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Außerdem empfängt der Beamte im Amtslokale
Privatbesuche. Es weilen oft Angehörige der Fi-
nanzwache sowie der Lehrer der èechischen Schule
im Amtslokale auf Besuch. Sie sind auch hei der
Postverteilung anwesend und haben auf diese
Weise Einblick in die Postsachen.
Am 14. Feber 1936 wollte ein Bezirksvertreter
der Sudetendeutschen Partei einen ordnungsgemäß
an die Landesbehörde in Prag adressierten Brief
beim Postamte in Hurkenthal als eingeschrie-
benen Brief aufgeben lassen. Der Leiter des Post-
amtes wies jedoch den Brief mit dem Bemerken
zurück, daß auf dem Briefe nicht Prag, sondern
"Praha" geschrieben sein müsse. Der Bezirksver-
treter der Sudetendeutschen Partei wurde dadurch
gezwungen, diesen Brief bei einem anderen Post-
amte aufzugeben.
Es braucht wohl nicht besonders betont zu
werden, daß das Verhalten des Leiters des Post-
amtes Hurkenthal den für den Postbetrieb be-
stehenden Dienstvorschriften widerspricht.
Wir stellen daher an den Minister für Post-
wesen die nachstehenden Anfragen:
1. Ist der Minister bereit, gegen den Leiter des
Postamtes Hurkenthal wegen der geschilderten
Mißstände ein Disziplinarverfahren einleiten zu
lassen?
2. Ist der Minister bereit, dafür zu sorgen, daß
sich im Amtsverkehre des Postamtes Hurkenthal
ähnliche Mißstände und Übergriffe, wie die oben
genannten, nicht mehr wiederholen ?
Prag, am 26. Feber 1936.
Wagner,
Wollner, Obrlík, Illing, Kundt, May, Jobst, Ing.
Künzel, Dr. Zippelius, Nemetz, Dr. Hodina, Gru-
ber, Ing. Lischka, Fischer, Birke, Jäkel, Dr. Fe-
ten, Dr. Rosche, Ing. Richter, Stangl, Axmann.
Pùvodní znení ad 330/XI.
Interpellation
der Abgeordneten Rudolf Sandner und Otto
Liebl
an den Minister für soziale Fürsorge
wegen Mißständen in der staatlichen
Ernährungsaktion.
Zur Linderung der drückendsten Not unserer
Arbeitslosen werden über seinerzeitige Veranlas-
sung des Fürsorgeministeriums Lebensmittelkar-
ten im Werte von Kè 10. - und Kè 20. - unter
die Arbeitslosen verteilt. Die Zusammenstellung
der bei der Verteilung der Karten zu berücksich-
tigenden Arbeitslosen erfolgt durch Gemeinde-
sozialkommissionen, die von der Bezirksbehörde
ernannt werden. Da bei diesen Ernennungen
offensichtlich über Aufforderung einer überge-
ordneten Behörde die Vertreter der Sudetendeut-
schen Partei nur in den seltensten Fällen Berück-
sichtigung finden, bestehen diese Sozialkommis-
sionen meist aus Menschen, die im weiten Maße
die in ihr Ermessen gestellte Verteilung der
Lebensmittelkarten dazu benutzen, sich an poli-
tisch andersgesinnten Arbeitslosen zu rächen und
ihren politischen Parteigängern, sich selbst oder
ihren Verwandten Vorteile zu schaffen.
Wie weit die Mißstände gediehen sind, zeigt
sich in der Gemeinde Hohenstollen im Bezirke
Neudek.
Die dortige Sozialkomimission hat Arbeitslose
mit sechsköpfigen Familien in diesem Winter mit
der Begründung abgewiesen, daß sie im vergan-
genen Sommer als Hilfsarbeiter tätig gewesen
wären. Dagegen erhält die alleinstehende Schwe-
ster des Gemeindevorstehers, die einen staatlichen
Tabakverschleiß hat, ebenso die Lebensmittelkar-
ten, wie ihr in Beschäftigung stehender Bruder.
Der Gemeindevorsteher selbst besitzt eine Kra-
merei und gibt als Mitglied der Gemeindesozial-
kommission die Lebensmittelkarten gar nicht aus,
sondern läßt die Arbeitslosen den Empfang be-
stätigen und schickt sie in seine Kramerei.
Unter diesen Umständen erreicht man mit der
staatlichen Ernährungsaktion gerade das Gegen-
teil ihres Zweckes. Statt Beruhigung wird Erbit-
terung unter den Arbeitslosen gestiftet und durch
nie den Volbswillen in keiner Weise berücksichti-
genden Ernennungen der Sozialkommissionen wird
jedes Vertrauen des Volkes den Behörden gegen-
über untergraben. Die deutsche Arbeitnehmer-
schaft unseres Staates muß in Anbetracht der un-
gerechten Ernennungen und der sich daraus er-
gebenden ungerechten Unterstützungsverteilung
den Eindruck gewinnen, bewußt geschädigt zu
werden.
