An die Fähigkeiten Deutschlands zur Regenerierung Rußlands und Deutschlands selbst glauben wir wie an ein Axiom einer exakten Wissenschaft. Man kann Deutschland noch so sehr beugen, man kann ihm Wahnsinnsziffern von Milliarden aufbürden, man kann es in einem sadistischen Irrsinn zum Weißbluten bringen: eines wird man in diesem merkwürdigen Volke nicht töten: Seinen Willen zum Leben, seinen Willen zur Arbeit und damit seinen Willen einer besseren Zukunft!
Wir verhehlen uns ninicht die ungeheueren Schwierigkeiten der Umsetzung des deutsch-russischen Vertrages in die Praxis. Aber diese Umsetzung wird kommen, sie muß kommen, weil die Not die beiden Völker ebenso drängt wie die günstigen natürlichen Bedingungen dieses Blocks, die Nachbarschaft und die Ergänzung der Wirtschaftsverhältnisse, und weil die Mehrheit der europäischen Menschheit einsieht, daß an den Fragen Deutschland und Ruland da Schicksal des Erdteiles hängt, des Erdtsiles, den Frankreich lieber weiter verelenden will, als da¯ es den mitteleuropäischen Wiederaufbau zuließe, wenn dieser Wiederaufbau zugleich mit einem deutschen Aufbau verknüpft ist. Die deutsch-russische Kooperation wird zur Tat werden. Man kann sie verzögern, aber man kann sie nicht aufhalten.
Die Frage Rußlands ist das Scheidewasser, das in Genua die Meinungen zu scheiden begonnen hat, und sie wird die Meinungen der europäischen Staatsmänner auch weiterhin scheiden und gebieterisch eine klare Stellungnahme zu ihr erzwingen. Herr Dr. Beneš ist in der glücklichen Lage, daß er der russischen Frage gegenüber ein gewisses moralisches Plus hat, daß er ämlich gegen die politischen Antagonisten im eigenen Lager die Idee der bewaffneten Intervention in Rußland abgewehrt hat. Diese Idee war ja wahnwitzig. Es wäre ein Sturz gewesen, der höchstwahrscheinlich die Angreifer mit in den Abgrund gezogen häätte. Herr Dr. Beneš hat aber mit der Abwehr dieser Idee leider nur die eine Hälfte getan. Die andere Hälfte, zu der ihn die politische Logik hätte zwingen sollen, nämlich die Hebung Rußlands durch Werte schaffende Arbeit, hat er nicht getan, und er konnte sie nicht tun, mit Rücksicht auf seine Gebundenheit an die französische Politik und das ist ein Moment, das von einer gewissen tragischen Verschuldung nicht frei ist. Es wird an Herrn Dr. Beneš liegen einzusehen, ob auch in dieser Frage ein vorsichtiges Lavieren angesichts der sich eben klärenden europäischen Politik auf die Dauer möglich sein wird.
Was von Rußland gilt, gilt mutatis mutandis auch von Deutschland. Die Aufgabe ist hier für die èechische Politik eine geradezu natürliche, weil im eigensten Interesse der Republik über alle entgegenstehenden Gefühlsmomente die wirtschaftlichen Lebensinteressen dieses Staates eine Klärunr des deutsch-französischen Verhältnisses verlangen und weil der Vorteil Deutschlands merkwürdigerweise auch der Vorteil der Èechoslovakei ist. Es ist dies gar kein übler Treppenwitz der Weltgeschichte. Deutschland war die wirtschaftliche Vormacht Mitteleuropas und wird es wieder sein, und die kleineren Staaten um Deutschland herum sind ohne ihnen nahezutreten - eben wirtschaftliche Annexe Deutschlands. Ob beide Parteien wollen oder nicht, Deutschland und Èechoslovakei, sie bilden eine Genossenschaft, bei welcher, wenn einmal ein Malheur passiert, der stärkere Teil wahrscheinlich mit beschränkter und der schwächere mit unbeschränkter Haftung herangezogen werden wird. Es liegt im ureigensten Interesse der Èechoslovakischen Republik und ihrer Wirtschaft, in Paris auf eine Milderung des deutschfranzösischen Verhältnisses, auf eine Verminderung der Reibungsflächen hinzuwirken. Die Èechoslovakei ist noch lange nicht in der glücklichen Lage der südosteuropäischen Agrarstaaten, deren