Was die Witwen- und Witwerrente betrifft, so beträgt sie nach dem § 116 die Hälfte jener Rente, auf welche der Versicherte Anspruch hatte, doch muß die Witwe zur Zeit des Ablebens ihres Mannes gleichfalls invalid sein. Wenn sie es erst später wird, erhält sie die Rente für die Dauer der weiteren Invalidität. Als invalid nach diesem Gesetz wird eine Witwe angesehen, "welche wegen Krankheit oder anderer körperlicher oder geistiger Gebrechen, die nicht absichtlich herbeigeführt wurden, durch eine ihren Kräften und Fähigkeiten, ihrer Ausbildung und früheren Lebensstellung angemessene Arbeit nicht mehr als ein Drittel dessen verdienen kann, was eine körperlich und geistig gesunde Frau dieser Art mit ähnlicher Ausbildung in demselben Sprengel verdient." Das ist genau dieselbe Definition wie beim § 109, von dem wir gehört haben, daß er sehr schlecht kopiert ist. Ins Praktische übersetzt heißt das, daß die Witwenrente kaum 10% der invaliden Witwen werden erlangen können. Nehmen wir ein Beispiel an: Eine Frau, welche eine Bedienung hat, verdient den Monat 200 Kronen, sie hat während der Lebenszeit ihres Mannes diese Beschäftigung ergriffen, um die Existenz der Familie besser zu ermöglichen, weil der Verdienst des Mannes nicht langt, wenn mehrere Kinder da sind. Was dies für eine solche Frau mit Kindern im Falle des Todes ihres Mannes bedeutet, weiß ebenfalls jeder, der sich draußen im Volke bewegt. Nur die Macher der Sozialversicherungsvorlage scheinen das nicht zu wissen oder wollen es nicht wissen, sonst könnten sie diesen Paragraph nicht so stilisieren. Gar keinen Anspruch hat die Witwe, wenn die Ehe gerichtlich geschieden, getrennt oder als ungültig erklärt wurde, ferner wenn der Witwe Schuld oder Mitschuld am Tode des Gatten beigemessen wird, oder wenn die Ehe in einer Zeit geschlossen wurde, wo dem Versicherten schon eine Invaliden- oder Altersrente gebührte u. s. w. Darüber läßt sich nicht viel sagen, im Gegenteil ist es nötig, daß auch Vorsichtsmaßnahmen getroffen werden.
Bezüglich der Waisenrente heißt es im § 118: "Anspruch auf eine Waisenrente hat ein eheliches Kind vor erreichtem 17. Lebensjahr im Falle des Ablebens des versicherten Vaters oder der versicherten Mutter, wenn der verstorbene Elternteil eine Invaliditätsoder Altersrente bezog oder Anspruch auf eine solche Rente hatte. Uneheliche Kinder haben jedoch nur dann Anspruch auf eine durch die Versicherung ihres Vaters begründete Waisenrente, wenn die Vaterschaft gerichtlich festgestellt oder bei Lebzeiten des Vaters außergerichtlich anerkannt worden ist. Adoptivkinder haben nur dann Anspruch auf Waisenrente nach ihren Adoptiveltern, wenn sie keinen Anspruch nach ihren eigenen Eltern haben und wenn außerdem die Adoption wenigstens ein halbes Jahr vor dem Anfall der Rente an die Adoptiveltern oder vor ihrem Tode vorgenommen wurde. Pflegekinder haben nur dann Anspruch auf Waisenrente nach Eltern, denen sie zur Pflege anvertraut wurden, wenn sie keinen Anspruch nach ihren leiblichen Eltern haben und wenn sie bei den Pflegeeltern unentgeltlich wenigstens ein halbes Jahr vor Anfall der Rente an diese Eltern oder vor ihrem Tode erhalten wurden und wenn sie mit ihrem Unterhalte vorwiegend auf sie angewiesen waren." Dazu ist auch einiges zu sagen. Es ist zu ersehen, daß den klerikalen Bestrebungen, die unehelichen Kinder anders zu behandeln als die ehelichen ziemlich weit entgegengekommen ist. "Hat der Versicherte verwaiste Enkel unter 17 Jahren hinterlassen, die mit ihrem Unterhalte vorwiegend auf ihn angewiesen waren, so haben diese Enkel Anspruch auf die Waisenrente, soweit nicht die höchstzulässige Höhe der Waisenrente (§ 120) schon durch die Kinder des Verstorbenen erschöpft ist."
