Auf der Aussiger Hausbesitzertagung hat auch
der Vertreter des Bundes der Landwirte der Herr Abg. Fischer
gesprochen. Er erbrachte den Beweis nicht nur für die reaktionäre,
gehässige und mieterfeindliche Haltung seiner Partei, sondern
auch von der in dieser Partei vorherrschenden Intelligenz, die
immer wieder, wenn es um die Verteidigung der Profitinteressen
geht, zum Durchbruch kommt. Über die niedrige Beschimpfung
der Mieter, die Herr Fischer bekanntlich damit umschrieb,
daß er erklärte: "der Mieterschutz schützt
nur die Haderlumpen", werden wir mit ihm, nachdem er ja aus
unserem Wahlkreis stammt, noch außerhalb des Parlamentes
sprechen. (Posl. Hackenberg: Das ist ein Lehrer!) Ja, das
ist ein Volksbildner, ein Lehrer, der sich derartiger Ausdrücke
bedient. Aber gerade Herr Fischer hätte am allerwenigsten
Ursache, für den Abbau des Mieterschutzes einzutreten, denn,
wenn er für die Leiden seines Volkes nur ein bißchen
Verständnis aufbringen würde, dann würde er sich
nur einmal in seinem eigenen Wahlkreis, ja sogar in seinem eigenen
jetzigen Wohnort umzuschauen brauchen oder sich wenigstens unterrichten
zu lassen und er würde sofort erfahren, wie diese Haderlumpen
von Mietern wohnen und leben. Vielleicht kann ich ihm dabei ein
bißchen an die Hand gehen. Das Wohnungselend in unserem
Gebiete hat die Bezirksverwaltungskommission in Karlsbad, Marienbad,
Eger, Falkenau und Ellbogen veranlaßt, einige Wohnungsreferate
zu errichten, deren Tätigkeit sich auch auf die Erhebung
der Wohnungsnot erstreckt. So wie in Aussig sind auch hier in
diesen Bezirken schauderhafte Daten ermittelt worden, die, ich
betone es ausdrücklich, durchaus nicht von einem Sozialdemokraten
erhoben wurden, sondern von einem Bürgerlichen. In der Stadt
Karlsbad, die von der Regierung so gerne als das Fenster der Republik
bezeichnet wird, und von der die Christlichsozialen, die Deutschnationalen
und Gewerbeparteiler unlängst erst behauptet haben, daß
sie frei sei von Wohnungsnot, zählte man 159 einräumige
Wohnungen mit 733 Personen. Die Wohnungen befinden sich natürlich
meistens in Kellern und auch auf Dachböden und werden durchwegs
von Arbeitern bewohnt. Diese Wohnungen sind direkt ein Skandal.
Es sind feuchte, lichtlose Löcher, in denen der Aufenthalt
zu einer Qual wird. Im Bezirk Karlsbad sind in 1.935 einräumigen
Wohnungen 10.098 Personen untergebracht, das sind 13% der Gesamtbevölkerung.
Dasselbe ist im Bezirke Marienbad, von dem ebenfalls behauptet
wird, daß er nicht unter der Wohnungsnot leide. Dort gibt
es 157 einräumige Wohnungen mit 842 Personen. Im Bezirke
Falkenau sind 430 einräumige Wohnungen mit 2.580 Personen
bevölkert. In 23 Fällen wohnen drei Familien in einem
einzigen Raum. Sehr schlimm steht es auch im Bezirke Ellbogen,
wo 953 einräumige Wohnungen von 5.459 Personen bewohnt sind.
