Die Denkschrift versteht esmeisterhaft, die gesamte neuere Geschichte Böhmens aus nationalen Gesichtspunkten heraus zu erklären und die Èechen dabei als Vertreter des guten (der Demokratie und des Fortschritts), die Deutschen als Vertreter des schlechten Prinzips (der Autokratie und der Reaktion) hinzustellen. Ihrer fortschrittlichen demokratischen Gesinnung hätten die Èechen ihre nationalen Erfolge zu verdanken. Bei dieser Verzerrung der geschichtlichen Tatsachen werden die staatsrechtlichen und sozialen Kämpfe in unzulässiger Weise mit den nationalen Gegensätzen verknüpft. Die Aufklärung, welche die modernen Ideen zur Geltung bringt, ist keine èechisch-nationale Bewegung, die Èechen haben vielmehr aus der deutschen Aufklärung Nutzen gezogen. Der aufgeklärte Absolutismus, der gerade am Wiener Hofe unter dem von den Èechen jetzt verlästerten Josef II. seinen vornehmsten Vertreter fand, und die deutsche Romantik haben jene literarische Bewegung hervorgerufen und begünstigt, welche auf die Wiedergeburt der èechischen Sprache und Literatur gerichtet war. Kollar, der begeisterte Verkünder und Dichter der slavischen Gegenseitigkeit, hat an einer deutschen Universität im Kreise deutcher Studenten, seine nationalen Anschauungen gewonnen, der böhmische Adel, deutsche Diehter und Schriftsteller haben die èechische Renaissance durch ihre werktätige Sympathie und Mitarbeit geftirdert. Und als es im Jahre 1848 zum offenen Kampfe gegen den übernommenen polizeistaatlichen Absolutismus und Bürokratismus kam, da war die Revolution nicht etwa eine èechische Revolution, nicht, wie man nach der Denkschrift glauben möchte, ein Kampf Prags gegen Wien, sondern an der Revolution haben sich alle österreichischen Völker beteiligt und die Deutschen standen - im Einklange mit der Revolution in Deutschland - führend an der Spitze. Und auf der Gegenseite standen neben Deutschen wiederum auch Èechen und Slovaken. So war der erwähnte Kollar ungeachtet seiner nationalen Gesinnung ein waschechter Reaktionär. Im konstitutionelen Staate wurden die staatsrechtlichen Kämpfe durch die sozialen abgelöst. Und auch hier geht die Parteihildung nicht nach nationalen Gesichtspunkten, vor sich. Es ist eine dreiste Unwahrbeit, daß die Deutschen gegen und die Èechen für die Einführung des allgemeinen Wahlrechtes zvaren. Es gab auf deutscher wie auf èechischer Seite Sozialdemokraten und Fortschrittliche, ebense wie Konservative und Feudale. Gerade Palacký war ein offener Gegner des allgemeinen Wahlrechtes. Wären die Èechen wirklich infolge ihres tiefen

Empfindens >für die Demokratie, Recht und Gerechtigkeit< (Abschnitt VI) begeisterte Anbänger des allgemeinen Wahlrechtes gewesen, warum hätten sie dann die auf dem Gedanken des allgemeinen Wahlrechtes beruhende allgemeine Wählerklasse der Badenischen Reichsratswahl reform von 1896 nicht wie es z. B. Niederösterr eich getan hat, in das böhmische Landeswahlrecht eingeführt, obwohl sie im böhmischen Landtag die Mehrheit hatten.

Die Berechtigung der Vorwürfe, die im Eingange gegen die geschichtliche Darstellung der Denkschrift erhoben worden sind, ist hiemit wohl unwiderleglich nachgewiesen. Bemerkt sei nur noch. daß sich die vorstehende Darstellung auf èechische Geschichtswerke und auf unbestrittene Erscheinungen im èechischen Lager gestützt hat, um dem Einwande zuvorzukommen, als Eväre der Gegensatz zwischen der Denkschrift und dem, was hier vorgebracht wurde, bloß der Reflex des Gegensatzes zwischen èechischer und deutscher Gesehichtsschreibung. Jeder èechische Historiker, ja jeder ehrliche Èeche überhaupt wird die Kritik der Derikschrift für zutreffend erklären müssen.

