Ètvrtek 10. èervna 1926

Pøíloha k tìsnopisecké zprávì

o 29. schùzi poslanecké snìmovny Národního shromáždìní

republiky Èeskoslovenské

v Praze ve ètvrtek dne 10. èervna 1926.

1. Øeè posl. Schweichharta (viz str. 1532 tìsnopisecké zprávy):

Hohes Haus! Mein Parteifreund Pohl hat die hochpolitische Seite der Zollfrage bereits behandelt. Gestatten Sie mir, zu diesem Punkt noch einige wenige Bemerkungen zu machen. Vor allem eine Reminiszenz. Nach dem plötzlichen Zusammenbruch des alten Systems Ende Oktober 1918 standen die Deutschen in den Sudetenländern wie vor den Kopf geschlagen ratlos und hilflos da, insbesondere aber die deutsch-bürgerlichen Parteien, die aus allen Himmeln gefallen waren, denn sie verloren alles, was ihr Ideal bedeutet hat: das Kaiserreich, die Monarchie und die angebliche deutsche Vorherrschaft in Österreich. Damals waren die Herren sozialdemokratischen Ratschlägen weitmehr zugänglich, als es nun der Fall ist. Als die Deutschen versuchten, mit der èechischen Nationalregierung in Prag in Fühlung zu treten, um einen Ausgleich zwischen den Völkern des neuen Staates zu schaffen, klang ihnen das böse, unkluge und unversöhnliche Wort Rašíns entgegen: "Mit Rebellen verhandeln wir nicht!" Und statt einer staatsmännischen Verständigungspolitik wurde eine verwerfliche Vergeltungspolitik geführt. Seither wurden die Deutschen, diese sogenannten Rebellen, mit Skorpionen gezüchtigt, maßlose Verfolgungen mußten Tausende über sich ergehen lassen. Die zahllosen gesperrten Schulklassen, die vielen tausenden zerstörten Existenzen der deutschen Staatsangestellten, der Güterbeamten, zu denen sich auch Herr Krumpe, der christlichsoziale Abgeordnete zählt, die großen Flächen von Grund und Boden, um die die deutsche Bevölkerung bei der Bodenreform betrogen wurde, das alles zeigt den schrecklichen Weg des Leidens und der Entrechtung, den das deutsche Volk in diesem Staate bisher zurückgelegt hat. Noch immer ist des Unrechtes kein Ende. So sprachen bisher alle deutsch-bürgerlichen Parteien. Nun kommt plötzlich der Umschwung. Wir sehen, daß eine Reihe deutscher Parteien dieses für die nationalen Minderheiten so verhängnisvolle Regierungssystem decken, zwangsläufig decken müssen. Deutsche Landbündler, deutsche Christlichsoziale und deutsche Gewerbetreibende sind politisch so weit gekommen, daß sie nicht einmal mehr eine noch so berechtigte Kritik an der Regierung zulassen können. Sie haben es zuwege gebracht, daß die Fascistenwirtschaft, daß die Sprachenverordnungen, daß sogar die ungeheuere Korruption des Bodenamtes bei der Zuteilung der Restgüter im Hause keiner Kritik unterzogen werden dürfen. Die ausgetüftelte, jede Bewegungsfreiheit hindernde Geschäftsordnung billigen sie heute und nützen sie gegen die übriggebliebene deutsche Opposition durch möglichste Beschränkung der Redezeit etc. aus. Wie kräftig klangen einst die Reden der deutschen Landbündler, von Køepek angefangen bis zum Mayer, gegen das èechische System der Gewalt! Sie sprachen für die gesamten Interessen des deutschen Volkes mit flammenden Worten. Keine Ruhe sollte in diesem Staate sein, ehe nicht das Selbstbestimmungsrecht, die Grundlage jeder wirklichen Demokratie, verwirklicht sei. Im Kampfe gegen das bestehende System griff man seitens der deutschen Christlichsozialen und Landbündler zu den schärfsten Mitteln. Man wurde von der aufgebotenen Parlamentswache hinausgeschleift und ließ sich dann draußen von den Wählern als die wahren Retter des deutschen Volkes lobpreisen. Dem Abgeordneten Msgr Feierfeil wurde von deutschnationaler Seite ob seines wackeren Eintretens für die nationalen Hochziele, die nationalen Belange, ein donnerndes Heil gebracht.

