Hohes Haus! Mein Parteifreund Pohl hat
die hochpolitische Seite der Zollfrage bereits behandelt. Gestatten
Sie mir, zu diesem Punkt noch einige wenige Bemerkungen zu machen.
Vor allem eine Reminiszenz. Nach dem plötzlichen Zusammenbruch
des alten Systems Ende Oktober 1918 standen die Deutschen in den
Sudetenländern wie vor den Kopf geschlagen ratlos und hilflos
da, insbesondere aber die deutsch-bürgerlichen Parteien,
die aus allen Himmeln gefallen waren, denn sie verloren alles,
was ihr Ideal bedeutet hat: das Kaiserreich, die Monarchie und
die angebliche deutsche Vorherrschaft in Österreich.
Damals waren die Herren sozialdemokratischen Ratschlägen
weitmehr zugänglich, als es nun der Fall ist. Als die Deutschen
versuchten, mit der èechischen Nationalregierung in Prag
in Fühlung zu treten, um einen Ausgleich
zwischen den Völkern des neuen Staates zu schaffen, klang
ihnen das böse, unkluge und unversöhnliche Wort Rašíns
entgegen: "Mit Rebellen verhandeln wir nicht!" Und statt
einer staatsmännischen Verständigungspolitik wurde eine
verwerfliche Vergeltungspolitik geführt. Seither wurden die
Deutschen, diese sogenannten Rebellen, mit Skorpionen gezüchtigt,
maßlose Verfolgungen mußten Tausende über sich
ergehen lassen. Die zahllosen gesperrten Schulklassen, die vielen
tausenden zerstörten Existenzen der deutschen Staatsangestellten,
der Güterbeamten, zu denen sich auch Herr Krumpe,
der christlichsoziale Abgeordnete zählt, die großen
Flächen von Grund und Boden, um die die deutsche Bevölkerung
bei der Bodenreform betrogen wurde, das alles zeigt den schrecklichen
Weg des Leidens und der Entrechtung, den das deutsche Volk in
diesem Staate bisher zurückgelegt hat. Noch immer ist des
Unrechtes kein Ende. So sprachen bisher alle deutsch-bürgerlichen
Parteien. Nun kommt plötzlich der Umschwung. Wir sehen, daß
eine Reihe deutscher Parteien dieses für die nationalen Minderheiten
so verhängnisvolle Regierungssystem decken, zwangsläufig
decken müssen. Deutsche Landbündler, deutsche Christlichsoziale
und deutsche Gewerbetreibende sind politisch so weit gekommen,
daß sie nicht einmal mehr eine noch so berechtigte Kritik
an der Regierung zulassen können. Sie haben es zuwege gebracht,
daß die Fascistenwirtschaft, daß die Sprachenverordnungen,
daß sogar die ungeheuere Korruption des Bodenamtes bei der
Zuteilung der Restgüter im Hause keiner Kritik unterzogen
werden dürfen. Die ausgetüftelte, jede Bewegungsfreiheit
hindernde Geschäftsordnung billigen sie heute und nützen
sie gegen die übriggebliebene deutsche Opposition durch möglichste
Beschränkung der Redezeit etc. aus. Wie kräftig klangen
einst die Reden der deutschen Landbündler, von Køepek
angefangen bis zum Mayer, gegen das èechische
System der Gewalt! Sie sprachen für die gesamten Interessen
des deutschen Volkes mit flammenden Worten. Keine Ruhe sollte
in diesem Staate sein, ehe nicht das Selbstbestimmungsrecht, die
Grundlage jeder wirklichen Demokratie, verwirklicht
sei. Im Kampfe gegen das bestehende System griff man seitens der
deutschen Christlichsozialen und Landbündler zu den schärfsten
Mitteln. Man wurde von der aufgebotenen Parlamentswache hinausgeschleift
und ließ sich dann draußen von den Wählern als
die wahren Retter des deutschen Volkes lobpreisen. Dem Abgeordneten
Msgr Feierfeil wurde von deutschnationaler Seite ob seines
wackeren Eintretens für die nationalen Hochziele, die nationalen
Belange, ein donnerndes Heil gebracht.
