Bei der Firma Regenhart & Reimann in Freiwaldau
ist es infolge von Differenzen aus den Lohnverhältnisse zu
einem Streike gekommen, an welchem 1600 Arbeiter und Arbeiterinnen
beteiligt sind.
Die streikende Arbeiterschaft hat ohne Rücksicht
auf ihre politische und gewerkschaftliche Zugehörigkeit geschlossen
den Kampf gegen die Unternehmerwillkür aufgenommen und von
dem gesetzlichen Koalitionsrechte Gebrauch gemacht.
Die politische Bezirksverwaltung sowie die
Gendarmerie haben durch ihr bisheriges Verhalten und Anordnungen
sich parteiisch auf die Seite der Firma Regenhart & Reimann
gestellt, was eine unerhörte Provokation der streikenden
Arbeiterschaft bedeutet.
Am Samstag den 4. Februar kann es in den Morgenstunden bei Aufstellung
der Streikposten zu einem ` Konflikte der Gendarmerie mit der
Arbeiterschaft, wobei unter dem Kommando des Oberwachtmeiters:
Andìl die Gendarmerie mit gefällten Bajonetten gegen
wehrlose Frauen brutal vorgegangen wurde. Bei
dieser Attake wurde eine größere Anzahl von Arbeiter,
terinnen und Arbeiter verwundet, darunter die Arbeiter terinnen
Anna Baum im Rücken, Frau A. Grüner am, rechten Oberarm,
der nationalsozialistische Gewerkschaftssekretär Maier am
linken Oberarm.
Nur der Besonnenheit und Diszipliniertheit
der streikenden Arbeiterschaft und deren Sekretäre ist es
zu danken, daß es nicht zu größeren Ausschreitungen
gekommen ist.
Die sofort erhobenen Beschwerden über
das unerhörte brutale Vorgehen der Gendarmerie, insbesondere
des Oberwachtmeisters Andìl, bei der politischen Bezirksverwaltung
wurde von dem dortigen Leiter ironisch abgefertigt.
Die Erregung der gesamten Arbeiterschaft über
das brutale Vorgehen der Gendarmerie und das parteiische Verhalten
des Leiters der politischen Bezirksverwaltung ist eine sehr große.
Der Unterfertigte stellt an die Regierung die
Anfrage:
1. Ob sie gewillt ist, sofort eine Untersuchung
über das Vorgehen der Gendarmerie am d Februar einzuleiten,
die Schuldigen festzustellen und zu bestrafen und die Verletzten
zu entschädigen?
2. Den Oberwachtmeister Andìl von seinem Posten zu entheben,
und
3. den Leiter der politischen Bezirksverwaltung
zu verhalten, daß er bei Lohnkämpfen sich nicht auf
die Seite der Unternehmer zu stellen hat und die Arbeiter nicht
als Bürger zweiten Grades zu behandeln hat?
Im Vorwärts, Nummer 90, vom
15. April 1928 wurde der Artikel Amt! Ein Groteskfilm von
Agis konfisziert. Der konfiszierte Artikel lautet:
(Zimmer fast spitz zulaufend, ohne Fenster
und Tür, schmutziggelbe Wände. In der rückwärtigen
Schmalwand Schalter, wie bei Fahrkartenausgabe, kleine Öffnung
zum Übernehmen von Bittschtriften usw.
Linke Wand: Symetrisch angeordnet vier Kästen.
Aktenregale vollgestopft mit verstaubten Aktenbündeln; auf
der Erde zerstreute Blätter.
Rechts vorn: Estrade mit Schreibtisch für
den Amtmann. Im Raum verteilt Schreiber mit Stehpulten.
Spinnwebig graues Licht.)
Amtmann: (Verschrumpftes Männchen, rote
wirre Perücke, aktendurchsuchend, krächzende Stimme.
Ein Schreiber reicht ihm Akten.)
Mehr! - - -
(Alle Schreiber arbeiten hastiger, reichen
einander erledigte Schriftstücke, die der letzte Schreiber
auf den Tisch des Amtmannes häuft. Etliche Bündel fallen
herab.)
Amtmann (nach einer Weile hungrig): Mehr, mehr
und mehr! (Noch mehr Bewegung.) Qualifikation miserabel!