Wie sieht dagegen die traurige Gegenwart aus? Kein Wort mehr in diesem Augenblick von der nationalen Not des deutschen Volkes, keine Anklage wegen Maßregelung der deutschen Staatsangestellten, keine Anklage wegen der Sperrung der Schulen, wegen chauvinistischen Mißbrauches der Bodenreform und all der übrigen Dinge, über die mit Recht einst so lebhaft Beschwerde erhoben wurde. Vergessen sind auch die Blutopfer des 4. März 1919. Freilich, nach dem Ausspruch eines bekannten Landbündlers ist Politik Geschäft, also ungefähr das, was man in landbündlerischen Kreisen Kuhhandel nennt. Es muß ein sehr eigenartiges, das Licht der Öffentlichkeit scheuendes Geschäft sein, das hier zwischen deutschen, èechischen, slovakischen und magyarischen bürgerlichen Parteien und der Regierung abgeschlossen wurde. Vorläufig soll es allerdings nur ein Zeit- und Kompagniegeschäft sein, vor allem für die agrarischen Interessen auf der einen und für die klerikalen Interessen auf der anderen Seite, aber man hat ja offen, sowohl in den Ausschüssen, wie in den landbündlerischen Zeitungen, der Hoffnung Ausdruck gegeben, daß aus dieser zeitweiligen Bindung der zollfreundlichen Parteien ein dauerndes Bündnis werde, daß sich daraus eine dauernde antisozialistische bürgerliche Regierungsmehrheit entwickeln möchte. Wir wissen, wer die Interessenten an dem Kuhhandel um die Zölle sind. Jene Staatsmänner, die zu sorgen haben für die Füllung des leeren Staatssäckels zu Gunsten des Militarismus und für die Aufbesserung der Bezüge der Offiziere! Wir wissen, wer heute als notleidend hingestellt wird! Es sind dies die reichen Agrarier, allerdings spricht man nur von den kleinen Leuten die Großbauern und die Großgrundbesitzer meint man in Wirklichkeit. Weiter sind die Nutznießer der Zollvorlage gewisse Industrielle, Deutsche und Èechen, sie teilen sich gerne in die gemeinsame Beute, Škoda auf der einen Seite, dann die Živnobanka und auf der anderen Seite u. a. auch der gut deutschnationale Herr Schicht in Aussig. Dann ist die dritte Gruppe da, die der Geistlichen, welche immer sagt: Mein Reich ist nicht von dieser Welt. Wohin haben sich eigentlich die Zollfreunde verrannt.? Niemals hat eine deutsche oppositionelle Partei der Regierung ein Ermächtigungsgesetz gewährt, noch dazu von einer solchen Bedeutung und Tragweite, wie es hier der Fall ist. Immer galt der unter allen Umständen hochgehaltene Grundsatz, daß man der Regierung, zu der man kein Vertrauen haben konnte, niemals ein Ermächtigungsgesetz in die Hand gab. Das war oberstes Prinzip jeder Opposition. Gestern hat der H. Kollege Böhm vom Bund der Landwirte gesagt: Ein solcher Prinzipienstreit ist unfruchtbar. Unsere Auffassung ist natürlich eine andere, uns müssen Prinzipien über alles gehen. Ich möchte da einen Vergleich mit den èechischen Politikern anstellen. Ich möchte die Herren Landbündler fragen, ob jemals èechische Politiker um eines nackten Profitgeschäftes willen für eine verhältnismäßig kleine Gruppe der Gesamtheit sich so würdelos benommen hätten, sich um Brosamen für die Regierung einfangen ließen, daß sie ihre nationalpolitischen Forderungen, zurückgestellt hätten, daß sie sich nicht immer bemüht hätten, mehr herauszuschlagen als was hier den deutschen Zollfreunden geboten wird? Sicher muß man den èechischen Politikern, insbesondere im alten Österreich zubilligen, daß sie ihre Prinzipien jederzeit über alles stellten und rücksichtslos ihre nationalen Forderungen vertreten haben. Von den deutschen Landbündlern, Christlichsozialen usw. kann man heute nicht dasselbe sagen. Sie sind heute die Gefangenen, die Trabanten der èechischen zollfreundlichen Parteien. Da erinnere ich mich an das Wort, das im österreichischen Reichsrat bezüglich einer Gruppe von Abgeordneten häufig gebraucht wurde: das Wort von den Barrierestöcken. Die deutschen Zollparteien müssen stimmen, wie ihnen kommandiert wird, ob sie wollen oder nicht, sie sind einfach der Troß der Regierungsmehrheit von heute, sie müssen das tun, was die anderen wollen. Wenn man böswillig sein wollte, meine Herren von der Gegenseite, könnte man sagen, daß das bekannte, seinerzeit Aufsehen erregende Wort des Abg. Mayer von dem Einfluß des Hradschins, das seinerzeit so böse Wirkungen im und der Landwirte hervorrief, heute eigentlich Wirklichkeit geworden ist. Und noch eines: Wer hätte sich jemals eine Einheitsfront vorstellen können vom Abg. Böhm an, dem angeblichen Vertreter der kleinen Bodenbewerber, mit dem Präsidenten des Bodenamtes Dr. Viškovský, der mit Recht als der größte Feind eben dieser kleinen deutschen Bodenbewerber gilt, wer hätte sich vorstellen können eine Linie von dem national radikal eingestellten Herrn Dr. Hanreich bis zu Herrn Dr. Kramáø, dem geschworenen Feinde des deutschen Volkes? Das ist sicher noch nicht dagewesen!