Die als typisches Wahrzeichen der Wohnungsnot zur traurigen Berühmtheit
gewordene Egerer Kaserne, in der sich 72 Wohnungen mit 500 Personen
befinden, braucht nicht besonders hervorgehoben werden. Selbst
im Wohnort des Herrn Abg. Fischer im alten Schlaggenwald
hat das Wohnungselend verheerende Folgen angerichtet. Es gibt
dort 40 einräumige Wohnungen mit 231 Personen. Der dortige
Stadtarzt Dr. Singer betont in seinem Gutachten, daß die
Wohnungsverhältnisse in Schlaggenwald äußerst
schlecht sind und besonders sind zahlreiche sanitätswidrige
Wohnungen vorhanden. Wenn eingewendet wird, daß in ländlichen
Gemeinden keine Wohnungsnot sei oder daß die Wohnungsnot
nicht so kraß herrsche, so will ich Ihnen nur sagen, wie
sich z. B. in meinem Bezirke die Wohnungsnot auswirkt. Ich wi!l
Ihnen nur das Gutachten eines Distriktsarztes aus meinem Bezirke
zur Kenntnis bringen. Dieser Arzt schreibt: "Bei meinen Dienstreisen
in meinem Sanitätsdistrikt hatte ich Gelegenheit, in den
einzelnen Ortschaften geradezu trostlose Verhältnisse von
Wohnungen zu beobachten. Dies gilt insbesondere für Ortschaften,
die fast durchwegs von Arbeitern bevölkert sind. Es gibt
dort Wohnungen mit 1,5 m Höhe, mit einem Fenster und ohne
Ofen. Die Länge beträgt oft nur 3 m, die Breite 2.5
m. Darin sind oft 4 bis 5 Personen untergebracht. Abgesehen von
den unzulänglichen Raumverhältnissen sind die kleinen
Wohnungen feucht und dumpf, wodurch dem Auftreten von Infektionskrankheiten
wie Influenza, Keuchhusten, Dyphterie, Tuberkulose Vorschub geleistet
wird". Der bürgerliche Referent über die Wohnungsfürsorge
kommt in seinen zusammenfassenden Betrachtungen zu folgendem Urteil:
"In diesem furchtbaren Wohnungselende muß schließlich
die Widerstandsfähigkeit auch des gesündesten und lebensfreudigsten
Arbeiters zermürbt werden. Man stelle sich nur vor, wenn
er nach des Tages Mühen, anstatt sich in der Wohnung Ruhe
und Erholung gönnen zu können, seine Familie in einem
Massenlager schlimmster Sorte findet und in der dumpfen stickigen
Luft dieser Wohnhöhlen kaum ein Plätzchen zum Ausruhen
hat. Gar bald treten infolge dieser ungesunden Wohnungen Krankheiten
der Kinder ein. Muß da nicht das Gemüt verbittert werden
und muß da nicht alle Lebensfreude sich in Haß und
Neid verwandeln; und die Ohnmacht, die Lage nicht verbessern zu
können, gebiert dumpfe Verzweiflung. Aber es sind nicht mehr
einzelne, die in diesem Elend leben, nein, heute ist es schon
eine breite Schicht der arbeitenden Bevölkerung. Die verantwortlichen
Faktoren mögen sich auch vor Augen halten, daß dieses
Problem immer ernster und gefährlicher wird. Denn die breite
Schicht der Bevölkerung, die unter dem Wohnungselend zu leiden
hat, ist sich heute sehr wohl bewußt, daß dies keine
Übergangserscheinung von absehbarer Dauer ist, sondern daß
dieses Los dem Arbeiter, der heute in den besten Jahren seiner
Leistungsfähigkeit steht, ihn bis zur Zeit seines Todes beschieden
ist, der unter diesen Verhältnissen bald eintreten muß.
Gerade diese Hoffnungslosigkeit treibt dann die Massen - denn
es sind nicht mehr einzelne - zu Schritten, die wir heute noch
gar nicht vorausahnen können. Auch durch die Stille dieser
verzweifelten Leute darf man sich nicht täuschen lassen.
Oft genügt dann ein ganz geringfügiger Anlaß,
um das glimmernde Feuer zum Auflodern zu bringen. Wird sich ein
solcher Mann unter solchen Verhältnissen nicht sagen: was
kann ich denn verlieren, wenn daheim nur Not, Krankheit und Verzweiflung
herrscht?"
Das sagt der bürgerliche Wohnungsreferent
und das sollte sich auch der Herr Abg. Fischer durchlesen.
Das sagen Leute, die allerdings nicht blind durchs Leben taumeln
und die auch nicht aus Haß gegen die armen Teufel und leidenden
Menschen jede menschliche Regung und jedes soziale Gefühl
verloren haben. Das Wohnungselend bei uns besteht und es kann
weder von einem Fischer noch von einem Viškovský
durch Reden gehässiger Natur aus der Welt geschafft werden.
