Sie haben daran nur zu bald vergessen, und genügt Ihnen der historische Anschauungsunterricht an dem Schicksal des alten Österreich nicht, dann hätten sie um sich blicken müssen, dann hätten sie aus dem Kampfe der Iren in England, aus dem Kampfe der Ukrainer in Polen die Nutzlehre ziehen müssen, daß man ganze Völker nicht mit den Mitteln der Gewalt, sondern nur mit den Mitteln der Demokratie und Gerechtigkeit gewinnen kann. (Potlesk na levici.) orläufig sind aber die Èechen ganz auf den Geist von Versailles eingeschworen und von dem Geist des Übernationalismus beherrscht, der der gefährlichste Feind dieses Staates ist.
An der Spitze dieser Republik steht ein Mann, der über den Kampf zwischen den Deutschen und Èechen dieses Landes sehr gut unterrichtet ist, steht ein Mann, der schon im alten Österreich an diesen Kämpfen teilgenommen und der diesen Kampf dann im alten Österreich, allerdings nur für das èechische Volk, zum siegreichen Austrag gebracht hat. Schon im Jahre 1890 äußerte er sich über die nationale Frage in der Wiener Zeitschrift "Zeit". Er sagte: "Eine ernste Versöhnung der Èechen mit den Deutschen bedeutet die Sozialisierung der Politik, bedeutet die Sozialisierung aller Verwaltungs- und po litischen Einrichtungen." Präsident Masaryk sagte damals: "Das von einem deutschen Rubrum der Gerichtsakten und Prozesse, von den Texten der Steuer- und Postquittungen die Sicherung der böhmi schen Länder und Österreichs abhinge, geht mir nicht in den Sinn und geradeso begreife ich auch das Vorurteil nicht, daß die Arbeiter und Handwerker bei uns vor allem dieser oder jener Sprache bedürften. Freilich, wo so viele Leute vom Maule und vom Nationalitätenhader leben, ist es begreiflich. Aber die Spekulation auf der chauvinistisch-nationalen Börse wird einmal aufhören." (Potlesk na levici.) Einige Jahre darauf äußerte sich der Präsident der Republik Masaryk in der Zeit schrift "Rozhledy" so: "Wer in Wirklich keit die Freiheit und nationale Gerechtig keit in concreto haben will, der muß für die politische Autonomisierung sein." Und als er auf die Frage der Schaffung natio naler Kreise zu sprechen kam, erklärte er, daß er dafür ist, daß die Kreise nach Mög lichkeit sprachlich aufgeteilt werden und sagte: "Ich Herr, Du Herr, ich halte es mit Havlíèek!" Und an einer anderen Stelle sagte er: "Wir sind nicht so naiv anzuneh men, daß sich ein selbständiger èechischer Staat erhalten könnte neben dem großen Deutschen Reiche, wenn die Deutschen in diesem selbständigen Staat unzufrieden sind." Es wird natürlich eingewendet wer den, daß diese Äußerungen zu einer ganz anderen Zeit gefallen sind, im Jahre 1890. Aber Sie werden alle wahrscheinlich gelesen haben, daß sich der Berliner Schriftsteller Vorst vor zirka einem Jahre an den Präsi denten Masaryk wandte und ihn fragte, wie er sich denn heute zu seinen damaligen Äußerungen über den Kampf zwischen den Deutschen und Èechen stelle; und Sie wer den gehört haben, daß Präsident Masaryk erklärt hat, daß er zu diesen seinen Worten auch heute noch voll und ganz stehe. Aber wie merkwürdig, sonst kleben die Èechen an den Lippen dieses Mannes und in diesem Falle verhallen seine Worte. (Potlesk na levici.)