Nun kommt die andere Kehrseite der Medaille: Die Zehntausende Arbeitsloser, die ihren Angehörigen kaum ein Stückchen Brot bieten können, die Kriegsinvaliden, Waisenkinder und die armen Witwen, das gesamte werktätige Volk soll neuerdings belastet und ausgeplündert werden zugunsten einer zahlenmäßig schwachen Gruppe der besitzenden Klassen. Die uns aus der Vorkriegszeit so wohl bekannte Alliance von Pfaff, Adel und Kapital ist in moderner Gewandung wieder auferstanden. Die alten Reaktionäre, die Feinde des sozialen Fortschrittes, die Hasser der Demokratie und des Sozialismus sind wieder am unheilvollen Werke. Gott sei Dank, kann vielleicht Koll. Böhm auch bei der Konstatierung dieser Tatsache ausrufen, wie er es gestern getan hat. Wie mag den proletarischen Wählern der deutschen Christsozialen heute zu Mute sein, wenn sie jetzt erfahren, daß die erste Sorge dieser angeblichen Volkspartei nicht darin besteht, den Armen Brot zu verschaffen, ihre Schmerzen zu lindern und schreiendes Unrecht zu beseitigen, sondern daß sie neues Unrecht häufen, den Druck verstärken und den armen Menschen das Dasein erschweren? Wenn diese betrogenen Wähler ein wenig nachdenken würden, müßten sie sich jener Geschichte aus der Bibel erinnern, wo erzählt wird, wie ein harmloser Wanderer unter die Räuber fiel und von ihnen ausgeplündert wurde. Wir hoffen, daß diese naiven Leute durch den Schaden wirklich klug werden und daß sie den Anwälten der èechischen Regierung und des internationalen Kapitals den verdienten Fußtritt bei den nächsten Wahlen versetzen werden. Bei uns draußen feiert man alljährlich den Muttertag. Einmal im Jahre ehrt man die arme Mutter, aber 365mal stiehlt man ihr zugunsten des Staatsschatzes, der Agrarier und der Industriekapitalisten sowie der Geistlichkeit das Brot. Es werden wahrscheinlich viele arme Menschen draußen nicht verstehen, warum gerade die guten Christen auf Seite der Brotverteuerer stehen. Es ist daher nützlich und interessant, das Wesen der deutschen Zollfreunde etwas näher zu untersuchen. Wir kommen darauf, wie doch so verschieden bei den sogenannten Christen Theorie und Praxis sind. Wenn man auf den Ursprung des Christentums zurückgeht und z. B. hört, was die ersten Bischöfe der katholischen Kirche erklärt haben, so ist das freilich etwas wesentlich anderes als was heute gelehrt und gepredigt wird. Die ersten Bischöfe der katholischen Kirche wandten sich wie Christus selbst gegen die Reichen, denen das Himmelreich verschlossen sein sollte. "Mein Reich ist nicht von dieser Welt", so klang es trostvoll zu den Unterdrückten und Darbenden. Der heilige Klemens, Bischof von Rom, verstand das Christentum in diesem Sinne: "Der Gebrauch aller Dinge dieser Welt soll allen gemeinsam sein." Also eine Art Gebrauchskommuinismus. (Posl. Kaufmann: Der ist aber schon lange tot!) Jawohl! Am klarsten hat der heilige Gregor den Verbrauchskommunismus des Urchristentums verkündet, indem er darauf hinweist, daß die Erde allen Menschen gemeinsam ist und deshalb auch die Nahrung für alle als Gemeingut hervorbringt. So sprach man einst! Heute aber ist das gerade Gegenteil zu konstatieren. Wie sieht der zur Schau getragene Sozialismus der katholischen Kirche und ihrer Vertreter heute aus? Am 5. Mai 1891 erschienen das Rundschreiben "Rerum novarum", die sogenannte Arbeiterencyklika, worin Papst Leo XIII die Stellung des Katholizismus zu sozialen Frage darlegt. Mit aller Entschiedenheit betont er die Heiligkeit des Privateigentums, den Unterschied von reich und arm als gottgewollte Ordnung, die Verwerflichkeit des Sozialismus als Lehre einer wühlerischen Partei, welche Aufregung und Empörung unter die Massen trägt. Und er sagt: "Es muß die öffentliche Gewalt dazwischentreten und dem Hetzen Einhalt gebieten, die friedliche Arbeit vor der Verführung und Aufreizung schützen, den rechtmäßigen Besitz gegen Raub sicherstellen." So machte sich ganz offenkundig die katholische Kirche zum Anwalt der kapitalistischen Klassen.

