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gespielt, sodass man wohl annehmen kann, dass
dieser Marsch das Musikstück darstellt, das tra-
ditionell bei den Versammlungen der Sudeten-
deutschen Partei gespielt wird.

Diese Tradition allein beinhaltet aber weder
etwas Gesetzwidriges, noch etwas Staatsgefahr-
liches. Wenn nun die Bezirksbehörde Podersam
ihr Verbot damit begründet, dass der Vortrag des
Marsches im Stande ist, die öffentliche Ordnung,
Ruhe und Sicherheit zu gefährden, so möge sie
auch angeben, inwiefern dieser Marsch überhaupt
im Stande ist, die öffentliche Ordnung, Ruhe und
Sicherheit zu gefährden!! Auf diese Frage wird
jedoch die Bezirksbehörde in Podersam die
Antwort schuldig bleiben. Es ist nämlich unmög-
lich, dafür eine konkrete Begründung zu geben.
Der Bezirksbehörde in Podersam ging es auch
nicht darum, durch das Verbot des »Sudetendeut-
schen Marsches« die öffentliche Ordnung, Ruhe
und Sicherheit zu schützen, sondern darum, den
Versammlungen der Sudetendeutschen Partei je-
den frischen Eindruck, jede Abwechslung und je-
des psychologische Mittel, die Aufmerksamkeit
der Zuhörer zu konzentrieren, zu nehmen. Nach
dem Willen der Bezirksbehörde in Podersam.
sollen die Versammlungen der Sudetendeutschen
Partei einen ausgesprochen langweiligen Eindruck
auf die Besucher ausüben, damit auf diese Weise
die Besucher abgeschreckt werden, politische Ver-
sammlungen der Sudetendeutschen Partei zu be-
suchen.

Die Bezirksbehörde in Podersam versucht
durch das Verbot des »Sudetendeutschen Mar-
sches« eine Tradition, die sich im Schosse der
Sudetendeutschen Partei entwickelte, zu zerstö-
ren. Die Bezirksbehörde Podersam hat ein In-
teresse daran, dass in der Sudetendeutschen Par-
tei keinerlei Tradition aufkommen, weil diese für
jede Gemeinschaft eine gewisse Anziehungskraft
und eine gewisse Stärke darstellen. Nach dem
Willen der Bezirksbehörde, der aus ihrem Ver-
halten zur Sudetendeutschen Partei im Bezirke
Podersam mehr als deutlich hervorgeht, soll je-
dech die Sudetendeutsche Partei schwach und
traditionslos bleiben. Die Bezirksbehörde betätigt
sich also der Sudetendeutschen Partei gegenüber
nicht als objektive Verwaltungsbehörde, sondern
in einseitig politischer, voreingenommener Weise

Das Oberste Verwaltungsgericht hat wieder-
holt festgestellt, dass die blosse Berufung auf die
Wahrung der öffentlichen Ruhe, Ordnung und Si-
cherheit nicht genügt, um das Verbot einer Ver-
waltungsbehörde stichhältig zu machen. Die Ver-
waltungsbehörde ist vielmehr verpflichtet, bei je-
dem Verbote konkrete Tatsachen anzufahren, die
sie zur Annahme berechtigen, dass bei Nicht-
durchführung des Verbotes die öffentliche Ord-
nurng, Ruhe und Sicherheit gestört wird. Die Be-
zirksbehörde hält sich jedoch, wie aus einigen
ihrer Bescheide hervorgeht, grundsätzlich nicht
an diese selbstverständlichen Forderungen, die das
Oberste Verwaltungsgericht aufgestellt hat.

Die Bezirksbehörde Podersam hat nicht nur
den »Sudetendeutschen Marsch«, sie hat auch den

Vortrag des Liedes »Weit lasst die Fahnen we-
hen« verboten und zwar, wie sie anführt, aus dem
Grunde, »da dessen Inhalt absolut zweideutig ist,
voll Drohungen und Trotz«. Wir geben nachste-
hend den Inhalt dieses Liedes bekannt:

»Weit lasst die Fahnen wehen, wir woll'n zum

Sturme gehen,

treu nach Soldatenart.

Lasst den veilornen Haufen, voran zum

Sturme laufen,

wir folgen dicht geschart.

Die Mauern wir erklettern, die Turme wir

zerschmettern
und m die Stadt hinein!
Wer uns den Lauf will hemmen, uns sich

entgegenstemnen,
der soll des Teufels sein.

Die Reihen fest geschlossen und vorwärts

unverdrossen!
Falle, wer fallen mag!
Kann er nicht mit uns laufen, so mag er sich

verschnaufen
bis an den jüngsten Tag.