3. Das statistische Rüstzeng.

Nach der Denkschrift (Absehnitt I) gibt es in. den >Vier< èechoslovakischen Ländern zufolge der amtlichen Statistik mehr als drei Millionen Deutsche. Die vier Länder sind Böhmen, Mähren und Schlesien und die Slovakei. Tatsächlich wurden aber in den drei erstgenannten allein im Jahre 1910, wie die Denkschrift selbst angibt, 3,512.682 Deutsche (die abweichende Ziffer in der >Bohemia< ist wohl auf einen Druckfehler zurückzuführen), also mehr als 31/2 Milionen gezählt. Dazu kommen aber noch 296.557 Deutsche in der Slovakei und im Karpathenland hiezu, wodurch sich die Zahl der Deutschen auf 3.809.149, also auf nahezu yier Millionen erhöht.

Des Näheren befaßt sich die Denkschrift, wie schon oben bemerkt, bloß mit den Deutschen Böhmens, welche die Stärke von 2.467.724. also rund von 21/2 Millionen aufweisen. Die Denkschrift unterläßt es wohlweislich die Zahl der Èechen gegenüberzustellen oder die Relativzahlen anzugeben. Hätte sie das getan, so würde es sich gezeigt haben, daß die Deutschen 36.76%, die Èechen aber 63.19% der Bevölkerung ausmachen, daß also mehr als jeder dritte Mensch in Böhmen ein Deutscher ist.

Die Denkschrift sucht nun die zahlenmäßige Bedeutung der Deutschen dadurch zu schwächen, daß sie auf èechische Minderheiten im deutschen Sprachgebiete hinweist, denen sie freilich die deutschen Minderheiten im èechischen Sprachgebiete und insbesonders die Deutschen aus Mähren umd Schlesien nicht gegenüberstellt. Aber auch die deutschböhmischen Verhältnisse behandelt sie keineswegs erschöpfend, sondern sie beschränkt sich auf die von ihr willkürlich konstituierte Gruppe van EtserSaaz (Cheb-Žatec). In dieser Gruppe gibt es angeblich fast eine Million Deutsche, zugleich aber such mehr als 300.000 Èechen. In Relativzahlen umgerechnet dürfte das beiläufig ein Verhältnis van 77% Deutschen zu 23% Èechen ergeben. Keineswegs würden demnach die èechischen Minderheiten >im allgemeinsn< (also im Durchschnitt) 30-35%, wie die Denkschrift behauptet, betragen. Aber auch die Annahane einer Minderheit von 23% ist einfach aus der Luft gegriffen. Vielmehr haben im Jahre 1910 niaht weniger als 90% (!) aller deutschen Gemeinden (nämlich 2378 von 2633) des Landes eine èechische Minderheit von unter 10% gehabt. Weitere 5% deutscher Gemeinder (nämlich 140) hatten eine èeshische Minderheit von 10-20%, sodaß für èechische Minderheiten von über 20% bloß 5% deutschen Gemeinden übrig bleiben. Tatsächlich wurden 1910 in den 36 politischen Bezirken im Nordwesten und Norden Böhmens von Tachau bis Braunau rund 1,878.000 Deutsche und 122.000 Èechen gezählt. Das er gibt 94% Deutsche und bloß 6% Èechen!

Die Bedeutung der èechischen Minderbeiten sucht die Denkschrift damit darzutun, daß >trotz dem furchtbarsten Druck< der österreichischen Behörden die deutschen Wahlbewerber mit den èechischen in einem wichtigen Bezirke im Jahre 1911 in die Stichwahl gekommen seien. An dem >furrchtbarsten Druck< der österreichischen Rehörden ist selbstverständlich kein wahres Wort, Welches Mittel hätte die Regierung gehabt, um unter der Herrschaft eines allgemeinen, gleichen und geheimen Wahlrechts die Wahlen zu hindern nach ihrer Überzeugung zu stimmen, zumal wenn es sich tatsächlich um so stattliche Minderhiten handelt! Aber abgesehen davon beweist der angeführte Erfolg der Èechen nicht die zahlenmäßige Stärke der Èechen, sondern die Uneinigkeit der Deutschen, welche in so viele Parteien zersplittert waren, daß schließlich auch die èechische Minderheit mitkonkurrieren konnte. Den gleichen Erfolg hat einmal auch die deutsche Minderheit in einem Prager Wahlbezirke erzielt, was die Èechen wohl kaum als Grund für die Bedeutiang der Deutschen in Prag wird gelten lassen wollen!