Doch wenden wir uns der neueren Geschichte dieses Staates zu. Als die Regierung Tusar im Jahre 1919 die Amtsgeschäfte übernahm, schrieb Herr Präsident Masaryk in seinem Ernennungsdekret an den damaligen Minister Švehla wörtlich: "In allen Ländern muß das Problem der nationalen Minderheiten sobald als möglich, u. zw. aus der programmatischen Initiative der Regierung selbst gelöst werden." Jahre sind seither vergangen, keine Hand rührt sich seither. Wohl kann der Herr Minister des Innern von damals für sich geltend machen, daß er mit der Regierung Tusar unmittelbar nach den bekannten Dezemberereignissen überstürzt vom Amte scheiden mußte. Aber auch seine Nachfolger rührten nicht an dem Problem. Und nun da die Regierung Švehla wieder am Ruder ist und das Staatssteuer übernimmt, schweigt sie sich über das Lebens- und Schicksalsproblem dieses Staates aus, so als ob es überhaupt nicht bestünde, als käme es für die Geschicke dieses Staates nicht in Betracht. Das Programm der neuen Regierung vergißt auch die unbeträchtlichsten Geringfügigkeiten des agrarischen und kapitalistischen Wunschzettels nicht, doch das Lebensproblem des Staates, das Schicksalsproblem des Staates existiert für die Regierung nicht. So müssen wir denn es aufrollen, so müssen wir die Regierung vor diese Frage stellen und so müssen wir die èechischen Sozialdemokraten aufrufen und von dieser Stelle aus auffordern, daß sie die Initiative ergreifen. Wir knüpfen da an den Apell des "Právo Lidu" am 27. September dieses Jahres an. Als kürzlich der Völkerbund in seiner letzten Genfer Tagung das Minoritätenproblem verhandelte, als der Außenminister - Sie werden darüber gelesen haben - die ehrlichsten Bestrebungen der englischen Pazifisten wegen Ausgestaltung des Minoritätenschutzes durchkreuzte und den Beschluß provozierte, welcher die Sicherung und Ausgestaltung des Minderheitsschutzes von dem Nachweis der staatsbürgerlichen Loyalität der Minderheit abhängig machte, da schrieb das "Právo Lidu": "Verstehen wir die Ergebnisse der Genfer Tagung, dann seien wir uns dessen bewußt, daß in Genf der Republik, der Regierung, den politischen Parteien der Mehrheit und Minderheit die Notwendigkeit des innerstaatlichen Ausgleiches der nationalen Streitigkeiten in Erinnerung gebracht wurde. Wir würden wünschen, daß zumindest die deutschen Sozialdemokraten den Mut haben, sich von der nationalistischen Orientierung der deutschen Bourgeoisie freizumachen zur Bildung gemeinsamer sozialistischer Richtlinien, sowohl im Interesse des nationalen Friedens, als auch in sonstigem sozialistischen Interesse."
Nun denn, wir sind zur Mitarbeit bei diesen Richtlinien bereit, wir sind bereit, an der Herbeiführung des nationalen Friedens mitzuwirken, wir waren es von der ersten Stunde an, da uns die Geschichte auf diesen Boden gestellt hat. Wir haben sofort erkannt, daß es eine der ersten, ja daß es eine historische Aufgabe der Sozialdemokratie ist, durch Beseitigung des nationalen Haders den Weg frei zulegen, die Bahn freizumachen für die soziale und wirtschaftliche Arbeit. Nicht durch unsere Schuld ist es zu einer Verständigung mit den èechischen Sozialdemo kraten über die Zusammenarbeit auf diesem Gebiete nicht gekommen. Wie oft haben wir dies den èechischen Sozialdemokraten vorgehalten und ihnen auseinander gesetzt, daß, wie immer sie zur nationalen Koalition stehen mögen, es eine ihrer wich tigsten Aufgabe sei, den Weg für den Ab bau des Hasses zwischen den beiden Völkerstämmen freizumachen, den