Auf Grundlage der von der damaligen Regierung in Aussicht genommenen Abgrenzung der Gerichtsbezirke in Böhmen ist dann auch weiter eine Kreiseinteilung seitens derselben Regierung in Vorschlag gebracht worden, welche nachstehend lau
tet:
A. Des Kreises Budweis. B. Zugehörige
Bezirkshauptmannschaften sind: Budweis, Deutschbrod, Kaplitz,
Krumau, Mühlhausen, Moldautein, Neuhaus, Pilgram, Pisek,
Prachatitz, Schüttenhofen, Strakonitz, Tábor, Winterberg,
Wittingau.
A. Des Kreises Chrudim oder Èaslau. B. Zugehörige
Bezirkshauptmannschaften sind: Chotìboø, Chrudim,
Èaslau, Hohenmaut, Kolin, Kuttenberg, Ledeè, Leitomischl,
Neubydžow, Pardubitz, Podìbrad, Polièka.
A. Des Kreises Eger. B. Zugehörige Bezirkshauptmannschaften
sind: Asch, Bischofteinitz, Eger, Falkenau, Graslitz, Ioachimsthal,
Kaaden, Karlsbad, Komotau, Luditz, Mies, Plan, Podersam, Saaz,
Tachau, Tepl.
A. Des Kreises Jièín. B. Zugehörige Bezirkshauptmannschaften
sind: Jièín, Jungbunzlau, Munchengrätz, Semil,
Starkenbach, Turnau.
A. Des Kreises Königgrätz. B. Zugehörige
Bezirkshauptmannschaften sind: Königinhof, Königgrätz,
Landskron, Náchod, Neustadt a. d. M., Reichenau, Senftenberg.
A. Des Kreises Leitmeritz. B. Zugehörige
Bezirkshauptmannschaften sind: Brüx, Dux, Laun, Leitmeritz,
Raudnitz.
A. Des Kreises Pilsen. B. Zugehörige Bezirkshauptmannschaften
dind: Blatna, Klattau, Kralowitz, Neuern, Pilsen, Pøestitz,
Rokitzan, Taus.
A. Des Kreises Prag. B. Zugehörige Bezirkshauptmannschaften
sind: Beneschau, Böhmisch- Brod, Hoøowitz, Karolinental,
Kladno, Melnik, Pøibram, Rakonitz, Schlan, Selèan,
Smichow, Konigliche Weinberge, Žižkow.
A. Des Kreises Reichenberg. B. Zugehörige
Bezirkshauptmannschaften sind: Aussig, Böhmisch- Leipa, Braunau,
Dauba, Friedland, Gabel, Gablonz, Grulich, Hohenelbe, Reichenberg,
Rumburg, Schluckenau, Teplitz, Tetschen, Trautenau.
Die Gefertigten sind überzeugt, daß
Se. Exzellenz der Herr Statthalter als ein genauer Kenner unserer
Verhältnisse der von den Deutschen in Böhmen stets zum
Ausdrucke gebrachten Anschauung beipflichten werden, daß
nur durch eine möglichst genau durchgeführte nationale
Abgrenzung der von allen Seiten so lang ersehnte Friede in Böhmen
herbeigeführt werden kann und es ist nur zu verwundern, daß
das derzeit die Zügel der Regierung führende Ministerium
noch immer nicht den Mut gehabt hat, dieser Frage näherzutreten
und sie, wozu ihr das Gesetz die vollste Berechtigung bietet,
auch tatsächlich energisch durchzuführen. Es werden
wohl mit der Errichtung einiger neuer Gerichtsbezirke und Bezirkshauptmannschaften
größere Kosten verbunden sein, allein diese Kosten,
mögen sie noch so groß ausfallen, können unmöglich
ins Gewicht fallen, wenn es sich um die Anbahnung jener friedlichen
Verhältnisse handelt, wie sie die Deutschen dieses Landes
seit jeher lebhaft wünschen.
Die Gefertigten erlauben sich daher an Seine
Exzellenz als den Vertreter der k. k. Regierung die nachstehende
Anfrage zu richten:
1. Ist Seine Exzellenz davon überzeugt,
daß die allererste und wichtigste Voraussetzung zur Herstellung
friedlicher nationaler Verhältnisse in Böhmen eine bis
in das Kleinste durchgeführte nationale Abgrenzung der Gerichts-
und politischen Bezirke bildet?