(Posl. Hackenberg: Wenn er von seiner Pension leben müßte,
würde er vielleicht auch ein wenig anders reden!) Ja,
so ist es. Draußen in der Provinz ist es eben so wie hier
in Prag. In Prag - das hat ja Koll. Hackenberg bereits
in einem Zwischenrufe bemerkt fehlen noch 20.000 Wohnungen und
es spielen sich verzweifelte Kämpfe bei Vergebung von Wohnungen
ab. Ich möchte auch den Mieterfeinden empfehlen, sich das
in Preßburg bestehende sogenannte Bretteldorf anzusehen,
in welchem 23 Familien beisammen sind, die sich aus Bretteln von
Zuckerkisten Baracken gebaut haben, in denen sie mit ihren Kindern
hausen. Dabei müssen diese Leute noch immer in der Angst
leben, daß ihnen nicht durch das oft eintretende Hochwasser
der Donau diese elenden Baracken fortgeschwemmt werden. So also,
Herr Fischer, wohnt und lebt das Volk der Haderlumpen.
Gewiß, wir verstehen schon, daß auch kleine Hausbesitzer
schwer unter den Bestimmungen des Mieterschutzes zu leiden haben.
Diese Hausbesitzer sind aber nicht die Scharfmacher gegen die
Mieter, sie kennen die wirtschaftliche Lage derselben, weil sie
selbst zum Großteil der Arbeiterklasse angehören. Die
Scharfmacher sind die Hausagrarier, das Hausbesitzerkapital, das
durch die Beseitigung des Mieterschutzes freie Bahn zur Auswucherung
der Mieter haben will. Es ist heller Wahnsinn, unter den jetzigen
Verhältnissen den Mieterschutzabbau vornehmen zu wollen,
weil dadurch tausende Menschen in Verzweiflung und Verderben gejagt
werden. Wir müssen uns daher gegen jede Verschlechterung
des Mieterschutzes auf das schärfste wenden.
Die mit zur Verhandlung stehende Vorlage über
die exekutive Räumung von Wohnungen, wurde ebenfalls verschlechtert,
besonders im § 5, der jetzt bestimmt, daß einem delogierten
Mieter, dessen Einrichtungsgegenstände bei der Gemeinde aufbewahrt
sind, wenn er sie nicht innerhalb eines Jahres von dem Tage der
Aufbewahrung an, übernimmt, diese Einrichtungsgegenstände
von der Gemeinde veräußert werden können. Viele
arme Teufel, die das Unglück hatten, delogiert zu werden,
werden durch diese Bestimmung ihrer Einrichtungsgegenstände
beraubt, für deren Anschaffung sie sich jahrelang die Kreuzer
vom Munde absparen mußten. Doch alles läßt die
Regierungsparteien kalt, sie kennen nur ein Bestreben, den Mieterschutz
umzubringen; mögen Tränen fließen, Familien zerstört
werden, zarte Kinderleben zugrunde gehen, was ist dabei, wenn
nur die Hausbesitzer wieder Herren im Hause sind.
Ich habe schon gesagt, daß der Mieterschutz
erst beseitigt werden kann, wenn genügend Wohnungen geschaffen
sind. Wie schaut es da bei uns aus, und was hat die Regierung
bisher geleistet? Die Mittel, die da angewendet wurden, waren
nur Palliativmittel und kamen für eine merkliche Bekämpfung
der Wohnungsnot nicht in Frage; auch das jetzige Gesetz wird eben
so wenig wie das frühere eine Abhilfe bringen. Mit dem bloßen
Garantiebeitrag und der dürftigen Unterstützung der
privaten Bautätigkeit wird der Bauförderung wenig geholfen.
Das kann nur durch ausreichende direkte Subventionierung erfolgen.
Warum wird kein entsprechender Baufond geschaffen, aus welchem
nicht nur öffentliche Körperschaften, wie Gemeinden,
Genossenschaften u. s. w. gespeist werden könnten, sondern
womit auch den Privaten billige Darlehen gewährt werden sollten?
Man komme uns nicht immer wieder mit der alten Einwendung, daß
kein Geld dafür vorhanden sei. Wir wissen, es ist Geld für
viele über flüssige Einrichtungen da. Für den Rüstungsfond
z. B. dem man großmütig 3.500 Millionen Kronen widmete,
ungezählte Millionen für verkrachte Banken, für
Parteieinrichtungen der Regierungsparteien, wie wir das bei den
Kohleneinfuhrscheinen sahen und für vieles andere mehr. Für
die Mordkultur stehen Millionen zur Verfügung, für Wohnungskultur
gibt es nur zugeknöpfte Taschen. Die großzügige
Wiener Wohnungsfürsorge hat auch bei uns Bewunderung ausgelöst.