Das Lied stellt sich, wie auf den ersten Blick
zu ersehen ist, als ein altes Soldatenlied ans dem
Mittelalter dar. Der Text und die Melodie des
Liedes sind von einer eigenartigen, vorwärts-
drängenden Art. Das Lied enthalt kein Wort und
nicht den geringsten Gedanken, die mit der tsche-
choslovakischen Staatsidee in Widerspruch stün-
den. Die Bezirksbehörde in Podersam nennt dieses
Lied jedoch zweideutig, begründet aber nicht, in-
wiefern es zweideutig ist. Unter zweideutig ver-
stand die Bezirksbehörde vermutlich staatsge-
fährlich. Wie kann dieses Lied staatsgefährlich
sein, das Jahrhunderte vor der Gründung der Re-
publik entstanden ist ? Es ist eines der vielen,
schönen Landsknechtlieder, an denen die deutsche
Literatur so reich ist. Bei Landsknechtliedern ist
es allerdings selbstverständlich, dass sie trotzig
sind. Was ist aber an diesem Trotze Staatsgefähr-
liches ?

Das verbotene Lied soll aber ausserdem auch
noch Drohungen enthalten. Welche Drohungen es
enthält, hat die Bezirksbehörde in Podersam wie-
der nicht angeführt. Sie stellt also Pauschalver-
dächtigungen auf, die sie konkret nicht begründet.
Hiebei sei bemerkt, dass dieses Lied im Verlaufe
der letzten Jahre zum Traditionsliede der Sude-
tendeutschen Partei geworden ist.

Es ist müssig, über den rechtlichen Inhalt der
Begründung des Bescheides der Bezirksbehörde
in Podersam zu sprechen. Der Bezirksbehörde
ging es gar nicht darum, ihr Verbot rechtlich zu
begründen, ihr handelte es sich beim Verbote wie-
derum nur darum, die Versammlung der Sudeten-
deutschen Partei so eintönig als hur möglich zu
machen, denn Eintönigkeit stösst die Besucher der
Versammlung ab! So hofft wenigstens die Bezirks-
behörde Podersam!

Es braucht Wohl nicht betönt zu werden, dass
ein solches Vorgehen einer Bezirksbehörde können


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Anspruch auf Objektivität erheben kann. Um die
Sudetendeutsche Partei in ihrer Entwicklung zu
hemmen, schränkt die Bezirksbehörde in Poder-
sam die Versammlungsfreiheit auf das Empfind-
lichste ein!

Sie erfindet immer mehr neue Verbote, um
der Sudetendeutschen Partei einen möglichst
engen Entwicklungsraum zu schaffen! Ein solches
Vorgehen ist aber nicht nur ungesetzlich, es ist
im Interesse der nationalen Verständigung des
Sudetendeutschtums mit dem tschechischen Volke
auch höchst bedauernswert!

Wir richten daher an den Minister des Innern
die nachstehenden Anfragen:

1. Ist der Minister des Innern bereit, dafür zu
sorgen, dass die Bezirksbehörde in Podersam bei
Erlassung von Verboten immer ihre Verbote kon-
kret mit Tatsachen begründet?

2. Ist der Minister des Innern bereit, alle ihm
unterstellten Verwaltungsbehörden darauf auf-
merksam zu machen, dass jedes ihrer Verbote,
die auf Grund des Organisationsgesetzes erfolgen,
konkret begründet sein müssen?

3. Ist der Minister des Innern bereit, dafür zu
sorgen, dass die Bezirksbehörde in Podersam die
Vortragsfolge der Versammlungen der Sudeten-
deutschen Partei nicht willkürlich einschränkt und
eintönig macht?

4. Ist der Minister des Innern bereit, dafür zu
sorgen, dass die Bezirksbehörde in Podersam den
Vortrag des Musikstückes »Sudetendeutscher
Marsch« sowie den Vortrag des Liedes »Weit lasst
die Fahnen wehen« während der künftigen Ver-
sammlungen der Sudetendeutschen Partei an-
standslos genehmigt?

Prag, den 24. Jänner 1936.

Illing,

Axmann, Birke, Dr Köllner, Nemetz, Ing. Richter,

Liebl, Stangl, Frank, Kundt, Fischer, Hollube,

Jobst, Jäkel, Nickerl, Knorre, Sogl, Sandner,

Dr Rosche, Dr Jilly, Dr Peters, Ing. Künzel,

Gruber.

Pùvodní znení ad 282/ V.

Interpellation

des Abgeordneten Ing. Wolfgang Richter
an den Minister des Innern,

wegen ungesetzlichen Verbotes des Spie-

lens von Musikstücken durch das Polizei-

kommissariat in Aussig.