Wie sieht dagegen die traurige Gegenwart aus?
Kein Wort mehr in diesem Augenblick von der nationalen Not des
deutschen Volkes, keine Anklage wegen Maßregelung der deutschen
Staatsangestellten, keine Anklage wegen der Sperrung der Schulen,
wegen chauvinistischen Mißbrauches der Bodenreform und all
der übrigen Dinge, über die mit Recht einst so lebhaft
Beschwerde erhoben wurde. Vergessen sind auch die Blutopfer des
4. März 1919. Freilich, nach dem Ausspruch eines bekannten
Landbündlers ist Politik Geschäft, also ungefähr
das, was man in landbündlerischen Kreisen Kuhhandel nennt.
Es muß ein sehr eigenartiges, das Licht der Öffentlichkeit
scheuendes Geschäft sein, das hier zwischen deutschen, èechischen,
slovakischen und magyarischen bürgerlichen Parteien und
der Regierung abgeschlossen wurde. Vorläufig soll es allerdings
nur ein Zeit- und Kompagniegeschäft sein, vor allem für
die agrarischen Interessen auf der einen und für die klerikalen
Interessen auf der anderen Seite, aber man hat ja offen, sowohl
in den Ausschüssen, wie in den landbündlerischen Zeitungen,
der Hoffnung Ausdruck gegeben, daß aus dieser zeitweiligen
Bindung der zollfreundlichen Parteien ein dauerndes Bündnis
werde, daß sich daraus eine dauernde antisozialistische
bürgerliche Regierungsmehrheit entwickeln möchte. Wir
wissen, wer die Interessenten an dem Kuhhandel um die Zölle
sind. Jene Staatsmänner, die zu sorgen haben für die
Füllung des leeren Staatssäckels zu Gunsten des Militarismus
und für die Aufbesserung der Bezüge der Offiziere! Wir
wissen, wer heute als notleidend hingestellt wird! Es sind dies
die reichen Agrarier, allerdings spricht man nur von den kleinen
Leuten die Großbauern und die Großgrundbesitzer meint
man in Wirklichkeit. Weiter sind die Nutznießer der Zollvorlage
gewisse Industrielle, Deutsche und Èechen, sie teilen
sich gerne in die gemeinsame Beute, Škoda auf der einen Seite,
dann die Živnobanka und auf der anderen Seite u. a. auch
der gut deutschnationale Herr Schicht in Aussig. Dann ist die
dritte Gruppe da, die der Geistlichen, welche
immer sagt: Mein Reich ist nicht von dieser Welt. Wohin haben
sich eigentlich die Zollfreunde verrannt.? Niemals hat eine deutsche
oppositionelle Partei der Regierung ein Ermächtigungsgesetz
gewährt, noch dazu von einer solchen Bedeutung und Tragweite,
wie es hier der Fall ist. Immer galt der unter allen Umständen
hochgehaltene Grundsatz, daß man der Regierung, zu der man
kein Vertrauen haben konnte, niemals ein Ermächtigungsgesetz
in die Hand gab. Das war oberstes Prinzip jeder Opposition. Gestern
hat der H. Kollege Böhm vom Bund der Landwirte
gesagt: Ein solcher Prinzipienstreit ist unfruchtbar. Unsere Auffassung
ist natürlich eine andere, uns müssen Prinzipien über
alles gehen. Ich möchte da einen Vergleich mit den èechischen
Politikern anstellen. Ich möchte die Herren Landbündler
fragen, ob jemals èechische Politiker um eines nackten
Profitgeschäftes willen für eine verhältnismäßig
