II. volební období |
Die Gefertigten stellen den Antrag:
Das Abgeordnetenhaus wolle beschliessen:
Die Nationalversammung der Èechosovakischen Repubik hat
folgendes Gesetz beschlossen.
Bei dem Ministerium für Handel und Gewerbe
wird zur Erstatung von Gutachten über die die Erwerbs und
Wirtschaftsgenossenschaften betreffenden wirtschaftlichen Angelegenheiten
und über die wichtigsten Massnahmen in Angelegenheit der
Regelung des Genossenschaftswesens für die gewerblichen
Produzenten für das ganze Gebiet des èsl. Staates
unter der Bezeichnung "staatlicher Genossenschaftsbeirat"
ein Beirat errichtet.
Der Sitz des staatlichen Genossenschaftsbeirates
für die gewerblichen Produzenten ist Prag.
Der staatliche Genossenschaftsbeirat für
die gewerblichen Produzenten erstattet dem Ministerium für
Handel und Gewerbe seine Gutachten entweder auf An trag dieses
Ministeriums oder aus eigener Initiative.
Die Funktionsdauer der gewählten Mitglieder
dieses Beirates beträgt drei Jahre.
Die Mitglieder des staatlichen Genossenschaftsbeirates müssen
eigenberechtigte èsl. Staatsbürger sein und
werden.
1. aus Vertretern der einzelnen Handels und
Gewerbekammern,
2. aus Vertretern der Reichs- und Landesverbände
der Genossenschaften dergestalt ernannt, dass das Ministerium
für Gewerbe und Handel aus den von den einzelnen Interessenten
in Vorschlag gebrachten Personen für jede Handels und Gewerbekammer
ein Mitglied, für je 500 Mitglieder des i Betracht kommenden
Verbandes gleichfalls je ein Mitglied ernannt.
Die vorschlagende Organisation hat die doppelte
Anzahl Personen in Vorschlag zu bringen, als nach dieser Gesetzstelle
Mitglieder des staatlichen Genossenschaftsbeirates für sie
zu bestellen ist.
Zu den Interessenten, welche wesentlich als
Mitglieder zu dem Beirate der Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften
zugezogen werden, gehören folgende Genossenschaften:
a) Vorschuss und Kreditvereine und Kreditgenossenschaften,
b) Rohstoffvereine (Vereine zum gemeinschaftichen
Einkauf von Rohstoffen und Halbfabrikaten),
c) Absatzgenossenschaften, Magazingenossenschaften
(Vereine zum gemeinsamen Verkauf gewerblicher Erzeugnisse),
d) Produktivgenossenschaften (Vereine zur Herstelung
von Gegenständen und zum Verkauf auf gemeinsame Rechnung),
e) Werkgenossenschaften (Vereine zur Beschaffung
von Gegenständen zur Benutzung auf gemeinsame Rechnung),
f) Baugenossenschaften (Vereine zur Herstellung
von Wohnungen und Werkstätten).
Die Funktionsdauer der Mitglieder des staatlichen
Genossenschaftsbeirates beträgt drei Jahre.
Scheidet ein Mitglied des staatlichen Genossenschaftsbeirates
für die gewerblichen Produzenten vor Ablauf der Funktionsperiode
aus, so ernennt das Ministerium für Gewerbe und Handel über
Vorschlag der betreffenden Organisation, für die das betreffende
Mitglied bestellt war, ein Ersatzmitglied.
Die bisherigen Mitglieder können nach
Ablauf der Funktionsdauer wieder gewählt werden.
Der Genossenschaftsbeirat für die gewerblichen
Produzenten wählt aus seiner Mitte den Vorsitzenden und seinen
Stellvertreter mit einfacher Stimmenmehrheit und ist zur Beschlussfähigkeit
der betreffenden Wahlsitzung die Anwesenheit von mindestens 10
Mitgliedern erforderlich.
Die Wahl des Vorsitzenden und seines Stellvertreters
unterliegt der Bestätigung des Ministeriums für Gewerbe
und Handel.
Der Genossenschaftsbeirat verhandelt
a) im Plenum,
b) in besonderen Ausschüssen. die vom
Plenum bestellt werden.
Der staatliche Beirat der Genossenschaft tritt
nach Bedarf, mindestens aber viermal jährlich, zusammen.
In der Einladung ist der Verhandlungsgegenstand
anzuführen.
Auf Ansuchen von wenigstens einem Vierte der
Mitglieder ist der staatliche Genossenschaftsbeirat für die
gewerblichen Produzenten längstens binnen vier Wochen nach
Ueberreichung des Ansuchens beim Ministerium für öffentliche
Arbeiten zu einer ausserordentlichen Sitzung einzuberufen.
