Úterý 19. øíjna 1926

Pøíloha k tìsnopisecké zprávì

o 44. schùzi poslanecké snìmovny Národního shromáždìní

republiky Èeskoslovenské

v Praze v úterý dne 19. øíjna 1926.

1. Øeè posl. dr Czecha (viz str. 81 tìsnopisecké zprávy):

Hohes Haus! Mitten in schwerster wirtschaftlicher Situation, mitten im größten Notstand der arbeitenden Bevölkerung hat das Parlament seine Arbeiten wieder aufgenommen, hat es die Verhandlung der Programmerklärung der neuen Regierung, hat es die Beratung der von den sozialistischen Parteien zur Wirtschaftskrise überreichten Interpellationen begonnen. Der Auftakt, den die Regierung zu diesen Beratungen gab, war mehr als kläglich. Er zeigt nicht nur, daß die neue Regierung nicht auf der Höhe ihrer Aufgaben stehe, sondern daß sie sich als Exponent der besitzenden Klassen, der besitzenden Klassen aller Nationen, fühle, und gar nicht den Willen habe, ernste Maßnahmen zur Linderung des Notstandes vorzukehren und gemeinsam mit dem Parlamente an der Abwehr der sich mit jedem Tage verschärfenden Krise und ihrer Auswirkungen zu arbeiten. Mit einem großen Wortschwall von glühenden demokratischen Beteuerungen, von süßlichen Verständigungsverheissungen, die das Brandmal einer geradezu gewalttätigen Vergangenheit an sich tragen, widmet die Regierungserklärung der Wirtschaftsnot der arbeitenden Menschen, der Feststellung, der Untersuchung, den Abwehrmaßnahmen der Krise sage und schreibe einen einzigen Satz, sage und schreibe 55 Worte. Das ist alles, was die neue Regierung den im Elend dahinlebenden Arbeitermassen zu bieten hat. So beschaffen ist die der Arbeiterklasse überreichte Visitkarte des neuen Systems, das schon in seiner Zusammensetzung alle Merkmale der Arbeiterfeindlichkeit aufzeigt und anscheinend gar nicht daran denkt, diesen sozial reaktionären Charakter in seinen weiteren Lebensäußerungen zu verbergen. Darauf wird sich die Arbeiterschaft aller Nationen einzurichten haben.