Weg freizumachen für die vernünftigen Auseinandersetzung beider Völker, für die Herbeiführung des Friedensschlusses ein zutreten, für die Ermöglichung des politischen Lebens in diesem Staate, für die Freilegung der Bahn zur sozialen wirtschaftlichen Arbeit zur gemeinsamen Ar beit aller sozialistischen Parteien im Dienste des Proletariats. Wie ganz anders haben unsere deutschen Genossen im alten österreichischen Parlament ihre Aufgabe erfüllt! Jüngst kam mir wieder eine Broschüre Viktor Adlers in die Hände. Sie enthält eine Rede Viktor Adlers "An die Nationen" vom 3. Feber 1908. Viktor Adler ruft, dort den österreichischen Gewalthabern - wir haben hier bekanntlich eine Umkehrung der Verhältnisse - zu, daß die nationale Frage nicht durch Gewalt anwendung gelöst werden kann, daß es notwendig ist, Österreich von Grund auf neu auszubauen. Und er sagt wörtlich: "Wir Sozialdemokraten verkennen den Ernst und die Schwere der nationalen Frage nicht, wir sind uns dessen bewußt, daß wir gute Deutsche sind, wie die anderen gute Èechen sind, und weil wir gute Deut sche sind, weil wir unser Volk hinauffüh ren wollen zu dieser Höhe der Demokratie und Selbstregierung, darum wissen wir, daß wir auch den anderen Völkern die Selbstregierung geben müssen." Er sagt: "Das Wort Autonomie ist in letzter Zeit sehr verfälscht worden, es ist zu einem leeren Schlagworte geworden. Nationale Autonomie heißt nicht zuerst Zweiteilung, es heißt überhaupt nicht Teilung, es heißt auch nicht, vor allem Teilung, sondern na tionale Autonomie heißt Vereinigung des ganzen Volkes, Vereinigung des ganzen deutschen Volkes und des ganzen èechischen Volkes." Haben wir, frage ich Sie, in diesem Hause jemals ein solches Wort aus èechischem Munde vernommen? Dies den èechischen Sozialdemokraten in Erinnerung zu bringen, halten wir uns gerade in dieser Stunde für verpflichtet. Die èechischen Sozialdemokraten mögen heute durch die Koalitionspolitik noch gebunden sein, aber sie dürfen nicht vergessen, daß, so weit sich auch die Grenzen einer Koalitionspolitik ziehen lassen, unbegrenzt dehnbar sind sie nicht! Das staatliche Interesse des kapitalistischen Staates in allen Ehren, aber über dem staatlichen Interesse steht das Interesse der arbeitenden Menschen. Das mögen die èechischen Genossen keinen Augenblick vergessen, das mögen sie nicht übersehen und vor allem mögen sie nicht übersehen, daß es in diesem Staate auch über die nationale Koalition hinaus und ohne daß das staatliche Interesse daran leiden müßte, noch andere politische Konstellationen gibt, als die heutige. Der Friedensschluß zwischen den bei den Völkerstämmen (Posl. dr. Meissner: Tak jaké? S nìmeckými sociálními demokraty?) eröffnet, das sage ich, neue politische und parlamentarische Möglichkeiten für diesen Staat. Er ermöglicht vor allem, das sage ich dem Kollegen und Partei genossen Meissner, den Zusammen schluß des Bürgertums aller Nationen, aber auch eine Formierung einer einheitli chen proletarischen Linie. (Souhlas na levici.) Wie anders würde sich, sage ich dem Genossen Meissner, der Klassenkampf in diesem Staate, wie anders die Auseinandersetzung zwischen dem Kapitalismus und den Arbeitern vollziehen, wenn dem wirtschaftlich und politisch verbundenen Unternehmertum und Bürgertum die geeinte, kraftvolle proletarische Phalanx gegenüberstünde. Dies den èechischen Sozialdemokraten in dieser Stunde zu sagen, habe ich für eine Gewissenspflicht gehalten. (Pøedsednictví pøevzal místopøedseda dr. Hruban.)