Selbstgenügsamkeit durch die Zerreissung des europäischen Wirtschaftszusammenhanges nicht gestört worden ist. Für einen hochentwickelten Industriestaat, wie es der èechoslovakische ist, für das starke Einund Ausfuhrbedürfnis dieses Staates, ist eine ungestörte deutsche Wirtschaft und eine ungefähr gleiche und stabilisierte Valuta geradezu eine Lebensfrage. Politik und Wirtschaft können eben auf die Dauer nicht auseinandergehen. Es hat bekanntlich ja auch schon selbst èechische Handelsminister gegeben, die diesen Grundsatz eine Zeit lang eingesehen haben. Wir meinen, wenn Herr Tusar, dieser genaue Kenner Böhmens und Deutschlands, und Herr Kollege Dr. Hodža nach Paris reisen, so werden sie, wenn sie verständig für den Abbau des Hasses egen Deutschland arbeiten, wenn sie also in Paris gewissermaßen pour le roi de usw. arberbeit n, mehr für den Wiederaufbau des Landes Böhmens selbst tun als es die schönsten Reden in Genua vermocht hätten. Zwischen Frankreich und dem Böhmerwald liegt bekanntlich Deutschland. Böhmen liegt zwar geographisch nicht zwischen Deutschland und Frankreich, sondern weit weg von rankreich, zwischen Deutschland und anderen Staaten; mit seinen wirtschaftlichen und Lebensinteressen aber steckt es zwischen den beiden großen Mühlsteinen, zwischen Frankreich und Deutschland, mitten darinnen.
Es gibt für die Èechoslovakai eben eine Politik des Makrokosmos und eine Politik des Mikrokosmos. Ein an Problemen so reicher Staat wie der èechische, ein Staat von ganz eigenartiger politischer und wirtschaftlicher Lage, tut entschieden klüger, wenn er an einem Konflikt der Großmächte lieber nicht aktiv beteiligt ist, schon gar nicht als Sekundant - es ist schon im privaten Leben eine undankbare Rolle, Sekundant zu sein (Veselost na levici.) - sondern, wenn er es vorzieht, in weiser Beschränkung, im kleineren Kosmos, etwa im Bereiche der Länder der ehemaligen Österreichisch - ungarischen Monarchie, als wirtschaftlich stärkster sich segensreich zu betätigen. Der alte Cäsar wußte schon, warum er lieber auf dem Dorfe der Erste, als in Rom der Zweite sein wollte. Neutralität, das ist die empfehlenswerteste Politik auch für den èechischen Staat in großen Fragen.
Die Regelung der kommeden nerhältnisse ist bekanntlich von Genua nach dem Haag verschoben worden. Ein unbeschriebenes Blatt nach dem Ausspruche von Asquith wird dort zur Arbeit vorliegen. Wenn die politische Führung dieses Staates weitsichtig ist, wird sie für die Innenpolitik dieses Staates die Konsequenzen von Genua ziehen und unverzüglich hier ihren internen Haager Konfe renztisch aufschlagen, an welchem als Teilnehmer die Nationen dieses Staates sitzen werden und vielleicht auch die Nachbarn dieses Staates. Sie wird sich vor Augen führen, daß es sehr notwendig wäre, zunächst mit Ungarn ein endgültiges Abkommen zu treffen. Auch Ungarn gegenüber kann fortan nur praktische Vernunft und wirtschaftlicher Vorteil maßgebend sein. Denn nach dem Tode Karls ist ja das bisherige nervenzerstörende Verhältnis einfach ein Anachronismus, der liquidiert werden muß, weil er uns die schwersten militärischen Rüstungen auferlegt, mehr Ungarns wegen als Frankreich zuliebe. Es ist bei der Beurteilung des Verhältnisses zu Ungarn auch nicht zu vergessen, daß die Million ungarischer Staatsbürger dieses Staates doch erst seit 3 1/2 Jahren in ein näheres Verhältnis zu den Èechen gezwungen wurde, nicht wie die 3 1/2 Millionen Deutsche, die wir mit den Èechen, solange wir in die Geschichte zurückblicken, den Wohnraum teilen müssen. Es muß billig anerkannt werden, daß dieses psychologische Moment für den hohen ungarischen Freiheitssinn und für das hohe ungarische Nationalgefühl eine schwere Belastungsprobe gebildet hat.