Es ließe sich wohl zu jedem dieser Paragraphe so manches sagen. Aber um es kurz zu machen, sei nur noch lediglich eines bemerkt, daß die Herren, die eine solche Waisenfürsorge machen, von Kindererziehung und was dazu nötig ist, entweder wenig, oder gar nichts verstehen. Sonst hätte das anders ausfallen müssen. Der Staat leistet bei der Rente eines einseitig verwaisten Kindes 100 Kè, bei einer beiderseitigen Waise 200 Kè pro Jahr; doch dürfen die Renten 500 Kè jährlich nicht überschreiten!
Eine Abfertigung kann laut § 121 erfolgen, wenn der Versicherte vor Ablauf der Wartezeit stirbt. Dann "haben seine Hinterbliebenen Anspruch auf eine Abfertigung in der Höhe der ganzjährigen Invalidenrente, auf welche der Versicherte Anspruch gehabt hätte, falls er die Wartezeit in der Lohnklasse vollendet hätte, in der er zur Zeit seines Ablebens versichert war. Stirbt der Versicherte nach Ablauf der Wartezeit, oder stirbt der Rentenempfänger, so haben seine Hinterbliebenen, wenn kein Anspruch auf die Witwenoder Witwerrente vorhanden ist, Anspruch auf eine Abfertigung in der Höhe der jährlichen Invalidenrente, die der Verstorbene bezog, oder auf welche er Anspruch hatte. Erlangen sie diese Rente in der Zeit von 5 Jahren nach dem Ableben des Versicherten (Rentenempfängers), so wird die ausgezahlte Abfertigung auf die Rente verrechnet". Unter Hinterbliebenen im Sinne des Vorstehenden versteht man den Eheteil, Kinder, Eltern oder Geschwister des Verstorbenen. Hiebei hat der Eheteil den Vorzug vor den Kindern, die Kinder vor den Eltern und diese vor den Geschwistern. Der Anspruch auf eine Abfertigung muß laut § 122 "binnen einem Jahre nach dem Tod des Versicherten geltend gemacht werden, widrigenfalls er erlischt".
So sehen in groben Umrissen die Leistungen der neuesten, hier nun zur Entscheidung liegenden Vorlage für die Alters-, Invaliden-, Witwen- und Waisenversorgung aus. Jahre der Hoffnung sind an der Arbeiterschaft vorübergegangen, arg wird die Enttäuschung sein. Namentlich aus dem Grunde, weil die Arbeitslosenunterstützung, so wie wir es stets gefordert, in der Vorlage nicht entha ten ist. Sie hätte in den Rahmen der Sozialversicherung gehört. Ohne sie ist diemit so vielen Gebrechen behaftete Vorlagefür die Arbeiterschaft nur ein Gegenstand, aus dem erst durch weitere Kämpfe das wird gemacht werden müssen, was wirklich den Namen "Sozialversicherungsvorlage" verdient. Der uns gegenwärtig vorliegende Entwurf verdient diese Bezeichnung nur in sehr beschränktem Sinne. Unserer Meinung nach werden in dieser Richtung vor allem auch die Zukunft und das Empfinden der Arbeiter wohl noch ein ganz anderes Urteil sprechen.