Das Polizeikommissariat in Aussig hat mittels
allgemeinen Erlasses das Spielen sämtlicher

preussischer sowie altösterreichischer Märsche
im Rayone des Polizeikommissariates verboten.

Das Polizeikommissariat ist formell zur Erlas-
sung allgemeiner Verbote zwar berechtigt. Im
gegenständlichen Falle handelt sich aber um ein
Verbot, das ebenso ungerechtfertigt wie zwecklos
und einsichtslos erscheint.

Es handelt sich bei diesen Märschen um Mu-
sikwerke, die vor allem historischen und unbe-
strittenen musikalischen Wert haben. Zum Be-
weise ihres historischen Wertes genügt es auf die
Namen und die Entstehungsursache dieser Mär-
sche hinzuweisen. Der beste Beweis ihres musi-
kalischen Wertes aber wird durch die Tatsache
erbracht, dass sich diese Märsche durch viele
Jahrzehnte oder sogar Jahrhunderte der Beliebt-
heit der breiten Bevölkerungsschichten erfreuen
und nichts an ihrer musikalischen Kraft eingebüsst
haben.

Das Vorgehen des Polizeikommissariates in
Aussig ist denkbar engherzig. Es erinnert an die
Zeiten österreichischer absoluter Polizeigewalt
und an die Zeiten übelster Bevormundung des pri-
vaten Lebens der Staatsbürger-also an Zeiten,
die wir als längst überwunden anzusehen geneigt
sind. Mit demselben Rechte könnte das Polizei-
kommissariat in Aussig auch das Singen aller alten
Soldaten- und Landsknechtlieder verbieten, weil
sie uns an vergangene Machtverhältnisse erinnern.

Das Polizeikommissariat in Aussig ist mit
modernen demokratischen Verhältnissen nicht in
Einklang zu bringen. Unsere demokratischen
Faktoren dürfen nicht den Gedanken aufkommen
lassen, dass der bestehende neue Staat die Ver-
gangenheit zu fürchten hat und jede Erinnerung
an ihre Zeugen auslöschen will. Jeder zur Zeit
bestehende Staat ist das Produkt aller staats-
rechtlichen Kräfte der Vergangenheit. Es existiert
keine völlige Loslösung des derzeitigen Zustandes
unseres Staates von all dem, was vorher sich in
diesem Staatsgebiete abspielte. In gewisser Min-
sicht gilt der derzeitige Staat als Fortsetzer der
Traditionen der vergangenen Staaten auf seinem
Staatsgebiete. Das Verbot von Musikstücken, die
an die Vergangenheit gemahnen, ist also nicht nur
höchst engherzig, es ist auch höchst unklug, weil
die Staatsbevölkerung durch solche Verbote ge-
radezu zu Vergleichen mit früheren Polizeiver-
hältnissen angeregt wird. Ausserdem zieht dieses
Verbot, wie jedes Verbot, eine Beunruhigung der
Bevölkerung nach sich, die im gegenständlichen
Falle um so schwerer abgewendet werden kann,
als der einfache Mann aus dem Volke die Ursa-
chen des Verbotes beliebter alter Märsche nicht
einzusehen vermag.

Das Verbot der Märsche beinhaltet aber auch
eine bedeutsame Einschränkung der künstlerischen
Bewegungsfreiheit der Bevölkerung im Aussiger
Bezirke. Beim gegenständlichen Verbote handelt
es sich, wie schon erwähnt, um musikalisch wert-
volle Stücke. Der Wert der Musikstücke ergibt
sich schon aus ihrem Alter. Da neue Märsche, die
nicht an die Vergangenheit gemahnen, nicht zur
Verfügung stehen und fremde Märsche, die nicht


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dem Boden des Volkstums entstammen, der Be-
völkerung kaum nahe gebracht werden können,
wird es im Bezirke Aussig, so lange das Verbot
dauert, kaum möglich sein, einen wertvollen Mu-
sikmarsch der musikliebenden Bevölkerung zu
Gehör zu bringen.

Wir stellen an den Minister des Innern die
nachstenhenden Anfragen:

1. Ist der Minister bereit, dafür zu sorgen,
dass das ungerechtfertigte und kulturfeindliche
Verbot des Spielens aller preussischen und alt-
österreichischen Märsche durch das Polizeikom-
missariat in Aussig rückgängig gemacht wird?

2. Ist der Minister bereit, dafür zu sorgen,
dass die Bevölkerung im Rayone des Polizei -
kommissariates Aussig nicht weiterhin durch

überflüssige Verbote beunruhigt und in ihrem pri-
'vaten und kulturellen Leben grundlos gehemmt
wird?