Der christlich-soziale Abgeordnete Bartl hat am 16. März 1926 bei Beratung einer Vorlage zu Gunsten der Invaliden der Regierung zugerufen: "Mehr soziales Gewissen!" Ich möchte fragen, wo das soziale Gewissen in der Zollfrage bei den Christlichsozialen heute ist? Vielleicht ist es ein gewisser Trost für die Herren katholischen Abgeordneten, wenn ich sage, daß die protestantische Kirche um kein Haar besser ist in Bezug auf die Stellung zur sozialen Frage als die römisch-katholische. Ich erinnere an den Standpunkt Luthers, der in Bezug auf das pflichtgemäße Verhalten der Christen sagte: Leiden, leiden, Kreuz, Kreuz ist des Christen Recht und kein anderes. Leiden die katholischen Großgrundbesitzer, die Stolbergs und Ledeburs und wie die Führer alle heißen? Leidet der Herzog von Beaufort in Petschau Not? Leiden die reichen Bischöfe, die Besitzer von großen Grundflächen heute Not? Tragen sie das Kreuz, hungern sie und dürsten sie? Nein, ihnen soll noch mehr gegeben werden! Ich erinnere weiters an das schändliche Wort Luthers bei der Niederschlagung der Bauernrevolte im Jahre 1525 in Deutschland: "Lasset nur die Büchsen unter sie sausen, sie machen es sonst noch tausendmal ärger". In seiner Kirchenpostille lehrt er, die Obrigkeit müsse den Pöbel treiben, schlagen, hängen, würgen, brennen, köpfen und radbrechen, daß man sich fürchte und das Volk im Zaum gehalten werde. Nun, die heutigen Vertreter des Christentums und der Kirche können zwar die Ungläubigen und Unzufriedenen, können die Arbeiter, Sozialisten und Kommunisten nicht mehr hängen und köpfen, aber man kann sie hungern lassen, der Verelendung zuführen, sie der Verzweiflung ausliefern, wobei man ihnen noch höhnend zurufen kann: "Selig sind die, die Hunger und Durst leiden." Und wenn hungernde Arbeitslose und Witwen, die zu schützen erste Christenpflicht sein sollte, jammern werden, dann wird man ihnen vielleicht von jener Seite sagen, daß sie im bessern Jenseits ja den Lohn für das schlechte Diesseits erlangen werden. Das ist gewiß ein sehr billiger Trost und die Herren Unternehmer wären wahrscheinlich sehr zufrieden, wenn man den hungernden Arbeitern, wenn sie kommen müssen, um mehr Lohn zu fordern, sagen könnte: "Wartet nur ab, das bessere Jenseits wird Euch ja entschädigen." Jedenfalls kann es keinen frivoleren Mißbrauch des Christentums, der Nächstenliebe geben, als er in diesem Falle seitens seiner Jünger geübt wird.