Aus der bisherigen Debatte ist eines mit aller Klarheit hervorgegangen: Daß das deutsche Bürgertum, soweit es repräsentiert wird durch die Deutschnationalen, die deutschen Agrarier und die deutschen Demokraten, ein offener Feind aller sozialpolitischen Bestrebungen der Arbeiterschaft ist. Wir haben das hier vorhin speziell aus den Worten des Agrariervertreters Kollegen Kaiser zu hören bekommen. Sie haben dieser ihrer Auffassung auch in mehr oder minder versteckter Form anläßlich der Beratung der Sozialversicherung im Ausschusse, insbesondere aber im Plenum Ausdruck gegeben. Wer sich der Täuschung hingegeben aht, daß das deutsche Bürgertum unter den vollständig geänderten Verhältnissen auch seine Einstellung zur deutschen Arbeiterschaft revidieren wird, der hat nicht mit dem eingewurzelten Haß des deutschen Bürgertums, das der Repräsentant des deutschen Kapitalismus in diesem Staate ist, gerechnet. Ihre Programme haben sie wohl demokratisiert, den sozialpolitischen Forderungen der Gegenwart angepaßt. In ihren Handlungen aber sind sie die alten Reaktionäre geblieben, und es steckt ein Körnchen Wahrheit darin, wenn von diesem Platze aus Dr. Kramáø darauf hinweisen konnte, daß die èechische Industrie, das èechische Bürgertum auch heute noch viel mehr Verständnis für die sozialpolitischen Forderungen der Arbeiterschaft an den Tag legt, als es bei den Deutschen der Fall ist. Aber auch im èechischen Bürgertum ist eine gewaltige Wandlung vor sich gegangen. Das èechische Bürgertum hat im alten Österreich wiederholt mit der Arbeiterschaft aller Zungen für die Forderungen der Arbeiterschaft politischer und sozialer Natur aktiv gekämpft. Sie waren im alten Österreich Demokraten und sind im alten Österreich für die Bedürfnisse des Volkes eingetreten. So sind sie für das allgemeine Wahlrecht, so ist ein Teil von ihnen für die Sozialversicherung eingetreten; so sind die Vertreter aller èechischen Parteien bei der Beratung des Pensionsversicherungsgesetzes für die Privatangestellten nicht nur für alle sozialen Forderungen, die damals von unserer Partei vertreten wurden, eingetreten, sie haben auch mit aller Vehemenz der Selbstverwaltung durch die Versicherten das Wort gesprochen, sie haben nationale Sicherungen erkämpft und sie sind mit aller Entschiedenheit gegen das Streben nach Bürokratisierung der Institute eingetreten.
Die Bürgerlichen haben aber bei der Beratung der gegenwärtigen Vorlage alles daran gesetzt, um eine ganz gewaltige Verschlechterung der Vorlage in organisatorischer Beziehung herbeizuführen. Sie, die für die uneingeschränkte Selbstverwaltung im alten Österreich eingetreten sind, sie haben alles daran gesetzt, um eine Zersplitterung der Versicherung herbeizuführen, sie, die die staatliche Bürokratie im alten Österreich bekämpft haben, haben mit Erfolg versucht, den Einfluß der Bürokratie auf die Sozialversicherungsinstitute ganz gewaltig zu steigern. Entgegen ihrer früheren Haltung haben sie auch alles daran gesetzt, um die Leistungen der Sozialversicherung herabzusetzen. Ihrer Zähigkeit, ihrer Energie ist es zuzuschreiben, daß heute die Sozialversicherungsvorlage die Leistungen in der Krankenversicherung gegenüber dem bisherigen Zustand ganz wesentlich herabsetzt. Ihren Bemühungen ist es gelungen, die Auszahlung des Krankengeldes nur für 6 Tage durchzusetzen, die Unterstützung an schwangere Frauen der Mitglieder zu eliminieren, die absolute Karenz aufrechtzuerhalten. Ihnen hat es die Arbeiterschaft zu danken, daß die Leistungen der Sozialversicherung weit unter das Ausmaß dessen, was die Fachkommission ursprünglich als Minimum in Aussicht genommen hat, herabgesetzt wurde.
Es soll ohne weiteres zugegeben werden, daß die Vertreter unserer èechischen Bruderpartei innerhalb der Koalition von allem Anfange an einen schweren Kampf zu bestehen hatten. Nicht nur, daß die bürgerlichen Parteien innerhalb der Koalition alles daran gesetzt haben, um die Sozialversicherung zu verhindern, zumindest aber die Beratung zu verzögern, unter allen Umständen aber die materiellen und ideellen Leistungen der Sozialversicherung auf ein Mindestmaß herabzusetzen. Es war auch die zweite sozialistische Partei in der Koalition kein allzu verläßlicher Partner. Insbesondere in der Frage der Einheitskasse haben die Nationalsozialisten, persönlichen Interessen im eigenen Lager Rechnung tragend, nicht allzusehr ihren Mann gestellt. Trotzdem glauben wir mit vollem Rechte, dem Verfasser des Entwurfes Herrn Dr. Winter nicht den Vorwurf ersparen zu können, daß er bei der Abfassung des Entwurfes von ganz falschen Prämissen ausgegangen ist. Er ist von der Auffassung ausgegangen, die sich durch die Erfahrungen als vollständig falsch erwiesen hat, daß die Aufgabe der Fachkommission darin besteht, eine Vorlage auszuarbeiten, in der zwischen beiden in Betracht kommenden Gruppen, der Arbeiterschaft und dem Bürgertum, ein Mittelweg eingeschlagen wird.