2. Ist Seine Exzellenz in Kenntnis von den
diesfalls seitens des Ministeriums Körber ausgearbeiteten,
in diese Interpellation aufgenommenen Entwürfen über
die nationale Abgrenzung der Gerichts- und politischen Bezirke
und über die sich daran schließende Bildung national
abgegrenzter Kreise in Böhmen?
3. Ist Seine Exzellenz geneigt, bei der vorgesetzten
Regierung alles aufzubieten, damit dieselbe endlich der seit nahezu
2 Jahrzehnten den Gegenstand der öffentlichen Besprechung
bildenden und in Bezug auf ihre Einzelnheiten bereits vollständig
vorbereiteten Lösung der Frage der nationalen Abgrenzung
nähertrete, die bezügliche Vorlage sobald als möglich
ausarbeiten lasse und, nachdem dem Landtage von Böhmen die
Möglichkeit geboten wurde, zu dieser Abgrenzungsfrage Stellung
zu nehmen, die damit in Zusammenhang stehende Errichtung neuer
Gerichts- und politischer Bezirke im Verordnungswege durchführe?
Prag, den 3. Feber 1910.
Abg. Dr. Pergelt und Genossen. |
Oberstlandmarschall: Anfrage
der Abg. Edl. von Stransky und Genossen an Seine Exzellenz den
Hrrrn k. k. Statthalter.
Landtagsaktuar Dr. Šafaøoviè
(liest):
Anfrage der Abg. Ed. von Stransky und Genossen
an Seine Exzellenz den Herrn k. k. Statthalter.
Ein Prager Tagesjournal brachte vor einiger
Zeit einen Artikel über die geradezu unerhörten Verhältnisse,
die im Schulgebäude der Prager deutschen Lehrerinnenbildungsanstalt
in Bezug auf Bauzustand und hygienische Einrichtungen herrschen.
Den Anstoß zu diesem Artikel gab das
bekannte Massenunglück in einem Schulhause anläßlich
einer Brandkatastrophe, welches die Zeitungen registriert hatten.
Nach dem Eingreifen der Öffentlichkeit
wäre wohl anzunehmen gewesen, daß sich die berufenen
Kreise dafür interessieren würden, die getadelten Übelstände
zu untersuchen und gründlich zu beseitigen. Leider muß
konstatiert werden, daß in dieser Richtung so viel wie gar
nichts geschehen ist.
Es fanden zwar Kommissionierungen statt, der
Effekt derselben blieb jedoch gleich Null, denn bloße Übungen,
wie sich die Schülerinnen bei einem Brande zu benehmen haben,
können unmöglich als ein hinreichendes Präventivmittel
bezeichnet werden, um Katastrophen bei einem solchen Anlasse zu
vermeiden, wo doch bekanntlich alles den Kopf verliert und wo
in der Regel alle möglichen Zufälligkeiten mitspielen,
auf die man gar nicht bedacht war.
In einem Zeitpunkte, wo das allgemeine Bestreben
dahin geht, katastrophalen Ereignissen entgegenzutreten - es sei
hier nur der verschiedenen Bauvorschriften für Theater, der
Verordnungen zum Schutze des Lebens und der Gesundheit der Arbeiter
in Gewerbsbetrieben bedacht - in einem solchen Zeitpunkte humanen
Strebens muß es Wunder nehmen, daß sich in den zunächst
berufenen Kreisen niemand findet, der kurz und bündig erklärt,
die Verhältnisse sind unhaltbar, wie sie in der deutschen
Lehrerinnenbildungsanstalt in Prag bestehen, und fordern zu einer
gründlichen Abhilfe auf, wenn man sich nicht der Gefahr aussetzen
will, mitschuldig an einem großen Unglück zu werden.
Fassen wir zunächst den Baustand dieses
Schulhauses ins Auge! Die Errichtung der Anstalt reicht in die
sechziger Jahre des vorigen Jahrhunderts zurück; den damaligen
bescheidenen Anforderungen und einer sehr geringen Schülerinnenanzahl
mag das Gebäude ja vielleicht entsprochen haben. Es ist aber
zu berücksichtigen, daß die Zahl der Schülerinnen
seither beständig gewachsen ist und daß heute in diesem,
in einem abseits gelegenen Winkel situierten, ringsum von hohen
Gebäuden eingeschlossenen Schulhause an 500 Mädchen
untergebracht sind.