Daß man aber daran ginge, das Wiener Beispiel nachzuahmen,
dazu fehlt der gute Wille. Man behauptet immer wieder und auch
die Herren Berichterstatter haben das getan, daß nur durch
die Beseitigung des Mieterschutzes, nur durch die freie ungebundene
Wohnungswirtschaft die Bautätigkeit gehoben werden kann.
Wie unzutreffend diese Behauptung ist, zeigt uns gerade die Wiener
Wohnbaupolitik, zeigt uns ferner auch Ungarn, wo die freie Wohnungswirtschaft
schon besteht. Die Folge davon ist in Ungarn eine ungeheure Steigerung
des Mietzinses, der um das Fünf- und Achtfache gestiegen
ist und im Jahre 1928 dem vollen Friedenszins angepaßt werden
soll. Während in Wien eine Einzimmerwohnung jährlich
360 Kè nach unserem Gelde umgerechnet kostet, müssen
in Budapest dafür 1800 Kè gezahlt werden. Für
eine Zweizimmerwohnung werden in Wien 500 Kè jährlich
gezahlt, in Budapest 2.500 Kè. Die Geschäftslokale
weisen in Wien durchschnittlich eine Mietzinshöhe von 800
Kè per Jahr auf, in Budapest 5.000 Kè. Trotz dieser
hohen Mietzinse läßt die Neuherstellung von Wohnungen
in Ungarn alles zu wünschen übrig. Auch die Budapester
Gemeinde mußte trotz der freien Bewirtschaftung Gemeindehäuser
bauen. Da sehen wir nun Folgendes: In
den Wiener Gemeindehäusern werden für eine Einzimmerwohnung
jährlich 420 Kè gezahlt, in Budapest 3.765 Kè.
Eine Zweizimmerwohnung kostet in Wien 580 Kè, in Budapest
4.860 Kè. Das sind die Unterschiede zwischen der freien
Bewirtschaftung und der Zwangswirtschaft. Die
Herren, die da fortwährend von der Abschaffung der Zwangswirtschaft
auf dem Gebiete des Wohnungswesens sprechen, haben hier ein sehr
anschauliches Schulbeispiel. Auch bei uns sind die Mietzinse in
den neuerbauten Häusern den breiten Schichten bei
ihrem Einkommen unerschwinglich. Sie bewegen sich zwischen 3000
und 8000 Kè jährlich und darüber hinaus. Wir
müssen daher die öffentliche Bautätigkeit fördern,
müssen den Gemeinden und anderen öffentlichen Körperschaften
Mittel zu Wohnbauten zur Verfügung stellen.
Das Schlagwort, daß die Gemeinden zu teuer bauen, entspricht,
wie Wien beweist, nicht den Tatsachen. Die Regierungsparteien
haben jetzt den Gemeinden durch das Gemeindefinanzgesetz die Möglichkeit
jeder sozialen Tätigkeit und auch jeder Bauförderung
genommen. Auch das wird sich sehr nachteilig für die Wohnungsfürsorge
auswirken, wird erhöhte Wohnungsnot nach sich ziehen. Mit
dem vorliegenden Gesetze über die Bauförderung können
die Schäden, die aus dem Wohnungselend unserem Volke erwachsen,
nicht geheilt werden, es wird an den bestehenden Zuständen
nichts ändern, ja es wird durch die verschlechterten Bestimmungen
die Situation noch wesentlich verschärfen. Verschlimmernd
wirkt auch hier die provisorische Geltungsdauer des Gesetzes,
wodurch neben der Verteuerung des Baumaterials auch der Bodenwucher
ausreichend gefördert wird. Es wäre angezeigter, wenn
Herr Dr. Sturm als Sekretär der deutschen Baumeistervereinigung
statt Brandreden gegen den Mieterschutz zu halten, Wege suchen
würde, um die erhöhten, Kosten der Baumaterialien zu
verbilligen; allerdings darf das nicht auf Kosten der Arbeiter
geschehen. Sonst werden die Mietzinse in den neuen Häusern,
die von den Minderbemittelten schon jetzt nicht mehr gezahlt werden
können, noch erhöht werden, so daß diese überhaupt
davon ausgeschlossen sind, in solchen Häusern Wohnung zu
nehmen. Der Betrag von 120 Millionen, den das jetzige Gesetz für
die Bauförderung zur Verfügung stellt, ist entschieden
zu niedrig. Wir müssen uns weiter gegen die Herabsetzung
der Steuererleichterungen und gegen die Einschränkung der
Steuerfreiheit wenden. Ich habe schon im sozialpolitischen Ausschuß
darauf verwiesen, daß durch die Praktiken der Behörden
das Gesetz über die Baubewegung fast wirkungslos gemacht
wird. Da hat der Herr Berichterstatter des Budgetausschusses
erklärt, daß bei der Regierungsgarantie von 120 Millionen
Kè die einzelnen Gesuche noch strenger überprüft
werden müssen. Er hat scheinbar keine Ahnung, wie man auf
diesem Gebiete von Seiten der Behörden
arbeitet. Die Bewerber um die Staatsgarantie müssen ein wahres
Martyrium durchmachen, um die Ansuchen bewilligt zu erhalten.