Größer als im übrigen Deutschböhmen sind die èechischen Minderheiten in den Lergbaugebieten. Die Denkschrift gibt die èechischen Elemente aber viel zu hoch, mit fast 50%, an. Die Mehrziffern zeigen folgende Aufstellung:

Im politischen Bezirke Brüx standen 75% Deutsche, 25% Èechen im pol. Bez. Dux standen 74% Deutsche, 26% Èechen, im pol. Bez. Teplitz standen 87% Deutsche, 13% Èechen gegenüber.

Nun erhebt freilich die Denkschrift den Einwand daß die amtlichen Statistiken so äbnlich gefälscht worden sind. Dieser Vorwurf ist durchaus unberechtigt. Die èechische Bevölkerund war sich - auch im deutschböhmischen Gebiet und in österreichischer Zeit - viel zu sehr ihres Volkstums bewußt als daß sie sich zu einer unwahren Angabe ihrer Muttersorache hätte wingeen oder auch nur bestimmen lassen. Und selbst wenn in dem einen oder anderen Falle die èechische Minderheit etwas größer sein sollte als sie nach der amtlichen Statistikr ist, so würde dieses Fehlen durch einen gleichen oder gar noch größeren Fehlen bei der Erfassung der deutschen Minderheiten im èechischen Sprachgebiete ausgeglichen werden. Geradezu phanfatisch ist es aber, wenn die Denkschrift behauptet. daß die Zabl der Deutschen in Böhmen mit Hilfe von Fälschungen fast um eine Million erhöht worden ist. Danach müßte man die für die Deutschen ermittelte Ziffer um etwa 40% herabsetzen.

Eine so unglaubliche statistische Fälschung ist doch in einem Kulturland von vorherein ausgeschlossen. Übrigens haben private Zählungen, die von èechischer Seite ausgegangen sind, die Richtigkeit der amtlichen Statistik festgestellt. Die Behauptung der Denkschiift, daß die Einführung des allgemeinen Stimmrechtes das Aussehen des deutschen >Gebietes< von heute auf morgen ändern würde, ist durch den Ausfall der Wahlen in die Gemeindenetretung im Jahre 1919 und in die Nationalversammlung im Jahre 1920 gründlich widerlegt worden. Bei den Gemeindewahlen wurden in Böhmen 33.4% deutsche Stimmen gegen 66.6% èechische Stimmen ennittelt und damit die Ergebnisse der amtlichen Statistik in unanfechtbarer Weise bestätigt. Zu dem gleichen Ergebnis führt auch die Statistik der Parlamentswahlen im heurigen Jahre.

4. Strategisch-wirtschaftliche und politische Erwägungen.

Den Kern der Ausführungen der Denkschrift bildet die Anhäufung von Gründen, die für das Verbleiben der deutschen Gebiete Böhmens bei der Èechoslovakei sprechen sollen und auch hier wird mit Unwahrheiten, Entstellungen, Irreführungen, Widersprüchen und Fehlschlüssen gearbeitet.