Die Schülerinnen verteilen sich auf drei
Stockwerke des Gebäudes. Jene Klassen, welche im Parterre
gelegen sind, leiden naturgemäß beständig unter
dem Mangel natürlicher Beleuchtung. Das vorhandene Stiegenhaus
ist direkt ein Graus. Die Verbindung der Stockwerke untereinander
wird durch eine einzige, hölzerne, finstere Treppe, die eine
Breite von 1.50 Meter hat, bewerkstelligt. Die Klassenzimmer münden
auf schmale Gänge, die im Zickzack zu dieser hölzernen
Treppe führen; eine direkte Verbindung mit dem Hauptabgange
haben sie daher nicht.
Der Hauptgang, welcher ins Freie führt,
ist nur 1.50 Meter breit. Beim Eintritt in die Parterrelokalitäten
hat man das Gefühl, als ob man durch modrige Kellerräume
schreiten würde.
Ist es schon an und für sich unverantwortlich,
in einer derartig stark besuchten Schule überhaupt eine hölzerne
Treppe zu dulden, so sei hier nur die Frage aufgeworfen, wie sich
die in den oberen Stockwerken untergebrachten Kinder retten könnten,
wenn die unteren Partien der Stiege unpassierbar würden.
Haben sich jene Organe, denen die Oberaufsicht über die Anstalt
übertragen ist, jemals diese Frage vorgelegt? Wir wollen
hier gar nicht weiter in Erwägung ziehen, daß eine
direkte Hauptverbindung in den Stockwerken mit der Stiege fehlt
und daß daher bei einer Panik bei den vorhandenen schmalen
Gängen (nur 1.50 Meter breit, so daß hier in den Zwischenstunden
nicht einmal alle Mädchen Platz haben) und bei den sonstigen
Kommunikationshindernissen die Treppen überhaupt nicht zu
erreichen sind, daß die Türen der Klassenzimmer sich
nach innen öffnen, daß die vorhandenen Notausgänge
ganz und gar mangelhaft sind und werfen nur die Frage auf, ob
die angeführten Momente nicht vollständig hinreichen,
um die Schule überhaupt zu sperren.
Was würde der k. k. Gewerbeinspektor zu
einer Fabrik mit 500 Arbeitern sagen, die derartige Betriebsverhältnisse
aufweist? Unbedingte Sperrung wäre das Los des Betriebes.
In hygienischer Hinsicht liegen die Verhältnisse
nicht besser.
Entsprechend wirkende Ventilationen fehlen
in den Schulzimmern fast vollständig. Wenn die Klassen ausreichend
gelüftet werden sollen, müssen die Schülerinnen
die Lehrsäle verlassen und sich auf den schmalen, im Winter
empfindlich kalten Gängen, herumdrücken. Dies hat schon
oftmals zu argen Verkühlungen und zum Entstehen schwerer
Leiden geführt.
Von berufener Seite wurde deshalb der Ausspruch
getan, die k. k. Lehrerinnnenbildungsanstalt ist die Brutstätte
für Lungenleiden aller Art.
Die räumlichen Verhältnisse der Schulzimmer
sind vollständig ungenügend.
Es gibt Lehrräume, wo bei einem Belage
von über 60 Hörerinnen, und zwar erwachsenen Mädchen,
kaum jene räumlichen Verhältnisse erreicht werden, die
die Verordnung des k. k. Ministeriums für Kultus und Unterricht
vom 12. März 1888, Zahl 7099 und 1887, für Volksschulen
fordert. Hiebei muß aber erwogen werden, daß in Volksschulen
die Zahl der Unterrichtsstunden um nahezu ein Drittel geringer
ist, weshalb die Forderung nach größerem Bewegungs-
und Luftraum wohl durchaus am Platze erscheint.
Für moderne Lehrräume bei günstiger
Ventilation müssen zumindest 1.25 m2 Flächenraum
und 6-7 m3 Luftraum für die Person gerechnet werden
bei einer Höhe der Säle von 3.5-4 m und einer Tiefe
bis höchstens 9 m.
Die Verordnung des Handelsministeriums vom
23. November 1905, R.-G.-Bl. Nr. 176, geht bezüglich der
Fabriken in einzelnen Punkten sogar noch viel weiter.