Die Bauabteilung der politischen Landesverwaltung läßt
die Ansuchen monatelang liegen. Im Bezirke Falkenau wurden ab
Mai 1927 einige 40 Ansuchen um die Staatsgarantie eingebracht,
erledigt wurden bis heute ganze 4 Stück. Mit allen möglichen
und unmöglichen Mitteln werden die Bewerber schikaniert,
Belege und Beilagen werden verlangt, die das Gesetz gar nicht
vorschreibt Es ist jetzt schon eine groß angelegte
Sabotage, die selbst mit diesem schlechten Gesetze betrieben wird.
Wahrscheinlich geschieht das über höheren Auftrag. Ob
das nur für die deutschen Gebiete so gehandhabt wird oder
ob auch èechische darunter zu leiden haben, entzieht
sich meiner Kenntnis. Wenn sich dieser Zustand noch verschlechtern
soll, bleibt von der Bauförderung überhaupt nichts mehr
übrig. Es muß noch festgestellt werden, daß beim
vorjährigen Gesetz die deutsche Durchführungsverordnung
zu spät herausgegeben wurde, was gleichfalls eine
Benachteiligung der deutschen Bewerber war. Während die èechische
Durchführungsverordnung 4 Wo chen nach der Kundmachung des
Gesetzes erschien, mußte auf die amtliche deutsche Ausgabe
10 Wochen gewartet werden.
Meine Damen und Herren! Es ist eine erwiesene
Tatsache, daß bei uns nicht nur sehr trostlose Wohnungsverhältnisse
bestehen, sondern ein Wohnungselend herrscht, das krasser nicht
mehr sein kann. Gerade deshalb müssen wir an dem uneingeschränkten
Mieterschutz festhalten. Die Regierung macht durch die vorliegenden
Gesetze gerade das Gegenteil, sie baut den Mieterschutz ab, und
sie stellt nur ganz unzulängliche Mittel für die Bauförderung
zur Verfügung. Das bedeutet aber eine Erweiterung des Wohnungselends,
größere Schädigung der Volksgesundheit, erhöhte
Kindersterblichkeit, weiteren sittlichen Verfall unserer Jugend,
was alles zur Degeneration unseres Volkes führen muß.
Die Wohnungsfürsorge ist eines der größten sozialen
Probleme, dessen Lösung nicht Aufgabe der privaten Wirtschaft
sein kann, sondern Aufgabe der gesamten Gesellschaft, Aufgabe
des Staates sein muß. Wir leisten mit unserer ganzen sozialen
Fürsorge in Spitälern, Jugendfürsorgestellen, Kindererholungsstätten,
Tuberkuloseheimen, Krüppelanstalten usw. nur Sysiphusarbeit,
wenn die Menschen weiter wie Tiere zu wohnen gezwungen sind. Wirkliche
Hilfe können wir nur bringen, wenn wir die breiten Massen
des Volkes aus dem Wohnungssumpf befreien und für sie billige
und gesunde Wohnungen beschaffen. Die vorliegenden Gesetze bringen
diese Hilfe nicht. Wir haben eine ganze Reihe Anträge gestellt,
nicht etwa Agitationsanträge, dazu ist uns das ganze Problem
viel zu ernst, sondern Anträge, die verwirklicht werden können
und die zur Verbesserung der Wohnungsverhältnisse wesentlich
beitragen würden. Ich weiß, unsere Anträge
werden von den deutschen und èechischen Regierungsparteien
rücksichtslos niedergestimmt werden, diese werden das schamlose
Attentat auf das Obdach der arbeitenden Menschen durchführen.