3. Ist der Minister bereit, dafür zu sorgen,
dass auch die Polizeikommissariate der Tsche-
choslovakischen Republik sich das Vorgehen der
Verwaltungsbehörden der westlichen Demokratien
zu eigen machen und sich bemühen, der Bevöl-
kerung den Druck der Verwaltungsmaschinerie
möglichst wenig zum Bewusstsein zu bringen?

Prag, am 24. Jänner 1936.

Ing. Richter,

Birke, Axmann, Jäkel, Nemetz, Stangl, Dr Köllner,
Nickerl, Liebl, Dr Rosche, Ing. Lischka, Kling,
Fischer, Knorre, Hollube, Sogl, Jobst, Gruber,
Dr Peters, Dr Jilly, Ing. Künzel, Frank, Kundt,
Sandner.

Pùvodní znení ad 282/VI.

Interpellation

des Abgeordneten Dr Hans Neuwirth
an den Minister des Innern,

wegen ungerechtfertigter Bestrafung
zweier Mitglieder der Sudetendeut-
schen Partei durch die Bezirks-
behörde Freudenthal.

Die Bezirksbehörde Freudenthal hat die Mit-
glieder der Sudetendeutschen Partei Rudolf Lan-
ger, Tischlergehilfe in Brättersdorf Nr. 60 und
Erwin Tatzel, Handlungsgehilfe in Brättersdorf
Nr. 25, zu einer Geldstrafe von je 50 Kè, ev. 48
Stunden Arrest verurteilt, weil sie in dieser Ge-
meinde eine derart grosse Menge von Wahlpla-
katen aufklebten, dass dadurch die öffentliche
Ruhe und Ordnung verletzt und öffentliches
Aergernis- erregt wurde.

Die beiden genannten Mitglieder der Sudeten-
deutschen Partei brachten gegen diesen Strafbe-
scheid die Berufung an die Landesbehörde in
Brunn ein, in der sie vor allem ausführten, dass
die Bezirksbehörde Freudenthal den tatsächlichen
Nachweis, dass durch das Aufkleben von Wahl-
plakaten die öffentliche Ordnung verletzt und
öffentliches Aergernis erregt wurde, nicht er-
bracht hat.

Die Landesbehörde Brunn bestätigte jedoch
das Straferkenntnis der Bezirksbehörde Freuden-
thal und erklärte, der Nachweis der Verletzung
der öffentlichen Ordnung und der Erregung öffent-
licher Aergernis sei überflüssig, da das Aufkleben
der Wahlplakate durch die beiden Mitglieder der
SdP in einer grossen Menge stattgefunden hat.
Der Bescheid der Landesbehörde betont, dass den
beiden Mitgliedern der Sudetendeutschen Partei
nicht zur Last gelegt wird, dass sie Wahlplakate
aufgeklebt haben, was an sich nicht beanständet
werden kann, sondern dass sie eine übergrosse
Menge von Plakaten angebracht haben.

Wenn irgend eine Entscheidung einer Verwal-
tungsbehörde klar veranschaulichen kann, dass
die niederen Verwaltungsbehörden gegen die Mit-
glieder der Sudetendeutschen Partei einseitig ein-
gestellt sind, so ist es diese Entscheidung.

Die anderen Parteien haben ebenso wie die
Sudetendeutsche Partei in Brättersdorf plakatiert,
die Anzahl ihrer Plakate hat jedoch kein öffentli-
ches Aergernis erregt.

Im übrigen muss es den politischen Parteien
im Wahlkampfe unbenommen bleiben, die Anzahl
ihrer Plakate selbst zu bestimmen. Solange sich
die politischen Parteien an die Bestimmungen des
Gesetzes halten, kann im Verlaufe eines Wahl-
kampfes keine Verwaltungsbehörde vorschreiben,
wieviel Plakate eine jede Partei in einer Gemein-
de aushängen darf, denn sonst könnte man von
einer behördlichen Autorisierung des Wahlkampfes
sprechen, die im Gesetze nicht vorgesehen ist.

Es ist ein bedenkliches Zeichen der Politisie-
rung unserer Verwaltungsbehörden, wenn sie an
einer grösseren Anzahl von Wahlplakaten der
Sudetendeutschen Partei, die ordnungsgemäss im
Verlaufe des Wahlkampfes in einer rein deutschen
Gemeinde plakatiert wurden, Anstoss nehmen und
sich geändert fühlen.