kleine Gruppe der Gesamtheit sich so würdelos benommen hätten,
sich um Brosamen für die Regierung einfangen
ließen, daß sie ihre nationalpolitischen Forderungen,
zurückgestellt hätten, daß sie sich
nicht immer bemüht hätten, mehr herauszuschlagen als
was hier den deutschen Zollfreunden geboten wird? Sicher muß
man den èechischen Politikern, insbesondere im alten
Österreich zubilligen, daß sie ihre Prinzipien jederzeit
über alles stellten und rücksichtslos ihre nationalen
Forderungen vertreten haben. Von den deutschen Landbündlern,
Christlichsozialen usw. kann man heute nicht dasselbe sagen. Sie
sind heute die Gefangenen, die Trabanten der èechischen
zollfreundlichen Parteien. Da erinnere ich mich an das Wort, das
im österreichischen Reichsrat bezüglich einer Gruppe
von Abgeordneten häufig gebraucht wurde: das Wort von den
Barrierestöcken. Die deutschen Zollparteien
müssen stimmen, wie ihnen kommandiert wird, ob sie wollen
oder nicht, sie sind einfach der Troß der Regierungsmehrheit
von heute, sie müssen das tun, was die anderen wollen. Wenn
man böswillig sein wollte, meine Herren von der Gegenseite,
könnte man sagen, daß das bekannte, seinerzeit Aufsehen
erregende Wort des Abg. Mayer von dem Einfluß des
Hradschins, das seinerzeit so böse Wirkungen im und der Landwirte
hervorrief, heute eigentlich Wirklichkeit geworden ist. Und noch
eines: Wer hätte sich jemals eine Einheitsfront vorstellen
können vom Abg. Böhm an, dem angeblichen Vertreter
der kleinen Bodenbewerber, mit dem Präsidenten des Bodenamtes
Dr. Viškovský, der mit Recht als der größte
Feind eben dieser kleinen deutschen Bodenbewerber gilt, wer hätte
sich vorstellen können eine Linie von dem national radikal
eingestellten Herrn Dr. Hanreich bis zu Herrn Dr. Kramáø,
dem geschworenen Feinde des deutschen Volkes? Das ist sicher noch
nicht dagewesen!
Nun kommt die andere Kehrseite der Medaille:
Die Zehntausende Arbeitsloser, die ihren Angehörigen kaum
ein Stückchen Brot bieten können, die Kriegsinvaliden,
Waisenkinder und die armen Witwen, das gesamte werktätige
Volk soll neuerdings belastet und ausgeplündert werden zugunsten
einer zahlenmäßig schwachen Gruppe der besitzenden
Klassen. Die uns aus der Vorkriegszeit so wohl bekannte Alliance
von Pfaff, Adel und Kapital ist in moderner Gewandung wieder auferstanden.
Die alten Reaktionäre, die Feinde des sozialen Fortschrittes,
die Hasser der Demokratie und des Sozialismus sind wieder am unheilvollen
Werke. Gott sei Dank, kann vielleicht Koll. Böhm auch
bei der Konstatierung dieser Tatsache ausrufen, wie er es gestern
getan hat. Wie mag den proletarischen Wählern der deutschen
Christsozialen heute zu Mute sein, wenn sie jetzt erfahren, daß
die erste Sorge dieser angeblichen Volkspartei nicht darin besteht,
den Armen Brot zu verschaffen, ihre Schmerzen zu lindern und schreiendes
Unrecht zu beseitigen, sondern daß sie neues Unrecht häufen,
den Druck verstärken und den armen Menschen das Dasein erschweren?