Die Haltung der deutschen Gewerbepartei ist nicht minder kennzeichnend. Wir wissen, daß die Gewerbepartei eine ausgesprochen reaktionäre Partei ist, die nicht das mindeste soziale Empfinden hat. In ihrem Programm begehrt sie die Aufhebung des Achtstundentages in den Gewerbebetrieben, bekämpft sie den Lehrlingsschutz, und sie hat auch im Parlament und anderswo die Sozialversicherung bekämpft, ebenso wie es die Landbündler heute noch draußen tun. Dafür verlangt diese Partei auf der anderen Seite den Schutz der religiösen, sittlichen und christlichen Erziehung, was natürlich billiger ist als der Achtstundentag und die soziale Fürsorge. Jedenfalls ist es auch gelungen, daß die Gewerbepartei die Öffnung der Grenzen und vollkommen freien Verkehr mit dem Auslande fordert, in diesem Augenblicke aber dafür eintritt, daß an der Grenze eine neue Zollmauer errichtet werde. Es ist bekannt, daß der Kaufmannstag in Gablonz sich scharf gegen die Zollpolitik ausgesprochen hat. Es ist ferner bekannt, daß erfreulicherweise in den Kreisen der Anhänger der Gewerbepartei schon Rebellion herrscht. (Výkøiky posl. de Witte.) Ich weiß nicht, wie schlecht die Herren abschneiden werden, wenn sie draußen vor der Wählerschaft Bericht erstatten sollen. Die Landbündler erklären stolz, wie Kollege Böhmes getan hat, sie werden die Verantwortung tragen? Freilich die Verantwortung vor ihren Anhängern, denen man ja plausibel machen kann, daß schwarz weiß und weiß schwarz ist. Aber das übrige Volk wird auch mit entscheiden, sie werden sich vor dem ganzen Volke verantworten müssen!