Denn sie bemühen sich nicht nur das Volk
auszuhungern, es politisch zu entrechten, sondern es soll auch
noch der erhöhten Obdachlosigkeit überantwortet werden.
Aber die Herren in der Regierung sollen ja nicht glauben, daß
sie der Verantwortung entgehen werden. Das Volk wird umso früher
erkennen, daß es weder von den herzlosen gottverlassenen
Christlichsozialen noch von den jedes nationalen Empfindens baren
Agrariern und Gewerberettern etwas zu erwarten hat. Der Bürgerblock
hat, seit er die Macht in diesem Staate besitzt, in der sozialen
Gesetzgebung gehaust wie ein Elefant im Porzellanladen, rücksichtslos
und brutal werden alle sozialen Gesetze entnervt. Die Krönung
dieser Verbrecherarbeit soll jetzt wieder dadurch erfolgen, daß
man auch an die Zertrümmerung der Sozialversicherung schreitet.
Nur so zu, meine Herren Regierungsparteiler, nehmt den Arbeitern
das bischen erbärmliche Obdach, werft sie auf die Straße,
laßt sie betteln gehen, wenn sie alt und hungrig sind, doch
vergessen Sie dabei nicht, daß der Tag der Vergeltung kommen
wird. Die Massen des Volkes warten darauf, über diese fluchwürdige
Politik ein Urteil abzugeben. Daß es das Todesurteil für
den Bürgerblock sein wird, dessen sind wir uns sicher. Wir
werden selbstverständlich gegen jede Verschlechterung des
Mieterschutzes und der Bauförderung stimmen. (Potlesk
nìm. soc. demokratických poslancù.)
Meine Damen und Herren! Wie ich vor mehr als
einem Jahre von der Tribüne dieses Hauses aus Gelegenheit
hatte, zu den von der Regierung vorgelegten provisorischen Mieterschutz-
und Bauförderungsgesetzen zu sprechen, habe ich meine damaligen
Ausführungen mit dem Appell an die Regierung und die Regierungsmehrheit
geschlossen, das Jahr 1927 nicht unbenützt vorübergehen
zu lassen und einen Gesetzesantrag auszuarbeiten, der das Problem
der Bauförderung im Zusammenhange mit dem Mieterschutz in
großzügiger Weise löst, und diesen Gesetzesantrag
zeitgerecht den gesetzgebenden Körperschaften zur Beratung
vorzulegen. Ich konnte damals allerdings nicht verschweigen, daß
ich wenig Vertrauen in die Parteien der jetzigen Regierungskoalition
setzen kann, die meiner Meinung nach schon infolge der ganzen
Struktur der Regierungsmehrheit weder die Fähigkeit noch
die Ambition besitzen, das Wohnungsproblem mit allen damit eng
zusammenhängenden Fragen zu lösen. Das Jahr 1927 ist
also abermals nutzlos verstrichen und heute, wenige Tage vor Ablauf
der Rechtswirksamkeit des letzten Mieterschutzprovisoriums wird
dem Abgeordnetenhause wieder nur ein provisorisches Gesetz mit
einer einjährigen Lebensdauer zur Beschlußfassung vorgelegt.
Diese allgemeine Erscheinung des kläglichen
"Fortwurstelns" mit Gesetzesprovisorien in den wichtigsten
sozialen und wirtschaftlichen Fragen hat ihre letzten und tiefsten
Ursachen in der politisch unsicheren Lage der gegenwärtigen
Regierung und der Parteienmehrheit, auf die sich diese Regierung
stützt. Heute überblicken wir, rückschauend in
die Vergangenheit, den ganzen politischen Entwicklungsprozeß,
der zwangsläufig den gegenwärtigen Grad der Labilität
der jetzigen Regierungsmehrheit erzeugen mußte.
Am Anfange des ersten gewählten Parlamentes der Èechoslovakei
stand eine allnationale èechische Regierungskoalition,
zusammengesetzt aus bürgerlichen und sozialistischen Parteien
des èechischen Herrenvolkes allein.