Wenn diese betrogenen Wähler ein wenig nachdenken würden,
müßten sie sich jener Geschichte aus der Bibel
erinnern, wo erzählt wird, wie ein harmloser Wanderer unter
die Räuber fiel und von ihnen ausgeplündert wurde. Wir
hoffen, daß diese naiven Leute durch den Schaden wirklich
klug werden und daß sie den Anwälten der èechischen
Regierung und des internationalen Kapitals den verdienten Fußtritt
bei den nächsten Wahlen versetzen werden. Bei uns draußen
feiert man alljährlich den Muttertag. Einmal im Jahre ehrt
man die arme Mutter, aber 365mal stiehlt man ihr zugunsten des
Staatsschatzes, der Agrarier und der Industriekapitalisten sowie
der Geistlichkeit das Brot. Es werden wahrscheinlich viele arme
Menschen draußen nicht verstehen, warum gerade die guten
Christen auf Seite der Brotverteuerer stehen. Es ist daher nützlich
und interessant, das Wesen der deutschen Zollfreunde etwas näher
zu untersuchen. Wir kommen darauf, wie doch so verschieden bei
den sogenannten Christen Theorie und Praxis sind. Wenn man auf
den Ursprung des Christentums zurückgeht und z. B. hört,
was die ersten Bischöfe der katholischen Kirche erklärt
haben, so ist das freilich etwas wesentlich anderes als was heute
gelehrt und gepredigt wird. Die ersten Bischöfe der katholischen
Kirche wandten sich wie Christus selbst gegen die Reichen, denen
das Himmelreich verschlossen sein sollte. "Mein Reich ist
nicht von dieser Welt", so klang es trostvoll zu den Unterdrückten
und Darbenden. Der heilige Klemens, Bischof von Rom, verstand
das Christentum in diesem Sinne: "Der Gebrauch aller Dinge
dieser Welt soll allen gemeinsam sein." Also eine Art Gebrauchskommuinismus.
(Posl. Kaufmann: Der ist aber schon lange tot!) Jawohl!
Am klarsten hat der heilige Gregor den Verbrauchskommunismus des
Urchristentums verkündet, indem er darauf hinweist, daß
die Erde allen Menschen gemeinsam ist und deshalb auch die Nahrung
für alle als Gemeingut hervorbringt. So sprach man einst!
Heute aber ist das gerade Gegenteil zu konstatieren. Wie sieht
der zur Schau getragene Sozialismus der katholischen Kirche und
ihrer Vertreter heute aus? Am 5. Mai 1891 erschienen das Rundschreiben
"Rerum novarum", die sogenannte Arbeiterencyklika, worin
Papst Leo XIII die Stellung des Katholizismus zu sozialen Frage
darlegt. Mit aller Entschiedenheit betont er die Heiligkeit des
Privateigentums, den Unterschied von reich und arm als gottgewollte
Ordnung, die Verwerflichkeit des Sozialismus als Lehre einer wühlerischen
Partei, welche Aufregung und Empörung unter die Massen trägt.
Und er sagt: "Es muß die öffentliche Gewalt dazwischentreten
und dem Hetzen Einhalt gebieten, die friedliche Arbeit vor der
Verführung und Aufreizung schützen, den rechtmäßigen
Besitz gegen Raub sicherstellen." So machte sich ganz offenkundig
die katholische Kirche zum Anwalt der kapitalistischen Klassen.
Der christlich-soziale Abgeordnete Bartl
hat am 16. März 1926 bei Beratung einer Vorlage zu Gunsten
der Invaliden der Regierung zugerufen: "Mehr soziales Gewissen!"
Ich möchte fragen, wo das soziale Gewissen in der Zollfrage
bei den Christlichsozialen heute ist? Vielleicht ist es ein gewisser
Trost für die Herren katholischen Abgeordneten, wenn ich
sage, daß die protestantische Kirche um kein Haar besser
ist in Bezug auf die Stellung zur sozialen Frage als die römisch-katholische.
Ich erinnere an den Standpunkt Luthers, der in Bezug auf das pflichtgemäße
Verhalten der Christen sagte: Leiden, leiden, Kreuz, Kreuz ist
des Christen Recht und kein anderes. Leiden die katholischen Großgrundbesitzer,
die Stolbergs und Ledeburs und wie die Führer alle heißen?