Die Bezirksbehörden haben die Aufgabe, Un-
gesetzlichkeiten zu verhüten. Es ist jedoch nicht
ihre Aufgabe, politische Werturteile m amtliche
Bescheide zu kleiden und mit ihrer Hilfe die Per-
sekution der Mitglieder der Sudetendeutschen Par-
tei aufzunehmen.

Sowohl die Bezirksbehörde Freudenthal, als
auch die Landesbehörde Brunn hat in dieser An-
gelegenheit das Mass politischer Objektivität mis-
sen lassen, das man von einer Verwaltungsbehör-
de billigerweise voraussetzen könnte. Es ist je-
denfalls ein bedauerliches Zeichen der Voreinge-
nommenheit, wenn sowohl die Bezirksbehörde
Freudenthal, als auch die Landesbehörde Brunn
behaupten, dass die grosse Anzahl der Wahlpla-
kate der Sudetendeutschen Partei bei der Bevöl-
kerung von Brättersdorf öffentliches Aergernis


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erregte. Bei der Wahl in das Abgeordnetenhaus
am 19. Mai 1935 wurden in Bätttersdorf von ins-
gesamt 208 Stimmen 138 Stimmen für die Sude-
tendeutsche Partei abgegeben. Das sind 67% aller
Stimmen!

Wie können mm die Bezirksbehörde Frenden-
thal und die Landesbehörde Brünn behaupten,
dass die Sudetendeutsche Partei durch ihre angeb-
lich allzuvielen Wahlplakate die öffentliche Ord-
nung verletzte und öffentliches Aergernis erreg-
te ???

Die Art and Welse, wie sowohl die Bezirks-
behörde Freudenthal als auch die Landesbehörde
Brünn einen harmlosen und gesetzlich indifferen-
ten Tatbestand unter die Strafbestimmungen des
Organisationsgesetzes pressen, ist bezeichnend für
den Tiefstand unserer Administrative!!!

Wir richten daher an den Minister des Innern
die nachstehenden Anfragen:

1. Ist dem Minister der oben geschilderte Tat-
bestand bekannt? Billigt der Minister das Vorge-
hen der Bezirksbehörde Freudenthal und der Lan-
desbehörde Brünn? Billigt der Minister insbeson-
dere das Vorgehen der Landesbehörde Brünn, die
in ihrem Bescheide, der endgiltig ist, keinerlei
konkrete Begründung angibt, inwiefern das Aus-
hängen der Plakate die öffentliche Ruhe und Ord-
nung gestört bezw. Aergernis erregt hat?

2. Ist der Minister bereit, dafür zu sorgen,
dass die ihm unterstellten Verwaltungsbehörden
den Mitgliedern der Sudetendeutschen Partei ge-
genüber dasselbe Mass anwenden, wie gegenüber
den Mitgliedern der anderen Parteien und der
tschechischen Nation?

Prag, den 24. Jänner 1936.

Dr. Neuwirth,

Obrük, Ing. Künzel, Dr. Rosche, May, Dr. Jilly, Ing.
Richter, Dr. Hodina, Stangl, Knorre, Dr. Peters, Dr.
Eichholz, Sandner, Wagner, Wollner, Hollube,
Nickerl, Ing. Peschka, Dr. Köllner, Nemetz, Sogl,
Georg Böhm.

Pùvodní znìní ad 282/VII.

Interpellation

des Abgeordneten Dr. Adolf Kellner
an den Minister für soziale Fürsorge,

wegen gesetzwidrigen Vorgehens bei der

Ernennung der Sozialkommission

in Ober-Erlitz.

Am 21. Dezember 1935 erschien beim Gemein-
devorsteher in Ober-Ertitz der Gemeindewacht-

meister Kamar mit einem zweiten Gendarm und
erklärte, dass er von der Bezirksbehörde Seniten-
berg beauftragt sei, Vorschläge zur Bildung der
neuen Gemeindesozialkommissionen einzuholen.
Der Gendarm verlangte, dass ihn der Gemeinde-
vorsteher acht Personen namhaft mache, die die
Punktion von Mitgliedern der Gemeindesozialkom-
mission übernehmen könnten. Er verwies hiebei
auf einen Bescheid der Bezirksbehörde Senften-
berg, den er in der Hand hielt, and gab bekannt,
dass nur solche Wähler der Gemeinde namhaft ge-
macht werden dürfen, die den derzeitigen Regie-
rungsparteien angehören.

Als der Gemeindevorsteher und der Sekretär
der Gemeinde hierüber ihrem Erstaunen Ausdruck
gaben, wies der Gendarm auf eine Stelle des Be-
scheides der Bezirksbehörde und zeigte den bei-
den Gemeindefunktionären die Bezeichnung: stá-
totvorné strany.

