Hohes Haus! Als im alten Österreich im
Jahre 1906 die Wahlreform geschaffen wurde, das neue Wahlgesetz
beschlossen war, haben die deutsch-bürgerlichen Parteien
im Parlamente die Forderung aufgeworfen, daß auch gleichzeitig
für das neu zu wählende Haus eine Geschäftsordnung
auszuarbeiten sei, um die Arbeitsfähigkeit des auf Grund
des allgemeinen Wahlrechtes gewählten Hauses zu sichern und
zu verhindern, daß durch Obstruktion die Arbeiten des Hauses
gestört werden könnten. Damals war es unser Führer,
Dr. Viktor Adler, der einem solchen Ansinnen entgegentrat und
auseinandersetzte, daß es nicht das Recht des alten Hauses
sei, die Geschäftsordnung des neuen Hauses auszuarbeiten,
sondern daß das auf Grund des allgemeinen Wahlrechte gewählte
selbst und einzig befugt sei, sich eine Geschäftsordnung
zu geben. Die Machthaber der Èechoslovakischen Republik
haben das aber anders gehalten. Sie haben in der Revolutionsnationalversammlung
eine Geschäftsordnung beschlossen, die für die gewählte
Nationalversammlung maßgebend geworden ist und ein Teil
der Vertreter der bürgerlichen Parteien in der Revolutionsnationalversammlung
hat die Erfahrungen, die sie im alten Österreich als Obstruktionsparteien
zu machen Gelegenheit hatten, bei der Ausarbeitung dieser
èechoslovakischen Geschäftsordnung auch benützt.
Sie haben eine Geschäftsordnung zusammengestellt, durch welche
jede Obstruktion verhindert werden sollte, sie haben herbeigeführt,
daß nicht nur die Obstruktion, sondern auch die Betätigung
kleiner Gruppen in diesem Hause verhindert wird. Und sie haben
insbesondere herbeigeführt eine Knechtung der Minderheiten
in diesem Staate, beziehungsweise eine Knechtung der Vertreter
der Minderheiten in diesem Parlament. Aus allen diesen Gründen
war es unser Bestreben, seit wir in das Parlament eingezogen sind,
eine Abänderung dieser Geschäftsordnung herbeizuführen.
Wir haben bis jetzt im Hause 4 Abänderungsanträge. Ein
Antrag stammt von unserer Gruppe, der deutschen sozialdemokratischen
Fraktion, einer vom deutschen Verband, ein Antrag wurde eingebracht
unter dem Namen Patzel, Spina und unterfertigt von
einer Reihe deutsch-bürgerlicher Parteien, die heute in der
Regierung sitzen und deren Vertreter die Möglichkeit haben,
für die Verwirklichung dessen, was sie damals beantragten,
innerhalb der Regierungsmehrheit einzutreten. Außerdem sind
eingebracht zwei Anträge von den Mehrheitsparteien, der eine,
mit dem wir uns gegenwärtig zu beschäftigen haben, und
ein Antrag, der eine Abänderung des § 40 der Geschäftsordnung
anstrebt. Wir haben nun gemeint, daß, wenn schon vier solcher
Anträge vorliegen, die Möglichkeit doch gegeben sein
sollte, über alle diese Abänderungsanträge, die
gestellt wurden, unter einem zu verhandeln. Wir deutschen Sozialdemokraten
haben nicht nur eine Abänderung der Geschäftsordnung
in dem Sinne verlangt, um den kleinen Gruppen die Möglichkeit
der Betätigung ohne fremde Unterstützung zu geben, wir
haben uns auch bemüht, daß sich ein eigens hiezu eingesetzter
Ausschuß, ein sogenannter Geschäftsordnung-Ausschuß
mit der Reform, mit der Novellierung der Geschäftsordnung
beschäftige. Es ist uns bisher nicht gelungen, im Plenum
des Hauses die Erledigung dieses unseres Antrages zu erzielen,
es ist uns auch bisher nicht gelungen zu erzielen, daß im
Verfassungsausschuß über den von uns gestellten und
dem Verfassungsausschuß zur Erledigung zugewiesenen Antrag
auf Änderung der Geschäftsordnung verhandelt werde.