Diese durch grundlegende Prinzipien der Parteiprogramme, ja sogar
durch Weltanschauungen von einander unterschiedliche Parteien
konnten gerade nach einer sogenannten sozialen Revolution doch
einträchtig beim Regierungstische miteinander sitzen bleiben,
weil sie der Außenwelt ihrer Wählerschaft gegenüber
von dem eisernen Ringe der Notwendigkeit zusammengehalten wurden,
die ganze politische Macht in den Händen des èechischen
Staatsvolkes zu vereinigen und so vor der ganzen Welt den Nach
weis zu führen, daß dieser
Staat trotz der ihm von der Friedenskonferenz widerrechtlich ausgelieferten
Minderheitsvölker ein einheitlicher èechischer Nationalstaat
sei. So lange es also galt, staatspolitische und nationalpolitische
Gestaltungen in Gesetzesparagraphen niederzulegen,
war es leicht, unter den divergierenden Parteien der èechischen
bürgerlich-sozialistischen Regierungskoalition die gewünschte
Eintracht zu erhalten und dem sicherlich politisch sehr reifen
èechischen Volke trotz aller sozialen, kulturellen und
wirtschaftlichen Sonderinteressen als
notwendig erklärlich zu machen. Und wenn sich bei aller Begeisterung
für den èechischen Nationalstaat und bei aller Überzeugung
von der Notwendigkeit einer rein èechischen Regierung trotzdem
Risse in der allnationalen Koalition zeigten,
so gab es einen unsichtbaren Kitt, mit welchem man diese Risse
rasch verschmieren und das Koalitionswerk sanieren konnte. (Další
vìta byla usnesením pøedsednictva posl. snìmovny
ze dne 15. bøezna 1928 podle §u 9, lit. m)
jedn. øádu vylouèena z tìsnopisecké
zprávy. Viz str. 81 této tìsnopisecké
zprávy.) Die èechischen
Staatsmänner und Politiker selbst haben vor dem In- und Auslande
in Wort und Schrift feierlich erklärt, daß das deutsche
Schulwesen in allen seinen Formen und Typen dezimiert und auf
ein niedrigeres Niveau heruntergedrückt werden muß,
damit auf dessen Kosten das èechische Schulwesen ausgebaut
werden kann bis zu jenem Grade, den wir heute sehen, daß
in Gemeinden des geschlossenen deutschen. Sprachgebietes in den
unzulänglichen Räumen einer
deutschen Gemeindeschule 70 und mehr deutsche Schulkinder zusammengepfercht
im Abteilungsunterricht sitzen, während im gleichen Orte
für 10 oder 20 Kinder der zugewanderten Èechen aus
Staatsmitteln ein Minderheitsschulpalast aufgeführt ist.
Auf Grund eines besonderen Abbaugesetzes
wurden die deutschen Staatsangestellten derartig gründlich
ihres Arbeitsplatzes beraubt und derselbe mit Èechen besetzt,
so daß wir Deutschen nicht einmal ein Zehntel jener Stellen
im Staatsdienste, auf die wir nach dem Bevölkerungsschlüssel
ein Anrecht haben, mit deutschen Volksgenossen besetzt sehen.
[Další vìta byla usnesením pøedsednictva
posl. snìmovny podle §u 9, lit. m) jedn. øádu
vylouèena z tìsnopisecké zprávy. Viz
str. 81 této tìsnopisecké zprávy.]
Nimmt man noch die Gesetze
über die Vermögensabgabe, Wertzuwachsabgabe, Kriegsanleiheumtausch
u. ä. dazu, die durch ihre einseitig harte Durchführung
gegen die Deutschen weitere Milliarden der deutschen Wirtschaft
zugunsten der èechischen entzogen haben, so wird man begreiflich
finden, daß es der bürgerlich-sozialistischen Regierung
nicht schwer fiel, bis zum Jahre 1925 ihren eisernen Koalitionsring
unversehrt zu erhalten. Als aber wir Sudetendeutschen ein armes
Volk geworden waren, dem man èechischerseits ohne Gefährdung
des Staatsprestiges nichts mehr in so großzügiger Art
wegnehmen konnte, als die Beutebrocken aus dem Raube am deutschen
Besitzstande immer kleiner und nichtssagender wurden, da verlor
das Schlagwort vom èechischen Nationalstaat für die
Parteien der "Pìtka" seine
Zugkraft und die allnationale Koalition zerfiel so gründlich,
daß das Parlament selbst nach den Wahlen des Jahres 1925
anfangs nicht mehr arbeitsfähig war.