Entgegen allen Abmachungen in der Koalition sind die bürgerlichen Parteien von allem Anfang an gegen alle Bestimmungen Sturm gelaufen, die die Einheitskase betroffen haben, ihnen war von Anbeginn an die ganz gewaltig eingeengte Selbstverwaltung ein Dorn im Auge und sie haben auch den ganz gewaltigen Einfluß, der schon der Bürokratie im alten Entwurf eingeräumt war, als ungenügend angesehen. Wenn man die gegenwärtige Vorlage mit dem ursprünglichen Entwurf der Fachkommission vergleicht, dann muß jeder objektive Kritiker zu der Ansicht gelangen, daß eine ganz bedeutende Verschlechterung gegenüber dem ursprünglichen, keineswegs den Bedürfnissen der Arbeiterschaft voll Rechnung tragenden Entwurf eingetreten ist. Dieser Auffassung haben einerzeit nicht nur wir, sondern auch die èechischen Sozialdemokraten Ausdruck gegeben. Wier erinnern nur an die Artikel im "Právo Lidu" vom Juni und Juli des Vorjahres, zu einem Zeitpunkte also, wo nur ein Teil der Verschlechterungen, die durch die "Pìtka" innerhalb weniger Tage vorgenommen wurden, in Erscheinung getreten ist. Seither ist die Vorlage noch grundlegend verschlechtert worden. Wenn damals das Organ unserer èechischen Bruderpartei ausgesprochen hat, daß die Verschlechterungen nicht ohneweiters in Kauf genommen werden und daß alles daran gesetzt werden muß, um die ursprüngliche Fassung wieder herbeizuführen, so ist die Kritik, die wir heute an der Vorlage zu üben gezwungen sind, mehr als gerechtfertigt. Aber auch die Entrüstung des Referenten über unser Verhalten hat einen ganz besonderen Beigeschmack, wenn man weiß, daß derselbe Referent, entrüstet über den Vorgang der "Pìtka" im Vorjahre, sich den weiteren Verhandlungen entzogen hat.
Wir haben im Interesse der Arbeiterschaft uns veranlaßt gesehen, alle unsere Einwendungen gegenüber der Vorlage vorzubringen, wenn wir auch wissen, daß nach den parlamentarischen Usancen der Èechoslovakei eine Änderung der Vorlage kaum mehr möglich sein wird. Wir haben uns bei der Abfassung unserer Anträge lediglich von dem Gesichtspunkte aus leiten lassen, das Mögliche und Erreichbare in diesen Anträgen niederzulegen. Wir sind nicht gewillt, demagogische Anträge, die von gewisser Seite gestellt werden und deren Realisierung für absehbare Zeiten nicht im Bereich der Möglichkeit liegt, die nur darauf angelegt sind, die Bevölkerung zu täuschen, zu unterstützen. Wir werden gegen alle derartigen Anträge von rechts und links stimmen. Unser Klub wird für alle Paragraphen der Vorlage, zu denen wir keine Verbesserungsanträge gestellt haben, gleich in der ersten Lesung stimen, wir werden gegen jene Paragraphen stimmen, bei denen unsere Abänderungsanträge nicht berücksichtigt wurden und wir werden in der zweiten Lesung für die Vorlage eintreten. Wir betrachten aber diese Vorlage nur als eine Abschlagszahlung auf die Forderung der Arbeiterschaft hinsichtlich der Gestaltung der Sozialversicherung und wir werden, gestützt auf die Entschlossenheit und den Willen der Arbeiterschaft, alles daran setzen, um die Sozialversicherung so ausund umzugestalten, wie es den Bedürfnissen der breiten Massen des Volkes entspricht. (Souhlas na levici.)