Die Herren der Majorität haben es auch nicht für notwendig
gefunden, daß im Zusammenhang mit den zwei Anträgen,
die sie selbst auf Abänderung der Geschäftsordnung stellten,
auch unsere Anträge verhandelt werden. Und nun, meine Herren,
wurden dem Verfassungsausschuß nicht nur der Antrag, mit
dem wir uns beschäftigen, zugewiesen, sondern in der ersten
Sitzung des Verfassungsausschusses hat der Herr Dr. Halla als
Berichterstatter nicht nur über den Antrag referiert, über
den wir heute verhandeln, sondern gleichzeitig auch über
den Antrag der Mehrheitsparteien, durch welchen der § 40
der Geschäftsordnung geändert werden soll. Als wir aber
mit dem Begehren kamen, daß auch unsere Anträge verhandelt
werden sollen und als wir uns erlaubten, eine Reihe von Anträgen
zur Änderung der Geschäftsordnung im Ausschuß
selbst einzubringen und die Geschäftsordnung einer Kritik
zu unterziehen, als wir insbesondere die deutschbürgerlichen
Parteien, die in der Regierung sitzen, aufmerksam machten, daß
eine Reihe unserer Anträge wortwörtlich aus dem Antrag
Patzel-Spina abgeschrielen waren und daß diese Parteien
nun Gelegenheit haben werden, zu diesen ihren eigenen Anträgen
auf Änderung der Geschäftsordnung Stellung nehmen, in
welchen die Regelung der Sprachenfrage in der gesetzgebenden Körperschaft
erfolgen soll, wurde den Herren der Mehrheitsparteien und insbesondere
den deutschbürgerlichen Regierungsmameluken ein bißchen
ungemütlich und sie haben darauf hingewirkt, daß eine
Trennung der beiden Anträge vorgenommen wird. Auch der Vertreter
der Nationaldemokraten Herr Dr. Hajn erklärte, es
sei die Frage der Änderung der Geschäftsordnung gar
nicht aktuell und es genüge, wenn man den einen Antrag in
Verhandlung ziehe.
So stehen wir heute also nur vor der Verhandlung
des Antrages auf Vermehrung der Vizepräsidentenstellen, Ordner
und Schriftführer. Auch da müssen wir wieder feststellen,
daß nicht den Wünschen des Parlaments entsprochen werden
soll, sondern daß es sich bei der Vermehrung der Vizepräsidentenstellen
einzig und allein darum handelt, den Hunger einzelner Regierungsparteien
zu stillen. Das Präsidium hat, wie in der Debatte schon mehrfach
hervorgehoben wurde, in der Geschäftsordnung eine ganz hervorragende
Stellung. Das Präsidium hat in vielen Fällen für
das Parlament und für die parlamentarische Betätigung
wichtige Beschlüsse zu fassen. Es setzt den Tag der Sitzung
fest, den Arbeitsplan der gesetzgebenden Körperschaft, es
entscheidet über die Handhabung der Geschäftsordnung
und einzelner seiner Bestimmungen im Parlamente und es ist selbstverständlich,
daß daher die Parteien des Parlamentes an einer Vertretung
im Präsidium ein großes Interesse haben und um so mehr
haben müssen, weil wir infolge der eigenartigen Verhältnisse,
die sich hier entwickelt haben, die Obmännerkonferenz oder
den Ältestenrat vermissen müssen, wie diese Körperschaft
in verschiedenen Parlamenten geheißen wird, und weil alle
Verfügungen und Vereinbarungen nur innerhalb des Präsidiums
der gesetzgebenden Körperschaft getroffen werden.