Leidet der Herzog von Beaufort in Petschau Not? Leiden die reichen
Bischöfe, die Besitzer von großen Grundflächen
heute Not? Tragen sie das Kreuz, hungern sie und dürsten
sie? Nein, ihnen soll noch mehr gegeben werden! Ich erinnere weiters
an das schändliche Wort Luthers bei der Niederschlagung der
Bauernrevolte im Jahre 1525 in Deutschland: "Lasset nur die
Büchsen unter sie sausen, sie machen es sonst noch tausendmal
ärger". In seiner Kirchenpostille lehrt er, die Obrigkeit
müsse den Pöbel treiben, schlagen, hängen, würgen,
brennen, köpfen und radbrechen, daß man sich fürchte
und das Volk im Zaum gehalten werde. Nun, die heutigen Vertreter
des Christentums und der Kirche können zwar die Ungläubigen
und Unzufriedenen, können die Arbeiter, Sozialisten und Kommunisten
nicht mehr hängen und köpfen, aber man kann sie hungern
lassen, der Verelendung zuführen, sie der Verzweiflung ausliefern,
wobei man ihnen noch höhnend zurufen kann: "Selig sind
die, die Hunger und Durst leiden." Und wenn hungernde Arbeitslose
und Witwen, die zu schützen erste Christenpflicht sein sollte,
jammern werden, dann wird man ihnen vielleicht von jener Seite
sagen, daß sie im bessern Jenseits ja den Lohn für
das schlechte Diesseits erlangen werden. Das ist gewiß ein
sehr billiger Trost und die Herren Unternehmer wären wahrscheinlich
sehr zufrieden, wenn man den hungernden Arbeitern, wenn sie kommen
müssen, um mehr Lohn zu fordern, sagen könnte: "Wartet
nur ab, das bessere Jenseits wird Euch ja entschädigen."
Jedenfalls kann es keinen frivoleren Mißbrauch des Christentums,
der Nächstenliebe geben, als er in diesem Falle seitens seiner
Jünger geübt wird.
Die Haltung der deutschen Gewerbepartei ist
nicht minder kennzeichnend. Wir wissen, daß die Gewerbepartei
eine ausgesprochen reaktionäre Partei ist, die nicht das
mindeste soziale Empfinden hat. In ihrem Programm begehrt sie
die Aufhebung des Achtstundentages in den Gewerbebetrieben, bekämpft
sie den Lehrlingsschutz, und sie hat auch im Parlament und anderswo
die Sozialversicherung bekämpft, ebenso wie es die Landbündler
heute noch draußen tun. Dafür verlangt diese Partei
auf der anderen Seite den Schutz der religiösen, sittlichen
und christlichen Erziehung, was natürlich billiger ist als
der Achtstundentag und die soziale Fürsorge. Jedenfalls ist
es auch gelungen, daß die Gewerbepartei die Öffnung
der Grenzen und vollkommen freien Verkehr mit dem Auslande fordert,
in diesem Augenblicke aber dafür eintritt, daß an der
Grenze eine neue Zollmauer errichtet werde. Es ist bekannt, daß
der Kaufmannstag in Gablonz sich scharf gegen die Zollpolitik
ausgesprochen hat. Es ist ferner bekannt, daß erfreulicherweise
in den Kreisen der Anhänger der Gewerbepartei schon Rebellion
herrscht. (Výkøiky posl. de Witte.) Ich
weiß nicht, wie schlecht die Herren abschneiden werden,
wenn sie draußen vor der Wählerschaft Bericht erstatten
sollen. Die Landbündler erklären stolz, wie Kollege
Böhmes getan hat, sie werden die Verantwortung tragen?
Freilich die Verantwortung vor ihren Anhängern, denen man
ja plausibel machen kann, daß schwarz weiß und weiß
schwarz ist. Aber das übrige Volk wird auch mit entscheiden,
sie werden sich vor dem ganzen Volke verantworten müssen!
Was die volkswirtschaftliche Seite der Zölle
anlangt, sei festgestellt, daß die Zollfreunde absolut nicht
in der Lage sind, ihre Forderungen irgendwie wissenschaftlich
zu begründen. Man kann wohl sagen, daß alle hervorragenden
Wissenschaftler, aber auch Praktiker, sich angesichts der Entwicklung
der innerstaatlichen Volkswirtschaft zur Weltwirtschaft mit allem
Nachdruck gegen die Absperrungspolitik der einzelnen Staaten aussprechen.