Wir bemerken, dass in der Gemeinde Ober-
Erlitz im Zeitpunkte des Verlangens des Gendar-
men bereits eine Gemeindesozialkommission be-
stand. Mitglied dieser Kommission ist auch Emil
Winge, der der Sudetendeutschen Partei angehört.
Diese alte Kommission sollte nun aufgelöst wer-
den und auf Grund der von dem Gendarm Kainar
eingeholten Vorschläge eine neue Kommission ge-
bildet werden. Ueber die ausdrückliche Forderung
des Gendarmen durfte der Gemeindevorsteher
kein Mitglied der Sudetendeutschen Partei nam-
haft machen, da der Gendarm jedes dieser Mit-
glieder mit dem Hinweis auf die Bedingung »státo-
tvorné strany« im Bescheide der Bezirksbehörde
ablehnte.

Wir richten an den Minister für soziale Für-
sorge nachstehende Fragen:

1. Ist dem Minister der oben geschilderte,
Sachverhalt bekannt?

2. Wie verträgt sich das oben geschilderte
Vorgehen der Bezirksbehörde Senftenberg und
des Gendarmen Kainar mit den Grundsätzen der
Demokratie und der Gleichberechtigung?

3. Ist der Minister bereit, die verantwortli-
chen Leiter der Bezirksbehörde Senftenberg we-
gen ihres parteiischen und verfassungswidrigen
Vorgehens zur Rechenschaft zu ziehen?

4. Ist der Minister bereit, dafür zu sorgen,
dass die Sudetendeutsche Partei in der Sozial-
kommission der Gemeinde Ober-Erlitz die ihr
entsprechende Vertretung findet?

Prag, am 24. Jänner 1936.

Dr. Kellner,

Knorre, Gruber, Illing, Liebl, Wollner, Nemetz,

Ing. Lischka, Badig, Sandner, Frank, Wagner,

Obrlik, Dr. Peters, Hollube, Ing. Schreiber, Kundt,

Ing. Künzel, Nickerl, Fischer, G. Böhm.


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Pùvodní znìní ad 282/VIII.

Interpellation

des Abgeordneten Richard Knorre
an den Minister des Innern,

wegen Verletzung der Versammlungsfrei-
heit durch Verbote der Versammlungen
der Sudetendeutschen Partei in Engels-
berg und Neu-Erbersdorf seitens der Be-
zirksbehörde in Freudenthal, sowie wegen
Einschränkung der verfassungsmässig ge-
währleisteten Tätigkeit des Abgeordneten
Richard Knorre.

Am 9. Jänner 1936 haben die Ortsleiter der
Sudetendeutschen Partei in Engelsberg und Neu-
Erbersdorf der zuständigen politischen Bezirks-
behörde in Frendenthal angezeigt, dass sie am 13.
Jänner 1936 öffentliche Versammlungen der Su-
detendeutschen Partei veranstalten werden. Diese
Versammlungsanzeigen wiesen alle Erfordernisse
auf, insbesondere auch das Programm der Ver-
sammlungen.

Die Bezirksbehörde Freudenthal verbot beide
Versammlungen, sowohl die Versammlung in En-
gelsberg als auch die in Neu-Erbersdorf. Sie be-
gründete ihr Verbot damit, dass Abg. Richard
Knorre, der bei den verbotenen Versammlungen
sprechen sollte, bei irgendeiner Versammlung, die
bereits am 14. Oktober 1935, also ein volles Vier-
teljahr vorher, in Schreiberseifen stattgefunden
hat. gesetzwidrige Ausdrücke gebraucht haben
soll. Als weitere Gründe für ihr Versammlungs-
verbot führte die Bezirksbehörde Freudenthal an,
dass sowohl die Bevölkerung der Gemeinde En-
gelsberg als auch die der Gemeide Neu-Erbers-
dorf verschiedener politischer Ueberzetigung sei
und dass die Abhaltung der Versammlungen zur
Verschlechterung des Zustanden der örtlichen po-
litischen Verhältnisse und mit Rücksicht auf die
gespannte Stimmung der ganzen Oeffentlichkeit
wegen der kürzlichen Begebenheit m Kunau zu
einer Bedrohung der öffentlichen Ruhe und Ord-
nung in den Gemeiden führen könnte.