Was die volkswirtschaftliche Seite der Zölle anlangt, sei festgestellt, daß die Zollfreunde absolut nicht in der Lage sind, ihre Forderungen irgendwie wissenschaftlich zu begründen. Man kann wohl sagen, daß alle hervorragenden Wissenschaftler, aber auch Praktiker, sich angesichts der Entwicklung der innerstaatlichen Volkswirtschaft zur Weltwirtschaft mit allem Nachdruck gegen die Absperrungspolitik der einzelnen Staaten aussprechen. Es ist nicht uninteressant, darauf hinzuweisen, daß ein Regierungsblatt es ist allerdings nur das "Prager Abendblatt" - vom Dienstag den 8. Juni, sich in einem Leitartikel zur bevorstehenden Weltwirtschaftskonferenz auch über die Zollfrage äußert und sich entschieden gegen die Zollabsperrungspolitik wendet. Es heißt dort, daß die Zeiten vorbei sind, wo Zollforderungen begründet werden konnten, durch Schleuderkonkurrenz infolge sinkender Währung, denn die Währungen seien zum größten Teile stabilisiert, und mit wenigen Ausnahmen als Grundlage für die kaufmännische Kalkulation verwendbar. Die Industrien, die in den einzelnen Staaten nach Kriegsende entstanden seien, müßten heute bereits so weit sein, um ein Urteil über die Leistungsfähigkeit im allgemeinen Konkurrenzkampfe zu ermöglichen. Das gilt natürlich auch für die Autoindustrie in diesem Lande, muß auch gelten für die Kunstseideindustrie, auch für die Fischkonservenindustrie, welche jedoch durch enorm hohe Zölle geschützt sein wollen. Es sei daher, meint das offiziöse Organ, an der Zeit, über den ernstlichen Abbau der künstlichen Zollschranken zu sprechen, denn die Hauptbestimmung jeder Produktion sei, über die engeren Grenzen des Heimatlandes hinaus für den Export zu arbeiten. Die auländischen Absatzmärkte könnten bei Bestehen von Zollschriften nicht gewonnen werden. Das ist ohne Zweifel richtig, und wir sehen mit Mißvergnügen, ja Schrecken, daß die Handelsbilanz sich von Monat zu Monat verschlechtert. Erst im heutigen "Tagblatt" konnte Dr. Uhlig darauf hinweisen, daß die Ausfuhrziffer in Österreich und in der Èechoslovakei sinkt, während in Deutschland die Ausfuhr gestiegen ist. Während Deutschland und auch Rußland sich günstig entwickeln, kommen wir ins Hintertreffen. Und je höher die Zollmauern, desto ärger wird das in Zukunft sein. Die einzelnen Staaten arbeiten weit unter der Leistungsfähigkeit, was wiederum Kurzarbeit und Arbeitslosigkeit zur Folge hat. England mit seinen 1 1/4 Millionen und Deutschland mit seinen 1 3/4 Millionen Arbeitslosen sind hiefür schlagende Beweise. Rechnet man alle Staaten zusammen, so ergibt dies 5 Millionen Arbeitslose, die eine furchtbare Anklage gegen das herrschende System darstellen. Alle innerstaatlichen Mittel haben sich, sagt das offiziöse Blatt, bisher als Palliativmaßnahmen erwiesen. Wir fügen hiezu, dazu gehören selbstverständlich auch Zölle. Es ist charakteristisch, daß man in kapitalistischen Kreisen die Ermöglichung einer planmäßigen Wirtschaft erwägt, zumindestens eine Zusammenfassung der einzelnen Industriegruppen zu kartellartigen Gebilden, um die Produktion zu vereinheitlichen, sie nach Quotenschlüsseln zu verteilen und so die Erzeugung dem Bedarf anzupassen. Ich sage das deshalb, weil die Landbündler und andere Parteileute von der Gegenseite häufig spöttisch über uns sprechen, wenn wir von der systematischen Bedarf- und Planwirtschaft reden. In dieser Beziehung weise ich auf das Organ der Regierung hin, wo auch die Notwendigkeit einer gewissen Planwirtschaft, allerdings im kapitalistischen Sinne, hervorgehoben wird, die allerdings, wie das "Prager Abendblatt" sagt, einer gewissen Kontrolle unterworfen werden muß, damit nicht die am teuersten produzierenden Betriebe preisbestimmend seien. Als Vorstufe zu einer internationalen Regelung des Produktionsproblems wäre, sagt das "Abendblatt", eine europäische Zollunion zu setzen und eine Beseitigung aller Zölle anzustreben, welche das Leben der breiten Massen verteuern und die Produktion erschweren.