Es ist nicht uninteressant, darauf hinzuweisen, daß ein
Regierungsblatt es ist allerdings nur das "Prager Abendblatt"
- vom Dienstag den 8. Juni, sich in einem Leitartikel zur bevorstehenden
Weltwirtschaftskonferenz auch über die Zollfrage äußert
und sich entschieden gegen die Zollabsperrungspolitik wendet.
Es heißt dort, daß die Zeiten vorbei sind, wo Zollforderungen
begründet werden konnten, durch Schleuderkonkurrenz infolge
sinkender Währung, denn die Währungen seien zum größten
Teile stabilisiert, und mit wenigen Ausnahmen als Grundlage für
die kaufmännische Kalkulation verwendbar. Die Industrien,
die in den einzelnen Staaten nach Kriegsende entstanden seien,
müßten heute bereits so weit sein, um ein Urteil über
die Leistungsfähigkeit im allgemeinen Konkurrenzkampfe zu
ermöglichen. Das gilt natürlich auch für die Autoindustrie
in diesem Lande, muß auch gelten für die Kunstseideindustrie,
auch für die Fischkonservenindustrie, welche jedoch durch
enorm hohe Zölle geschützt sein wollen. Es sei daher,
meint das offiziöse Organ, an der Zeit, über den ernstlichen
Abbau der künstlichen Zollschranken zu sprechen, denn die
Hauptbestimmung jeder Produktion sei, über die engeren Grenzen
des Heimatlandes hinaus für den Export zu arbeiten. Die auländischen
Absatzmärkte könnten bei Bestehen von Zollschriften
nicht gewonnen werden. Das ist ohne Zweifel richtig, und wir sehen
mit Mißvergnügen, ja Schrecken, daß die
Handelsbilanz sich von Monat zu Monat verschlechtert. Erst im
heutigen "Tagblatt" konnte Dr. Uhlig darauf hinweisen,
daß die Ausfuhrziffer in Österreich und in der Èechoslovakei
sinkt, während in Deutschland die Ausfuhr
gestiegen ist. Während Deutschland und auch Rußland
sich günstig entwickeln, kommen wir ins Hintertreffen. Und
je höher die Zollmauern, desto ärger wird das in Zukunft
sein. Die einzelnen Staaten arbeiten weit unter der Leistungsfähigkeit,
was wiederum Kurzarbeit und Arbeitslosigkeit zur Folge hat. England
mit seinen 1 1/4 Millionen und Deutschland mit seinen 1 3/4
Millionen Arbeitslosen sind hiefür schlagende Beweise. Rechnet
man alle Staaten zusammen, so ergibt dies 5 Millionen Arbeitslose,
die eine furchtbare Anklage gegen das herrschende System darstellen.
Alle innerstaatlichen Mittel haben sich, sagt das offiziöse
Blatt, bisher als Palliativmaßnahmen erwiesen. Wir fügen
hiezu, dazu gehören selbstverständlich auch Zölle.
Es ist charakteristisch, daß man in kapitalistischen Kreisen
die Ermöglichung einer planmäßigen Wirtschaft
erwägt, zumindestens eine Zusammenfassung der einzelnen Industriegruppen
zu kartellartigen Gebilden, um die Produktion zu vereinheitlichen,
sie nach Quotenschlüsseln zu verteilen und so die Erzeugung
dem Bedarf anzupassen. Ich sage das deshalb, weil die Landbündler
und andere Parteileute von der Gegenseite häufig spöttisch
über uns sprechen, wenn wir von der systematischen Bedarf-
und Planwirtschaft reden. In dieser Beziehung weise ich auf das
Organ der Regierung hin, wo auch die Notwendigkeit einer gewissen
Planwirtschaft, allerdings im kapitalistischen Sinne, hervorgehoben
wird, die allerdings, wie das "Prager Abendblatt" sagt,
einer gewissen Kontrolle unterworfen werden muß, damit nicht
die am teuersten produzierenden Betriebe preisbestimmend seien.
