus Böhmen und Mähren. Unsere hochqualifizierten Arbeiter fliehen also vor dem Hunger ins Ausland. Und betrachten Sie nun das ganze deutsche Gebiet in der Èechoslovakischen Republik, das vorwiegend Industriegebiet ist! Die Industrie liegt vollständig brach, eine andere Arbeitsmöglichkeit, z. B. in der Landwirtschaft, kommt in diesen vorwiegend gebirgigen Gegenden nicht in Betracht. Von Asch bis Troppau und Neutitschein hinüber finden Sie nichts als Not und Elend. In Ostböhmen und Nordmähren gibt es eine hochentwickelte Hausindustrie. Seit Kriegsbeginn liegt sie vollständig darnieder. Die Hausweberei ist beinahe überhaupt nicht mehr beschäftigt. In der Gemeinde Deutsch-Liebau z. B. leben 600 bis 800 Hausweber, die wenig oder keine Beschäftigung finden können. Arbeitslosenunterstützung können sie nicht mehr erhalten, weil sie ausgesteuert sind. Zum größten Teil sind es ältere Leute, die man zu einer anderen Arbeit als der Weberei nicht mehr verwenden kann. Die Gemeinde hat keine Mittel, nur Schulden, und kann die Leute nicht versorgen. Es ist ganz unmöglich, daß eine Gemeinde von 3000 bis 4000 Einwohnern 600 bis 800 arbeitslose Hausweber, die keine Unterstützung mehr bekommen, verpflegen kann.

Ein Einzelfall, der Ihnen sagt, wie es z. B. in Mähr.-Schönberg ausschaut: Der Mann war arbeitslos und ist ausgesteuert. Von Beruf Gerber, kann er durch Pfuscharbeit nicht mehr als 20 bis 30 K die Woche verdienen. Er hat fünf Kinder, das älteste ist 12 Jahre alt, die Frau arbeitslos und war ausgesteuert. Einmal gelang es ihr, sich für fünf Wochen Arbeit zu sichern, sie wurde wieder ausgesteuert, heute kann sie die Arbeitslosenunterstützung nicht mehr bekommen. Die Frau kommt weinend zu mir und klagt: "Herr, was soll ich machen!? Helfen Sie mir!" Ich habe persönlich interveniert, um eine außerordentliche Unterstützung beim Ministerium zu erreichen, ihr die Frist ¿u verlängern. Unmöglich, das Ansuchen ist abgelehnt worden. Nun kommt die Frau wieder und erklärt: "Ich hätte mich ja schon aufgehängt, aber das Herz, meine fünf Kinder aufzuhängen, das habe ich nicht. Helfen Sie mir, was soll ich machen?"

Solcher Fälle sind Hunderte und Tausende da und wir fragen die Regierung: Kann sie dies verantworten? Was soll geschehen mit den Leuten, die keine Unterstützung, keine Arbeit finden können? Wundern Sie sich nicht, wenn die Verhältnisse immer schlechter werden, wenn die Leute stehlen müssen. Wenn Sie einen Schuldigen zur Verantwortung ziehen, müssen Sie die Regierung zur Verantwortung ziehen, nicht aber die Menschen, die draußen vor Hunger zu Diebstahl und Verbrechen verleitet werden. Pflicht des Ernährungsministers ist es, im Einvernehmen mit dem Minister für soziale Fürsorge in erster Reihe dafür zu sorgen, daß jenen Leuten, die weder Unterstützung noch Arbeit haben, die Ernährung gesichert werde, ihnen zumindest das Essen zu geben, damit sie nicht verhungern. Wir verlangen die Durchführung der im Juni beschlossenen 18 Thesen, wodurch wenigstens teilweise der Teuerung und der Not gesteuert würde und infolge Herabsetzung der Preise auch den Arbeitslosen annähernd ein Auskommen mit der Arbeitslosenunterstützung gesichert würde. Aber für jene, die weder Unterstützung noch Arbeit haben, muß das Ernährungsministerium Sorge tragen, ihnen Essen zu verschaffen.