Daß die Kandidatinnen in derart beschaffenen
Lehrräumen wie Heringe aneinandergepsercht sitzen müssen
und nach allen Seiten hin behindert sind, versteht sich von selbst.
Es leidet durch die unerhörten Verhältnisse nicht nur
die Gesundheit der Kinder, sondern auch der Unterricht.
Am schönsten aber bei der ganzen Sache
sind die Abortanlagen. Sie sind geradezu ein Jammer. Auf zwei
Schulklassen mit einem Belag von über 120 Kandidatinnen entfällt
ein einziger Anstandsort. Die erwähnte Verordnung vom 23.
November 1905, die in ihren Bestrebungen sicher nicht zu weit
geht, schreibt vor, daß für höchstens 30 Personen
ein Abort zu rechnen ist.
Sind das nicht unerhörte Verhältnisse
in einem k. k. Lehrinstitute, dem einzigen staatlichen in Böhmen,
dem die Ausgabe zufällt, für unsere Schulen geeignete
Lehrkräfte heranzubilden? Der Staat möge sich einmal
die Schulpaläste ansehen, die unsere deutschen Gemeinden
aufbauen ließen und sich daran ein Vorbild nehmen!
Die Gefertigten stellen auf Ew. Exzellenz als
obersten Hüter der Schuljugend die Fragen:
1. Sind Ew. Exzellenz diese unerhörten
Verhältnisse bekannt?
2. Warum ist schon nicht längst eine energische
Maßnahme getroffen worden, um diese geradezu himmelschreienden
Verhältnisse zu beseitigen?
3. Sind Ew. Exzellenz geneigt, sofort unter
Zuziehung von Sachverständigen auf dem Gebiete der Schul-
und Gewerbehygiene und der Unfallverhütung eine geeignete
Kommission zusammensetzen zu lassen, welche unverzüglich
die sanitären und baulichen Verhältnisse in der k. k.
Lehrerinnenbitdungsanstalt überprüft und geeignete Anträge
stellt?
4. Können die Gefertigten erwarten, daß
nach dem Resultate dieser Kommission von Staatswegen alles veranlaßt
werden wird, um diese trostlosen Verhältnisse zu sanieren
oder soll erst der Eintritt einer Katastrophe abgewartet werden,
bevor hier Wandel geschaffen wird?
Prag, am 3. Feber 1910.
Abg. Ed. v. Stransky und Genossen. |
Oberstlandmarschall: Anfrage
der Herren Abgeordneten Dr. Herold und Genossen an Seine Exzellenz
den Herrn Statthalter, betreffend die Sonntagsruhe im Handelsgewerbe.
Landtagssekretär Dr. Haasz liest
abwechselnd mit Landtagsaktuar Dr. Šafaøoviè.
Anfrage des Abg. Dr. Herold und Genossen an Seine Exzellenz
den Herrn Statthalter, betreffend die ganztägige Sonntagsruhe
der Handelsangestellten.
Der Bund der oesterreichischen Industriellen
Sektion Teplitz hat vor geraumer Zeit an das Abgeordnetenhaus
eine Petition überreicht, in welcher des Näheren ausgeführt
wird:
In Anbetracht des Umstandes, daß von
den Handels- und Industrieangestellten in Oesterreich die Einführung
der ganztägigen Sonntagsruhe energisch verlangt wird und
diese Forderung sowohl mit der jetzigen Geschäftslage, als
auch mit der nur aus dem Säckel der Handelswelt fließenden
Bestreitung der Wohlsahrtseinrichtungen und den sozialen Verbesserungen
des Lebensunterhaltes der Handels- und Industrieangestellten in
keiner Weise in Vereinbarung gebracht werden kann, sprach sich
die Sektion Teplitz des Bundes Oesterreichischer Industrieller
in entschiedenster Weise gegen diese Forderung aus.
Wir sind der festen Ueberzeugung, daß
durch die Einführung der ganztägigen Sonntagsruhe nicht
nur der ganze Kaufmannstand in Oesterreich arg geschädigt
würde, sondern viele Tausende Existenzen, die oft nur an
das Sonntagsgeschäft angewiesen sind, zugrunde gerichtet
würden und verweisen diesbezüglich auf die hier nachfolgende
Begründung.