Gestalt: (Junger Arbeiter, offenes Gesicht,
zurückgekämmtes Haar, langer Wetermantel, taucht aus
der Versenkung auf, in blaßviolettes, unbestimmtes Licht
gehüllt. Schreiber stellen ihr Hasten ein, beachten ihn nicht.)
Amtmann: Sind?!
Gestalt (fest): Sagen wir Brennpunkt, Spiegel
deiner Tat!
Amtmann. Hier nicht notwendig! Haben unsere
vorgeschriebene Bahn, stahlharte Ordnung, die in sich vollkommen
ruht, wie Kristallkugel, (emphatisch) wie Buddha!
Gestalt (lächelt ironisch): Leider! Bewegung
fehlt ganz, jedes Gefäß ist versteint.
Amtmann: Wir keine Erfinder!
Gestalt: Lakaien, leblose Rädchen, seid
ihr! Vollzugsorgane eines Systems, dem die Zeit längst alle
Zähne ausgebrochen hat; aber noch immer wollt ihr sein. Ha,
ha, es stirbt sich schlecht im Paradies der Ausbeutung, Wie wollt
ihr euch retten, he?! Ich weiß, ihr habt die Formel: Gott
oder Gas! Mein Herr, das ist ein dünner Zauberspruch.
Amtmann: Haben unsern Kreis...
Gestalt:... Und sonst nichts?
Amtmann: Unsere fest verankerte Plattform auf
der standfest wir wirken - - -
Gestalt:... würgen; selbst nach Luft schnappen.
Gott oder Gas! (Von draußen Klopfen beim Schalter.) Menschen
klopfen! Warum wird der Schalter nicht geöffnet?
Amtmann: Zweien dienen? Hier Akten, dort (auf
den Schalter weisend) Aktengebende.
Gestalt: Es sind doch Menschen, tätige
Wesen, die warten, wartend erniedrigt werden, als sollten sie
dafür büßen, daß sie da sind, daß
sie genötigt sind, etwas zu verlangen. Aber ihren Anspruch,
ihr Recht degradieren zur demütigen Bitte, das wollt Ihr!
Falschmünzer!
Amtmann (kalt): Menschen! Menschen! Wenn festgelegt
durch Exhibitonsnummer, dann ist er, nicht früher...
Gestalt:... fürs Amt!
Amtmann: Wenn nicht Matrikel und Totenschein
vorhanden, dann ist er nicht gewesen.
Gestalt: Ein ganzes Leben von Ausbeutung, Elend,
Plage, Sorge, nichts als ein Stück Papier oder ein paar beschriebene
Bogen, die von einem Schreibtisch auf den anderen verschoben werden...
Amtmann:... alles wird erledigt. (Klopfen beim
Schalter.)
Gestalt: Ich weiß, alles wird erledigt;
ich weiß auch, daß alle gleich sind vor dem Gesetz,
nur hat das Gesetzt die Eigentümlichkeit, vor. dem Geldsack
sich devot zu verkriechen. Das heißt dann freier Lauf
der Gerechtigkeit. Die Themis ist blind, wenigstens trägt
sie eine Binde vor den Augen, doch ist sie verdammt feinfühlig
und errät, auf welcher Seite die dickere Brieftasche zu finden
ist.
Amtmann: Alles wird erledigt.
Gestalt: Der Herr Dickbauch hat nicht zu warten.
Es ist sein Amt, für ihn wird alles erledigt. Sein Generalstab
arbeitet mit Präzision.
Amtmann: Wir sind gerecht, hier keine Sentimentalität.
Gestalt: Gerecht, wenn es heißt, den
Geldsack zu verteidigen. Was aber gilt euch der arbeitende Mensch?
Gar nichts! Wann besitzt ein Mensch Gebrauchswert - - -?
Amtmann (aufspringend): Gotteslästerung!
Gestalt: Setzen Sie sich, junger Mann, ich
werde Ihnen die Frage selbst beantworten. Ein Mensch besitzt Gebrauchswert,
wenn er sich fügsam ans Fließband schnallen läßt
oder wenn er mit einem Schießprügel versehen, eure
Absatzmärkte' gegen die Konkurenz verteidigen soll; sonst
kann er verrecken! Fürs Volk Heiligenbilder, für die
Herren Aktien!