Und nun lassen Sie mich, mich dem außenpolitischen Exposé zuwenden, und zwar sowohl jenem Teile, welcher in den Erklärungen des Herrn Ministerpräsidenten enthalten ist, als auch dem Exposé des Außenministers Beneš. Wie wir über die Außenpolitik Beneš denken, wie wir zur Außenpolitik des èechoslovakischen Staates stehen, haben wir schon zur Genüge bekundet. Die Ereignisse der letzten Zeit haben uns nicht eines Besseren belehrt, sondern unseren Standpunkt nur noch bekräftigt. Der Herr Ministerpräsident erklärte in seinem Exposé, daß an den bisherigen Richtlinien der Außenpolitik festgehalten werden müsse und auch an jener Politik, die auf die Erhaltung des Friedens gemäß den Friedensverträgen gerichtet ist. Und er sagt wörtlich, daß weiter auch an der Kleinen Entente festgehalten werden müsse, die auf der Gemeinsamkeit der Interessen der vertragschließenden Teile beruht, die eine feste Bürgschaft ist, einesteils für die Sicherung des Staates, anderenteils für die Anknüpfung guter wirtschaftlicher Beziehungen. Letzteres stellen wir mit aller Entschiedenheit in Abrede. Gerade die wirtschaftlichen Tatsachen, gerade die Lebensnotwendigkeiten dieses Landes, gerade die Lebensinteressen der arbeitenden Menschen in diesem Lande weisen uns einen anderen Weg. Mit Frankreich verbinden uns keinerlei wie immer geartete nationale und kulturelle und nur minimale wirtschaftliche Interessen; Frankreich ist ein Agrar- und Rentnerstaat, der seine ganze Hoffnung auf die Reparationspolitik gesetzt hat, der sich aus der strikten Durchführung der Friedensverträge den Aufbau der zerstörten Gebiete, die Sanierung seiner Finanzen und die Wiederbelebung seiner Wirtschaft erhofft. Dem gegenüber ist die Èechoslovakische Republik ein ausgesprochener Industrie- und Exportstaat mit natürlichen, außerhalb der Gebiets- und Einflußsphäre Frankreichs gelegenen Absatzgebieten. Frankreich mag vielleicht jetzt noch, zumindest ideell, an der Aufrechterhaltung der Friedensverträge interessiert sein, obwohl es sehr bald die Folgen dieser Wahnsinnspolitik zu spüren bekommen wird; für die Èechoslovakei bedeutet aber die Aufrechthaltung der Friedensverträge, ein Festhalten an dem Pariser Diktat, ein Festhalten an den Verträgen geradezu den wirtschaftlichen Ruin.
Und wie ist es um unser Verhältnis zu Rumänien und Jugoslavien bestellt? Rumänien und Jugoslavien sind selbstgenügsame Agrarstaaten mit völlig anderen wirtschaftlichen und völlig anderen politischen Interessen. Solange noch die Habsburgerfrage bestand, mag sie noch den gemeinsamen Kitt, ein gemeinsames Ziel gebildet haben. Als aber die Habsburgerfrage geschwunden war, mußte das Bündnis naturgemäß jeder wie immer gearteten realen Basis entbehren; dies umsomehr, als, wie wir ja sehr gut wissen, Rumänien eigentlich nie recht zur Stange gehalten hat, selbst in der Habsburger Frage absolut nicht mitgetan hat, sich beim Karlsputsch hübsch im Hintertreffen gehalten hat, als wir wissen, daß es jetzt in Ungarn im Trüben fischt und sich niemals für das Bündnis der Kleinen Entente exponiert. Das Verhältnis Rumäniens zur Kleinen Entente erinnert überhaupt lebhaft an das Verhältnis Italiens im Dreibund seligen Angedenkens. Diese unnatürliche Bündnispolitik hat unsere Stellung nicht gefestigt, sondern nur in hohem Maße gefährdet; sie hat uns nicht den Frieden gebracht, sondern läßt eher schwere Verwicklungen befürchten. Und darum lehnen wir für unseren Teil die bisherige Bündnispolitik des Èechoslovakischen Staates ab, wie wir überhaupt alle Allianzen ablehnen, von denen wir wissen, daß sie uns nur Verpflichtungen auferlegen, uns nur die Hände binden und uns von unseren natürlichen wirtschaftlichen Arbeiten abbringen. Die einzig mögliche Richtung unserer Außenpolitik zeigen uns die wirtschaftlichen Notwendigkeiten des Landes, zeigen uns die Tatsachen des Wirtschaftslebens. Ihr Spiegelbild sind die Ergebnisse unserer Handelsstatistik. Ich habe die