5. Øeè posl. Böhra (viz str. 1660 tìsnopisecké zprávy):
Hohes Haus! Die jetzigen Tage der Beratung der Sozialversicherung werden denkwürdig bleiben. Sie wird in drei Belange in der Krankenversicherung, Alters- und Invaliditätsversicherung tief eingreifen in das ganze soziale, wirtschaftliche, ethische und nationale Leben. In der Geschichte der Sozialpolitik steht die Einführung der Zwangsversicherung aller Lohnarbeiter und der Selbstständigenversicherung der wirtschaftlich schwachen Mittelstandsgruppen als eine wahrhaft große Tat da. Ihre Bedeutung erschließt sich schon aus der Beachtung einiger Ziffern, auf die sich die ersten Paragraphen beziehen, und aus einigen sich fast von selbst aufdrängenden Erwägungen. Schon die Zahl der jetzigen krankenversicherungspflichtigen Arbeitnehmer in Industrie, Handel, Gewerbe und Landwirtschaft beträgt 2,600.000 Personen, zu denen sich noch eine Million Selbständiger gesellen wird. Da in beiden Fällen auch die nächsten Angehörigen eine Mitfürsorge erfahren, so kann man nahezu von einer Volksversicherung reden. Die jetzige Krankenversicherung erheischt gegen 760 Millionen Kè jährlich, durch die Veränderungen infolge der jetzigen Vorlage soll sie sich um etwa 200 Millionen Kè mindern, währ nd die Invaliditäts- und Altersversicherung sich in den ersten Jahren auf etwa 600 Millionen Kosten stellen soll. Nach 4 Jahren rechnet man mit 16.000, nach 9 Jahren mit 230.000, nach 29 Jahren mit 785.000 Rentenbeziehern, in welch letzterem Falle zur Deckung schon 900 Millionen jährlich benötigt würden. Die Tabellen des Au chusses lassen einen vorläufigen Gesamtaufwand von fast 2 Milliarden errechnen, während die Zentrale der Handelskammern sogar dreieinhalb Milliarden ansetzen zu sollen glaubt.
Bei den angedeuteten Erwägungen drängt sich zunächst der frohe Gedanke auf, daß sich die Allgemeinheit, der Staat, seiner Pflicht bewußt erklärt, auch für alle jene im Alter und bei Invalidität zu sorgen, die in ihren jüngeren und gesunden Jahren ihrerseits auch pflichtgemäß für den Bedarf der Allgemeinheit gesorgt und sich abgemüht haben, ähnlich wie das vierte Gottesgebot in der Familie reziproke Pflichten zwischen Eltern und Kindein aufstellt. Dieser Aussicht auf gesetzlichen Anspruch halbwegs genügender Fürsorge sollen sich wie die Arbeitnehmer auch die Selbständigen in Landwirtschaft, Handel und Gewerbe erfreuen. Denn kein Kleinbauer ode Gewerbetreibender ist sicher, daß nicht traurige Umstände ihn vorzeitig erwerbslos, arm, bedürftig machen, und manche Erfahrung lehrt, daß Eltern wohl ein Dutzend Kinder erzogen, daß sie aber durch deren Tod oder Mißraten in Tagen des Alters oder der Gebrechlichkeit verlassen wie ein entblätterter Baum dastehen oder daß pflichtvergessen gewordene Kinder oder Schwiegerkinder das Ausgedingebrot bitterer als Armenhaus- oder Bettlerbrot machen können. Daß auch zu große unsoziale Abwanderung vom Lande in die Städte oder übergroßer Andrang zu dem pensionsverheißenden Staatsdienst sich bei der Sozialversicherung mindern und den Gemeinden die Last der Armenversorgung sich erniedrigen wird, halte ich für unabweisbar, ebenso wie die gewisse Folge, daß Volksgesundheit und Gesittung dabei viel gewinnen werden, ebenso der soziale innere Friede, was sicher auch großer Opfer wert ist. Dürfte man daher in dies em Hause, wenn anders der Vorlage nicht auch unnötige Mängel anhafteten, annehmen, daß sich ein einziger bereit fände, das ganze Werk der Sozialversicherunf zum Sturze zu bringen, wenn es gerade auf seine Stimme noch ankäme und er nicht wüßte, daß es auch ohne ihn nicht scheitert?
Wenn es sich jetzt auch schon um die Spezialdebatte über die tiefeinschneidenden 288 Paragraphen der einen Vorlage, welche die Arbeitnehmer betrifft, handelt, so lassen sich eine Reihe allgemeiner Bemerkungen doch nicht umgehen. Wir deutsche Abgeordnete sind uns des hohen Ernstes und der ungeheueren Tragweite dieser gesetzgebenden Arbeit wohl bewußt. Keiner Rede haftet auch nur ein Hauch von Geringachtung oder Obstruktion ihr gegenüber an, und als Christlichsozialer betone ich besonders, daß auch alle unsere Anträge ernstlich nur der Vervollkommnung und Verbesserung dieser wichtigen Vorlage dienen. Wir sind bei unserer Kritik von der Begründung unserer Vorschläge fest überzeugt. Ist ja doch alles Menschenwerk, auch wenn es von anerkannten Gelehrten und Künstlern stammen möchte, noch verbesserungsfähig, und zudem ist diese Vorlage ja an sich schon ein Kompromißwerk, also nicht das Ideal einer Richtung. In dem Titel der Vorlage findet sich auch nicht das ganz undemokratische, aller Zukunft vorgreifende und darum sozusagen verfassungswidrige Wörtchen "endgiltig", wie wir es in der gestern hier vorläufig verabschiedeten Kriegsanleihevorlage als einen verhängnisvollen Verstoß kennzeichneten, der, so nebenbei bemerkt, auch den Senat zu einer Null in der Nationalversammlung herabzuwerten scheint, nicht bloß eine nächste Session oder ein neues Abgeordnetenhaus.