An späterer Stelle meiner Darlegungen werde ich mich noch mit den die Wirtschaftsnot der arbeitenden Menschen betreffenden Fragen ausführlicher beschäftigen, vorerst aber will ich mich einigen Betrachtungen über die neue Regierungskoalition und über ihr Programm zuwenden. Die Neukonstituierung der Regierung brachte zweifellos eine große politische Sensation. Deutsche Minister in einem èechoslovakischen Kabinet, das ist wirklich ein Ereignis, das selbst alle großen politischen Sensationen und Affairen, an denen die èechoslovakische Politik gerade in der letzten Zeit so überreich gewesen ist, in den Schatten stellt und an Bedeutung weit überragt. Das empfinden nicht nur jene Kreise, die infolge oberflächlicher Betrachtung der Dinge diese Möglichkeit auf Jahre hinaus für vollkommen ausgeschlossen gehalten haben, sondern auch jene, die diese Entwicklung vorausgesehen und immer vorausgesagt haben. Wir zählen uns zu dieser Gruppe. Von der ersten Stunde an, sofort nach Konstituierung dieses Staates haben wir bei der Prognose, die wir diesem Lande gestellt haben, diese Entwicklung als die von selbst gegebene, als die natürliche und zwangsläufige bezeichnet, Schon damals haben wir diese Erkenntnis förmlich zum Angelpunkt unserer Politik gemacht und auf ihre Verwirklichung alle unsere Hoffnungen gesetzt, dies alles zu einer Zeit, da derlei Gedankengänge noch als phantastisch bezeichnet, in das Gebiet des politischen Wolkenkuckuckheims verwiesen, von höchster staatsmännischer Warte herab mit einer verächtlichem Geste abgetan, belächelt und bespöttelt wurden. Sosehr hatte sich die Fiktion vom èechoslovakischen Nationalstaate, sosehr die Idee der allnationalen Koalition, als der einzigen möglichen Regierungsform in den Hirnen der Führer dieses Staates und eines großen Teiles der èechoslovakischen Bevölkerung verankert, daß schon der bloße Gedanke an andere Regierungsmöglichkeiten nicht nur als Phantom bezeichnet, sondern als ketzerisch gescharfrichtert, als hochverräterisch gebrandmarkt wurde. Allerdings, sosehr die neuen Ereignisse ganz in der Linie der natürlichen Entwicklung liegen, niemand, Švehla und Spina mit eingeschlossen, konnten es ahnen, daß sich die große Wendung so rasch vollziehen, daß sie so unvermittelt, daß sie so hemmungslos vor sich gehen, daß sie förmlich über Nacht die ganze Vergangenheit der deutsch-bürgerlichen aktivistischen Politik Lügen strafen und drei deutsch-bürgerliche Parteien ganz ohne jedes wirkliche Zugeständnis mitten aus der schärfsten Opposition heraus in einem Sprunge in das Regierungslager führen wird, der einem Saltomortale verdammt ähnlich sieht. Darum mußte alle Welt, die auch in der Politik noch immer auf Grundsätze hält, die noch immer etwas auf feierliche Erklärungen und eidliche Schwüre gibt, die den Egerer Eidschwur, die beiden deutsch-bürgerlichen Staatsrechtserklärungen, die deutsch-bürgerliche Ministeranklage, das deutsch-bürgerliche Misstrauensvotum noch immer nicht vergessen hat, geradezu aus den Wolken fallen, als förmlich über Nacht die deutsch-èechische Regierung da war, fix und fertig, dem staatsmännischen Kopf Švehlas entsprungen, etwa so wie einst Pallas Athene in voller Rüstung ganz plötzlich dem Haupt Zeus' entsprungen war. Nun steht die èechoslovakische Regierung leibhaftig vor uns, sie ist lebendige Wirklichkeit und mit ihr all das, was sich da plötzlich vor unseren Augen in den Ministerstühlen tummelt. Damit ist eine ganze Reihe von Legenden der èechoslovakischen Staatspolitik und vielleicht die bedeutungsvollsten, so die Legende von èechoslovakischen Nationalstaat und die Legende vom allnationalen Regime als der einzig mögliche Regierungsform erbarmungslos zerstört worden und in Schutt aufgegangen. Jene aber, die für den Fall des Zusammenbruches dieser Staatsideologie, des Zusammenbruches dieser zum èechoslovakischen Staatsgötzen erhobenen Staatsmaxime den Untergang der Welt prophezeiht, mit Feuer und Schwert, Blutrache, Aufruhr, Rebellion und Fascismus gedroht haben, stehen nun, da der Götze zerbrochen am Boden liegt, da die allnationale Koalition in der Versenkung verschwunden ist und durch eine deutschèechische Koalition abgelöst wurde, verdutzt und betroffen da, reiben sich die Augen und machen, nachdem sie sich vom ersten Schrecken erholt und fatalistisch mit den neuen Dingen abgefunden haben, zum bösen Spiel gute Miene und leisten