Die Sitzungen des staatlichen Genossenschaftsbeirates
für die gewerbliche Produzenten sind nicht öffentlich.
Den einzelne Ministerien steht es jedoch frei, zu den Sitzungen
ihre Vertreter zu entsenden.
Der Vorsitzende kann zu den Plenarsitzungen
oder Ausschussitzungen auch Sachverständige, die nicht Mitglieder
des staatlichen Genossenschaftsbeirates für die gewerblichen
Produzenten sind, einladen.
Der staatliche Genossenschaftsbeirat für
die gewerblichen Produzenten gibt seine Gutachten mittels Beschusses
ab, der mit Stimmenmehrheit der einzelnen Mitglieder gefasst wird,
wobei zur Beschlussfähigkeit die Anwesenheit von 10 Mitgliedern
des staatlichen Genossenschaftsbeirates für die gewerblichen
Produzenten erforderlich ist.
Bei Stimmengleichheit sind beide An träge,
über welche abgestimmt wurde, dem Ministerium für Gewerbe
und Handel mitzuteilen.
Mit dem Beschlusse nicht übereinstimmende
Meinungen sind auf Verlangen zu protokollieren und sind die über
die Sitzung des führenden Protokolles gleich falls dem Ministerium
für Gewerbe und Handel vorzulegen.
Dem staatlichen Genossenschaftsbeirat für
die gewerblichen Produzenten steht das Recht zu, besondere Ausschüsse
ein zusetzen, deren Einberufung nach Analogie des § 5 zu
erfolgen hat.
Diese Ausschüsse, die aus höchstens
10 Personen bestehen können, wählen ihren Vorsitzende
selbst.
Die Bestimmungen des § 5, Punkt 2-5, gelten
sinngemäs auch für die Ausschüsse und ist durch
die Geschäftsordnung festzusetzen, inwiefern die Ausschüsse
definitive Gutachten abgeben können, bezüglich deren
dann sinngennäss die Bestimmungen des § 5 gelten.
Die Festsetzung der Geschäftsordnung des
staatlichen Genossenschaftsbeirates für die gewerblichen
Produzenten und der Ausschüsse steht dem Beirat selbst zu
und unterliegt die Genehmigung dem Ministerium für Gewerbe
und Handel.
Die Kanzleigeschäfte des staatlichen Genossenschaftsbeirates
werden von dem Ministerium für Gewerbe und Handel besorgt.
Das Amt der Mitglieder des staatlichen Genossenschaftsbeirates
für die gewerblichen Produzenten ist ein Ehrenamt.
Die nicht im Gebiete von Gross-Prag wohnenden
Mitglieder haben Anspruch auf eine Diäte von 30 Kè
täglich und Ersatz der Reisekosten (Bahnfahrt) 2. Klasse)
vom Orte ihres Wohnsitzes und zurück aus dem Staatsschatze.
Staatsbedienstete haben Anspruch auf Diäten
und Reisekosten nach den für Staatsbedienstete geltenden
Normen. Die Kostenverzeichnisse sind dem Ministerium für
Gewerbe und Handel vor zulegen.
Dieses Gesetz tritt mit dem Tage der Kundmachung
in Wirksamkeit. Mit seiner Durchführung ist das Ministerium
für Gewerbe und Handel betraut.
Die Verhältnisse der Genossenschaften
sind bekanntlich durch das Gesetz, betreffend die Erwerbs- und
Wirtschaftsgenossenschaften, geregelt.
Für das Handwerk und für das Gewerbe
haben die Genossenschaften eine sehr grosse Bedeutung, sie bilden
für die Zukunft das beste und wirksamste Mittel, um den Handwerkerstande
durch Zusammenschluss wieder aufzuhelfen und ihm dem Grosskapital
gegenüber leistungsfähig zu machen, woran auch der Umstand
nichts ändert, dass die grosse Bedeutung der Genossenschaften
leider heute noch in vielen Kreisen des Handwerkes unter schätzt
wird und der Konkurrenzneid unter den Handwerksgenossenschaften
die Bildung einer Genossenschaft verhindert.
Im èsl. Staate mehre sich in der Industrie
und Handel die monopolistischen Tendenzen, die es heute dem keinen
Handwerker und Kaufmanne unmöglich machen, ihre Rohprodukte
bei der Ur quelle zu decken.
Die gegenwärtige Rechtsordnung kennt keine
Grenzen für das blutsaugende, den kleinen Handwerker und
Kaufmann vernichtende Kapital, weil Trust's, Kartelle etc. erschreckend
über Hand nehmen.
Die Grossbanken in engster Verbindung mit den
Kartellen und Trust's sind heute die Beherrscher der Wirtschaft,
statt der selben zu dienen.