Die Behauptung, daß Böhmen als geographische Einheit durch seine Randgebirge dem Feinde gegenüber geschützt sei, wurde bereits oben besprochen. Hier sei nur noch hinzugefügt, daß dieser Satz richtig zu Ende gedacht, dazu führen müßte, Böhmen für sich allein als Staat zu konstruieren, denn jede Vereinigung mit anderen Ländern macht schon die Vorteile der natürlichen Festung, als welche sich Böhmen angeblich darstellt, zunichte. Tatsächlich aber haben die Èechen nicht hloß auf Mähren und Sehlesien, sondern auch auf die Slowakei und Karpathenrußland Anspruch erhoben, und dadurch ein Staatsgebilde geschaffen, welches in strategischer Hinsicht so unglücklich gestaltet ist, wie nur möglich. Die langgestreckten Nordund Südgrenzen lassen sich im Ernstfalle gar nicht verteidigen. Wenn sich Polen und Ungarn miteinander verbinden, so können ihre Heere auf der kurzen Strecke zwischen Nord und Süden rasch zusammenkommen. Der Eisenbahnverkehr ist ganz und gar vom Auslande abhängig. >Der èechoslovakische Staat<, sagt Kapras, >hat sehr unglückliche Grenzen, insofern als seine Länge im Verhältnisse zur Breite ungewöhnlich groß ist. Dabei ist dieser Staat an einigen Stellen sehr eng.< >Mit seinen westlichen Teilen eingekeilt zwischen Deutschland und Österreich grenzt er an Ungarn, Polen, OstGalizien und Rumänien. Nach den heutigen Erfahrungen ist schtver zu sagen, wer von diesen Nachbarn ihm Freund sein wird.< Ein anderer èechischer Fachmann, Dvorský, macht zwar die größten Anstrengungen, um die Vorzüge des Staatsgebietes zu preisen, kommt aber schließlich doch zu dem pessimistisch klin­ genden Schlusse, >Lage und Gestaltung des èechosl. Staatsgebietes sind nichtsoungünstig, Wie es dem oberflächlichen Beobachter erscheint und bieten einige Abwehrmittel; die Sicherheit des èechosl. Staates wird am besten dadurch verbürgt sein, daß aus seiner Wehrorganisation ersichtlich sein wird, er sei eine harte Nuß, die zu versuchen sich nicht lohnt.< Also nicht auf seine geographische Lage, sondern auf sein Heer soll sich der Staat verlassen! Nun bringt aber gerade die Einbeziehung der deutschen Gebiete von èechischem Standpunkte aus die Gefahr mit sich, daß dieses Heer zu einem sehr erheblichen Teile aus riationalfremden Elementen zusammengesetzt sein wird, eine Gefahr, die die österrungar. Monarchie genugsam kennen zu lernen Gelegenheit gehabt hat. Somit hätten gerade strategische Gründe die Èechen veranlassen sollen, auf Deutschböhmen zu verzichten.

Tatsächlich waren es auch nicht die strategischen, sondern die wirtschaftlichen und politischen Gründe, die dabei die Hauptrolle gespielt haben. In wirtschaftlicher Beziehung bemüht sich die Denk schrift auszuführen, daß das deutschböhmische Gebiet von der Èechoslovakei benötigt, daß aber auch umgekehrt dieses Gebiet auf die benachbarten èechischen Landesteile angewiesen ist. Mit dem ersten Teil dieser Behauptung brauchen wir uns nicht näher zu beschäftigen - gerade von deutscher Seite wurde steks die Bedeutng Deutschböhmens für das gesamte Land hervorgehoben und die Èechen handeln töricht, wenn sie heute dieses für sie so wichtige Deutschböhmen tyranisieren, quälen und entrechten - wohl aber muß hervorgehoben werden, was die Denkschrift als Grund für das deutschböhmische Interesse an der Verbindung mit Èechischböhmen anzuführen wagt. Während des Krieges habe sich der Widerstand der Èechen gegen die Deutschen vor allem in der Weiterung der èechischen Bevölkerung geoffenbart, die deutschen Bewohner Deutschböhmens zu verpflegen, die darunter entsetzlich litten, weil sie weder von Deutschland noch von. Deutschösterreich etwas bekommen könnten. Man weiß nicht, ob man mehr über die Frivolität staunen soll, welche sich in diesem Bekenntnisse einer schönen Seele ausspricht, über das Eingeständnis eines der unerhörtesten Verbrechen gegen die Menschlichkeit, dem gegenüber die in den Friedensverträgen einzelnen Personen zur Last gelegten Handlungen weitaus zurücktreten, oder über die Naivität, welche darin liegt, daß die Feindseligkeit der èechischen Bevölkerung gegen ihre deutschen Landsleute als Grund für die Aufrechterhaltung der Landeseinheit angeführt wird. Ist es wirklich so, daß das èechische Volk dem deutschen feindselig gesinnt ist, dann darf es doch die Deutschen nicht in seinen Staat hineinzwingen wollen!