dem neuen Umschwung prompt ihre Paten-dienste. "Ich kann mir, rief Dr. Kramáø noch am 25. Juni des Vorjahres, "den freien èechischen Staat ohne èechische Mehrheit nicht vorstellen." "Niemals, nikdy," sagte er bei einem anderen Anlaß, "werden wir die Teilnahme der Deutschen an der Regierung zulassen." Nun, Dr. Kramáø hat sie zugelassen, er hat selbst an der Vorbereitung dieser Regierung mitgewirkt, er wird diese Regierung nicht nur nicht bekämpfen, sondern ihr sogar seine Unterstützung leihen, und er denkt gar nicht daran, ob der neuen Wendung Harakiri zu machen. Noch am 23. Oktober 1925 rief er in einer Wischauer Versammlung seinen Anhängern zu: "Wenn es dazu käme, daß wir den Deutschen nachlaufen müßten, damit sie uns regieren helfen, so wäre es um den èechischen Staat geschehen." Und siehe da, die Deutschen helfen dem Dr Kramáø, den èechischen Staat zu regieren. Er brauchte ihnen allerdings nicht nachzulaufen, weil sie ihm zugelaufen sind. Aber, die Deutschen regieren nun einmal mit, sie haben zwei Ministerfauteuils besetzt und es ist nicht nur nicht um den freien èechischen Staat geschehen, sondern er wird vielmehr, wie aus der zwischen Kramáø und Švehla vereinbarten Regierungserklärung hervorgeht, als konsolidiert, als stabilisiert, als gesund, als pausbäckig bezeichnet und die Regierung denkt allem Anscheine nach gar nicht daran, zu abdizieren. So hat denn Dr Kramáø auch mit dieser seiner Prognose Pech gehabt, ebenso wie sein Kollege im Präsidium der nationaldemokratischen Partei Sís, der für den Fall des Eintrittes der Deutschen in die Regierung die Revolution verkündete mit dem Fascismus, den er dann selbst als erster zu machen bereit war, drohte, während er sich jetzt in den "Národní Listy", die alle seine Drohungen mit großen Lettern plakatiert haben, kramfhaft abmüht, nachzuweisen, daß es schließlich, wenn auch schweren Herzens, doch mit der èechisch-deutschen Mehrheit geht und daß man sich mit dieser traurigen Tatsache abfinden müsse. So räumt die Geschichte unbarmherzig mit allen Ideologien auf, die sich der natürlichen Entwicklung entgegenstellen. So geht sie schonungslos über sie hinweg. So verwandeln sich nationalistische Kraftworte und blutige Drohungen in ganz simplen Theaterdonner, so bekommen berühmte Worte wie das Kramáø'sche "Nikdy" museale Bedeutung. So gehen nationalistische Ideologien in leeren Dunst auf, so setzen sich gewisse eiserne Tatsachen des Lebens ganz unerbittlich, über allen Widerstand hinweg, durch und was nach all diesen Selbstverständlichkeiten übrig bleibt, das ist bestenfalls die Pikanterie, die der erste Anblick leibhaftiger deutscher Minister gewährt, die man vielleicht noch eine gewisse Zeit als Wundertiere und Exoten anstaunen wird, ebenso wie man im alten Österreich sich erst an den Anblick der èechischem Minister Pražák, Fiedler, Foøt, Kaizl, Randa und Rezek gewöhnen mußte, bis man endlich fand, daß sie alle in gebändigtem Zustand neben Prade, Marchet und Peschka ganz gute Figur machen, daß sich Žáèek mit Schreiner, Bráf mit Hochenburger, daß sich Trnka mit Urban recht gut vertragen und ganz gut zusammenpassen. Es ist dasselbe Bild, das sich auch hier wieder aufs neue vor unseren Augen entrollt und das alte Wort wahr macht, daß eben alles schon einmal dagewesen ist. So ist es heute in der èechoslovakischen Politik, so war es bereits vor vielen Jahrzehnten im alten Österreich, so war es gestern und vorgestern und vor vielen Jahren schon in den verschiedenen wirtschaftlichen Korporationen, in den großen Unternehmerverbänden, in den Großbanken und Aktiengesellschaften, in den industriellen Organisationen, in den agrarischen Genossenschaftskorporationen, in den diversen Zentrokooperativen, wo längst schon eine Zusammenarbeit der deutschen kapitalistischen Kreise mit den èechischen in Frieden und Freundschaft vor sich ging, während man sich in der Politik noch tüchtig herumbalgte, nationalistische Leidenschaften gegen einander entfesselte und die "Volksgenossen" aller Stände zum Kampfe gegen den "geschworenen "Erbfeind" aufrief. So ging das Doppelspiel jahrzehntelang vor sich, bis man dann eines schönen Tages fand, daß, da es gegen die Arbeiter und gegen den Sozialismus geht, es das beste wäre, nun auch die politische Maske fallen zu lassen und sich mit einander zu verbinden, um sich auf Kosten der Arbeiter besser in die Macht teilen zu können.