Wir leben in der Zeit des Dampfes, der Elektrizität,
aber auch, wie man zu behaupten pflegt - ob mit Recht oder Unrecht,
sei hier nicht untersucht - der Humanität.
Die Errungenschaften der eingangs erwähnten
beiden Kräfte, wenn sie auch recht oft die Prinzipien der
Humanität über Bord werfen, beeinflussen in ganz hervorragender
Weise den ganzen Wettverkehr. Sie schufen Verbindungen mit Ländern,
die bisher fern oder ganz fremd jedem Verkehre, ja jeder Zivilisation
entrückt waren, sie umgestalteten auch den inneren Verkehr,
ja die lokalgeschäftlichen Verhältnisse in einer Weise,
die insbesondere der physischen Menschenkraft in ganz außerordentlichem
Maße zustatten kommt.
Der größte Teil der heutigen Kaufmannschaft
weiß sich nur zu gut an die - nun an die gute alte Zeit
- zu erinnern, an die noch nicht so weit hinter uns liegenden
Jahre, wo die Lehrlinge und Kommis so recht ihre ganze Menschenkraft
in ausgiebigster Weise dem lieben Berufe widmen mußten,
von welcher aber der jetzige Nachwuchs nicht die blasse Vorstellung
besitzt!
Wenn man nur von dem Standpunkte der einen
Branche, zum Beispiele Kolonialwaren, einen oberflächlichen
Rückblick auf jene Zeit, die nun 30 bis 35 Jahre hinter uns
liegt, wirft und bedenkt, was zu jener Zeit der Lehrling und der
Kommis physisch leisten mußte und in Erwägung zieht,
daß der Lehrling damals das ganze Gewürz stoßen,
die schwere Handkaffeetrommel schütteln und fast die ganzen
Warenvorräte von der nahen Stadt, Fabrik, Mühle oder
von der Bahn herbeischaffen mußte, wenn man ferner der nicht
geheizten Läden und Schlafstellen bei den damals bestehenden
Verhältnissen gedenkt, wenn in Erwägung gezogen wird,
daß zu jener Zeit die Geschäftslokale von früh
5 oder 6 Uhr bis abends 10 auch 11 Uhr, im wahren Sinne das Wortes
offen standen und wenn man schließlich in Betracht zieht,
daß es damals keine oder nur wenige, dem Körper einigermaßen
Ruhe und dem Geist Bereicherung bietende kaufmännische Fartbildungsschulen
gab, die Ausgänge sich beim Kommis auf jeden zweiten oder
dritten Sonntag - beim Lehrling sogar nur auf drei Halbtage im
Jahre (Weihnachten, Ostern und Pfingsten) beschränkten, so
ist jetzt, es sei offen und gerne konstatiert, die Zeit der Ueberbürdung
des Handelsangestellten Gott sei Dank vorüber, obzwar bemerkt
werden muß, daß zur vollständigen Schilderung
jener "guten alten Zeit" noch recht vieles, leider aber
wenig Gutes angeführt werden müßte.
Das Wort "schuften", mit dem eine
gewisse Partei die "jetzige Tätigkeit" der kaufmännischen
Hilfskräfte zu belegen die Güte hat, paßt wohl
auf die vorbeschriebene Zeitperiode und ihre Verhältnisse
ganz und gar - es aber auf heutige Zeit und deren Verhältnisse
anzuwenden, ist nicht nur "unbillig" und "ungerecht"
- sondern sogar "böswillig!
Wie schon bemerkt wurde, haben der Dampf und
die Elektrizität es mit sich gebracht, daß die Verhältnisse
und die Lage der Herren Angestellten eine bedeutende Erleichterung
erfuhren, aber auch die in der Jetztzeit geübte Humanität
kommt in nicht geringem Maße den Handels- und Industrieangestellten
zugute.
Dort, wo einst in düsterem Laden der schurzumgürtete
Kommis zähneklappernd mit wunden Händen tagsüber
schwer arbeiten und bis in die späte Nacht hinein Düten
kleben mußte, sehen wir heute in einem freundlichen, wohldurchwärmten
Lokal fesch gekleidete junge Männer, die, wenn ihre Befähigung
nur einigermaßen den Ansprüchen des Chefs entspricht,
nur ausnahmsweise und da nur zu leichterer Arbeit - sonst aber
nur ausschließlich zur Bedienung der Kundschaft verwendet
werden.