Amtmann: Hä, hä wir sind gerecht.
Ein Wort und - -
Gestalt: - - und Bajonett, Maschinengewehr,
Tank, Flugzeug gegen die Aufständischen, gegen
die Rebellen, gegen die armen Hunde, die
sich anmaßen, noch vor dem Krepieren ihren Lohn zu fordern.
Aber ihr glaubt, die Erde stehe fest und euer Sein ist gleichlaufend
mit Ewigkeit!
Amtmann: Wir wissen das und das - daher die
Präzision.
Gestalt: Ihr wißt das und das wo Tür
und Fenster fehlen. Ihr habt Angst, im Luftzug euch einen Schnupfen
zu holen.
Amtmann: Schaltfenster! Blick in alles. (Klopfen
am Schalter.)
Gestalt: Nasenspitze, weltweite Distanz!
Amtmann: Mein Lebenskreis, bin zufrieden. Schuld
fällt nicht auf mich.
Gestalt: Es ist leichter, alles auf die Tradition
zu wälzen. Ihr seid hier unfehlbar, unabsetzbar. (Starke
Unruhe und Klopfen am Schalter.) Den Schalter auf!
Amtmann: Ich habe Befehl!
Gestalt: Den Schalter auf, ich habe alle Befehle!
Amtmann: Ich - - Schalter! (Der Schalterbeamte
öffnet das Fensterchen und nimmt Gesuche entgegen. Man sieht
nur Hände, die die Bittschriften überreichen. Hie und
da gibt der Schalterbeamte eine Schrift zurück, indem er
nicht ausruft. Darauf folgt draußen stets ein
Schrei und Unruhe.)
Gestalt: (die bestaubten Regale betrachtend):
Da liegen ganze Armeen!
Amtmann (freudig): Ja, ja!
Schalterbeamte: Nicht! (Draußen Schrei.)
Gestalt: Tote, Gefallene.
Amtmann: Tote? Hier kein Friedhof, alles lebt.
Gestalt: Im Staub, wie der Wurm.
Amtmann: Alles wird erledigt. An jedem die
Reihe. Zeit.
Gestalt: O, ihr habt sehr viel Zeit, so viel,
daß ihr sie totschlagen müßt. Der Werktätige
aber hat keine Zeit, nicht seine Zeit. Alles gehört einem
andern.
Schalterbeamte: Nicht!
Gestalt (stoßt ein Bündel mit dem
Fuß): Und die hier auf der Erde?
Amtmann: Nebensächlich. Kommen nicht in
Betracht. Todgeburten.
Gestalt: Vielleicht ein Kopf, eine Hand, Augen,
die sein wollten und nicht dürfen. Henker. Schalterbeamte
(zerrt an einem Schriftstück, das die Hände nicht lassen
wollen, so lange, bis es reißt. Draußen Schreie. Zum
Amtmann gewendet): Will selbst!
Amtmann (auffahrend): Will selbst? Nein! Schluß!
(Der Schalterbeamte schließt das Fensterchen. Lärm.)
Gestalt: Schluß, wo noch so viele warten?
Amtmann: Autorität! Man muß zeigen!
Amt! Heiligtum!
Gestalt: Und ihr seid die Priester?
Amtmann: Sage Autorität, Schluß!
(Amtmann und Schreiber wackeln automatenhaft. Im Raum wird es
dunkler.)
Gestalt (zur Versenkung schreitend): Wartet!
(An den Wänden glühen Paragraphenzeichen auf. Aktenstücke
werden raschelnd geblättert. Aus der Versenkung stürzt
ein Arbeiter herauf; gleichzeitig verlöschen die glühenden
Zeichen; es wird heller. Der Mann hält einen Moment atemlos
inne, dann läuft er zur Estrade.)
Arbeiter (extatisch): Herr! Herr!
Amtmann: (ungehalten): Sind?
Arbeiter: Arbeiter!
Amtmann: Wo hineingeschlichen, Subjekt! (überschnappend)
Revolutionär!