Der naive Betrachter der Dinge mag darüber staunen. Er mag vor den neuen Tatsachen wie vor einem großen Wunder stehen, er mag sich vor diesen Tatsachen bekreuzigen, aber es ist nun einmal so und nicht anders. Es ist der Geschichte ehernes Muß. Die Arbeiterklasse versteht dies, sie läßt sich durch derartige Tatsachen nicht verblüffen und nicht verwirren, sie sieht die Entwicklung klar vor sich, sie richtet sich darauf ein und sie bereitet darnach ihren Kampf vor.

Doch nicht allein die Legende von der allnationalen Koalition wurde von den neuen Tatsachen, von der neuen Wendung erbarmungslos zerstört, sondern auch eine ganze Reihe anderer Legenden wurde durch sie über den Haufen geworfen.

Jahrzehntelang hat man die deutsche Bevölkerung mit den Phrasen von der Volksgemeinschaft und Schicksalsgemeinschaft genarrt, ihr das Schlagwort von der Sieghaftigkeit der nationalen Idee, ihr die Lüge von der Überordnung der nationalen Idee über das Klasseninteresse einzuimpfen, sie mit der Parole von der nationalen Einheitsfront zu betören versucht, und als wir dieser Lüge entgegentraten, wurden wir als "die Söldlinge der Èechen", als die "Verräter an der deutsch en Nation", als "Dolchstößler gegen den sudetendeutschen Widerstandsgeist" verschrieen, und es wurde uns zugerufen: "Die Sozialdemokratie müsse vernichtet werden", sonst müßte der Kampf der Deutschen an dem sozialdemokratischen Verrat zerschellen. Hohes Haus! Das haben nicht nur die nationalen Extremisten getan, sondern auch die Herren aus dem aktivistischen Lager, und hier wieder nicht nur die deutschen Landbündler und Christlichsozialen, sondern auch die Herren Nationalsozialisten, die damals den leidenschaftlichen Kampf gegen uns veranstalteten, heute aber die Herren Spina und Mayr-Harting zu pardonieren bereit sind und mit ihnen ganz getrost im Deutschen Verbande weiter verbleiben.

Als wir die unmittelbar vor den letzten Wahlen von den Landbündlern erlassene Einheitsfrontparole, die inzwischen im Lodgman-Køepek prozeß als ganz gewöhnliche Komödie entlarvt worden ist, ablehnten, riefen die Landbündler uns zu, daß sich die Èechen glücklich schätzen können, uns in ihrem Lager zu haben, uns, die man "mit nassen Hadern schlagen könne, ohne auf Widerstand zu stoßen". Damals schrieb die "Landpost" in ihrer Nummer vom 29. Oktober 1925 wörtlich: "Die Affenliebe zur èechischen Sozialdemokratie wird der internationalen deutschsprechenden Sozialdemokratie sicherlich keinen Gewinn bringen, noch weniger aber internationale Hoffnungen erfüllen." Hohes Haus! Ein Jahr ist seither verstrichen. Aus der sozialdemokratischen Affenliebe ist eine agrarische Affenliebe geworden, wie sie inbrünstiger überhaupt nicht mehr gedacht werden kann. Allerdings, mein lieber Bauer: agrarische Affenliebe, das ist etwas anderes!