Wir Deutschen sehen der kommenden Weltentwicklung gespannt, aber ruhig entgegen, mit dem ruhigen Bewußtsein eines Volkes, für welches die Zeit und die Logik der naturgegebenen Tatsachen arbeitet. Uns realen Betrachtern der Verhältnisse erscheint es als eine eben aus den Naturtatsachen zwingend sich ergebende Notwendigkeit, daß in dem Augenblick, da das Gewaltregime Frankreichs in der internationalen Welt geschwächt oder zurückgedrängt wird, die deutsche Frage in diesem Staate in den Vordergrund treten und einer Lösung wird zugeführt werden müssen, die einzig eine wahrhaft friedliche wird sein dürfen, wenn dieser Staat wird existieren wollen.
Eine kluge Staatspolitik wird sich auf diesen Gesichtspunkt einstellen und sie wird die Lösung der deutsch-èechischen Frage in einem anderen Tempo vorbereiten, als es bisher der Fall war. Wir anerkennen, daß Herr Dr. Beneš einen Willen in dieser Richtung hat, und wir zögern nicht mit Rücksicht darauf (Posl. Patzel: Was für einen Willen?") Bitte, ich habe nur gesagt "einen" Willen, und wir zögern nicht mit Rücksicht darauf, daß Herr Dr. Beneš im Gegensatz zu seinen politischen Antagonisten die deutsche Frage in diesem Staate als eine erst zu lösende erklärt hat, auch eine Art von Vertrauen in die Dauer dieses Willens zu haben. Ich meine, politische Konsequenz ist sonst nicht immer die Hauptzierde der Staatsmänner, mit denen wir hier zu tun haben, Herr Dr. Beneš liebt uns Deutsche nicht, das ist ja natürlich. Wir müssen es ihm als ein gewisses Verdienst anrechnen, daß er aus realen Erwägungen sich zu einer Politik bekennt, zu der auch er sich zwingen muß. Aber in der Heilung der inneren Verhältnisse dieses Staates war Herr Dr. Beneš wie ein homöopathischer Arzt, der mit verdünntesten Lösungen und mit größten Abständen in der Darreichung der Medizin zu wirken meinte. Soll ich darauf verweisen, was unter dieser Art von Behandlung die Kriegsanleihefrage gelitten hat, die für uns ja, nur ein Symbol für viele ähnlichei Tatsachen ist? Und doch wird in diesem Staate mit Millionen und mit starken Bruchteilen von Milliarden in einer Weise umgegangen, die man nur als skrupellos bezeichnen muß. Oder sollen wir fragen, wie denn in Genua über die Anerkennung der Kriegsschulden den Vertretern von Sowje trußland gegenüber gesprochen worden ist, und dürfen wir die neugierige Frage stellen, ob denn über die Frage der Kriegsanleihe im èechischen Staate in Genua gar kein Wort gefallen ist?
Herr Dr. Beneš und jeder einsichtsvolle Staatsmann hier wird nicht verkennen, daß in diesem Staate, der wie ich vorhin sagte, an Problemen so reich ist, und insbesondere angesichts de latenten Krise dieses Staates, die Außenpolitik und die Innanpolitik einen gewissen parallelen Rythmus zeigen muß. Nirgends beeinflussen sich Außenpolitik und Innenpolitik so wie bei uns, und viwlleicht wird Herr Dr. Beneš der erfolgreichste Außenminister werden, wenn er der erfolgreichste Inne inister gewesen sein wird. Die bisherige Außenpolitik und besonders der Haß gewisser übernationaler Kreise war diktiert von der Furcht vor einem künftigen konsolidierten Deutschland. Diese Furcht wird verstärkt durch unsere starke deutsche Minderheit, von welcher diese Kreise im gegebenen Momente eine feindselige Haltung gegen den Staat erwarten. Nun ist die Geographie nach dem Ausspruch Napoleons I. bekanntlich nicht nur das Schicksal der Völker, sondern auch eine Tatsache, gegen die die besten Ententen und Alliancen nichts helfen. Es liegt also auf der Hand, daß eine richtige èechische Politik sich orienteren muß entsprechend dem Bewußtsein der relativen Kleinheit dieses Staates, seiner verzwickten Lage und Gestaltung, seiner nationalen Verhältni sse, seiner notwendigen wirtschaftlichen Konsolidation, seiner Nachbarschaft und auch entsprechend dem Umstand, daß nicht Roß und Reisige und auch nicht französische Generäle einen Staat retten, wenn er wahrhaft in Not gerät, sondern einzig befriedigte Völker innerhalb seiner Grenzen und gutgesinnte Nachbarn außerhalb seiner Grenzen, - daß in richtiger Erkenntnis die èechische Politik eben die 3 1/2 Millionen Deutschen als die von der Natur gegebene pazifistische Brücke zwischen Deutschland und der Èechoslovakei ansieht und diese Millionen zu einem verminttelnden Element heranzieht, daß sia diesen Deutschen das gibt, was sie als ein seiner Stärke und Würde bewußtes Volk brauchen und daß sie ihnen das freiwillig gibt. Das wäre positive Politik, und eine solche Politik würde ein gut behandeltes deutsches Element schaffen, ein Element, das naturgemäß um seine nationale, kulturelle und wirtschaftliche Position nicht bangen dürfte und das dann zu einem wohlwollenden Verbindungsglied nach Deutschland werden könnte.