Es wäre interessant zu erfahren, was die Regierung zu dieser Stellungsnahme ihres Organes sagt, aber auch, was Ingenieur Dvoøáèek, der noch Vertreter der Industrie ist, zu dieser Angelegenheit zu äußern hat.

Was nun die Behauptungen der Zollfreunde anbelangt, so erklären wir offen und entschieden: es ist eine ganz gewöhnliche Irreführung, wenn behauptet wird, daß Agrarzölle die Lage der gesamten Landwirtschaft verbessern könnten, daß insbesondere die kleinen Landwirte davon auch einen bedeutenden Vorteil hätten. Es ist weiter volkswirtschaftlich total falsch, wenn behauptet wird, daß Zölle eine allgemeine Erhöhung der Produktionskraft nach sich ziehen. Noch ein größerer Unsinn ist es, wenn erklärt wird, daß Agrarzölle die Industrie beleben. Es ist aber wohl die unverschämteste Behauptung, wenn erklärt wird, daß die Konsumenten keinen Schaden durch die Agrarzölle erfahren. Wir haben ja im Kampfe um die Zölle schon gewisse unangenehme Erfahrungen im alten Österreich erlebt. Wir können heute schwarz auf weiß nachweisen, daß die Last der Zölle weit höher ist, als natürlich die Zollfreunde heute zugeben wollen. Heute stellen sie alles als harmlos und bedeutungslos hin, um ihre Anhänger, die in ihren Reihen als Konsumenten stehen - es gibt deren leider nicht wenige - zu beschwichtigen und zu übertölpeln. Ich möchte darauf hinweisen, daß in den Jahren von 1906-1909 in Österreich infolge der erhöhten Agrarzölle die Preise für Marchfeldweizen um 33, für österreichischen Roggen um 30 4, für Mais um 22, für Hafer um 28% gestiegen sind. 1904 bis 1913 stiegen infolge der erhöhten Zölle in Österreich das Rindfleisch um 44 6%, Kalbfleisch um 54%, Schweinefleisch um 49%. In den Jahren 1907 bis 1909, also in knappen 2 Jahren stieg in Wien das Weizenmehl um 26%, Futtermehl Nr. 2 um 13%, Roggenmehl Nr. 1 um 28% und grobe Weizenkleie um 31%. Also auch die Futtermittel für die kleinen Landwirte sind riesig im Preise gestiegen.