Indessen ist das erwähnte Geständnis den Verfassern der Denkschrift doch nur entschlüpft. Der Nachdruck liegt darauf, daß Deutschböhmen während des Krieges dem Verhungern nahegebracht wurde, weil es auch von Deutschland und Deutschösterreieh Lebensmittel nicht bekommen konnte. Damit soll gesagt sein, daß Deutschböhmen auf die èechen angewiesen war. Allein abgesehen davon, daß tatsächlich diese Behaugtung nicht ganz stimmt - denn das Deutsche Reich hat trotz der schweren Lage, in der es sich sellsst befand, Deutschböhmen so viel Unterstützung zukommen lassen, als nur möglich - so war doch der staatliche Ernährungsdienst mit Rücksicht auf die damaligen Staats- und Landesgrenzen eingerichtet. Deutschland war für Deutsch- böhmen Ausland und der Verkehr mit dem Auslande war unterbunden. Daraus kann man aber noch nicht schließen, wie sich die Verhältnisse gestalten würden, wenn Deutschland nicht Ausland wäre. Würden die deutschböhmischen Gebiete zu Deutschland gehören, so würde eben das Reich für ihre Ernährung sorgen, sowie umgekehrt sie wiederum die Erzeugnisse ihres Gewerbefleißes und ihrer industrii dem Reiche zur Verfügung stellen würden.

Die Denkschrift vereinigt nun aber die strategischen und wirtschaftlichen Gründe, indem sie bemerkt, das um Deutschböhmen vergrößerte Deutschland würde für die Èechoslovakei eine Gefahr bilden, weil die vielfältigen wirtschaftlichen Verbindungen mit Èechischböhmen einen >Vorwand< liefern würden >im Einklange mit den bekannten Anschauungen der deutschen Volkswirtschaftler und Politiker<, seine Sphäre wirtschaftlicher Beeinflußung und Ausdehnung auszubreiten, um in Böhmen selbst vorzudringen. In Deutschland würden unvermeidlich Gefühle der Begehrlichkeit inbetreff der benachbarten èechischen Gebieten entstehen, ohne, die die deutschen Gebiete nicht leben könnten. Den Seitenhieb auf die deutschen Volkswirtschaftler und Politiker wodlen wir auf sich beruhen lassen, wohl aber müssen wir fragen, liefert die Èechoslovakei, wenn sie schon vor der deutschen Begehrlichkeit Angst hat, Deutschland nicht weit mehr als einen >Vorwand< zu ihrer Bedrohung, wenn sie sich deutsche Gebiete angliedern, wenn sie sich also eine Verleugnung des Grundsatzes des nationalen Staates zuschulden kommen lassen. Muß die Èechoslowakei nicht fürchten, daß sich im Laufe der Zeiten die Stammesgemeinschaft zwischen Reichsdeutschen und èechoslovakischen Deutschen als so mächtig erweisen wird, daß dem gegenüber der natürliche Schutz der >hohen Randgebirge< vollkommen zurücktreten wird? Gerade solche Gedankengänge hätte die Denkschrift lieber vermeiden sollen, denn sie hat domit die wundeste Stelle des ganzen Problems berührt.

So widerspruchsvoll wie die strategischwirtschaftlichen Ausführungen sind auch die politischen Erwägungen. Auf eine kurze Formel gebracht, besagen sie: die Deutschen sind nicht zu berücksichtigen, weil sie sich >künstlich< als Kolonisten, Beamten und Bürokraten festgesetzt haben, die Èechen aber sind dafür zu belohnen, daß sie im deutschen Gebiete eine >umgekehrte Kolonisation< durchgeführt haben. Die Kolonisationstätigkeit ist also das eine Mal unrühmlich und verwerflich, das andere Mal gewährt gerade sie einen Rechtstitel auf das Kolonisationsgebiet. Allerdings behauptet die Denkschrift, daß die (von ihr weitaus übertriebene und aufgebauschte) Kolonisation >loyal, nur mit intelektuellen Waffen< geführt wurde. Aber die Deutschen können getrost darauf verweisen, daß über die angebliche èechische >Rekolonisation< die Geschichte noch nicht ihr Urteil gefällt hat, während die Arbeit der deutschen Ansiedler in Böhmen von der gesamten Geschichtssehreibung einschließlich der èechischen gewürdigt und anerkannt worden ist.