Die Zukunft ist klar: Deutschland
wird stark werden, das Sudetendeut chtum wird trotz allem und
allem, was in den 3 1/2 Jahren geschehen ist, nicht verschwinden.
Mehr als je ist jetzt, wo nach der Konferenz zu Genua die Scheidung
der europäischen Geister begonnen hait, die Notwe digkeit für
diesen Staat gegeben, die Grundlagen, auf welchen er errichtet
wurde, zu überprüfen, um sich für die Zukunft sicherzustellen.
Wir Deutschen können nichts mehr tun, als in diesem ernsten Auge
blick der europäischen Geschichte ernst auf diese Aufgabe zu verweisen,
aber nach den bitteren Erfahrungen der 3 1/2 Jahre den Machthabern
dieses Staates zugleich zuzurufen: Caveant consules! (Souhlas
a potlesk na levici.)
Meine Herren! Der Präsident dieses Staates Herr Thomas Masaryk, hat einmal das lapidare Wort geprägt: "Demokratie ist Diskussion". Dieses von erster Stelle des Staates gesprochene Wort als richtig vorausgesetzt - bei der bekannten Verehrung, die Sie alle für Ihren Präsidenten haben, bleibt nichts anderes übrig, - muß man von der Art der Diskussion in diesem Staat auf die Art seiner Demokratie schließen können. Der Form nach ist dann die Demokratie in diesem Staate eine sehr beschränkte, wie die Redemöglichkeit in diesem Hause durch Ihre demokratische Verfassung eine sehr beschränkte ist. Wir haben eine Scheindemokratie, denn wir wissen, daß die Redeübungen hier in diesem Hause nur zum Schein aufrecht erhalten werden, während die Beschlüsse hinter den verschlossenen Türen der Pìtka gefaßt werden als ein noli me tangere, ein Blümchen Rührmichnichtan, und der unter derKnute der unerhörten Geschäftsordnung sich drückenden Vollver sammlung vorgesetzt werden. Wenn der Ministerpräsident auswärts weilt, dürfen die gewählten Vertreter des Volkes nicht zusammenkommen, mögen auch noch so wichtige unaufschiebbare Forderun en des Tages nach der Einberufung des Hauses schreien, Forderungen, die dann innerhalb weniger Stunden ohne Diskussion auf Grund ii des berüchtigten undemokratischen abgekürzten Verfahrens bereinigt oder richtiger verunreinigt werden müssen. Demokrratie ist Diskussion heißt: Beschränkung der Redefreiheit hier im Hause oder auch außerhalb des Hauses ist ein Zeichen unvollständiger, einer Scheindemokratie. Ich will aber noch weitergehen und sagen: nicht nur der Form nach stimmen Demokratie und Diskussion überein, sondern auch inhaltlich. Wenn der Vertreter der Regierung hier und in 5/4 stündiger Rede ein sogenanntes Exposé verliest, das seine und seines Staates Stellung zu den in Genua verhandelten Problemen kennzeichnen soll, dann kann man aus dem Geiste dieser Darstellungen auch auf den Geist der von ihm vertretenen Demokratie schließen.