Die schwere Arbeit fällt dem Markthelfer,
dem Hausmeister oder dem Personale des Spediteurs zu. Der Gewürzmörser
wird in manchen Geschäften als ein Monstrum aus vergangenen
Tagen zum Andenken aufbewahrt, die Schütteltrommel wich den
modernen Dampf- oder leichtbeweglichen Kaffeeröstmaschinen
und ist dem kaufmännischen Hilfspersonale nur noch vom "Hörensagen"
bekannt; der Stoßwagen als Kraftmesser des Lehrlings wird
immer seltener und kommt nur bei ganz leichten lokalen Beförderungen
von Waren in Verwendung, die Strapazen der mühseligen Arbeit
des nächtlichen Fahrens zum oder vom Markttage eines mehr
oder weniger weit entfernten Nachbarortes sind ganz abgeschafft
und noch eine ganze Reihe, die ganze physische Kraft des jungen
Mitarbeiters in Anspruch nehmenden Tätigkeiten sind ganz
oder zum größten Teile in Wegfall gekommen, und es
kann ohne begründeten Widerspruch getrost die Behauptung
aufgestellt und der Beweis erbracht werden, daß die Fortschritte
im modernen Verkehre in physischer Beziehung den beschwerlichen
Teil des Wirkens unseren heutigen kaufmännischen Hilfskräften
abgenommen haben.
Aber auch in humanitärer Beziehung ging
die Jetztzeit nicht spurlos an unseren jugendlichen Mitarbeitern
vorüber, im Gegenteil, gerade in dieser Richtung hin sind
Fortschritte verzeichnen, von denen vor einem halben Menschenalter
noch niemand eine Ahnung hatte.
Abgesehen von der besseren Lebensweise, welche
insbesondere in der Verköstigung und dem Logis zum Ausdruck
gelangt, aber doch nicht außeracht gelassen werden dürfte,
wurden speziell in den letzten zwei Dezennien Einrichtungen geschaffen,
auf die nur in aller Kürze hingewiesen sei, trotzdem sie
auf die soziale Stellung des kaufmännischen Hilfspersonales
von ganz außerordentlicher Tragweite sind und deshalb hier
angeführt werden müssen.
Durch die Errichtung zahlreicher Handelsfortbildungsschnlen,
deren Unterrichtszeit meist auf die Tagesstunden fällt, wurden
wöchentlich 6 Stunden - und rechnet man den Gang zur und
von der Schule, 6 1/2 bis 7 Stunden, ja für die am Lande
beschäftigten Lehrlinge 7-8 Stunden, zur körperlichen
Erholung derselben genommen.
Betreffs der körperlichen Erholung des
gesamten Personales wurde in der Weise Vorsorge getroffen, daß
die sich einst auf 16 bis 18 Stunden erstreckende Tagesarbeitszeit
freiwillig auf 12 bis 14 Stunden herabgemindert wurde. Doch blieb
man dabei nicht stehen. Es wurde die Sonntagsnachmittagsruhe erst
durch vier Stunden eingeführt, dann aber auf den ganzen Sonntagsnachmittag
ausgedehnt, ja in vielen Städten geben die Kaufleute ungezwungen
auch im Sommer die Feiertagsnachmittage frei.
Daß es unter solchen Verhältnissen
unseren Mitarbeitern an Erholung nicht fehlt, dafür sprechen
die eben angeführten nicht zu leugnenden Tatsachen, aber
eben so sicher ist es, daß mancher Chef unter den heute
obwaltenden Verhältnissen sich so viel Erholung bieten kann
und - darf!
Durch die in dem letzten Dezennium geschaffenen
Wohlfahrtseinrichtungen, wie zum Beispiel die kaufmännischen
Krankenkassen, zu deren Fortbestehen und Erhaltung die Chefs einen
großen Teil, in vielen Fällen den gesamten Beitrag
für ihr Personal leisten, wurde für die Handels- und
Industrieangestellten in einer Weise Vorsorge getroffen, um die
sie mancher Chef wahrlich beneiden kann.
Man ging in einzelnen Städten noch weiter,
indem für kurbedürftige Mitarbeiter Fonde gebildet wurden,
zu denen die Chefs gewiß nicht den kleinsten Beitrag leisten.