Die >politischen Gründe< laufen darauf hinaus. daß die Èechen die deutschböhmischen Gebiete èechisieren wollen. Noch ist die Rekolonisation Böhmens, von der die Denkschrift spricht, in ihren Anfängen. Noch ist Deutschböhmen deutsch, aher die neuen staatlichen Verhältnisse sollen hier eben einen Wandel herbeiführen. Steht man auf dem Boden des Selbstbestimmungsrechtes der Völker und hat man Sinn für Recht und Ungerechtigkeit, so muß man gerade die Gefahr der Èechisierung Deutischböhmens als Grund gegen seine Verbindung mit der Èechoslovakei gelten laasen.

5. Die Verfälschung der Veutschböhmischen Volksmeinunng.

Unmittelbar nach der Entstehung des èechosl. Staates hat sich Deutschböhmen dem deutschösterreichischen Staate angeschlossen, eine Landesregierung einsesetzt, einen Landeshauptmann bestellt und damit unzweifelhaft seinen Willen zum Ausdrucke gebracht sich von dem èechischen Teile Böhmens staatsrechtlich abzusondern. An dieser Absonderungspolitik wurde von sämtlichen auf Grund des allgemeinen und gleichem Wahlrechtes gewählten (bürgeerlichen und sozialdemokratischen) deutschböhmischen Abgeordneten einmühtig festgehalten. Diese unbestreitbaren geschichtlichen Tatsachen wurden in der Denkschrift merschwiegen. Die Sache wird vielmehr so dargestellt, daß >pangermanistische Agitatoren< aus Leibeskräften geschrien haben, und die Stimmen der vernünftigen Deutschen zu ersticken, die angeblich bei Böhmen zu verbleiben vorzogen. Zu diesen Pangermanisten zählt die Denkschrift Intellektuelle, Beamte, Lehrer, Professoren und Angestellte verschiedener Unternehmungen. Die Abgeordneten, die doch als Vertreter der wahren Volksmeinung angesehen werden müssen, werden hier nicht ausdrücklich genannt.

Würde sich nun die Denkschrift auf diese Entstellung der Tatsachen beschränken, so könnte sie zu ihrer Entschuldigung anführen, daß sie eine bestimmte Tendenz verfolgt und dieser zuliebe ihr unbequeme Geschehnisse möglichst abzuschwächen sucht. Allein sie wagt es, Beweise dafür zu bringen, daß die deutschböhmische Bevölkerung die Einbeziehung in den èechoslovakischen Staat geradezu gewünscht habe. Und sie beruft sich zu diesem Zwecke auf Äußerungen des >Prager Tagblattes< und des > Montagsblatt aus Böhmen< und auf einen Beschluß einer großen Versammlung deutscher Arbeiter in Eger. Was zunächst diess Versammlung betrifft so ist uns nicht das mindeste darüber bekannt. In der Presse ist darüber unseres Wissens nicht berichtet worden. Wenn also dieseVersammlung nicht eine bloße Erdichtung ist, dann hat es sich jedenfalls nicht um eine Kundgebung des deutschen Valkes gehandelt. Vielleicht waren es gar nicht deutsche Arbeiter, die sich am 3. November. 1918 in Eger zusammengefunden haben. Über die Stimmung Egers, der alten deutschen Reichsstadt hätten sich dieVerfasser der Denkschrift leichter aus den amtlichen Kundgebungen der legitimen Vertreter Egers unterrichten können.