Kartelle und Trust's verhindern, dass tausende
Handwerker und Kaufleute nicht mehr wie einst das Rohmaterial
von der ersten billigen Quelle beziehen.
Durch diese Auschaltung des Warenbezuges aus
erster Quelle sind
1. tausende Handwerker und Kaufleute der völligen
Proletarisierung ausgeliefert,
2. werden auf diese Art auch die Konsumenten
schwer ausgewuchert und
3. der wirtschaftlich Starke, die Grossbank,
welche nicht produktiv schafft, sondern nur spekuliert, erdrosselt
so den wirtschaftlich Sehwachen.
Das Grosskapital auf der einen und die Konsumenten
auf der anderen Seite schliessen sich zusammen und vernichten
so den produzierenden Mittelstand.
Die Regierung, die gegenwärtig den Gesetzenwurf
zur Errichtung der Konsumentenkammer vorbereitet, duldet, dass
von grosskapitalistischer Seite ohne Verbot die Kartelle und Trust's
tätig sind.
Dass eine derartige, tief zu beklagende Kurzsichtigkeit
nur die schlechtesten Früchte tragen kann, liegt klar zu
Tage, weswegen die Errichtung eines Beirates für die Erwerbs
und Wirtschaftsgenossenschaften, angegliedert an das Ministerium
für Gewerbe und Handel, von der grössten Wichtigkeit
ist, zumal die genossenschaftliche Entwicklung nicht nur unter
den Konsumenten, sondern vor allem auch unter den keinen Produzenten,
also Handwerkern und auch Kaufleuten, eine wirtschaftliche Notwendigkeit.
die sich nicht aufhalten lässt, bedeutet.
Betrachten wir die technische Entwicklung,
der Landwirtschaft in den Ländern der Republik, im Vergleiche
zur genossenschaftlichen Organisation im Gewerbe und Handel!
Den landwirtschaftlichen Genossenschaften gingen
die Kreditvereine auf dem Lande voran.
Die landwirtschaftlichen Kammern förderten
die landwirtschaftlichen Genossenschaften weit mehr, als die Regierung
die gewerblichen Wirtschaftsgenossenschaften.
Insgesamt gab es in der Èechoslovakei am 1. Jänner
1922 unter 12.336 Genossenschaften 6809 landwirtschaftliche Genossenschaften
mit über 500.000 Mitgliedern und über eineinhalb Milliarden
Einlagen.
Die landwirtschaftlichen Genossenschaften schliessen
sich in 11 landwirtschaftlichen Genossenschaftsverbänden
zusammen, die wiederum im Centro- kooperativ dem Hauptverbande
der landwirtschaftlichen Genossenschaftsverbänden zusammengeschlossen
sind.
Von 7486 Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften
(mit Ausnahme der Kreditgenossenschaften) entíallen am
1. Jänner 1921 40.12% auf die Genossenschaften der landwirtschaftlichen
Produzenten.
Die Zahl der Kreditgenossenschaften der Gewerbetreibenden
und Kaufleute ist gleich Null, gegenüber der gewaltigen Organisation
der Kreditgenossenschaften der landwirtschaftlichen Produzenten.
Zur Deckung des Kreditbedarfes der landwirtschaftlichen
Produzenten kommen die landwirtschaftlichen Bezirksvorschusskassen,
sowie die Kreditgenossenschaften nach dem System Schultze-Delitzsch
(Vorschusskassen), sowie nach dem System Raiffeisen (Raiffeisenkassen)
nach.
In Böhmen gab es 1920 166 landwirtschaftliche
Bezirksvorschusskassen (hievon 42 mit deutscher Geschäftssprache),
deren Stammvermögen 18.650.000 Kronenbetrug.
Die Einlagen beliefen sieh auf 1.019,246.000
Kè, die von Kassen gewährten Darlehen auf 395,839.000
Kè.
In den èechoslovakischen Ländern
gibt es (1919) 1245 Kreditgenossenschaften System Schutze-Delitzsch.
Von 1203 Kreditgenossenschaften sind
893 èechisch, 307 deutsch, 3 polnisch, die eingezahlte
Geschäftsanteile reichen eine Höhe von 54630.000 Kè,
die Reserven betragen 10,036.000 Kè,
die gewährten Darlehen belaufen sich auf 997,071.000 Kè.
Hinsichtlich der Raiffeinsenkassen haben für
das Jahr 1920 folgende Ziffern gegolten. Es gab 3785 Raiffeisenkassen,
hiervon sind 2587 èechisch, 1135 deutsch, 63 polnisch (3665)
statistische Daten geliefert).