Nun sollte man meinen, daß man, wenn
schon eine Vermehrung der Vizepräsidentenstellen vorgenommen
wird, dem berechtigten Verlangen der einzelnen Parteien dieses
Hauses, welche nicht entsprechend vertreten sind und kraft ihrer
Stärke das Anrecht auf eine Vertretung hätten, durch
diese Änderung der Geschäftsordnung eine Vertretung
zu sichern bestrebt wäre. Dem ist nun nicht so, sondern die
Vermehrung der Vizepräsidentenstellen soll nur deshalb vorgenommen
werden, um den Hunger zweier Mehrheitsparteien nach Mandaten zu
stillen. Sie betrachten die ganze Frage des Präsidiums als
ein Privileg der Mehrheitsparteien. Daß sie das so betrachten,
haben wir aus den letzten Vorgängen in den beiden Häusern
der Nationalversammlung ersehen. Ich erinnere Sie an den Vorfall
im Senat, wo man daran gegangen ist, bei der Änderung der
politischen Konstellation den Beschluß zu fassen, eine Neuwahl
des Präsidiums des Senates vorzunehmen, nicht um eine Vermehrung
der Präsidentenstellen herbeizuführen, sondern um herbeizuführen,
daß der bei der Konstituierung des Senates gewählte
Präsident seines Mandates verlustig erklärt wird und
daß an seine Stelle ein Vertreter der Mehrheitsparteien
komme. Ja, wo steht es denn geschrieben, daß der Vorsitzende
der gesetzgebenden Körperschaft unbedingt der Mehrheitspartei
angehören müsse? Nehmen Sie sich z. B. - und Sie belieben
ja immer auf das Ausland zu blicken und manches, was im Ausland
geschieht, nachzuahmen - nehmen Sie sich z. B. den Berliner Reichstag,
wo der Präsident einer Partei entnommen ist, die nicht in
der Regierung vertreten ist und nicht der Mehrheit angehört!
Dasselbe ist auch schon in Frankreich geschehen. Sie aber glauben,
daß das Präsidium das Privileg der Mehrheit in der
gesetzgebenden Körperschaft selbst sei und so handeln Sie
auch in den Ausschüssen. Wir haben das Beispiel vor einigen
Tagen im sozialpolitischen Ausschuß erlebt. Es wurde über
diesen Vorfall auch bereits im Laufe dieser Debatte hier gesprochen.
Auch da will ich darauf verweisen, wie anders es in dem viel gelästerten
alten Österreich gewesen ist, wo Ihre Bürgerlichen nicht
nur im Präsidium saßen, sondern wo auch Abgeordnete
Ihrer Nationalität sogar Vorsitzende des wichtigsten Ausschusses,
des Budgetausschusses sein konnten zu einer Zeit, wo diese Parteien
sich in der Opposition befanden. Oder wenn wir das jetzige Österreich
heranziehen, so sehen Sie z. B. als Vorsitzenden des wichtigsten
Ausschusses, des Hauptausschusses, den Sozialdemokraten Dr Renner,
obwohl die Partei in Opposition steht und nicht in der Regierung
vertreten ist. Nehmen Sie sich also ein Beispiel an den Zuständen
des Auslandes, wo sie gut sind, und nicht an den schlechten Verhältnissen.
Es ist nicht unbedingt notwendig, daß der Vorsitzende eines
Ausschusses einer der Mehrheitsparteien angehören muß.
Wie solche Vorsitzende eines Ausschusses beschaffen sind, wie
sie mit den Parteien verkehren, wie sie die Geschäftsordnung
kennen oder nicht kennen, dafür ein Beispiel für die
Herren der Agrarpartei insbesondere. Der Klub der deutschen sozialdemokratischen
Partei hat Gewicht darauf gelegt, daß der Untersuchungsausschuß,
dem ein Antrag auf Untersuchung der Prager Vorfälle bei den
Demonstrationen in Frage der Zölle zugewiesen worden ist,
einberufen werde und es hat der Vorsitzende unseres Klubs an den
Herrn Obmann des Untersuchungsausschusses in dieser seiner Funktion
eine Zuschrift gerichtet. Der Vorsitzende unseres Klubs hat folgende
Antwort bekommen, die ich Ihnen wörtlich verlesen werde.
Auf einem Kaszettel, wie er gewöhnlich zur Einbringung von
Interventionen von den Abgeordneten benützt wird, hat aus
seiner Heimat der Obmann des Untersuchungsausschusses an den Klub
der deutschen sozialdemokratischen Abgeordneten folgende Zuschrift
gerichtet (ète):
"Antonín Kaòourek, rolník v Strunkovicích.