Es ist eine bewußte Unwahrheit und eine
beabsichtigte Täuschung der Wählermassen, wenn die jetzigen
deutschen Regierungsparteien durch ihren Minister Mayr-Harting
auf den Parteitagen in Trautenau und Arnau verkünden lassen,
daß die allnationale èechische Koalition infolge
des in Europa herumrumorenden Locarnogeistes zerfallen ist, und
daß die deutschen Regierungsparteien bedingungs- und programmlos
in eine gemischtnationale Regierungsmehrheit
im Frühjahr 1926 eintreten mußten, um die Bildung einer
neuen national-èechischen Koalition zu verhindern, und
jetzt trotz der Erfolglosigkeit ihrer Politik in dieser Regierungsmehrheit
verbleiben müssen, um die Wiederkehr einer
èechischen "Pìtka" zu vereiteln, die sich
angeblich auch im èechischen politischen Lager niemand
wünscht. Ebenso falsch ist die Behauptung der deutschen Regierungsparteien,
daß viel Schaden für das deutsche Volk in diesem Staate
hätte verhindert werden können, wenn
der deutsche Aktivismus schon früher sein Experiment des
Mitregierens hätte beginnen können.
Die Tatsachen, die wir miterlebt haben, widerlegen
schlagend eine solche fadenscheinige Argumentation der deutschen
Regierungssparteien. Seit dem Zerfall des deutschen parlamentarischen
Verbandes ex 1920 haben die deutschen Regierungsparteien mit ihrem
Aktivismus und Positivmus und mit ihrer Sehnsucht nach der Teilnahme
an der politischen Macht sittsam und stellenweise würdelos
herumgewedelt, ohne vor den Augen der Èechen Gnade
gefunden zu haben. Die èechischen bürgerlichen Parteien
haben ganz genau den Zeitpunkt erkannt, wann sie die sich anbietenden
Deutschen in die Regierungsmehrheit hineinlassen durften, ohne
daß sie die Teilnahme der Deutschen an der
sogenannten Macht irgendwie in ihrem rein èechisch-nationalen
Konzepte stören könnte. Die èechischen Regierungsparteien
haben auch den glücklichen Zufall benützt, die sich
in die Regierung planlos hineindrängenden deutschen Parteien
bis zum heutigen Tage in einer künstlich
gemachten Einflußlosigkeit zu erhalten und ihnen auch den
kleinsten Erfolg einer Teilnahme an der Regierungsmehrheit zu
versagen.
Der Herr Minister Mayr-Harting hätte
vielmehr der Wahrheit entsprechend berichten müssen, daß
sich heute im èechischen Lager alles nach der Wiederkehr
einer allnationalen èechischen Koalition sehnt und daß
sich auf der èechischen Seite niemand mehr die weitere
Fortsetzung der gegenwärtigen gemischt-nationalen Koalition
wünscht, zumal diese gerade im Jubiläumsjahre
mit Rücksicht auf das Ausland nicht angebracht zu sein scheint.
Und so sehen wir allenthalben eine immer stärker und deutlicher
werdende Annäherung zwischen den in der Regierung befindlichen
èechischen Bürgerparteien und den
in Opposition stehenden, èechischen
sozialistischen Parteien, was besonders bei den Beratungen über
die Novellierung des Sozialversicherungsgesetzes merklich in Erscheinung
tritt. Früher haben im Rahmen der allnationalen Koalition
die bürgerlichen und sozialistischen Parteien in jeder
einzelnen Frage ein Kompromiß gesucht und geschlossen, wobei
die deutschen Parteien vollkommen nebensächlich gewesen sind.
Heute werden in den wichtigsten Fragen die Kompromisse zwischen
den èechischen Regierungs- und Oppositionsparteien ebenso
geschlossen, nur muß man jetzt
deutsche Regierungsparteien mit einer beleidigenden Geste beiseite
schieben und ausschalten. An dem èechischen Regierungssystem
aus den Tagen der allnationalen Koalition, èechischen Regierungskoalition,
hat sich jetzt unter der gemischt-nationalen
Regierungsmehrheit gar nichts geändert.