Arbeiter: Den Punkt, den Punkt, Herr, den Punkt!
Amtmann (schreiend): Wo hineingeschlichen, Frage?!
Arbeiter (mit verhaltener Wut): Den Punkt,
den Punkt!
Amtmann: Zurück! Warum nicht angestellt?
Ausnahme? Welche Nummer?
Arbeiter: Ich habe keine. Ich will den Punkt,
Herr! Mein Weib liegt krank, ich darf keine Zeit verlieren, sie
stirbt, wenn ich nicht bei ihr bin, oh, sie stirbt ich muß
arbeiten - - Herr, - - den Punkt!
Amtmann: Nein, hier Ordnung, verstanden? Marsch!!!
Arbeiter (verzweifelnd): Tier, ich muß
den Punkt haben sonst - -
Amtmann: Marsch!!!
Arbeiter (keuchend): Herr, ich habe mich angestellt,
ich stand Minuten, Stunden, Tage und Jahre in den glühweißen
verruchten Reihen. Was wollt ihr? Herr, ich habe nur acht Finger,
die mich ernähren, zwei ließ ich in der Fabrik. Wer
gibt mir die Zeit zurück, die ich stand, wartete, um die
ich betrogen wurde, für die ich hungern muß!
Man läßt uns in Reihe stehen, damit
wir einander wie wilde Tiere an die Kehle springen, verwirrt,
wahnsinnig geworden, den leidenden Bruder als Feind ansehen. Was
wollt ihr, unserem Hasse eine andere Richtung geben, damit wir
uns selbst zerfleischen? Ihr seid Ungeheuer! Ich sage euch, in
der tiefsten Erniedrigung leuchtet auf das hellste Licht der Einsicht!
Wir wissen, wo der Feind sein Lager hat. Wir werden die Wälle
nehmen - -
Amtmann: Gefängnis! (Schutzmann steigt
aus der Versenkung.) Abführen! ist Revolutionär, Rebell,
Verbrecher, bricht Ordnung, schlägt Tradition! (Schutzmann
schreitet schnell und automatenhaft, nimmt den Arbeiter beim Rockkragen,
der sich vor der Versenkung nochmals umdreht und die Fäuste
hebt.)
Arbeiter: Wir kommen!
Amtmann: Gefängnis! Beide verschwinden.)
So! (Beginnt in den Akten zu blättern.) Mann aus dem Volke
drängt sich vor! Arbeiter! Wo Gehorsam?! Ar-bei-ter!
Gestalt (welche wiederum erscheint): Das ist
der Vorposten der Tat, der Befreiung.
Amtmann: Hä? Hier nicht notwendig, schon
alles getätigt. Mit großartiger Handbewegung.) Geht
alles von selbst, eins zwei, drei! (Schreiber wackeln im Takt.)
Eins, zwei, drei! - -
Gestalt - nach rückwärts. Tat ist
notwendig. sonst bleibt, jedes Wollen nur Theorie, Geste.
Amtmann: Tat stößt ins Leere hier,
weil alles festgefügt - -
Gestalt: - - in deinem verpestetem Gehirn!
Amtmann: Jeder Gegengang Verbrechen.
Gestand: Da wirst dich selbst sühnen,
das sei deine Strafe!
Amtmann: Hier keine Tat, hier Gehorsam.
Gestalt: Gegen wen? (Weib erscheint keuchend
aus der Versenkung.)
Weib: Herr! Herr!
Amtmann: Sind?
Weib: Den Punkt, den Punkt, Herr! Amtmann:
Wo hineingezwängt? Nummer.
Weib: Ich weiß nichts. Den Punkt, Herr,
den Punkt! Mein Mann ist in der Fabrik -, drei kleine Kinder allein
zu Hause -, der Ofen ist glühend -, sie können den Ofentür
nahekommen - sie aufmachen - - Kohle fällt heraus - sie können
verbrennen - (schreit) sie brennen - sie brennen - meine Kinder!
- Hilfe! - Herr, den Punkt! (Schlägt hin.)
Amtmann: Weib zwängt sich überall
hin.
Gestalt: Wer zwängt sich überall
hin? Wer? Willst du dem Weibe verwehren zu leben?