vor einigen Tagen verlautbarten statistischen Daten über unseren Außenhandel für die Zeit vom Jänner bis Ende August vor mir. Darnach beträgt die gesamte Ausfuhr der Èechoslovakischen Republik in dieser Periode 65 Millionen mq. Von diesen Millionen gehen nach Deutschland 27.9, nach Österreich 20 Millionen, nach Ungarn 5.7 Millionen. Diese drei Länder nehmen also von unserem Gesamtexport 80 % auf, während Rumänien nur 600.000 q, Jugoslavien nur 800.000 q, zusammen also beide 1,400.000 q aufnehmen, also kaum 2% unserer gesamten Warenausfuhr. Diese Gegenüberstellung 80: 2 zeigt uns deutlich, in welchen Ländern wir unsere wahren wirtschaftlichen Interessen zu suchen haben, und zeigt uns, wie sehr wir gegen unsere vitalen Interessen verstossen, wenn wir gerade jene Länder, die unsere Nährquelle sind, einem wirtschaftli chen Abgrund zuführen. Oder ein anderes Beispiel. Die gesamte Textilausfuhr des Èechoslovakischen Staates betrug im Jahre 1920 10.6 Milliarden, im Jahre 1921 9.8 Milliarden. Davon gingen im Jahre 1920 nach Österreich 5 1/2 Milliarden und im Jahre 1921 4.4 Milliarden, also 57%, wo gegen nach Jugoslavien 1.4 Milliarden und nach Rumänien 0.4 Milliarden gingen. Und wenn man die Rechnung stellt auf das alte österreichische Wirtschaftsgebiet, stellt sich die Sache so, daß die Ausfuhr nach dem alten österreichischen Gebiet 83 % der gesamten Ausfuhr beträgt und daß übrige alte Zollausland ca. 17% unserer gesamten Ausfuhr aufnimmt. Wie lächerlich ist in Anbetracht dieser Ziffern die westliche Orientierung unserer Außen- und Wirt schaftspolitik! Oder ein noch krasseres Beispiel: Nach einer Statistik, die kürzlich vom österreichischen Handelsstatistischen Amt herausgegeben wurde, partizipiert an der gesamten Einfuhr des österreichischen Staates die Èechoslovakei mit 40%. Aber, meine Herren, die Ziffern, die uns das Handelsstatistische Amt zur Verfügung stellt, sprechen noch eine andere Sprache, erzählen noch manches andere. Sie zeigen uns, daß unsere Textilausfuhr nach Öster reich im Jahre 1921 im Vergleich zum Vor jahr um eine volle Milliarde zurückgegan gen ist und daß - obwohl beispielweise für Deutschland der Monat August der stärkste Monat für den Bezug von böhmischer Braunkohle ist, - die Ausfuhr von Braunkohle im August um 8000 Wagen, Zement um 430 Wagen, Holz um 750 Wagen, Kalk um 107 Wagen zurückgegangen ist. Was sagen uns diese Ziffern? Sie sagen uns, daß wir nicht ungestraft durch vier Jahre die imperialistische französische Außenpolitik mitgemacht haben, daß wir nicht ungestraft durch vier Jahre die Kulissenschieberei bei der französischen Reparationspolitik besorgt haben, daß wir nicht ungestraft unsere ganze innere und äußere Orientierung durch vier volle Jahre auf die Friedensverträge gestellt haben; und dies obwohl rings um uns schon alle Anzeichen des Selbstauflösungsprozesses der Pariser Verträge sichtbar geworden sind. Das ist es, was wir dem Herrn Außenminister zum Vorwurf machen. Wir machen ihm insbesondere den Vorwurf, daß er sich gegen den unumstößlichen kardinalen Grundsatz vergangen hat, daß Innenpolitik und Außenpolitik einander ergänzen müssen und daß die Außenpolitik den wirtschaftlichen Notwendigkeiten des Landes angepaßt werden muß. Wir machen ihm den Vorwurf, daß er diese seine Politik auch zu einer Zeit fortführt, da der Zusammenbruch der Nachbarstaaten und damit auch unser Zusammenbruch bereits offenkundig geworden sind.
Nun, hohes Haus, sind wir auf
dem besten Wege, Österreich gegenüber neuerlich schweres Unrecht
zu setzen. Der Herr Außenminister hat uns über das Genfer Übereinkommen
mit Österreich berichtet. Er hat in Anbetracht der ganz außerordentlichen
Bestürzung und namenlosen Erregung, welche die Genfer Konvention
in der arbeitenden Bevölkerung Österreichs ausgelöst hat, versucht,
dieser Konvention in seinen Darlegungen den Stachel zu nehmen
und diese Konvention in einem harmlosen Licht erscheinen zu lassen.