Wir fragen angesichts dieser unerhörten Zu-
stände:
1. Sind dem Minister für soziale Fürsorge die
bestehenden Mißstände bekannt und ist er bereit,
gegen alle Schuldigen eine rücksichtslose Unter-
suchung einzuleiten sowie alle Maßnahmen zu
treffen, die in Hinkunft eine gerechte Verteilung
gewährleisten?
2. Ist der Minister bereit, der Volksvertretung
ehestens den Vorschlag einer gesetzlichen Rege-
lung der staatliehen Ernährungsaktion zu unter-
breiten?
3. Ist der Minister bereit, die sofortige Neu-
besetzung der Sozialkommissionen nach dem Er-
gebnisse der letzten Parlamentswahlen anordnen
zu lassen?
Prag, am 24. Feber 1936.
Sandner, Liebl,
Axmann, Ing. Richter, Dr. Kellner, Dr. Köllner,
Illing, Ing. Künzel, Jobst, Wollner, Nickerl, Ne-
metz, Sogl, Stangl, Obrlik, Gruber, May, Dr. Pe-
ters, Ing. Lischka, Jäkel, Kundt, Hollube.
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Pùvodní znìní ad 330/XII.
Interpellation
des Abgeordneten Ludwig Wagner
an den Minister des Innern
wegen ungesetzlichen Vorgehens des Ver-
treters der Bezirksbehörde in Prachatitz,
Dr. Burian, bei einer öffentlichen Versamm-
lung der Sudetendeutschen Partei in Unter-
schneedorf.
Der Abgeordnete der Sudetendeutschen Partei
Ludwig Wagner sprach am 9. Feber 1936 um
3 Uhr nachmittags in einer öffentlichen Ver-
sammlung in Unterschneedorf im politischen Be-
zirke Prachatitz. Im Verlaufe seiner Ausführungen
kam Abgeordneter Wagner auf die Tätigkeit der
kommunistischen Partei in der Èechoslovakei zu
sprechen und gab den Zuhörern eine Schilderung,
wie sich der Kommunismus in der Sowjetunion
ausgewirkt hat. Bei diesen Ausführungen unter-
brach ihn der anwesende Vertreter der Bezirks-
behörde Prachatitz, namens Dr. Burian, mit fol-
gender Erklärung:
»Herr Vorsitzender, verwarnen Sie den Herrn
Abgeordneten, er hat sich jeder Kritik der Sow-
jetunion zu enthalten!"
Es braucht wohl nicht betont zu werden, daß
der Konzeptsbeamte Dr. Burian zu dieser Ver-
warnung nicht im mindesten berechtigt war. Die
Freiheit der öffentlichen Meinungsäußerung ist
noch verfassungsmäßig gewährleistet! Sie kann
daher auch von einem Beamten der politischen
Verwaltung nicht unterbunden werden. Am aller-
wenigsten aber kann man einem Abgeordneten
verwehren, über öffentliche Zustände zu sprechen,
denn das ist seine Aufgabe.
Jedermann ist berechtigt, in den Schranken des
Gesetzes die öffentlichen Zustände dieses Staates
seiner Kritik zu unterziehen. Wer diese Kritik ver-
hindern will, begeht einen Bruch der Verfassung
und tritt die demokratischen Grundsätze, die in
unserem Staate besonders stark propagiert wer-
den, mit Füßen. So wenig also ein Verwaltungs-
beamter das verfassungsmäßig gewährleistete
Recht der freien Kritik der Zustände unseres
Staates beseitigen kann, ebensowenig kann er
diese Kritik verhindern, wenn sie die Zustände
des Auslandes betrifft. Der Verwaltungsbeamte
Dr. Burian hat also gegen Gesetz und Verfassung
gehandelt, wenn er dem Abgeordneten Wagner
jede Kritik sowjetrussischer Zustände verbot.
Wir stellen an den Minister des Innern die
nachstehenden Anfragen:
1. Ist der Minister des Innern bereit, den Kon-
zeptsbeamten Dr. Burian wegen seines gesetz-
widrigen Verhaltens zur Verantwortung zu
ziehen ?
2. Ist der Minister des Innern bereit, den ihm
unterstellten Bezirksbehörden, insbesondere aber
der Bezirksbefaörde in Prachatitz die Belehrung
zukommen zu lassen, daß sie in Ausübung ihrer
Versammlungspolizei das verfassungsmäßig ge-
währleistete und in den Schranken des Gesetzes
sich bewegende Recht der freien Meinungsäuße-
rung unter allen Umständen zu achten haben,
auch wenn die Kritik die Verhältnisse fremder
Staaten betrifft?
Prag, den 26. Feber 1936.
Wagner,
Dr. Rösche, Jäkel, Dr. Hodina, Obrlik, Stangl,
Birke, Ing. Richter, Nemetz, Dr. Zippelius, Ing.
Künzel, Fischer, Illing, Dr. Peters, Ing. Lischka,
Gruber, Kundt, May, Wollner, Jobst, Axmann.
Státní tiskárna v Praze. - 1216-36.