Die Bezirksbehörde Freudenthal hat nicht die
wahren Gründe ihrer Versammlungsverbote be-
kannt gegeben. Die im Bescheide angeführten
Gründe sind lediglich Scheingründe. Der wahre
Grund ist nicht der, die öffentliche Ruhe und Ord-
nung zu schützen, sondern der, die politische Tä-
tigkeit der Sudetendeutschen Partei nach Möglich-
keit einzuengen und zu hemmen. Diese wahre Ab-
sicht der Bezirksbehörde Freudenthal und ihres

verantwortlichen Leiters ergibt sich aus einer
ganzen Reihe systematischer Versammlungsver-
bote und aus einer ganzen Reihe von Beispielen
der Stellungnahme gegen die Sudetendeutsche
Partei.

Die Analyse der von der Bezirksbehörde
Freudenthal angegebenen Begründung der gegen-
ständlichen Versammlungsverbote muss notwendig
die Erkenntnis bringen, dass diese Begründung
nur vorgeschoben ist. Die Feststellung, ob die
Aussprüche, die Abg. Richard Knorre irgendwann
und irgendwo gebraucht haben soll, gesetzwidrig
waren oder nicht, ist nicht Sache der Bezirksbe-
hörde Freudenthal, sondern Sache der ordentli-
chen Gerichte. Bisher hat die Staatsanwaltschaft
wegen dieser Aussprüche noch nicht einmal die
Anklage erhoben, geschweige denn ein Verfahren
eingeleitet. Abgesehen davon, können die angeb-
lich gesetzwidrigen Aeusserungen des Abg. Ri-
chard Knorre, die ein volles Vierteljahr zurück-
liegen, keinen gesetzlichen Grund abgeben, dem
Abg. Richard Knorre ein Redeverbot aufzuerle-
gen, denn die Versammlungsverbote beinhalten
nichts anderes als ein Redeverbot des Abg. Rich.
Knorre im politischen Bezirke Freudenthal.

Abg. Rich. Knorre wurde von seinen Wählern,
zu denen auch die Bewohner der Gemeinden En-
gelsberg und Neu-Erbersdorf gehören, in freier
demokratischer Wahl zum Volksvertreter gewählt.
Die Bezirksbehörde Freudenthal kann daher auf
Grund unserer demokratischen Staatsverfassung,
die auf dem Gedanken der Repräsentation des
Volkes durch Abgeordnete beruht, nicht verbieten,
dass sich ein Abgeordneter mit seinem Volke be-
spricht. Angeblich gesetzwidrige Ausdrücke, die
der Abgeordnete vor Zeiten einmal gebraucht ha-
ben soll, bieten keinen gesetzlichen Grund, den
Abgeordneten in seiner verfassungsmässigen Tä-
tigkeit zu behindern und das verfassungsmässig
gewährleistete Recht der Versammlungsfreiheit
zu beseitigen.

Die Bezirksbehörde Freudenthal verinag auch
nicht anzuführen, inwiefern sie zu der Annahme
berechtigt ist, dass Abg. Rich. Knorre bei den ver-
botenen Versammlungen in Engelsberg und Neu-
Erbersdorf seine angeblich gesetzwidrigen Aeus-
serungen wiederholt. Die von der Bezirksbehörde
Freudenthal geübte Praxis der Verbote der Ver-
sammlungen der Sudetendeutschen Partei gäbe.
wenn sie als rechtlich begründet angesehen wer-
den könnte, dieser Bezirksbehörde das immer-
währende Recht, jede Versammlung der Sudeten-
deutschen Partei im Bezirke Freudenthal zu ver-
bieten. Es ist sehr leicht, irgendeine Aeusserung
eines Redners bei irgendeiner Versammlung als
gesetzwidrig hinzustellen und diese Gesetzwidrig-
keit nachher zum billigen Anlasse zu nehmen,
nach Ablauf vieler Monate die Versammlung der-
selben Redner kurzer Hand unter Verletzung der
Versammlungsfreiheit zu verbieten.

Die Berufung auf die verschiedene politische
Ueberzeugung der Bevölkerung der Gemeinden
Engelsberg und Neu-Erbersdorf ist gleichfalls hin-
fällig. Es dürfte keine Gemeinde in der Republik


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geben, in der die Bevölkerung nicht verschiedener
politischer Ueberzeugung ist.

Die Mordtat in Kunau wird von der Bezirks-
behörde Freudenthal in einer ganzen Reihe von
Versammlungsverboten mit Vorliebe als Haupt-
grund der Verbote angeführt. Das Seltsame daran
ist nur, dass diese Mordtat von Kunau von der
Bezirksbehörde Freudenthal nur dann vorge-
schützt wird, wenn es darum geht, Versammlun-
gen der Sudetendeutschen Partei zu verbieten.
Die anderen Parteien, insbesondere die Sozialde-
mokraten, können wann immer Versammlungen
veranstalten und auf diesen Versammlungen gegen
die Sudetendeutsche Partei hetzen. Diese Ver-
sammlungen erfreuen sich des vollen Schutzes der
Bezirksbehörde Freudenthal und sind nach deren
Ansicht nicht geeignet, die öffentliche Ruhe und
Ordnung im Bezirke Freudenthal zu stören oder
zu bedrohen.