Er hat auch gleichzeitig die lückenlose Annahme des ganzen Übereinkommens
verlangt. Hohes Haus! Wir sind die letzten, die bei einer Hilfeleistung
an das schwergeprüfte Österreich, das man zu einem Torso gemacht
hat, das die Entente lebensunfähig gemacht hat, Schwierigkeiten
bereiten. Trotz schwerster Bedenken haben wir seinerzeit für den
500 Millionenkredit hier in diesem Hause gestimmt und aus denselben
Gründen sind wir natürlich auch wieder für die Kredithilfe an
Österreich. Wofür wir aber nicht zu haben sind und wofür wir niemals
zu haben sein werden, das ist, daß ein solcher Auslandskredit
unter schimpflichen, entehrenden und demütigenden Bedingungen
gegeben werde und daß er zu einem Mittel gemacht werde zur Versklavung
Österreichs und seiner Bevölkerung. (Potlesk na levici.) Wir
sind, so sehr wir auch für eine Selbsthilfe Österreichs auf Grund
der Erörterungen, die in Österreich geführt wurden, sind, auch
für die Gewährung eines Auslandskredits, aber ich wiederhole:
nicht um jeden Preis, nicht unter allen Bedingungen und nicht
um den Preis der sehr schwer errungenen Freiheit des österreichischen
Volkes. Wer Augen hat und sehen kann, dem wird es nicht entgehen,
daß die treibenden Kräfte beim Genfer Übereinkommen gerade jene
reaktionären Mächte sind, denen die Unterwerfung Österreichs unter
das Diktat die Hauptsache, die Kredithilfe die Nebensache ist.
Es sind dieselben dunklen Mächte, die im Hintergrunde lauern,
um die Arbeiterschaft hinter der sicheren Deckung des Generalkommissarius
um die Errungenschaften und die Früchte der bisherigen Arbeit
zu bringen, ihnen die Löhne zu kürzen, die Arbeitsbedingungen
zu verschlechtern und ihnen unter Umständen auch eine militärische
Überwachung zuzuschanzen. Es sind dieselben Mächte, die jeder
Erniedrigung gerne zustimmen, wenn sie in diesem Zusammenhang
die Steuern von sich abwälzen oder sich den Opfern, die die ganze
österreichische Bevölkerung naturgemäß bringen muß, entziehen
können. Daß Opfer gebracht werden müssen und daß auch die Arbeiter
dabei nicht zurückstehen dürfen, darüber sind sich alle Teile
innerhalb der Arbeiterschaft einig. Wir verlangen aber, daß auch
die besitzenden Klassen mitherangezogen werden, wir verlangen,
daß auch die besitzenden Klassen in Anbetracht der ganz außerordentlichen
Situation, in der sich Österreich befindet, ihren Tribut leisten.
Gerade das èechische Volk, das sich soviel auf seine demokratischen
Einrichtungen zugute tut, müßte begreifen, was es heißt, wenn
ein freies Volk seine Freiheit verliert, wenn ein freies Volk
seiner Selbstbestimmung beraubt wird, wenn ein
freies Volk unter eine fremde Kontrolle gestellt, seines freigewählten
Parlamentes verlustig geht. Denn nichts anders als die Austilgung
der Freiheit bedeutet die Stel lung des österreichischen Staates
und Volkes unter eine Kontrolle, nichts anderes als die Köpfung
des Parlamentes bedeutet der geforderte Verzicht auf die Steuerautonomie
und auf die Budgetautonomie des Parlamentes, nichts als eine Demütigung
bedeutet das Gebot der neuerlichen Beteuerung des Anschlußverbotes
an Deutschland, der neuerliche Treueidleistung, die, solange der
St. Germainer Vertrag besteht, eben überflüssig, für den Fall
einer Wandlung der Dinge aber im Zuge der geschichtlichen Entwicklung
völlig wertlos ist.