Amtmann: Weib vor dem Gesetz nicht voll. Gestalt: Das ist eure Moral! Ist sie voll in der Bar oder auf der Straße, oder ist sie voll, wenn ihr das Weib zwingt, neben der Maschine in der Fabrik zu gebären; ihr Tugendhelden mit dem schielenden Blick zum Himmel?
Das werktätige Weib ist die Genossin des
Mannes, nicht Zeitvertreib! Sie ist Mitkämpferin in der Schlacht
der Befreiung vom Sklavenjoch. Sie ist voll vor jenem Gesetz,
vor welchem ihr zittert! Der Schaffende nur hat alleiniges Recht,
jeder andere Befehl ist Anmaßung, gestützt auf Bajonette.
Weib (aufstöhnend): Den Punkt, den Punkt!
Amtmann. Mache Popularität, gib her!
Weib (reicht ihm die Bittschrift): Gib!
Amtmann (nimmt das Ansuchen): Zurück!
(Weib geht einige Schritte zurück.) Amtmann blättert.
(Weib verfolgt ihn gespannt. Gestalt sieht den Amtmann ironisch
lächelnd an.) Punkt fehlt, warum? Weib (zuckt die Achseln).
Gestalt: Punkt fehlt. Ja, ja, er fehlt. Dein
ganzes Geschick Weib - Mensch hängt von dem winzigen Punkt
ab. Jetzt oder nie!
Amtmann (nimmt die Glocke ohne Klöppel
und läutet. Aus vier Kasten an der Wand treten heraus: Der
Gehilfe des Tintenfasses, riesige Attrappe tragend, der Gehilfe
der Kielfeder [Feder schultert], der Streusandbüchsengehife
tnit großer Büchse und der Brillengehilfe mit Brille.
Die kommen heran im Trab des Amtsschimmels. Der Brillengehilfe
reicht dem Amtmann die Brille, jedoch verkehrt. Der Amtmann gibt
die Brille zurück.)
Revolutionär, hä? Brille in Vorschrift.
(Der Gehilfe gibt sie ihm richtig. Der Kielfedergehilfe reicht
die Feder.)
Revolutionär, hä? Welcher Tag?!
Kielfedergehilfe: Der zweite!
Amtmann: Welche Feder?
Kielfedergehilfe: Die blaue.
Amtmann: Also? (Der Gehilfe trabt zurück
um die blaue Feder.) Qualifikation miserabel! Ganz miserabel!
Zehn Jahre keine Beförderung!
Gestalt: Und wenn er die richtige Feder zur
Stelle schafft?
Amtmann: Nein! Evidenz! Dienst! (Taucht die
Feder ein und will den Punkt auf das Ansuchen machen.)
Weib aufschreiend: Herr, Herr, du meine Güte!
Gott!
Gestalt: Sie beschimpft dich, nennt dich Herr,
hörst du? Sie verhöhnt dich Tyrann, Anmaßer, Aussauger,
Vampyr - nennt dich Herr! Ha, ha!
Amtmann (sieht verdutzt auf): Wie?
Gestalt (lachend): Herr! Ha, ha!
Amtmann: Halt! (Zerreißt das Bittgesuch.)
Weib (erschrocken): Oh!
Amtmann: Muß sein!
Weib (zur Gestalt): Du hast mich verraten,
Fluch dir!
Gestalt: Ich habe dich gerettet, du wirst mir
Dank wissen. Ich habe dich wach gerüttelt, als du schlaftrunken
einem Abgrund zuschrittest. Siehst du ihn? (Zeigt auf den Amtmann.)
Weib (rasend): Ich vergehe! Die armen Kinder
sie brennen - brennen - oh! (Stürzt von Dannen.) Ich komme
über dich!
Gestalt: Du bist gerettet.
Amtmann: Strengere Gesetze! Jedes Vergehen
zum Galgen. (Schlägt wild auf den Tisch.) Autorität,
Autorität! Amt, Heiligtum! Wer befiehlt? Zum Teufel nochmal,
Himmel und Hölle! Was? (Wirft wie wahnsinnig alle Akten vom
Tisch zur Erde. Die Schreiber flüchten entsezt.)