Wir hören in den letzten Tagen, daß das Ernährungsministerium 15 Millionen K in das Budget eingestellt bekommt, um für die Kinder der Arbeitslosen eine Hilfsaktion einzuleiten. Es ist direkt ein Hohn, wenn wir hören, daß 15 Millionen für Tausende und Zehntausende von Kindern der Arbeitslosen und 40 bis 50 Millionen für Manöver eingestellt werden. Meine Herren, lassen Sie doch ein Jahr bei diesen schweren Zeiten, in dieser Wirtschaftskrise, diese Spielerei, verwenden Sie die 40 bis 50 Millionen für die Hungernden und Sie werden dreimal so viel helfen können als mit diesen 15 Millionen. Und wenn die Herren Minister für Ernährung und für soziale Fürsorge es ernstlich meinen, sollen sie Herrn Rašín und Švehla zeigen, daß sie die Kraft und den ernsten Willen haben, diese wichtigsten Maßnahmen durchzuführen auf Kosten des Militarismus. Wenn sie das nicht tun, wenn sie diese notwendigen Forderungen nicht verwirklichen, dann, meine Herren, wird die Èechoslovakei in Zukunft weder Arbeit noch Soldaten haben.

Da bisher von der Regierung auf diesem Gebiete nichts gemacht wird, werden wir auch dem Budget unsere Zustimmung verweigern. (Potlesk a souhlas na levici.)

2. Øeè posl. dr. Medingera (viz str. 1328 tìsnopisecké zprávy):

Hohes Haus! Die Energie des Herrn Finanzministers sei auch von uns anerkannt. Daß Dr. Rašín sich in Zeiten schlimmster Geldknappheit dem Notendruck widersetzte, ebenso, daß er sich eine gewisse Steigerung der Valuta zum Ziel setzte, ist ein Verdienst. Leider aber sehen wir, daß diese Energie, mit der sich sehr viel Gutes stiften ließ, oft übers Ziel schießt oder sich durch widerspruchvolles Verhalten selbst aufhebt. Die Valuta wäre durch eine gesunde Belebung der Wirtschaft genügend gesteigert worden. Die Regierung hätte diese natürliche Methode, nicht aber Stimulantien wählen sollen. Statt daß sich Valuta und Industrie Hand in Hand fortbewegten, galoppierte die eine davon und die andere verlor dann den Atem. Gewiß ist der größere Teil der Krise nicht auf die Prager Finanzpolitik, sondern auf die Kaufunfähigkeit Österreichs und Deutschlands, nach denen noch im Vorjahre 72% unseres Exportes gerichtet waren, zurückzufüh ren, was freilich die èechische Politik nicht entlastet, denn sie ist am Bankerott der beiden Nachbarn mitsch uldig: wir haben genug gewarnt. Die künstlichen Mittel zur Valutasteigerung aber waren zweifellos zu scharf, sowohl die politische Propaganda, wie die Finanzoperationen.

Wir danken dem Herrn Finanzminister für sein mutiges Wort, daß nun wieder die Persönlichkeit zu ihrem Rechte kommen und nicht mehr von der Masse erstickt werden solle. Aber der Staat muß vor allem selbst nach diesen Worten handeln, muß das Chikanieren der Unternehmun gen aufgeben, die Sperren verringern, die Bewilligungs- und Verbotspolitik verlassen. Dem Unternehmergeist wird man am besten aufhelfen, wenn man der Überhebli chkeit der Behörden bei Konzessionsverteilungen, den Eingriffen bei der Preisbildung etc. ein En de macht. Eine Unzahl müßiger, ja schädlicher Beamter kann dadurch erspart werden.