Gegen derartig schimpfliche Bedingungen wenden wir uns auf das entschiedenste. Die österreichische Sozialdemokratie erklärt ganz offen, daß sie sich gegen eine Beaufsichtigung, gegen eine Kontrolle absolut nicht wehrt. Was aber in Genf verlangt wurde, das ist keine gewöhnliche Beaufsichtigung, keine gewöhnliche Kontrolle mehr, das ist die Errichtung einer Oberhoheit, wie sie nicht einmal den Vasallenstaaten der Türkei zugemutet wurde, das ist die Kolonisierung dieses unglücklichen Landes durch seine Gläubiger, das ist die Umwandlung Österreichs in eine Satrapie der Entente. (Sehr richtig!) Wir verlangen daher eine Revision des Genfer Protokolls und die Beseitigung aller Bestimmungen, an denen die österreichischenArbeiter wie überhaupt alle arbeitenden Menschen mit Recht Anstoß nehmen. In diesem Sinne werden wir uns erlauben, im Laufe der Verhandlung über das Genfer Protokoll unsere Anträge zu überreichen und erklären schon hier, daß wir die Annahme dieser Anträge für eine Solidaritäts-, eine Gewissens- und Ehrenpflicht aller sozialistischen Parteien halten.
Und nun lassen Sie mich, hohes Haus, schließen. Die deutschen Arbeiter stehen nach allem, was sie gestern von der Regierung vernommen haben, den kommenden Dingen sehr skeptisch gegenüber. Sie wissen, wessen sie sich dieser Regierung gegenüber zu versehen haben und werden danach ihren Kampf einrichten. Als ich in meiner Teplitzer Rede in meiner Auseinandersetzung das Wort gebraucht habe, daß uns der Herr Dr. Rašín nicht fressen wird, da habe ich mir in allen Teilen unserer Presse eine scharfe Zensur geholt. "Abgeblasen!" rief die "Bohemia", "Marasmus!" der Duxer "Tag" und "potenzierter Nationalismus" die "Národní Politika". Man war auf der ganzen Linie entrüstet und ich glaube, das ist so das Richtige gewesen. Was ich in Teplitz gesagt habe, das halte ich aufrecht und wiederhole es hier neuerlich. Herr Dr. Rašín ist nicht von heute. Auch unter der Ära Beneš war Herr Dr. Rašín - das wissen wir der eigentliche Leiter der Finanzpolitik. Er tat es damals etwas unterirdisch, er tat es damals im Rahmen der "Pìtka", in den Wandelgängen des Rudolfinums, und nun hat er selbst das Steuer ergriffen. Es ist natürlich nicht sehr erquicklich, von Dr. Rašín regiert zu werden. Ich verstehe das sehr gut. Ich sehe das völlig ein. Läge es in meiner Macht, etwas an den Dingen zu ändern, so würde ich es ohne weiters tun. Da aber Dr. Rašín nun einmal da ist, da ich mit dieser Tatsache rechnen muß und nichts daran ändern kann, da wir uns mit ihm auseinandersetzen müssen, so sage ich: Es ist mir lieber, ich setze mich mit ihm von Antlitz zu Antlitz auseinander, als hinterrücks und versteckt auf Umwegen durch die "Pìtka". Das habe ich in Teplitz gesagt, das unterstreiche ich neuerlich.
Im übrigen erschrecken wir weder
vor Rašín, noch vor dem Herrn Ministerpräsidenten Švehla,
noch auch vor dem Herrn Minister Šrámek, auch nicht vor
allen zusammen. Wir haben eine harte Schule mitgemacht, erst in
Österreich, und dann 4 Jahre auf diesem Boden. (Potlesk na
levici.) Und darum werden wir uns von niemandem ins Bockshorn
jagen lassen und uns auch nicht so leicht unterkriegen lassen.
Wir sehen den kommenden Dingen festen Auges entgegen. Unser Kampf
geht weiter, mag da kommen was wolle, wir werden uns unserer Widersacher
zu erwehren wissen! (Potlesk na levici.)