Feistgesicht (steigt aus der Versenkung.)
Amtmann (steht wie angewurzelt, dann verneigt
er sich tief): Ah, großer Besuch! Untertänigster! (Bringt
eilfertig einen Sessel!) Belieben, ihr Diener!
Feistgesicht: Hier! (Zieht aus dem Pelz einen
Wisch.) Dringend! Ist sofort zu erledigen, sonst zieht ein anderer
auf ihren Posten. Die Erledigung schicken Sie mir in die Wohnung,
verstanden?
Amtmann (sich tief verneigend): Befehl! Werde
selbst bringen! Hohe Ehre! (Feistgesicht geht ab, ohne ihn zu
beachten.)
Gestalt (lächelnd): Nun, Herr Amtmann,
wo ist ihre Autorität, wer befiehlt hier?
Amtmann (scheu, ehrerbietig): Das war Herr
Feistgesicht! Würdenträger! Bruder Minister, Onkel Präsident,
Herr Feistgeaicht selbst Millionär. Welche Ehre! Beförderung!
Gestalt: Verstehe (Nachäffend.) Dort Herr
Feistgesicht, hier sein Amt, seine Kreaturen. Sein Wille ist Gesetz
für Euch, für die Bajonette, für das Volk.
Ein allmächtiger Herr rangiert noch vor Gott!
Auf seinen Befehl wird geschossen, werden Menschenleiber
zermalmt, vergast, werden Leichen in Kalkgruben geworfen, unbekannte
Soldaten gemacht, er erschafft je nach Belieben Helden, Verräter,
Götter, Kirchen. Je nach Stand der eingegangenen Ordres prägt
er das Wort vom ewigen Frieden, Arbeitsgemeinschaft
oder Verteidigung des Vaterlandes.
Bei seinem Auftauchen ackern die Nasen aller
Vorstände im Boden.
Amtmann: Gotteslästerung! Höchste
Strafe! Gefängnis! Galgen! Gewehr heraus! (Pickelhaube steigt
aus der Versenkung.)
Gestalt: Schickt ihn nach Hause, hier gibt
es nichts mehr für ihn zu tun. Er kann das Rad des Geschehens
nicht rückgängig machen. (Am Schalter starkes Klopfen
und Murren.) Die Wogen branden! Was ist deine Gerechtigkeit?!
Amtmann: Widerspenstig? Kein Amt! Schreiber
sagen! Schalterbeamte hebt das Fensterchen und ruft: Widerspenstig,
kein Amt! Darauf heftiger Tumult. Die Scheibe wird eingeschlagen.
Der Amtmann springt entsetzt von der Estrade und schnappt nach
Luft. Helleres Licht. Die Schreiber sitzen verzerrt. Arbeiter
und Weib steigen aus der Versenkung und stürzen sich auf
den Amtmann. Schalterwand fällt eingedrückt um. Volk
strömt herein, Getöse. Schutzmann steht Hab acht. Amtmann
brüllt: Mörder! Tod! Revolution! Gewehre!
Gestalt: Hier wird nicht getötet, hier
wird gelebt und erschaffen!
Amtmann (schwach): Mörder!
Gestalt: Das Leben steht auf! (Kielfedergehilfe
ersticht den Amtmann. Die anderen Gehilfen werfen ihre Mappen
weg. Der Arbeiter springt auf die Estrade:
Arbeiter: Wir sprechen Recht! (Steigt hinunter.)
Alle: Wir! Wir! (Hände erheben sich, ein mächtiges Arbeiterlied
erdrönt, über den Köpfen weht die rote Fahne, das
Zeichen bereiter Arbeit.)
Gestalt: Ich kann gehen! Meine Mission ist
beendet!
Der konfiszierte Artikel ist also eine literarische
Arbeit und jeder, der die soziale Tendenzliteratur der letzten
Jahrzehnte auch nur halbwegs kennt, wird feststellen müssen,
daß schon im alten Österreich eine ganze Reihe von
viel schärferen sozialen und revolutionären literarischen
Arbeiten ohne weiters veröffentlicht werden konnten. Wir
fragen daher den Herrn Minister des Innern:
1. Entspricht die erwähnte Konfiskation
den Intentionen des Herrn Ministers und den von ihm an die Behörden
ausgegebenen Instruktionen?