In diesem Zusammenhange muß ich noch eine zweite Reminiszenz auffrischen. Eineinhalb Jahre sind es her, seitdem auf ein von der "Deutschen Landpost" am 27. Feber 1925 ausgegebenes Stichwort eine wüste, von allen deutschbürgerlichen Parteien inszenierte Hetze gegen die angebliche Ministerstreberei der deutschen Sozialdemokraten, gegen unsere Partei losging. Ein bürgerliches Blatt schrieb damals: "Die Herren Obergenossen dürfen sich die Stiefel schmieren und nach einem Frackschneider Umschau halten, denn, warte nur, balde kommt die Einberufungsorder in die èechische Regierung." Hohes Haus, mit allen Hämmern wurde damals von deutschbürgerlicher Seite auf uns losgeschlagen, obwohl an den Behauptungen der "Deutschen Landpost" nicht ein wahres Wort war. Doch es genügte schon die bloße journalistische Verdächtigung, um uns vor dem deutschen Forum in Anklage zu versetzen, zu einer Zeit, da man in landbündlerischen Kreisen bereits gierig nach der Anteilnahme an der Macht gerufen hatte. Heute sind die "Stiefel bereits geschmiert", heute sind die Frackschneider bereits in Aktion. Heute sitzen deutsche Minister bereits in Fauteuils oder - wie man sich in deutschbürgerlichen Kreisen auszudrücken pflegt - "in der Laube", aber, siehe da, es sind Minister aus einem andern Lager, es sind Minister aus jenem Lager, für das damals Ministerschaft und nationaler Verrat ganz identische Begriffe gewesen sind, aus einem Lager, das sich damals in antiministerieller Treiberei gegen unsere Partei nicht genug gütlich tun konnte. Und welch eine Wandlung! Dieselben Parteien und dieselbe Presse, für die die deutsche sozialdemokratische Partei wegen angeblicher Ministerstreberei förmlich zum Freiwild geworden ist, verlangen heute für sich Generalpardon. Sie fordern, daß man ihren Ministern Ruhe gewähren möge, sie fordern, daß man ihnen eine Atempause einräume, daß man sie in ihrer Arbeit nicht störe. Nun, hohes Haus, wir hätten nach alledem, was zurückliegt, alles Anrecht, gleiches mit gleichem heimzuzahlen, ohne daß uns daraus irgend ein Vorwurf treffen könnte. Doch das fällt uns natürlich absolut nicht im Taume ein. Die deutschen Minister mögen nur recht ausgiebig von "ihrem Anteile an der Macht" Gebrauch machen und der deutschen Bevölkerung zeigen, daß der sogenannte "historische Wendepunkt" das Ende der nationalen Fremdherrschaft, daß er die Verwirklichung der "nationalen Gleichberechtigung" bedeute, wie dies die neuen deutschen Regierungsblätter jetzt in alle Welt hinauszuposaunen belieben. Wir aber wissen, daß es ganz anders kommen wird und daß der wahre Sinn der deutschen Ministerschaft nur das Streben nach Sicherung der Interessen der deutschen Bourgeoisie ist, der das Klasseninteresse über alle Volksgemeinschaft geht.

Das ist in Wirklichkeit der wahre Sinn, das ist die Bedeutung des großen Umschwungs, der wieder einmal klar und deutlich die alte sozialistische Wahrheit aufzeigt, daß die nationale Idee nur soweit tragfähig ist, als sie nicht mit dem wirtschaftlichen Interesse der Klasse kollidiert, daß das grundlegende Motiv des Handelns das Klasseninteresse ist, daß der Klassengegensatz alle nationalen Fronten durchbricht, daß es keine die Klassengegensätze überbrückende, sie überwindende Volksgemeinschaft gibt und daß, wie es im Kommunistischen Manifest so schön heißt: Die Geschichte aller bisherigen Gesellschaft ist nur eine Geschichte von Klassenkämpfen. So können wir dem arbeitenden Volk einmal lebendigen Anschauungsunterricht über den Zusammenbruch der Legende von der nationalen Volksgemeinschaft liefern und ihm auch in diesem Lande, in dem die Schleier der nationalen Kämpfe und nationalen Gegensätze den klaren Ausblick immer und immer wieder zu trüben vermochten, das Schulbeispiel typischer bürgerlicher Klassenpolitik vor Augen führen.