Als Vorstufe zu einer internationalen Regelung des Produktionsproblems
wäre, sagt das "Abendblatt", eine europäische
Zollunion zu setzen und eine Beseitigung aller Zölle anzustreben,
welche das Leben der breiten Massen verteuern und die Produktion
erschweren.
Es wäre interessant zu erfahren, was die
Regierung zu dieser Stellungsnahme ihres Organes sagt, aber auch,
was Ingenieur Dvoøáèek,
der noch Vertreter der Industrie ist, zu dieser Angelegenheit
zu äußern hat.
Was nun die Behauptungen der Zollfreunde anbelangt,
so erklären wir offen und entschieden: es ist eine ganz gewöhnliche
Irreführung, wenn behauptet wird, daß Agrarzölle
die Lage der gesamten Landwirtschaft verbessern könnten,
daß insbesondere die kleinen Landwirte davon auch einen
bedeutenden Vorteil hätten. Es ist weiter volkswirtschaftlich
total falsch, wenn behauptet wird, daß Zölle eine allgemeine
Erhöhung der Produktionskraft nach sich ziehen. Noch ein
größerer Unsinn ist es, wenn erklärt wird, daß
Agrarzölle die Industrie beleben. Es ist aber wohl die unverschämteste
Behauptung, wenn erklärt wird, daß die Konsumenten
keinen Schaden durch die Agrarzölle erfahren. Wir haben ja
im Kampfe um die Zölle schon gewisse unangenehme Erfahrungen
im alten Österreich erlebt. Wir können heute schwarz
auf weiß nachweisen, daß die Last der Zölle weit
höher ist, als natürlich die Zollfreunde heute zugeben
wollen. Heute stellen sie alles als harmlos und bedeutungslos
hin, um ihre Anhänger, die in ihren Reihen als Konsumenten
stehen - es gibt deren leider nicht wenige - zu beschwichtigen
und zu übertölpeln. Ich möchte darauf hinweisen,
daß in den Jahren von 1906-1909 in Österreich infolge
der erhöhten Agrarzölle die Preise für Marchfeldweizen
um 33, für österreichischen Roggen um 30 4, für
Mais um 22, für Hafer um 28% gestiegen sind. 1904
bis 1913 stiegen infolge der erhöhten Zölle in Österreich
das Rindfleisch um 44 6%, Kalbfleisch um 54%, Schweinefleisch
um 49%. In den Jahren 1907 bis 1909, also in knappen 2
Jahren stieg in Wien das Weizenmehl um 26%, Futtermehl
Nr. 2 um 13%, Roggenmehl Nr. 1 um 28% und grobe
Weizenkleie um 31%. Also auch die Futtermittel für
die kleinen Landwirte sind riesig im Preise gestiegen.