Zur Genüge wurde seitens meiner Vorredner die Wesensart der Ministerrede in einer für meinen Geschmack viel zu rücksichtsvollen Weise gekennzeichnet. Wer die Rede des Herrn Ministerpräsidenten aufmerksam liest und sie als Ganzes auf sich wirken läßt, der erhält von ihr einen überaus unangenehmen Eindruck. Wir haben kein klar umrissenes Gebäude mit unanfechtbaren Fundamenten und darauf aufgebauten schwer widerlegbaren Folgerungen vor uns, gegen die der Kritiker, gewappnet mit seinen Überzeugungen und mit den Waffen geraden Denkens losstürmen kann, sondern man hat das Gefühl, einer gallertartigen, schleimigen Masse gegenüberzustehen, die jedem festen Zugriff ausweicht, einem proteusartigen Gebilde, das sein Gesicht immer wieder wechselt und den wahren Kern seines Wesens, der das Objekt des Angriffes zu bilden hätte, ängstlich verheimlicht.
In dem stolzen Gewande einer Regierungserklärung, geschmückt mit vielen Erstens, Zweitens, Drittens usw., die den Anschein exakten Denkens hervorrufen sollen, aufgebläht durch Selbstlob und eine unangebrachte Überheblichkeit, schreitet diese Rede des Herrn Ministers einher und ist, wenn man sie dieser äußeren Hüllen entkleidet, ein fo rmloses inhaltsleeres Ding, ein echtes Sinnbild des Wesens der èechischen Politik, die in ihrem Ministerpräsidenten einen ungemein würdigen Vertreter hat, voll von Zweideutigkeit, Unaufrichtigkeit und Selbstlob.
Die demokratische Beschränkung der Redezeit hindert mich, schon in diesem Zusammenhange die einzelnen Stellen aus den Ausführungen des Herrn Ministerpräsidenten herauszugreifen, die diese meine Kritik bestätigen würden. Im Laufe meiner Ausführungen werde ich jedoch mehrmals darauf zurückkommen.
Wenn ich nach diesen einleitenden Worten zur eigentlichen Kritik übergehe, in der ich die Stellung meiner Partei zu dieser Rede des Herrn Dr. Beneš niederlegen will, so muß ich zunächst vorausschicken, daß es sich mir nicht darum handelt, die Konferenz von Genua, die ja nur das Glied einer Kette der vielen Konsilien ist, welche bezwecken, das totkranke Europa gesund zu machen, die aber, wie das bei Konsilien oft beobachtet wurde - der Volkswitz hat sich darauf den Vers gemacht: "Denn wisse, ein Konsilium bringt selbst den ewigen Juden um" - seinen Zustand immer mehr verschlimmern helfen, in ihren Voraussetzungen, Erfolgen und Mißerfolgen zu besprechen. (Místopøedseda inž. Botto pøevzal pøedsednictví.) Wir, die wir ganz genau wissen, daß sich der Herr Minister des Äußern einen blauen Teufel darum kümmert, wie wir uns das Problem des Wiederaufbaues Europas vorstellen, haben keinen Grund und auch infolge der knapp bemessenen Redezeit keine Zeit, zu diesem Problem abstrakt Stellung zu nehmen, da uns sonst die Zeit ermangeln würde, uns mit dem gründlich zu beschäftigen, was uns das Wichtigste zu sein scheint und das ist die Beantwortung der Frage: "Welche Schlüsse können wir aus dem ganzen Verhalten des Herrn Ministerpräsidenten vor, in und nach Genua, auf die Ziele und Wege der èechoslovakischen Politik, insbesondere mit Bezug auf ihre Einstellung zur deutschen Frage in diesem Staate und außerhalb desselben ziehen?"
Wenn wir diese Frage beantworten wollen, dann müssen wir fest hineingreifen in diese gallertartige Masse und einige feste Kerne herausnehmen, die da und dort zerstreut zu finden sind und sie zusammenfassen zu einem Ganzen. Maßgebend ist nach dieser Richtung die Stellung, die Herr Dr. Beneš nicht nur in seiner Rede, sondern noch weit mehr in seinen Handlungen eingenommmmen hat, in der Frage des deutsch-russischen Vertrages, in der Frage der Sanktionan, im englisch-französischen Interessengegensatz und in der Frage des Minoritätenschutzes.