Und nun will ich mich der Programmerklärung der neuen Regierung zuwenden und vor allem erst noch einiges über die neue Regierungskoalition sagen. Trotz der starken Männer, die ihr angehören, die an ihre Spitze gestellt wurden und mit denen man anscheinend paradieren und vielleicht irgendjemandem imponieren will, vermag die Regierung die ihr innewohnenden Schwächen nicht zu verbergen. Denn sie widerspiegelt, schon ganz äußerlich betrachtet, die zahlreichen Gegensätze, die ihr innewohnen und die zu verschmelzen auch einem größeren Geiste als es der Herr Ministerpräsident Švehla ist, nicht gelingen dürfte. Aus schwarz läßt sich nicht weiß, aus einem Fascisten kein Demokrat, aus einem Klerikalen kein Hussit, aus einem Föderalisten kein Zentralist, aus einem Reaktionär kein Kämpfer für Freiheit, nationale Gleichberechtigung und Demokratie machen. So vereinigt die neue Regierungskoalition, von den Klassengegensätzen abgesehen, die ihr innewohnen, die heterogensten, aber auch die widerstrebensten Elemente in sich, denen nur eines gemeinsam ist: der Haß gegen die Arbeiterpartei und den Sozialismus, das Streben, den kapitalistischen Interessen auf der ganzen Linie Geltung zu verschaffen, in der Maske eines demokratischen Regimes dem industriellen, dem agrarischen und insbesondere dem Finanzkapital zur Hegemonie zu verhelfen, die revolutionären Errungenschaften der Arbeiterklasse schrittweise abzubauen, den Sozialismus langsam, aber sicher bis zur vollständigen Bedeutungslosigkeit niederzuwerfen. So weist denn das neue Regime, das neue System, die neue Regierung alle charakteristischen Merkmale eines plutokratischen, eines antisozialen und reaktionären Regimes auf.

Welche Dauer diesem System beschieden sein wird, läßt sich in diesem Augenblick nicht in voraus bestimmen. Denn in der Geburtsstunde, in der sich die neue Regierung dem Hause vorstellte, besaß sie noch immer keine Mehrheit oder besser gesagt, hatte sie die Mehrheit bereits nicht mehr, mußte sie sich vor aller Welt durch die heftigsten Zurufe und durch die Oppositionsstellung der slovakischen Volkspartei, das Konzept und die Freude an dem Geburtsakt verderben lassen, während der nationaldemokratische Teil der Regierungskoalition sich als Cerberus an den Pforten der Koalition etablierte, um einen etwaigen Konzessionenschmuggel nach der deutschen Seite zu verhindern und den deutschen Partnern die Flitterwochen und die Koalitionsfreuden gründlich zu verderben. (Pøedsednictví pøevzal místopøedseda inž. Dostálek.)

Herr Ministerpräsident Švehla hat sich für die historische Sitzung eine gewisse Feschosität zurecht gelegt. Aber er hat trotz alledem nicht zu lachen, auch wenn es ihm gelingen sollte, die widerhaarigen slovakischen Elemente wieder einmal an die Stange zu bringen.

Aber so traurig die Lage der neuen Regierung ist, so armselig ist ihre Programmerklärung. Natürlich, mit Worten hat man nicht gekargt und mit guten Vorsätzen ist man nicht sparsam umgegangen. In jedem Satz wird in allen möglichen Garnierungen von Demokratie gesprochen. Dem Parlamentarismus werden auf Schritt und Tritt die schönsten Komplimente gemacht, Verheißungen gibt es eine ganze Menge. Aber man versuche einmal, aus der ganzen programmatischen Erklärung auch nur ein einziges konkretes Wort, auch nur ein einziges bestimmt und genau umschriebenes Bekenntnis, auch nur einen einzigen präzise formulierten Gedanken, eine einzige präzis umschriebene programmatische Zusage herauszuschälen. Nichts als Allgemeinheiten, bestenfalls Andeutungen, äußerstens Hinweise auf einseitige Versprechungen, nichts als ein Jonglieren mit Worten, als ein Hin- und Herlavieren, aber beileibe nur kein Farbebekennen, denn ein Zugeständnis nach der einen Seite müßte naturgemäß sofort prompt einen Kriegsfall nach der anderen Seite abgeben.