Nach einer Berechnung des Prof. Kobatsch stiegen
von 1900 bis 1909 die Lebensmittel in Österreich um nicht
weniger als 30-35%. Um wieviel Prozent die Lebensmittel
bei uns steigen werden, darüber herrscht freilich Streit,
ob es nun 10%, 15% oder 6% sein werden, sicherlich
bedeutet die Zollvorlage eine sehr empfindliche Verteuerung der
Lebenshaltung gerade der ärmsten Klassen, während die
Reichen davon natürlich weniger betroffen werden. Das ist
ja das Unsoziale der Vorlage, daß den reichen Bauern, den
Großgrundbesitzern große Vorteile zugestanden werden,
während die kleinen Leute umsomehr belastet werden. Der reiche
Konsument wird verhältnismäßig wenig verspüren,
der arme Verbraucher wird umso schärfer unter den erhöhten
Lebensmittelpreisen leiden. Auch in Deutschland hat man die Erfahrung
gemacht, daß jede Zollerhöhung große Wirkungen
für den Haushalt nach sich zog. In Friedenszeiten wurde die
Wirkung der Zöllen für eine 5köpfige Familie mit
50 M. jährlich berechnet. Es ist eigentümlich, wenn
Koll. Heller gestern erklärt hat, daß gerade
in der Zeit der hohen Zölle in Deutschland die Löhne
am höchsten gewesen sind. Begreift denn Herr Heller
nicht, daß hier ein zwangsmäßiger Zusammenhang
besteht, daß die Fabrikanten die Löhne nicht etwa freiwillig
erhöht haben, sondern daß ein Druck vorlag, daß
die Arbeiter sich höhere Löhne angesichts der erhöhten
Preise der Lebensmittel erkämpfen mußten? Das wird
auch in diesem Staate der Fall sein. Unsere Arbeitslöhne
stehen noch lange nicht auf der Höhe, auf der sie im Vergleich
zur Vorkriegszeit stehen sollten. Es ist bezeichnend, daß
sogar bürgerliche Blätter, wie die "Leipaer Zeitung"
festgestellt haben, daß die durchschnittlichen Bezüge
der Staatsbeamten etwa 50% der Vorkriegsgehälter ausmachen,
daß Privatbeamte nur 67% ihrer früheren Bezüge
erhalten und die Beamten der Geldinstitute, also die bestbezahlte
Gruppe, auch nur 74% der Vorkriegsgehälter bezieht.
Wenn nun die Lebensmittel verteuert werden, se) ist vollkommen
klar, daß das Lebensniveau der Beamten und Arbeiter, also
der Konsumenten unbedingt weiter herabgedrückt wird.
Ich möchte noch eines hervorheben. Auf
der landwirtschaftlichen Ausstellung in Prag war jüngst eine
Darstellung zu sehen, auf der Löhne und Preise in Vergleich
gebracht waren und auf der gezeigt wurde, wie wenig Einfluß
die Zölle auf die Lebenshaltung der Arbeiter eigentlich nehmen.
Mit agrarischen Ziffern muß man immer sehr vorsichtig sein,
man muß die Sache genau überprüfen. Dort wurde
als Arbeitereinkommen ein Jahresdurchschnitt von 19.000
Kè angenommen. Solche Löhne existieren im allgemeinen
nicht mehr. Ich habe hier eine authentische Aufstellung der Löhne
bei uns in Bodenbach. Die Metallarbeiter von Bodenbach haben sich
die höchsten Löhne in der Republik erkämpft, wir
haben freilich leider auch die höchsten Lebensmittelpreise.
In den Chaudoir-Metallwerken in Bodenbach verdient der bestbezahlte
Professionist 14.736 Kè, der bestbezahlte Akkordarbeiter
15.168 Kè, der bestbezahlte Hilfsarbeiter 9984 Kè
jährlich. In den Bergmann-Elektrizitätswerken
Bodenbach verdient der bestbezahlte Professionist 13.440 Kè,
der bestbezahlte Akkordarbeiter 14.592 Kè. In den Haardt-Emaillierwerken
in Neschwitz verdient der bestbezahlte Arbeiter 12.318 Kè,
in den Maschinenfabriken 11.688 Kè, in
der Knopfindustrie 8400 Kè. Das sind, wie gesagt, die glänzendsten
Löhne, die es bei uns gibt, nun ein kleiner Bruchteil von
Arbeitern hat diese hohen Löhne. Wenn wir aber weitergehen
und die Löhne der Textilarbeiter, die ja nach Zehntausenden
zählen, ansehen, dann kommen wir
zu ganz anderen Ziffern. Es ist bedauerlicherweise wahr, daß
heute Arbeiter mit 100 Kè wöchentlich nach Hause gehen
und Arbeiterinnen kaum 50-70 Kè verdienen. Und diesen armen
Proletariern legt man neue Lasten auf, diese armen hungernden,
darbenden Menschen sollen aufs neue ausgenützt werden, damit
der Staat, einzelne Industrielle, der große Grundbesitz
und die Geistlichkeit noch höheren, noch größeren
Gewinn ziehen!