So umfassend diese Vorlage ist, so stellt sie sich im vorhinein doch als ein Teilwerk dar, da sie das Junctim im § 287 in sich trägt, nicht eher als Gesetz in Geltung kommen zu wollen, ehe nicht auch als eine wesentliche Ergänzung die Vorlage über die Selbständigenversicherung der Landwirte, Handelsleute und Gewerbetreibenden angenommen ist. Gleich hier muß ich es nun doch als einen Mangel, als einen schweren Fehler der Vorlage bezeichnen, daß wir nicht schon jetzt die genannte Schwestervorlage in Händen haben, zumal sich nicht allein viele Paragraphen darauf beziehen, sondern auch die ganze Übersicht, der Wert der Tabellen und die vorgelegten Berechnungen und somit die Beurteilung des gesamten Bereiches der Sozialversicherung darunter leidet. Ich weiß freilich, wir stehen vor etwas ganz neuem, und es wäre ungehörig, das Wort anzuwenden, daß eine gediegene Flickarbeit für eine kürzere Übergangszeit einem überstürzten Neubau vorzuziehen sei.
Mit der Kritik jener Unterlassung hebe ich bloß formal einen zweiten Mangel hervor, nämlich das Fehlen einer rechtzeitigen amtlichen deutschen Übersetzung des so wichtigen Elaborates des sozialpolitischen und des Budgetausschusses und der zugehörigen Vorworte und Motivenberichte. Darf ich fragen, ob in den wenigen Tagen und Stunden seit der Vorlegung des Ausschußberichtes auch nur alle des Èechischen bestkundigen Volksvertreter genau den umfangreichen Text durchberaten und geistig so sich zu eigen machen konnten, daß wirklich jedermann ein allseitig reifes Urteil über die einzelnen Teile sich bildete? Waren doch die wenigen Stunden der Zwischenzeit noch durch wichtige andere Arbeiten und Beratungen in Anspruch genommen. Diese Kürze der Zeit und die berührte Unterlassung sind vor der ganzen Öffentlichkeit wieder der Würde der Sache und dem Parlamentarismus abträglich. Was bleibt von Demokratie noch übrig, wenn nicht jeder Volksvertreter in jeder Partei, auch in einer Majoritätspartei, sich sagen kann: "Ich habe mir in ernster Beratung ein Urteil über alle Einzelheiten der Materie gebildet", oder: "Auf meine Stimme kommt es mit an?" Ohne diese Überzeugung der Mitglieder eines Parlamentes sinkt Demokratie zur Oligarchie und der Ernst der Mitverantwortung kann einem Leichtsinn, einem sogenannten Wurstigkeitsgefühl weichen, das sich leicht abfärben kann auf die weiten Kreise, die sich doch nach derart jäh zustandekommenden Gesetzen auch in sehr harten Belangen richten müssen.
Um jedem Mißverständnisse zu begegnen, bejahe ich aber ganz ernstlich, daß jene wenigen Kollegen und Fachmänner, welche an den Vorbereitungen beteiligt waren, ernste, wissenschaftlich wertvolle Beratungen tätigten. Aber es sind eben in diesem Kompromißwerk, das doch einer von uns stetig ersehnten und längst programmatisch vertretenen idealen Sache dienen soll, auch noch andere gewichtige Mängel, ja, für uns sowohl in sozialer, wie in nationaler Richtung sehr bedenklich und gefährlich scheinende Unterlassungen unterlaufen. Wenn ich da die Nichteinbeziehung der Arbeitslosenversicherung an Stelle der prekären jetzigen Arbeitslosenunterstützung und die Ausschaltung der Unfallversicherung nur mit kurzen Worten bedauernd erwähne, so sei es mir gestattet, wenigstens einiges mehr über vier andere Mängel der Vorlage vorzubringen, deren Beseitigung ganz besonders die von uns Christlichsozialen überreichten Abänderungsanträge gelten, um deren ernste Erwägung und Annahme ich bitte, zumal wir mit diesen Wünschen nicht alleinstehen.