Ist die Berufung auf die Erserer Versammlung für uns unüberprüfbar, so liegen die in der Denkschrift bezogenen Zeitungsäußerungen im Wortlaute vor. Das >Prager Tagblatt< wird in der Denkschrift als eines der radikalsten und nationalistichesten deutschen Blätter bezeichnet. In dieser Kennzeiehnung liegt eine schamlose Irreführung derjenigen, an welche sich die Denkschrift wendet. Das >Prager Tagblatt< ist weder radikal noch nationalistisch und es will auch gar nicht dafür gelten. Es ist nicht nur in nationalen Dingen weitaus gemäßigter als die übrige bürgerliche deutschböhmische Presse, sondern es bekämpft sehr oft die ofizielle nationale Politik. Schon im Hinblick darauf kann man eine Äußerung dieses Blattes nicht als eine Äußerung des deutschen Volkes in Böhmen hinstellen. Abgesehen davon aber hat die Denkschrift den von ihr herausgezogenen Zeitungsartikel des >Prager Tagblattes< entstellt und gefälscht. Während es im Original heißt, daß die produktiven wirtschaftlichen Kreise Deutschböhmens in dem Verbleiben innerhalb der Grenzen Böhmens kein sehr großes Unglück sehen würden, sagt die Denkschrift, dieser Kreis würde es vorziehen, zu Böhmen zu gehören, statt sich an das deutsche Reich anzuschliessen. Liegt schon in der Verschiedenheit dieser Wendungen ein tendenziöses Abgehen von des Pflicht wahrheitsgemässer Berichterstattung, so ist es eine handgreifliche Fälschung, wenn die Denkschrift das >Prager Tagblatt< am Schluße sagen läßt, >das ist das wahre Gefühl Deutschböhmens<, während sich im Blatte selbst dieser Satz nicht vorfindet.

Was das >Montagsblatt< betrifft, so stellt es ebensowenig oder noch weniger als das >Prager Tagblatt< ein Echo der deutschböhmischen Volksstimmung dar, überdies war der Artikel, um den es sich handelt, nur eine Aufforderung an Deutschböhmen, sich der Èechoslovakei anzuschließen, nicht aber ein Bericht darüber, daß Deutschböhmen selbst solche Anschlußgelüste hat. Und um Deutchböhmen den Anschluß schmackhafter zu machen, führt der Artikel aus: >noch können wir Garantien für die Wahrung unseres Landes und unseres Volk erzielen, deutsche Beamte, deutsche Schulen, deutsche Senate, ja deutsche Ministerieri, vorallem aber deutsche Selbstverwalung deutschböhmischen Gebietes<. Alles, das geht aus dem Zitat der Denkschrift nicht hervor und es handelt sich also auch hier um eine Irreführung der Friedenskonferenz.

In die richtige Beleuchtung wird das Verhalten der maßgebenden èechischen Kreise erst gerückt, wenn man sich erinnert, daß die national fühlende deutsche Presse in Böhmen gerade während der Friedensverhandlungen in außerordentlicher Weise geknebelt, daß insbesonders die deutsche Zeitung >Bohemia< durch lange Zeit eingestellt war. Auf der einen Seite werden Pressestimmen, die der èechischen Politik günstig sind, aufgebauscht und gefälscht, auf der anderen Seite wird das deutschböhmische Volk an seiner freien Meinungsäußerung gehindert. Das sind die Mittel, die man angewendet hat, um sich die deutschen Gebiete zu verschaffen. Die Denkschrift beruft sich auf die Meinung derjenigen Stimmen, die gegenwärtig fähig (capable) sind, eine politische Idee klar auszudrücken. Vielleicht soll darin eine Ironie liegen, denn dem deutschen Volke in Böhmen war damals durch das Polizei- und Säbelregiment in der Tat die Möglichkeit, seine politischen Ideen auszudrückem, widerrechtliche Weise genommen worden.