Neuerdings arbeitet man auch an der Altersund
Invaliditätsversorgung der Angestellten, die ohne Zweifel
in nicht zu ferner Zeit in Wirksamkeit treten wird, wenn auch
der erste Entwurf hiefür, infolge der hierin ausgesprochenen
allzugroßen Belastung der Chefs, die für manchen Kaufmann
und Industriellen den Ruin bedeutet hätte, verworfen werden
mußte.
Die Ausübung der Humanität ist gewiß
ein edles Werk, läßt sich sehr leicht "vom grünen
Tische" aus diktieren, aber alles hat seine Grenzen!
Lassen wir nun aber die Leistungen zur Ausübung
der Humanität ins wahre Licht treten, betrachten wir genau,
"wer" auch für die ganzen Erleichterungen in physischer
Beziehung aufzutommen hat und wir kommen zu der unwiderleglichen
Tatsache, daß die schwere Arbeit, die einst das kaufmännische
Personale leisten mußte, entweder maschinell oder durch
Heranziehung zahlreicher untergeordneter Hilfskräfte verrichtet,
aber vom Geschäftsinhaber in beiden Fällen bezahlt wird,
daß die Verbesserung der Lebensweise, die körperliche
Erholung durch die ganz freiwillige Verkürzung der Arbeitszeit,
oder durch die teils freiwillig, teils gesetzlich eingeführte
Sonn- und Feiertagsnachmittagsruhe, die geistige Ausbildung durch
die Handelsfortbildungsschulen, der Bestand und die Erhaltung
der Gehilfenkrankenkassen und die Fundierung der Fonde für
kurbedürftige Handels- und Industrieangestellte entweder
ganz allein oder gewiß doch zum größten Teile,
entweder direkt oder indirekt durch die kaufmännischen Gremien
und Genossenschaften auf Kosten der Geschäftsinhaber geschehen
ist und geschieht!
Zurückkommend auf die Alters- und Invaliditätsversorgung,
wollte man auch diese noch zu zwei Dritteilen den Chefs aufbürden,
die in ihrer Fassung zur Folge gehabt hätte, daß der
steuertragende Chef mit seinen nicht steuertragenden oder gering
besteuerten Angestellten puncto gesicherter Stellung gerne getauscht
hätte.
Neue Mehrbelastungen und Mehreinschränkungen
für den Handel werden vom grünen Tische diktiert, ohne
die Handelswelt darüber befragt zu haben, ohne Rücksicht
auf die geschäftliche Lage, ohne Rücksicht darauf, daß
"Zehntausende von Kaufleuten gegen keine Krankheit, gegen
keinen Unfall, gegen kein geschäftliches Mißgeschick
sich versichern können, weil es ihre Notlage einfach nicht
gestattet, für solche Angelegenheiten alljährlich bestimmte
Summen ausgeben zu können und an eine Alters- und Invaliditatsversicherung
aus dem gleichen Grunde nicht denken dürfen, so daß
eine große Anzahl von Geschäftsleuten das Alter in
kümmerlicher Weise fristen müssen."
Wir glauben nicht mit übertriebenen Worten
die Situation des größten Teiles der Handelswelt Oesterreichs
gekennzeichnet, sondern, ganz ohne jede Voreingenommenheit gegen
unsere Mitarbeiter, denen wir die Verbesserung ihrer Lage, soweit
sie sich mit den geschäftlichen Verhältnissen in Einklang
bringen läßt, wahrhaftig gönnen, die tatsächlich
bestehenden Verhältnisse festgelegt zu haben.
Es erscheint nun dem Gesagten nach die Frage
am Platze:
"Hat denn auch bei uns in Oesterreich
die geschäftliche Lage im allgemeinen mit diesen Belastungen,
denen sich noch die erhöhten Anforderungen an Gehalt seitens
unserer Mitarbeiter, die heute unbedingt notwendige feinere Ausstattung
der Verkaufslokale und Auslagen, die hohen Mieten, Steuern und
sonstigen Abgaben und geschäftlichen Auslagen, die man früher
gar nicht kannte und auf die wir später noch zu sprechen
kommen, anschließen, hat das Geschäftsleben mit diesen
Belastungen gleichen Schritt gehalten, so daß dieselben
ohne Gefahr für den Bestand des Detailhandels zu tragen sind?