Die Regierungserklärung beginnt mit einem feierlichen Bekenntnis zur programmatischen Erklärung vom 18. Dezember 1925. In Angstschweiß windet man sich durch dieses zwanzig gedruckte Spalten umfassende Programm durch. Aber dann kommt sofort die zweite Bescherung, denn Švehla übernimmt in der programmatischen Erklärung vom 18. Dezember 1925 gleichzeitig die Richtlinien, die Verbindlichkeiten und die Verheißungen aller vorangehenden èechoslovakischen Regierungen, und so rollt sich denn automatisch die ganze Geschichte der èechoslovakischen Politik und der èechoslovakischen Regierungen von der Gründung des èechoslovakischen Staates bis zum heutigen Tage vor unseren Augen auf und mit ihr sämtliche programmakischer Regierungen von Kramáø bis Švehla und mit ihr natürlich sämtliche in diesem Haus abgegebenen Regierungserklärungen. Ich gestehe ganz offen, daß ich alle diese Regierungserklärungen vor der Sitzung nicht nachgelesen habe, aber ich hoffe bestimmt, daß sie wenigstens von den Herren Ministern Spina und Mayr-Harting nachgelesen wurden, daß diese beiden Herren sich wenigstens diese Erklärungen zu Gemüte geführt haben, ehe sie die Zustimmung zur neuen Programmerklärung und damit zu ihren integrierenden alten Bestandteilen gegeben haben. Dabei übersehe man ein ganz kleines Detail nicht, daß die deutschen Minister Spina und Mayr-Harting die programmatische Erklärung vom 18. Dezember 1925 und implicite alle vorangegangenen Programmerklärungen mitübernehmen und in ihr eigenes Programm miteinbeziehen lassen mußten, obwohl sie alle diese Programmserklärungen anno dazumal auf das heftigste bekämpft und gegen alle diese Programmserklärungen gestimmt haben. Das sind so die Schrullen der Weltgeschichte, die, wenn sie einmal aus der Versenkung wieder aufsteigt, direkt zum enfant terrible wird. Warum wir das alles anführen? Weil wir uns nicht vorzustellen vermögen, daß die deutschen Minister allen Ernstes all dem tatsächlich zugestimmt haben, was in den früheren Programmerklärungen enthalten ist, so insbesondere der von ihnen so heftig bekämpften "Entfaltung der Kolonisation auf dem beschlagnahmten Boden", so der von Ihnen stark angefochtenen "Bodenreform auf landwirtschaftlichem Waldgrund", so der von Ihnen zum Gegenstande einer Beschwerde beim Völkerbunde gemachten "systematischen Durchführung der Aktion zur Verstaatlichung der beschlagnahmten Waldkomplexe", so der Verwirklichung des "von der vorangegangenen Regierung abgesteckten Programms auf dem Gebiete des Schulwesens", so der "Vertiefung der Wehrhaftigkeit der Nation durch die vormilitärische Erziehung". Es wird Sache der deutschen Minister sein aufzuklären, ob alle diese Punkte tatsächlich Bestandteile des zwischen den neuen Koalitionsparteien vereinbarten Regierungsprogramms bilden, oder ob sie, wie die "Národní Listy" vermuten lassen und wie sie dies mit Dank quittieren, hinterrücks in die Regierungserklärung hineinlanziert und hineininterpretiert werden sollen.