Durch vorerwähnte Zahlen ist somit die
gewaltige Genossenschaftsbewegung der landwirtschaftlichen Produzenten
an gedeutet, während die eigentliche wirtschaftliche Genossenschaftsbewegung
der Gewerbetreibenden durch die Folgen der Deflationspolitik durch
die vergangene Wirtschaftskrise genau so gelitten hat, wie die
kapitalistischen Unternehmungen.
Die Existenz der Kaufleute wird durch den neuen
Vorstoss der Konsumvereine immer mehr bedroht, nachdem der genossenschaftliche
Samen von Rochdale sich auf Sturmesflügeln über die
ganze Welt verbreitet.
Wie gewaltig die Entwicklung der Konsumvereinsbewegung
ist, sei durch folgende Zahlen klar gelegt.
Ein Grossteil der Konsumgenossenschaften ist in der Èechoslovakei
an die Grosseinkaufsstelle angegliedert.
Sie ist die zentrale Belieferungsstelle der
deutschen Arbeiterkonsumvereine in der Èechoslovakei.
Sie führt alle erdenklichen Waren, welche
für den Arbeiterhaushalt in Betracht kommen, vom Brot und
Mehl bis zum Zimmt, vom Hosenknopf bis zur kompletten Wäscheausstattung.
Ein Teil der Waren wird im grossen direkt von
den Fabriken bezogen (Gewerbetreibenden wird dies durch die Kartelle
verhindert) und mit einem blossen Spesenzuschlag an die Konsumvereine
weitergegeben, der andere Teil wird in Eigenbetrieben erzeugt.
Der Umsatz der Grosseinkaufsgenossenschaft
hat sich seit Beginn der Entwicklung wie folgt gesteigert:
Monat | Umsatz 1919 Kè | Umsatz 1920 Kè | Umsatz 1921 Kè |
Jänner | 9,713.356.56 | 27.,533.339.32 | |
Feber | 23,868.113.62 | 39,702.345.97 | |
März | 28,149.393.08 | 38,991.822.34 | |
April | 23,268.818.50 | 37,657.945.31 | |
Mai | 13,821.228.80 | 29,704.033.45 | 24,570.299.18 |
Juni | 15,544.229.65 | 31,066.364.22 | 40,234.258.57 |
Juli | 13,526.732.68 | 31,820.401.62 | 30,342.502.04 |
August | 14,701.314.12 | 33,640.590.32 | 3b,851.539.57 |
September | 10,'173.85.8G | 35,202.014.97 | 41,719.757.66 |
Oktober | 14,295.231.,25 | 49,737.424.02 | 41,211.637.20 |
November | 22,421.36.2° | 57,567.140.98 | 58,551.652.14 |
Dezember | 30,038.213.1r | 57,655.983.90 | 42,055.561.99 |
135,122.174.65 | 403,453.635.24 | 459,422.672.29 |
Die gesamten Grosseinkaufsgesellschaften
in der Èechoslovakei hatten fogende Umsatzziffern.
Èechische Grosseinkaufsgesellschaft 980,355.329
Kè, Deutsche Grosseinkaufsgesellsehaft 459,422.672 Kè,
Èechische Einkaufsstelle der Beamtenschaft 79,000.000 Kè.
Die Sanierung der Konsumvereine seitens der
Regierung wurde wiederholt er wogen.
Ein Teil der selbständigen Handwerker,
darunter auch Kaufleute, dann die verhältnismässig zahlreich
vorhandenen Beamten und Industriearbeiter, bringen heute den Konsumvereinen
der Konsumgenossenschaftsbewegung, wegen ihrer wirtschaftlichen
Vorteile, jenes grosse Interesse entgegen, welches sich deutlich
in der Zahl der organisierten Konsumenten und den Grosseinkaufsgenossensehaften
durch die Mitgliederzahl und durch den Umsatz ausdrückt.
Greift die Regierung dem Gewerbestand selbst
nicht durch die Schaffung eines Beirates für die Erwerbs
und Wirtschaftsgenossenschaften für die gewerblichen Produzenten
unter die Arme und fördert die Regierung die weitere Entwicklung
der Genossenschaften zu Gunsten des Gewerbe und Handelstandes
nicht, so besteht die Gefahr, dass Gewerbe und Handel, die wirtschaftlich
Schwachen, von der einen Seite dnrch die organisierten Konsumenten
und von der anderen Seite durch die Kartelle und Trust's wirtschaftlich
erdrosselt werden.
Eine Belastung des Staatshaushaltes wird durch
den Antrag nicht eintreten, do die hiefür notwendigen geringen
Mitten ohne weiters aus dem Titel Gewerbeförderung des Ministeriums
für Handel, Gewerbe und Industrie gedeckt werden können.