6. Unerfüllte Versprechen.

Trotz aller Fälschungen und Unwahrheiten, die sie anführt, ist sich die Denkschrift doch dessen bewußt, daß die von ihr beigebrachten Gründe vor sich allein die Angliederung der deutschen Gebiete an die Èechoslovakische Republik nicht zu rechtfertigen vermögen, darum hat sie noch einen letzten Grund hinzugefügt, der nicht die Vergangenheit oder die Gegenwart, sondern die Zukunft der deutschen betrifft. Sie erklärt es sei >absolut< notwendig, zu wissen, wie die Deutschen im èechoslovakischen Staate werden behandelt werden und zu diesem Zwecke entwirft sie ein farbensattes Gemälde von der Lage der Deutschen im èechoslovakischen Paradiese, welches das Gewissen der Entente beruhigen soll. Die Èechoslovakei will über das Minutenmaß an Rechten, welches den Minderheiten von der Friedenskonferenz zuerkannt werden wird, hinausgehen und den Deutschen alle Rechte geben, die ihnen zukommen. Die Sprache der Minderheit wird überall zugelassen sein, das Recht, ihre eigenen Schulen, ihre Richter und ihre Gerichtshöfe zu haben, wird niemals irgend einer Minderheit betritten werden. Die Èechen denken nicht daran, der deutschen Bevölkerung >beispielsweise< ihre Schulen, ihre Universität, ihre èechischen Schulen zu unterdrücken, die Deutschen würden in Böhmen dasselbe Recht haben wie die Èechen, die deutsche Sprache würde die zweite Landessprache werden und man würde sich niemals irgend einer vexatorischen Maßnahme gegen den deutschen Bevölkerungsteil bedienen, das Regime wäre ähnlich wie in der Schweiz.

Wir wollen nicht untersuchen, ob die Denkschrift diese Versprechungen aufrichtig gemeint hat oder nicht. Tatsache ist aber, daß die Èechoslovakische Republik das in Paris gegebene Wort gebrochen hat. Die deutsche Sprache ist nicht nur nicht überall zugselassen, sondern sie wird selbst im deutschen Sprachengebiete zurückgedrängt, das Sprachengesetz ist weit davon entfernt, ihr die Rechte einer zweiten Landessprache zuzugestehen, das deutsche Volk hat keinen eigenen Richter und Gerichtshöfe, die Behandlung oder richtiger Mißhandlung der deutschen Schulen schreit zum Himmel gegen die deutsche Universität in Prag ist ein eigenes Gesetz erlassen worden, welches geradezu als eine Kulturschande bezeichnet werden muß, übrigens in seiner geschichtlichen Auffassung ein würdiges Seitenstück zur Denksehrift darstellt. Von einem Schweizer Rogime ist weit und breit nichts zu spüren.

Wenn sich ein Privatmann durch unwahre Behauptungen und durch unaufrichtige Versprechungen einen Vorteil zu verschaffen sucht, wenn er das Vertrauen, das man in sein Wort gesetzt hat, täuscht, nach - er seinen Varteil bereits eingeheirnst hat, so spricht man von Erschleichung, Betrug, Untreue; wie soll man das Vorgehen der èechoslovakischen Friedensdelegation und der verantwortlichen Faktoren des èechoslovakischen Staates überhaupt bezeichnen, welches zuerst zur Annexion der deutschen Gebiete dieses Staates unter Zusicherung aller möglichen Vorteile, die ihnen gewährt werden sollen, und sodann zur Entrechtung dieser Gebiete ge führt haben?

Wir richten an die Regierung die dringende Anfrage:

1. Ist das von der deutschen Zeitung >Bohemia< veröffentliche Memoire 3 echt?

Im bejahenden Falle fragen wir weiter:

2. Wie vermag die Regierung die Angaben dieses Memoires zu rechtfertigen? Wie vermag sie es zu erklären, daß die Friedenskonferenz in so unerhörter Weise über die tatsächlichen Verhältnisse getäuscht wurde?

3. Was gedenkt die Regierung zu tun, um die für das Memoire 3 verantwortlichen Personen zur Verantwortung zu ziehen?

4. Was gedenkt die Regierung zu tun, um die allierten und associierten Haupt-Mächte über die Irrtümer des Memoires 3 nachträglich aufzuklären?

5. Wie vermag es die Regierung zu rechtfertigen, daß die in dem Memoire zu Gunsten der Deutschen gemachten Versprechungen bisher nicht erfüllt worden sind, sondern daß diesen Versprechungen geradezu entgegengehandelt wurde?

6. Was gedenkt die Regierung zu tun, um wenigstens nunmehr das WorE einzulösen, welches die Friedensdelegation im Namen des èechoslovakischen Staates gegeben hat?

Prag, am 9. November 1920.

Jelinek Dr. Spiegel Dr. Naegle Zuleger Dr. Mayr-Harting, K. Friedrich, Dr. Hilgenreiner, Dr. E. M. Herzig, Hartl, Fahrner, Dr. Kporniczky.


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