Ein Finanzminister muß wohl Fiskalist, aber er soll dabei weitblickend, nicht kurzsichtig sein. Wenn er kleinlich an den bisherigen Steuern und Frachten festhält, schädigt er den Fiskus durch Lähmung des Wirtschaftslebens mehr, als wenn er durch Nachgiebigkeit Industrien in Gang setzt, Arbeitslosenunterstützungen spart und den Verkehr belebt. Die schätzenswerte Energie des Finanzministers muß vollkommen gleichmäßig auf die Valutensteigerung wie auf die Produktionskostenherabsetzung gerichtet sein. Es ist unbillig, von Industriellen Preisnachlässe und vom Arbeiter Lohnverzichte zu verlangen, wenn der Staat nicht analog vorgeht. Da der èechoslovakische Staat industriell zu 80% ein Exportstaat ist, muß er sich, wenn er industriell leben will, nach den Nachbarstaaten ebenso richten, wie der Industrielle nach der Konkurrenz. Die Frachten sind heute so irrsinnig hoch, daß z. B. ein nordböhmisches Kohlenwerk nahe der Grenze für seine Kohle ebenso viel Fracht bis zur Grenze zahlen müßte, als in Deutschland die gesamte Kohle loco Konsumstelle kostet. Was nützt es in diesem Falle, wenn Arbeitgeber und nehmer sich bescheiden? Der St ndenlohn der Textilindustrie beträgt in Deutschland 1 Kè, hier nach der letzten Herabsetzung 3 Kè. Wie soll diese Spannung überbrückt werden, wenn sie durch die Verschiedenheit der Steuern noch vergrößert wird? Selbst wenn man auf die Konkurrenzfähigkeit mit Deutschland verzichtet, bleibt in Textilien immer noch eine Differenz von ungefähr 30% zu unserem Ungunsten gegenüber den Produktionskosten der anderen Staaten.

Eine ausreichende Herabsetzung der Gestehungskosten aus eigener Kraft ist der Industrie unmöglich. Die Textilindustrie hat ihre Preise bereits um 50% ermäßigt, der Staat aber bewertet seine Leistung noch immer gleich. Mit einer Energie, die einer besseren Sache würdig wäre, hat der Finanzminister erklärt, an der Kohlenabgabe und der Umsatzsteuer festzuhalten. Alle Ansuchen um eine mehrmonatliche Suspendierung der Umsatzsteuer und um Befreiung des Exportes von ihr blieben vergeblich. Da das Produkt oft mehrmals von ihr betroffen wird, wirkt sie unvernünftig preistreibend und führt auch dazu, daß der Produzent statt mit dem Grossisten mit allerlei schwer zu überwachenden Detailisten verkehren muß. Der Mangel an Elastizität der Wirtschaft wird gerade bei einer Krise fühlbar. Auch dem Verlangen der Industrie nach Freigabe des Devisenhandels wurde nicht Folge gegeben. Überhaupt prallen alle Vorsprachen und Denkschriften an der Unbelehrbarkeit der maßgebenden Kreise ab, sodaß die Industriellen ihre Bemühungen bereits aufgeben.

Jeder Industrielle fürchtet sich täglich vor seiner Post, weil Insolvenzen seiner Schuldner drohen. Firmen, die der Stolz des Landes gewesen sind, ringen heute mit schweren Sorgen. Wie ein unvernünftiges Kind mit seinem Spielzeug, so ist der Staat in diesen 4 Jahren mit seiner Industrie umgegangen. Man verschmäht es selbst, ihr ein gutes Wort zu geben, glaubt, durch Unfreundlichkeit groß zu werden, verzichtet auf ihr Vertrauen, sagt denen, die eben am Zugrundegehen sind, höhnisch, daß gerade das der Beweis der Gesundung des Staates sei und rühmt als Staatskunst, wenn man sich von wirtschaftlichen Verlustlisten nicht beirren läßt. Das einzig gute an dieser Krise ist, daß sie die Identität der Interessen der Unternehmer und der Arbeitnehmer allgemein zum Bewußtsein gebracht hat und zu einer freundschaftlich gemeinsamen Wahrung dieser Interessen anleitet. Von dieser aufkeimenden Zusammenarbeit der Klassen jede Störung fernzuhalten ist unsere Pflicht.