Was zunächst den deutsch-russischen Vertrag anbelangt, den sogenannten Vertrag von Rapallo, so finden wir in den Ausführungen des Herrn Ministerpräsidenten hierüber nur eine Stelle, nämlich dort, wo er die Vorwürfe anführt, die gegen die Konferenz von Genua erhoben wurden und unter Punkt 4 sagt: "Es wird besonders das Mißtrauen beanständet, mit welchem manche Staaten zu der Konferenz gekommen seien. Nach dieser Richtung hin wurde der deutsch-russische Vertrag als eine der wichtigsten Ursachen angesehen, derentwegen gleich zu Anfang das gegenseitige Vertrauen schwand, weshalb große Nervosität und Unsicherheit Platz gegriffen haben und demzufolge mit einem großen Erfolge nicht gerechnet werden konnte."
Herr Dr. Beneš erklärt zwar, daß er nicht mit allem übereinstimmt, was er in den 6 Punkten anführt, er verschweigt aber, womit er übereinstimmt, ein Ausweichen, das für ihn charakteristisch ist. Da er sich aber andererseits in Genua offen an die Seite der Siegermächte gestellt hat, als diese Deutschland und Rußland wegen des Abschlusses dieses Vertrages in einer an die besten Tage von Versailles erinnernden, beleidigenden und diktatorischen Art behandelten, muß man annehmen, daß er, der bei der Frage der Folgerungen mitberaten hat, auch vollständig mit diesen Folgerungen einverstanden war und sich mit ihnen einverstanden erklärt, daß er demnach in dieser Frage den rein deutschfeindlichen Standpunkt der Entente zu dem seinigen macht.
Es läßt sich vielleicht darüber streiten, ob es von Deutschland politisch klug war, daß der deutsch-russische Vertrag gerade damals veröffentlicht wurde, ob dadurch nicht die deutsche Position geschwächt und die russische gestärkt wurde. Die Wirkung war jedenfalls die einer Bombe. Apponyi schreibt im "Pester Lloyd": "Man atmete förmlich auf, endlich eine Tat der Emanzipation von dem unerträglichen Ententedruck zu sehen, der auf den besiegtegten Staaten lastete." Wenn man in dem Abschluß dieses Vertrages aber die durchaus gerechtfertigte Abwehr eines Versuches der Entente erblickt, Deutschland bei der Neuregelung der weltpolitischen Stellung Rußlands auszuschalten und zu schädigen, eine Ansicht, die auch von Keynes geteilt wird, welcher in der "Neuen Freien Presse" ausfühe: "Der Plau war, hinter den Kulissen zu einer fertigen Abmachung zu kommen, der zuzustimmen man dann die Deutschen und die Neutralen aufgefordert hätte", - so muß man sich über die Scheinheiligkeit der Großen und der Kleinen Entente wun dern, die, selbst unter Verleugnung der Grundsätze der Genueser Konferenz, nach denen Deutschland und Rußland, ebenso wie die Neutralen gleichberechtigte Faktoren waren, ohne diese mit Rußland einen Vertrag abschließen wollte, dann aber Zeter und Mordio schrie, als Deutschland, um dieses Ränkespiel zu durchkreuzen, ihnen durch Veröffentlichung des längst beschlossenen Vertrages zuvorkam. Man muß sich aber auch darüber wundern, daß Herr Dr. Beneš in den Chor der Entrüstung mit einstimmte und an der neuen Demütigung Deutschlands als getreuer Schildknappe mithalf, wenn man aus verschiedenen èechischen Zeitungen erfährt, daß auch zwischen der Èechoslovakei und Rußland ein Vertrag in Vorbereitung sei. Wenn Herr Dr. Beneš in iner Rede von Rußland sagt, daß es kein starker wirtschaftlicher Faktor sei nd noch lange nicht sein werde, selbst wenn es die wirtschaftliche Zusammenarbeit mit Europa wieder aufnehmen wird, und auch betont, daß sowohl Rußland als auch Deutschland für eine Allianz einen ungeeigneten Kontrahenten darstellen, so kommt mir das so vor, wie die Klage des Fuchses, dem die Trauben zu sauer sind, abgesehen davon, daß es, um einen beliebten Ausdruck des Herrn Dr. Beneš zu gebrauchen, geradezu "grotesk" anmutet, wenn ein Staat von der Größe der Èechoslovakei dem Hundertmillionenreich Rußland eine wirtschaftliche Bedeutung