2. Was gedenkt der Herr Minister zu tun, um
eine solche engherzige Konfiskationspraxis zu verhindern?
Anfangs März waren auf reichsdeutschem
Gebiete an der Straße von Zuckmantel nach Ziegenhals Plakate
an den Bäumen befestigt, des Inhaltes: Achtung beim
Schuheinkauf! Kaufen Sie bei den deutschen Geschäftsleuten!
Baa èechische Firma! Baa Bazar!
Wegen dieser Plakatierung hat die Gendarmerie
in Zuckmantel sofort eine hochnotpeinliche Untersuchung eingeleitet
und den Schuhfabrikanten Spieller in Zuckmantel und den Schriftenmaler
Heidenreich unter Androhung der Verhängung der Untersuchungshaft
verhört. Ob auf Grund dieser Gendarmerieerhebungen, die so
unmittelbar erfolgten, daß nicht angenommen werden kann,
daß der Gendarmerie von irgend einer Seite ein Auftrag hiezu
erteilt worden sei, ein gerichtliches Verfahren gegen die bei<len
eingeleitet werden wird, steht nicht fest.
Fast zur selben Zeit erschien im Brünner
Obchodní obzor ein Aufruf nachstehenden Inhaltes:
Jeder zu den Seinen! Soll unser Volk
wirtschaftlich stark werden, soll ihm in eigener materieller
Kraft eine Stütze bei Erreichung nationaler und politischer
Ziele geboten werden, dann müssen wir wirtschaftlich solidarisch
sein und so weit als möglich unseren sämtlichen Bedarf
ausschließlich bei èechischen Firmen decken, von
èechischen Industriellen, Gewerbetreibenden
und Kaufleuten kaufen und so unseren eigenen Leuten Verdienst
zukommen lassen. Kaufen wir daher nur beim èechischen Kaufmanne
und bestellen wir nur bei èechischen Gewerbetreibenden,
Fabrikanten usw., und unterstützen wir nicht jene,
die dem èechischen Menschen nicht einmal Arbeit geben wollen.
Wir werden gar bald sehen. wie wir ganz anders als bisher, unseren
Gegnern, die uns weder Gedeihen noch Macht gönnen, werden
trotzen können. Trachten wir die wirtschaftliche Basis unseres
Volkes durch Unterstützung unserer Arbeit
zu stärken und unser Kampf wird dann viel leichter sein,
weil wir dadurch wirtschaftlich stärker werden. Befreien
wir uns von der Vorherrschaft fremden Kapitales, das uns zu Boden
drückt
Dieser Aufruf wurde von den èechischen Behörden in
keiner Weise beanstandet, weder von der Gendarmerie noch vorn
Gerichte. Ohne vielleicht auf dem Standpunkte zu stehen, daß
gegen das èechische Blatt. welches einen derartigen Aufruf
veröffentlicht, etwas vorzukehren sei, machen die Gefertigten
auf die unterschiedliche Behandlung aufmerksam, wenn es sich um
eine deutsche und wenn es sich um eine èechische Aufforderung
handelt, daß der Volksgenosse beim Volksgenossen einkaufen
und seinen Bedarf decken soll. Die Drohung der Gendarmerie mit
einer Untersuchungshaft in dem Falle, als der von ihr Verhörte
nicht ein volles Geständnis ablegt ist überdies ein
Überschreiten ihrer Machtbefugnisse und kommt der Erpressung
eines Geständnisses sehr nahe.
Die Unterfertigten fragen:
Sind dem Herrn Minister die oben geschilderten
Übergriffe der Gendarmerie in Zuckmantel bekannt? Bestehen
etwa irgendwelche Vorschriften, nach welchen èechische
Gewerbetreibende und èechische Zeitungen einer anderen
Behandlung unterliegen, als deutsche?
Ist der Herr Minister geneigt, die Gendarmerie
dahin zu belehren, daß sie sich eher mit anderen Angelegenheiten
zu beschäftigen hat und ist er geneigt, für die Zukunft
derartige Übergriffe abzustellen?