Meine Damen und Herren! Ich habe die Regierungserklärung des Herrn Ministerpräsidenten in Wort und Schrift vernommen. Ich habe sie einmal, zweimal durchgelesen und dann richtete ich an mich die Frage, was denn eigentlich die Arbeiter von dieser neuen Politik, die sich die Regierung zum Ziel gesteckt hat, zu erwarten haben. Und da muß ich feststellen, daß die Regierungserklärung für die Arbeiter nichts anderes bedeutet, als eine große sozialpolitische Rückwärtskonzentrierung. Denn in dieser großen ernsten Zeit, wo Hunderttausende von Arbeitern brotlos, arbeitslos sind, weiß die Regierung nichts anderes zu sagen, als daß sie sich bestreben wird, Mittel und Wege zu finden, um diese große Krise zu beseitigen. In jener großen grundsätzliche Frage, von deren Lösung die Arbeiterschaft sich eine Befreiung aus dem großen Elend erhofft, spricht die Regierung aber klar, indem sie sagt, daß sie die großen Werke, die großen Betriebe nicht mehr so, wie es einst Ministerpräsident Tusar versprach, sozialisieren werde im Sinne des Wunsches der Arbeiter, sondern sie sollen nur nationalisiert werden. Und was diese Regierung unter Nationalisierung versteht, dafür haben wir schon unzählige Beweise. Wir müssen daher feststellen, daß die neue Regierung die Regierung der alten èechoslovakischen Politik ist.
Wir haben daher nur noch eine Hoffnung, daß die neue Regierung gegenüber der Slovakei eine andere Politik inaugurieren wird, als es die alte getan hat. In der slovakischen Politik der Regierung fließen Innen- und Außenpolitik zusammen. Denn die Slovakei wird als eine Art Ausland betrachtet, und es scheint, daß die Regierung der Èechoslpvakischen Republik ihre großen mächtigen Verbündeten nachahmen wollte. Sie will ebenso wie England Kolonien haben, und die èechoslovakische Regierung hat in der Tat zwei Kolonien, die eine Kolonie ist die Slovakei, das ist die höhere Kolonie, und die andere Kolonie, und das ist die Kolonie niederen Ranges, ist Karpathorußland. Aber die Slovakei als die höhere Kolonie hat nicht jene verfassungsmäßig höheren Rechte, wie sie jene Kolonien Englands haben, die von ihrem Gesichtspunkte aus in einem höhe ren Range stehen. Der Herr Ministerpräsident Švehla fühlt selbst - und er spricht das auch in der programmatischen Erklärung aus - daß in der Slovakei sehr vieles faul ist. Aber ich meine, trotzdem der Herr Ministerpräsident schon seit drei Jahren in diesem Staate ein sehr rinfluß reicher Bürger ist und der Innenminister der ersten Regierung war, beherrscht und kennt er die Verhältnisse in der Slovakei noch lange nicht. Denn würde er sie kennen, dann halte ich es für ausgeschlossen, daß er so etwas sprechen könnte, wie es in der Regierungserklärung heißt: "Die Regierung hat volles Verständnis für die besonderen Verhältnisse in der Slovakei und in der Podkarpatská Rus und wird mit besonderem Augenmerk dieselben in dem Bewußtsein berücksichtigen, daß Mentali tät und Empfinden des seit Jahrhunderten geknechteten Volkes eine entsprechende Rücksichtnahme erheischen, damit es die Grundsätze der Demokratie richtig erfaßt und sie im Leben verwirklichen könne." Die Èechoslovakische Republik hätte in der Slovakei eine hohe Mission zu erfüllen ge habt, und zwar die ungarische sogenannte Selbstverwaltung umzugestalten. In Ungarn haben die Komitate und die Munizipalstädte, die Städte, die die Rechte eines Komitates genossen - eine Art Selbstverwaltung gehabt, aber das war die Autonomie der Gentry und des reichen Bürgertums. Die ungarische Selbstverwaltung war eine gegen das Volk, gegen die breiten Massen gerichtete Selbstverwaltung einer engen privilegierten Schichte. Diese Autonomie hätte man in eine Selbstverwaltung der breiten Massen des arbeitenden Volkes umwandeln sollen.
Und was geschah in Wirklichkeit? Aus der Autonomie, aus der Herrschaft der ungarischen Gentry wurde eine Herrschaft der èechoslovakischen Bürokratie. An Stelle einer engen Bevölkerungsschicht, an die Stelle einer Fremdherrschaft trat eine andere Herrschaft. Denn die neuen Verwaltungsbeamten der èechoslovaki schen Bürokratie sind dem arbeitenden Volke genau so fremd, wie es einerzeit die Gentryleute waren. Statt eines Systemwechsels bekamen wir nur einen Schichtwechsel, einen einfachen Personenwechsel.