abspricht. Dieser Ausspruch, zu einer Zeit gemacht, in der wir mitten in einer wirtschaftlichen Krise stehen, die eine Folge der verkehrten Politik der èechischen Regierung ist, verdient gewiß, durch eine entsprechende Karrikatur verewigt und lächerlich gemacht zu werden, um der Überheblichkeit und Großsprecherei der èechischen Staatsmänner einen Dämpfer aufzusetzen. Statt ins Horn Frankreichs zu blasen, sollte Herr Dr. Beneš sich der Erkenntnis anschließen, die der "New- York Herald" zum Ausdrucke bringt, wenn er schreibt: "Da Rußland aus dem Kreise der Nationen gestoßen sei und da Deutschland durch die Bestimmungen des Versailler Vertrages gefesselt sei, da das deutsche Gebiet von drohenden aufpeitschenden fremden Heeren besetzt sei und da Deutschland mit der Spitze des Bajonettes gezwungen werde, Abkommen zu unterzeichnen, in denen es sich verpflichtet, unmögliche Reparationen zu leisten, sei das Zusammenrücken Deutschlands mit Rußland unvermeidlich gewesen."
Wenn Herr Dr. Beneš sagt, daß in den Verhandlungen mit der Sowjetregierung fortgefahren wird, daß aber selbstverständlich die Grundsätze der Solidarität, die uns im Verhältnis zu den anderen europäischen Staaten und besonders zu unseren Verbündeten geleitet haben, in keiner Weise verletzt werden sollen, so ist das wieder einer der berühmten Sätze, die nichts sagen und alles hineinlegen lassen, was man will, es zeugt aber auch davon, daß Herr Dr. Beneš sich nicht bewußt ist, wohin die wirtschaftlichen Notwendigkeiten den von ihm geleiteten Staat drängen. Er findet es grotesk, daß Rußland gegen den Kapitalismus kämpft, aber beim Kapitalismus um Kapital bettelt. Ich sehe aber den Tag kommen, daß die Èechoslovakische Republik, durch die Not der Tatsachen gezwungen, bei seinem jetzt so bagatellmäßig behandelten großen deutschen Nachbarn betteln wird, um auch einen Anteil an dem russischen Geschäft zu erhalten.
Die aus der Siegereinstellung entsprungene sittliche Entrüstung unseres Ministerpräsidenten über den Vertrag von Rapallo ist aber um so weniger begreiflich, weil dieser Vertrag in keiner Weise in das Verhältnis dritter Staaten zu Rußland eingreift, und wie die deutsche Delegation ausführt, in jeder seiner Bestimmungen von dem Gedanken getragen ist, dessen Verwirklichung die Entente als das Hauptziel der Konferenz von Genua bezeichnet, nämlich von dem Geiste, der das Vergangene als endgültig abgeschlossen ansieht und eine Grundlage für den gemeinsamen friedlichen Wiederaufbau zu schaffen sucht.
Durch die Stellungnahme zum Vertrag von Rapallo, der nach Wirths Worten ein leuchtendes Zeichen für ganz Europa sein soll, weil zwei Völker, die noch vor kurzem in blutigem Ringen einander gegenüber standen, den ersten wahren Friedensvertrag geschlossen haben, hat die èechische Delegation gezeigt, daß sie in den Jahren seit dem Kriegsende nichts gelernt hat, sondern blind und taub in den ausgefahrenen ins Chaos führenden Geleisen der sogenannten Friedensverträge weiterkutschiert.
In der Frage des Rapalloer Vertrages war es der èechischen Delegation leicht, eine Entscheidung zu treffen. Denn nach Dr. Beneš muß jeder kleine Staat Rücksicht darauf nehmen, welchen Standpunkt die großen Staaten einnehmen und sich darnach in gewissem Maße richten. Da alle großen Siegerstaaten, insbesondere England und Frankreich, in der Verurteilung dieses Vertrages einig waren und sich nur in der Tonart unterscheiden, konnte er einen unzweideutigen Standpunkt einnehmen und dabei seiner politischen Weisheit nächste Schlußfolgerung, die in die Worte gekleidet ist: "Aber seine Gemeinschaft mit einem großen Staat ist durch die Interessen des eigenen Staates begrenzt" dadurch in die Tat umsetzen, daß er, der gerne mehrere Eisen im Feuer hat, die deutsch- und russenfeindlichen Gesinnungen hinter der wichtigtuenden Miene des Vermittlers verbarg.