Und denselben Geist, wie der eben erörterte Teil der programmatischen Erklärung, atmen auch alle anderen Teile derselben. Ganz ruhig könnten wir jenes Kapitel, welches von demokratischen Bekenntnissen und Beteuerungen förmlich überflieht, übergeben. Denn die Vergangenheit des Systems Švehla lehrt uns, was man von solchen Beteuerungen für die Zukunft zu halten hat. Noch sind nicht alle Kunststücke des alten Regimes vergessen, das Schutzgesetz, das Terrorgesetz, die Preßgesetznovelle, die Wahlnovelle, die Sprachenverordnung, noch nicht vergessen die Methoden, nach denen man die Opposition zu Paaren getrieben, durch Vergewaltigung zur Verzweiflung gebracht, sie verächtlich behandelt, übergangen und ignoriert hat, noch nicht vergessen die Methoden der Regierungsbildung, die völlige Beiseiteschiebung des Parlaments in den entscheidenden Momenten. Wie soll man da das Wort der Programmerklärung von der Bereitwilligkeit zur Zusammenarbeit mit der Opposition, von der Geneigtheit zur Respektierung der Anregungen und Kritiken der Opposition ernst nehmen, besonders wenn man sieht, wie im selben Augenblicke schon auf die Opposition wieder losgeschlagen wird und ihr, wie dies jezt beispielweise im Senate geschehen soll, selbst die bisher zugestandene spärliche Vertretung im Parlamentspräsidium geraubt werden soll. Den politischen Zusagen des neuen Regimes, des Systems Švehla zu trauen, dazu gehört ein Glauben, der Berge zu versetzen imstande ist. Und wenn es anders werden soll, dann werden die jetzigen Machthaber der Koalition, die Herren Švehla und Šrámek, die Herren Nosek und Hodža tüchtig umzulernen haben, und dann werden sie gut tun, sich hiebei die Erfahrungen zunutze zu machen, die ihre Ministerkollegen Spina und Mayr-Harting in den zurückliegenden Jahren in der Opposition zu machen Gelegenheit gehabt haben.

Nun möchte ich mich jenem Teile der Regierungserklärung zuwenden, der sich mit dem Problem des Zusammenlebens der dieses Land bewohnenden Völker beschäftigt und in sehr verschwommenen Weise von der Lösung des Problems der "Zusammenarbeit ohne Unterschied der Nationalität", von der "Arbeit zur Bildung eines harmonischen Zusammenlebens", von dem Weg zur Lösung "der Art der Erledigung und Beseitigung der Differenzen und Streitigkeiten" usw. spricht. Wie man sieht, wird jedes klare, jedes prägnante Wort geflissentlich, ja krampfhaft vermieden, wird dem Wie, Wo, Wann und und Was in weitem Bogen ausgewichen und trotz der so vielen Komplimente vor der Idee des nationalen Friedens nicht einmal eine Andeutung darüber gemacht, wie man dem jetzigen unerträglichen Zustand ein Ende bereiten und den den Minderheiten zugefügten Schaden wieder tilgen könnte. Es ist wohl richtig, daß die Regierungserklärung nach dieser Richtung, gemessen an der Schweigsamkeit der früheren Regierungserklärungen und für den, der sich mit bloßen Komplimenten vor den nackten Tatsachen des Lebens zufrieden gibt, einen Fortschritt und einen Erfolg bedeutet. Wer aber die Regierung nach ihren Taten zu beurteilen gewohnt ist, wer die Geschichte des gerade während des Regimes Švehla den Minderheiten gegenüber begangenen schweren Wortbruches kennt, wem die seinerzeitige Erklärung des Ministers Nosek über die Nichtgebundenheit èechoslovakischer Regierungen an gegebene Verpflichtungserklärungen noch in den Ohren nachgellt, der wird den realen Wert der armseligen, unterminierten, unkonkretisierten Regierungserklärung zu diesem Punkte richtig einzuschätzen wissen.


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