Eine Beschwerde richtet sich gegen die bürokratischen, undemokratischen Bestimmungen, welche die jeweilige Regierung nicht nur ausschlaggebend viele und wichtige Besetzungen in der Leitung der Zentrale der Sozialversicherung durch Ernennungen vornehmen läßt, sondern sogar in jeder der Krankenkassen, die ja den Unterbau der Versicherung darstellen. Was für die freie Wahl seitens der Versicherten und der Arbeitgeber da noch übrig bliebe, ist mehr nur Dekoration, nur demokratischer Schein.
Und als zweites Moment unsere schwere Befürchtung in nationaler Hinsicht wegen des Wörtchens "annähernd" bei der Berücksichtigung der dem Bezirkskassengebiet entsprechenden Nationalität im Ernennungsoder Versetzungsverfahren, und die Anlage und Verwendung der riesigen Millionen, welche das Kapitaldeckungssystem anhäuft. Gerechtigkeit und Parität dulden nicht das elastische Wort "annähernd", wie auch ein junger Schelm dem Vater und der Mutter nicht entsprechen würde, wenn er nur "annähernd" nicht mehr zu naschen, zu stehlen oder in des Nachbars Garten Steine zu werfen verspräche. Ist es etwa auch nur annähernd rücksichtsvoll und paritätisch, wenn z. B. im Landesamte für Kriegsbeschädigte in Prag unter ca. 300 Angestellten angeblich nur 3 Deutsche sich befinden sollen? Oder wenn es in deutschböhmischen oder deutschmährischen Bahngebieten lauter "nekuøáci" und gar keine Nichtraucher gibt? Deutsche Arbeitnehmer und Arbeitgeber, so möchte ich hier einfügen, dürfte es bei der Sozialversicherung in der Republik vielleicht denn doch 40% geben. - Und ein drittes, alle Nationalitäten der Republik gleichzeitig betreffendes Manko der Vorlage hebe ich in Übereinstimmung mit Kollegen aus verschiedenen Parteien noch hervor: die Minderung nicht nur der Selbstverwaltung in den Krankenkassen, als den Trägern auch der Sozialversicherung, sondern auch die Minderung des Rechtes, besondere Arten von Krankenkassen für Gewerbe oder Handel oder Betriebe zu gründen oder bestehende weiter bestehen zu lassen, wenn sie nicht jetzt, und überdies an einem ungünstigen Stichtage mindestens 4000 Mitglieder zählen. Ist auch der alle fördende Konkurrenz ausschaltende Entwurf eines Einheitskassenplanes später fallen gelassen worden und den landwirtschaftlichen Kassen freie Bahn gegeben worden, so ist doch schon eine Drosselung der Kassenarten im Jahre 1919 vorausgegangen, und die jetzige Bestimmung über 4000 Mitglieder würde eine große Reihe vorzüglich wirkender fachlicher Krankenkassen vernichten. Wir wollen im Rahmen der unerläßlichen Zwangsversicherung den freien Wettbewerb der Kassenarten, und darum beantragen wir Christlichsozialen, daß berufliche Krankenkassen auch schon bei bloß 400 Mitgliedern, weil klaglos, bestand- und leistungsfähig, ungestört belassen und anerkannt werden. Ich berufe mich da auf die überzeugenden Kundgebungen der verschiedenen Berufs- und Gremialkassen und ich berufe mich auch hinsichtlich der Selbständigenversicherung auf die Stimme des in Zwittau abgehaltenen Allgemeinen deutschen Reichsbauerntages.