Überall vollzieht sich in Europa ein Umschwung zugunsten des Unternehmertums. Man hat im Osten genügend Erfanrungen gesammelt und die Folgen der Kapitalsfeindlicnkeit endlich allgemein erkannt. Dr. Rašín fühlt sich selbst als Schützer des produktiven Kapitals und jener Intelligenz, die zu ihrer Heranreifung ein gesichertes Rentnertum braucht. Wie ist mit dieser seiner löblichen Tendenz zu vereinbaren, daß immer noch die Zinsen der Vorkriegsrenten und gewisser Bahnobligationen nicht ausgezahlt worden sind? Wie kann er mit seiner Hüterschaft des Eigentumsrechtes seine starre Haltung in der Kriegsanleihefrage verbinden? Durch die Krise und Geldknappheit ist die Kriegsanleihe heute von größerer Wichtigkeit, als in früheren Jahren. Viele würden die Krise überstehen, wenn die Kriegsanleihe einen Wert erhielte und müssen zugrunde gehen, wenn es nicht geschieht. Auch die endliche Bezahlung der Heereslieferungen ist eine Lebensfrage für viele Industrien. Das Vorgehen der Revisionskommissionen und der Steuerexekutoren ist maßlos und gehässig. Das Vorzugsrecht des Staates für unsinnige Steuerforderungen untergräbt das Kreditwesen. Gerade die tüchtigsten Arbeitskräfte wandern aus unseren stillstehenden Industrien massenweise aus. Länder, die früher unser unbestrittener Markt waren, machen sich langsam unabhängig, sie werden dadurch immer mehr zu Interessenten am Schutzzollsystem und es wird dadurch ein Riegel vor ein großes Wirtschaftsgebiet gelegt, ohne das wir auf die Dauer nicht leben konnen. Was nach dem Umsturze zum Vorteil aller leicht möglich war, wird durch die unents hlossene èechische Handelspolitik immer schwieriger.

Der Voranschlag nimmt weder auf den Hochstand der Krone, noch aut den Tiefstand der Wirtscnaft Rücksicht. (Souhlas na levici.) Das Defizit von 564 Millionen ist nur um 63, das Investitionsbudget um 23 Millionen geringer. Der Herabsetzung der Umsatzsteuer und Kohlenabgabe um je 400 Millionen steht eine bedenkliche und kaum zu verwirklichende Ernonung der direkten Steuern um 258, der Personalsteuern um 263 und der zölle um 149 Millionen gegenüber. An eine Verbilligung der Leistungen der post wird nicht gedacht. Die Verminderung des Eriordernisses der Eisenbahnen um 454 und des Kriegsministeriums um 331 Millionen ist verschwindend gering. Der Aufwand des Handelsministeriums wurde um 5 Millionen erniedrigt. Der Aufwand der Zentralverwaltung stieg um 35% auf 6 Mill. Nur 7 1/2 Millionen sind für Gewerbeförderung ausgesetzt. Die Industrieförderung blieb bei 3 Millionen. Die Fürsorge für unsere so notleidende Fremdenverkenrsförderung wurde um 0·15 Millionen gekürzt.

Die Steuern sind noch immer nach der Konjunktur der ersten Friedensjahre und ihren Scheingewinnen bemessen, die Einhebung der Vermögensabgabe auf Grund überlebter Schätzung ist absurd. Wenn man auf diese Weise alles Kapital aus den Betrieben pumpt und diese verschuldet, muß eine Katastrophe eintreten. Hoffentlich fegt die Energie des Finanzministers vor allem diese Gesetze fort. Die Krise und der Rückgang des Exportes werden den Fiskus viel schlimmer treffen als er annimmt. Die Steuerquellen werden vielleicht um 3/4 verringert werden. Die Herabsetzung der Staatseinnahmen um 74 Millionen ist daher ungenügend. Die Hinaufsetzung der Erwerbsteuer um 21 Millionen oder 14 % und der Einkommensteuer um 167 Millionen oder 26 % ist sachlich nicht zu rechtfertigen. Wie man zu einer Erhöhung der Erwerbsteuer von Aktiengesellschaften um 39 Millionen gelangt, bleibt unverständlich. Die Erhöhung der Zolleinnahmen um 147 Millionen widerspricht der beabsichtigten Herabsetzung der Zollkoeffizienten wie auch dem Ausfall im Handelsverkehr infolge der Krise. Die Zuckersteuer wird sicher um mehr als 12 Millionen sinken. Ebenso werden andere indirekte Steuern überschätzt. Umsatzsteuer und Kohlenabgabe werden infolge der Stagnation weit mehr als um 400 Millionen sinken. Die produktionsfeindliche Wasserkraftsteuer, die heute viele Betriebe zum Stillstand zwingt, wurde um 10 Millionen erhöht. In einer Erhöhung der Stempel- und Gebühreneinnahmen um 203 Millionen, der Fahrkarten- und Frachtensteuer um 122 Millionen tobt sich der Fiskalismus sichtbar aus.


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