In dem offen zu Tage tretenden Zwist zwischen Frankreich und England wurde es dem aalglatten geschmeidigen Proteus Beneš allerdings schon etwas schwüler; denn hier mußte offen Stellung genommen werden, wenn man nicht Gefahr laufen wollte, es sich mit beiden Streitteilen zu verderben und dann zwischen zwei Stühlen auf der Erde zu sitzen. Wenn auch in den Ausführungen des Herrn Ministerpräsidenten eine offene, gerade und ehrliche Stellungnahme fehlt, sondern wir gerade in dieser Beziehung auf Zweideutigkeiten und auf eine Sprache stoßen, die den Zweck hat, die wahren Gedanken zu verbergen, so läßt sich doch sogar aus diesen mehr als vorsichtigen Redewendungen und insbesondere aus der èechischen Delegationstätigkeit vor und in Genua die Tatsache feststellen, daß die Politik, die Herr Dr. Beneš treibt, durch und durch im französischen Fahrwasser segelt und sich von diesem nur dadurch unterscheidet, daß die Franzosen aus ihrem Haß gegen Deutschland kein Hehl machen, Herr Dr. Beneš aber offene Worte scheut, dafür aber umso fleißiger und emsiger für Frankreich arbeitet.
Ich verweise darauf, daß Herr Dr. Beneš schon vor der Konferenz in Genua darauf hinarbeitete, daß die Frage der Friedensverträge und der Reparationen keinesfalls behandelt werden dürfe, daß er mit Frankreich eines Sinnes in der Beurteilung des Wertes der Konferenz war, der er im Gegensatz zu Lloyd George mit der größten Skepsis gegenüberstand, daß er, als Frankreich und Belgien ihre Unterschriften zu dem Memorandum an Rußland verweigerten, die Zurückziehung der Unterschriften der Kleinen Entente verkünden ließ, ich verweise darauf, daß er bei seiner Vermittlungstätigkeit immer zugunsten des französischen Standpunktes seinen Einfluß geltend machte, und lenke Ihre Aufmerksamkeit auf die in seiner Rede enthaltene Kritik der beiden Richtungen, in der er die eine die französische, die andere die englisch-italienische nannte. Auf die erstere verteilt er alles Licht, nennt sie evolutionär, dazu geeignet, nach und nach die einstigen Feinde zu gewinnen, während er gegen die andere Richtung den Vorwurf der revolutionären Gesinnung erhebt, die gewaltsam und rasch mit der Tradition des Krieges brechen will. Die französische Richtung wolle auf den Friedensverträgen und auf den aus dem Krieg hervorgegangenen Allianzen beharren, was natürlich den Ausschluß Deutschlands aus jeder Allianzpolitik bedeutet, und die Friedensverträge geltend machen; die englische sei bezüglich der Friedensverträge und der Reparationen zu einem Entgegenkommen bereit, und das ist natürlich für einen waschechten Èechen ein großes Verbrechen - macht zwischen ehema igen Verbündeten und ehemaligen Feinden keinen Unterschied, sie ist ausgesprochen pazifistisch und infolgedessen abrüstungsfreundlich und zeichnet sich durch ein gewisses Mißtrauen - ich möchte hinzufügen, berechtigtes und selbstve ständliches Mißtrauen - gegen die kleinen Staaten aus. Aus dieser Art der Gegenüberstellung der beiden Richtungen kann jeder, der des Herrn Dr. Beneš diplomatische Redeweise kennt, entnehmen, daß er voll und ganz auf dem Boden der französischen Richtung steht. Durch den Hinweis des Mißtrauens gegen die kleinen Staaten, das die englisch-italienische Richtung neben der Sorge um die nationalen Minderheiten in diesen Staaten beseelt, will er offenbar im eigenen èechischen Lager diejenigen zum Schweigen bringen, die aus der richtigen Erkenntnis dsr eotwendigkeiten ihrer RepNblik mit dem einseitigen französischen Kurs ihres Ministerpräsidenten nicht einverstanden sind.