Es wäre mir ein Bedürfnis, mich über eine Reihe von Paragraphen noch im einzelnen auszusprechen. Die Zeit scheint mir es aber nicht zu erlauben und ich bitte um Nachsicht, wenn ich da nur kurz eine Reihe von Paragraphen streife. Ich möchte auf den gewichtigen Mangel hinweisen, der in der Vorlage die Frauenfrage betrifft. Die Frau ist in dem Entwurfe in doppelter Weise vernachlässigt. Nicht nur in der Witwenrente, bei welcher nicht der Fall angenommen ist, daß sie schon einzutreten hat, sobald eben der Todesfall des Mannes eintritt, sondern auch durch den Umstand, daß die Prämien verloren gehen für alle Versicherten, wenn sie in einen anderen Stand, wo die Versicherungspflicht nicht gegeben ist, übertreten. Nun, bei den Frauen ist das doch gleich zu jener Zeit der Fall, wo sie den Fabriksbetrieb verlassen, um zu heiraten, oder infolge der Familienverhältnisse gezwungen sind, ganz aus der versicherungspflichtigen Arbeit auszutreten.
Ein weiterer Wunsch, den wir in die Form von Anträgen gekleidet haben, betrifft das Verlangen, daß in größter Bälde jene Vorlage erscheinen möge, welche eine Vrsoegung jener schafft, die nicht mehr in die Versicherungspflicht einbezogen sind, weil sie das 60. Lbensjahe schon erreicht haben. Dann möchte auch eine genauere, bessere Fassung des § 7 gesucht werden. Bei der Krankenkasse wird man versicherungspflichtig, und das ist richtig, sobald man in den versicherungspflichtigen Betrieb eintritt, die Arbeit dort aufnimmt, hinsichtlich der Sozialversicherung aber heißt es, daß irgend eine Anmeldung erfolgen müsse. Weiters, meine Herren, wäre viel zu sagen über diie Lohnklassen, es wäre manches zu sagen über die klarere Fassung verschiedener Pagraphen, z. B. des Paragraphen, welcher die Ernennung des Präsidenten betrifft; da setze ich voraus, daß die Lesart doch die ist, daß er erst künftig, wenn er ernannt ist, in Prag zu wohnen hat, nicht daß der zu Ernennende ein Prager sein muß; das halte ich als etwas Delbstverständliches, zumindest aber ist die Fassung nicht eindeutig.
Meine Herren, ich will schließen mit dem Hinweis, daß nach Einführung der Arbeiterschutzgesetze in Deutschland sich dort die Krankheitsverhältnisse um viele Prozente minderten, daß die Sterblichkeitsziffer und namentlich die der Tuberkulose erheblich gesunken ist. Es liegt also ein Segen in allen Schutzgesetzen für die gesamte Volksgesundheit, für die Erhaltung der Volkskraft. Als das alte Österreich-Ungarn im Jahre 1918 auf das Sterbelager kam, hatte es sich gerade wieder mit der Sozialversicherung befaßt, wie es auch bei Kriegsausbruch im Jahre 1914 ebenso der Fall gewesen ist. Nun haben zwei Nachfolgestaaten das Problem aufgegriffen. Es ist für uns ein Pflichtbewußtsein, einzutreten für eine allgemeine Sozialversicherung, und im Ausdruck dieser Pflicht erkläre ich, daß wir für die Abänderungsanträge stimmen werden, deren Annahme wir empfehlen, daß wir aber auch offen das Bekenntnis äußern werden - wo ich doch hoffe, daß den Abänderungsanträgen Rechnung getragen wird - bei der zweiten Lesung einmütig dafür zu stimmen. Es haften der Vorlage jene großen Mängel an, die uns die Freude daran etwas vergällen, aber, wie gesagt, wie denn, es käme auf unsere Stimmen an? Das müssen wir uns als Volksvertreter vorhalten. Als in Deutschland jene großen, gewaltig eingreifenden Schutzgesetze getätigt wurden, haben mehrere Parteien, auch die deutsche sozialdemokratische Partei ihre Einwendungen gehabt, das Gesetz sei nicht weitreichend genug, und glaubten, dagegen stimmen zu sollen. Ich meine aber, es muß gleich jetzt bei der Abstimmung gezeigt werden, bei aller Hervorhebung der großen Mängel, daß wir doch den Tag begrüßen, wo endlich der wirtschaftlich Schwache und der wenn auch wirtschaftlich Selbständige, aber doch für die Zeit der Not und des Alters nicht gerüstete vom Staate gesichert wird vor Not und Hunger und vor Bitterkeiten. Nachdem er für die Allgemeinheit gearbeitet hat, soll er auch von der Allgemeinheit eine Fürsorge bekommen, die nicht ein Geschenk ist, sondern ein gesetzlich, rechtlich begründeter Anspruch. (Souhlas a potlesk na levici.)
6. Øeè posl. Patzela (viz str. 1663 tìsnopisecké zprávy):