Nach einer Berechnung des Prof. Kobatsch stiegen von 1900 bis 1909 die Lebensmittel in Österreich um nicht weniger als 30-35%. Um wieviel Prozent die Lebensmittel bei uns steigen werden, darüber herrscht freilich Streit, ob es nun 10%, 15% oder 6% sein werden, sicherlich bedeutet die Zollvorlage eine sehr empfindliche Verteuerung der Lebenshaltung gerade der ärmsten Klassen, während die Reichen davon natürlich weniger betroffen werden. Das ist ja das Unsoziale der Vorlage, daß den reichen Bauern, den Großgrundbesitzern große Vorteile zugestanden werden, während die kleinen Leute umsomehr belastet werden. Der reiche Konsument wird verhältnismäßig wenig verspüren, der arme Verbraucher wird umso schärfer unter den erhöhten Lebensmittelpreisen leiden. Auch in Deutschland hat man die Erfahrung gemacht, daß jede Zollerhöhung große Wirkungen für den Haushalt nach sich zog. In Friedenszeiten wurde die Wirkung der Zöllen für eine 5köpfige Familie mit 50 M. jährlich berechnet. Es ist eigentümlich, wenn Koll. Heller gestern erklärt hat, daß gerade in der Zeit der hohen Zölle in Deutschland die Löhne am höchsten gewesen sind. Begreift denn Herr Heller nicht, daß hier ein zwangsmäßiger Zusammenhang besteht, daß die Fabrikanten die Löhne nicht etwa freiwillig erhöht haben, sondern daß ein Druck vorlag, daß die Arbeiter sich höhere Löhne angesichts der erhöhten Preise der Lebensmittel erkämpfen mußten? Das wird auch in diesem Staate der Fall sein. Unsere Arbeitslöhne stehen noch lange nicht auf der Höhe, auf der sie im Vergleich zur Vorkriegszeit stehen sollten. Es ist bezeichnend, daß sogar bürgerliche Blätter, wie die "Leipaer Zeitung" festgestellt haben, daß die durchschnittlichen Bezüge der Staatsbeamten etwa 50% der Vorkriegsgehälter ausmachen, daß Privatbeamte nur 67% ihrer früheren Bezüge erhalten und die Beamten der Geldinstitute, also die bestbezahlte Gruppe, auch nur 74% der Vorkriegsgehälter bezieht. Wenn nun die Lebensmittel verteuert werden, se) ist vollkommen klar, daß das Lebensniveau der Beamten und Arbeiter, also der Konsumenten unbedingt weiter herabgedrückt wird.

Ich möchte noch eines hervorheben. Auf der landwirtschaftlichen Ausstellung in Prag war jüngst eine Darstellung zu sehen, auf der Löhne und Preise in Vergleich gebracht waren und auf der gezeigt wurde, wie wenig Einfluß die Zölle auf die Lebenshaltung der Arbeiter eigentlich nehmen. Mit agrarischen Ziffern muß man immer sehr vorsichtig sein, man muß die Sache genau überprüfen. Dort wurde als Arbeitereinkommen ein Jahresdurchschnitt von 19.000 Kè angenommen. Solche Löhne existieren im allgemeinen nicht mehr. Ich habe hier eine authentische Aufstellung der Löhne bei uns in Bodenbach. Die Metallarbeiter von Bodenbach haben sich die höchsten Löhne in der Republik erkämpft, wir haben freilich leider auch die höchsten Lebensmittelpreise. In den Chaudoir-Metallwerken in Bodenbach verdient der bestbezahlte Professionist 14.736 Kè, der bestbezahlte Akkordarbeiter 15.168 Kè, der bestbezahlte Hilfsarbeiter 9984 Kè jährlich. In den Bergmann-Elektrizitätswerken Bodenbach verdient der bestbezahlte Professionist 13.440 Kè, der bestbezahlte Akkordarbeiter 14.592 Kè. In den Haardt-Emaillierwerken in Neschwitz verdient der bestbezahlte Arbeiter 12.318 Kè, in den Maschinenfabriken 11.688 Kè, in der Knopfindustrie 8400 Kè. Das sind, wie gesagt, die glänzendsten Löhne, die es bei uns gibt, nun ein kleiner Bruchteil von Arbeitern hat diese hohen Löhne. Wenn wir aber weitergehen und die Löhne der Textilarbeiter, die ja nach Zehntausenden zählen, ansehen, dann kommen wir zu ganz anderen Ziffern. Es ist bedauerlicherweise wahr, daß heute Arbeiter mit 100 Kè wöchentlich nach Hause gehen und Arbeiterinnen kaum 50-70 Kè verdienen. Und diesen armen Proletariern legt man neue Lasten auf, diese armen hungernden, darbenden Menschen sollen aufs neue ausgenützt werden, damit der Staat, einzelne Industrielle, der große Grundbesitz und die Geistlichkeit noch höheren, noch größeren Gewinn ziehen!


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