Nemám po ruce jednací øád snìmovny,
ale tuším, že je to § 59 jedn. øádu,
dle nìhož v pøíloze Vám vracím
pøípis.
S úctou Antonín Kaòourek." (Rùzné
výkøiky. - Veselost na levici.)
Das ist die Zuschrift, die der von Ihnen gewählte
Obmann eines Ausschusses dem Vertreter eines Klubs auf das Begehren
nach Einberufung des Ausschusses geschickt hat und vor einem solchen
Obmann (Rùzné výkøiky.
- Místopøedseda inž. Dostálek
zvoní.) eines
so wichtigen Ausschusses soll man noch Respekt haben? Wir haben
uns natürlich sofort die Geschäftsordnung zur Hand genommen
und den § 59 angesehen, welcher von der Art der Durchführung
der namentlichen Abstimmung handelt. Was der Herr Obmann des Untersuchungsausschusses
mit dieser Zuschrift überhaupt bezwecken wollte und aus welchen
Gründen die Berufung auf eine Bestimmung der Geschäftsordnung
erfolgte, das ist überhaupt ganz in Frage. Ich habe an dem
Beispiel ja nur zeigen wollen, von welchen Qualitäten die
Besetzung der Funktionen abhängt, wenn man sich nicht von
dem Bedürfnis des Parlamentes, sondern nur von parteipolitischen
Erwägungen leiten läßt. Unlängst einmal hat
der Herr Abg. Bradáè,
der Obmann des Budgetausschusses, ein Referat übernehmen
müssen und es wurde dann, nachdem er als Referent nicht mehr
den Vorsitz führen konnte, eine Abstimmung im Budgetausschuss
vorgenommen, die natürlich auch pünktlich verkracht
gewesen ist, es wurde dann der Witz gemacht, daß es gut
wäre, wenn schon der Obmann des Ausschusses nicht präsidieren
kann, wenn alle seine Stellvertreter zusammengenommen würden,
damit kein Malheur passiert. Sie sehen, wohin es führt, wenn
man die Besetzung solcher Posten nicht vom Gesichtspunkte des
Bedürfnisses, sondern nur von parteipolitischen Erwägungen
aus durchführt. Nun haben wir uns natürlich veranlaßt
gesehen, den Antrag, den Kollege Dr Meissner im Verfassungsausschuß
schon gestellt hat, der aber dort abgelehnt worden ist, aufzugreifen
und auch etwas auszugestalten, weil es nicht nur notwendig ist,
den kleinen Parteien eine Vertretungsmöglichkeit zu geben,
sondern ihnen diese Vertretungsmöglichkeit dadurch zu schaffen,
daß sie sich zu Wahlgruppen vereinigen können. Wir
verlangen also grundsätzlich dasselbe wie Kollege Dr Meissner,
eine proportionelle Vertretung im Präsidium, aber um die
zu ermöglichen, soll die Wahlgruppenbildung so herbeigeführt
werden, wie z. B. bei der Zusammensetzung von Ausschüssen
oder beim Ständigen Ausschuß. Wer es nun wirklich ernst
meint mit einer entsprechenden Vertretung im Präsidium, muß
für den Antrag stimmen und insbesondere jene Parteien, welche
sich heute in der Regierungsmehrheit befinden, aber keine Sicherheit
haben, daß sie noch in einigen Monaten in der Mehrheit sein
werden, hätten die Pflicht und das Interesse, für einen
solchen Antrag zu stimmen. Es ist selbstverständlich, daß
wir dem Antrag auf bloße Vermehrung der Vizepräsidentenstellen
nicht zustimmen können und ebenso selbstverständlich,
daß wir auch kein Interesse daran haben, daß zwei
der Mehrheitsparteien in das Präsidium hereinkommen. Aus
diesem Grunde werden wir uns auch an der Wahl der Vizepräsidenten
nicht beteiligen und überlassen es den deutschen Regierungsparteien,
dafür mitzustimmen, daß eine weitere Knechtung der
deutschen Oppositionsparteien dieses Hauses vorgenommen wird.
(Potlesk nìm. soc. demokratických
poslancù.)