Die angeführten Versammlungsverbote der
Bezirksbehörde Freudenthal sind geradezu Mu-
sterbeispiele des einseitigen Vorgehens gegen die
Sudetendeutsche Partei, Musterbeispiele der Will-
kür der niederen Verwaltungsbehörden, Muster-
beispiele absolutistischer Verletzungen der Ver-
sammlungsfreiheit, Musterbeispiele einer schlecht
verhüllten Voreingenommenheit und Feindseligkeit
gegen die grösste Partei des Staates.

Wir richten an den Minister des Innern nach-
stehende Anfragen:

1. Ist der Herr Minister des Innern bereit, den
verantwortlichen Leiter der Bezirksbehörde Freu-
denthal wegen seines ungesetzlichen und par-
teiischen Vorgehens bei den Verboten der Ver-
sammlungen der Sudetendeutschen Partei in En-
gelsberg und Neu-Erbersdorf zur Rechenschaft zu
ziehen?

2. Ist der Herr Minister des Innern bereit, der
Sudetendeutschen Partei für die seitens der Be-
zirksbehörde Freudenthal ungesetzlich vorgenom-
menen Versammlungsverbote volle Genugtuung zu
leisten?

3. Ist der Herr Minister des Innern bereit, Ga-
rantien dafür zu schaffen, dass die verfassungs-
mässig gewährleistete Versammlungsfreiheit auch
der Sudetendeutschen Partei zugute kommt?

4. Ist der Herr Minister des Innern bereit, da-
für Garantien zu schaffen, dass der Abg. Rich.
Knorre sich im politischen Bezirke Freudenthal
mit seiner Wählerschaft besprechen kann?

Prag, den 24. Jänner 1936.

Knorre,

Nemetz, Jäkel, Gruber, Dr Rösche, Nickerl, Illing,

Dr Peters, lag. Peschka, Kundt, Wagner, Obrlik,

Ing. Schreiber, Dr Köllner, Ing. Künzel, Sandner,

May, Ing. Richter, Wollner, Stangl, Jobst.

Pùvodní znìní ad 282/X.

Interpellation

des Abgeordneten Dr Fritz Zippelius
an den Justizminister,

wegen Beschlagnahme des Artikels »Jah-
reswende-Schicksalswende!« in der Fol-
ge 18 des in Brüx erscheinenden Bezirks-
blattes der Sudetendeutschen Partei vom
31. Dezember 1935.

In der Folge vom 31. Dezember 1935 brachte
der »Volksruf«, das Bezirksblatt der Sudetendeut-
schen Partei in Brüx, auf der ersten Seite Neu-
jahrsbetrachtungen, die überschrieben waren:
»Jahreswende-Schicksalswende!«.

Die Zensurbehörde in Brüx beschlagnahmte
die Ueberschrift sowie die ersten sieben und die
letzten drei Absätze dieses Leitartikels.

Die beschlagnahmten Absätze lauten:

»Ein für unser sudetendeutsches Volk sturm-
bewegtes Jahr ist vorübergeeilt. Für die Men-
schen unserer einstmals so reichen Heimat brachte
es wahrlich ein Uebermass an Not und Entbehrun-
gen, so dass heute schon viel Glauben und viel
Lebensmut notwendig ist, um mit hoffendem Blick
die Schwelle des neuen Jahres zu überschreiten.

Brüder, die unsere Sprache sprechen, Men-
schen, die gleich uns gemeinsam das harte
Schicksal unseres Heimatlandes tragen, hungern
und frieren.

Jahr um Jahr ist verstrichen, ohne dass ein
wenn auch nur geringes Besserwerden oder eine
teilweise Erfüllung all unserer Hoffnungen sich
gezeigt hätte. Da erscheint es natürlich nicht ver-
wunderlich, wenn wir ohne Lachen und Fröhlich-
keit den Eintritt ins neue Jahr begehen und, statt
zukunftsfroh nach vorn zu schauen, mit banger
Frage vor dem Morgen zögern.

Wir haben auch kein Recht zu lautem Fest-
jubel und zu übermütiger Fröhlichkeit, solange
tausende und abertausende unserer Volksgenos-
sen der Not und dem Elend ausgeliefert sind Frü-
her einmal, als die letzte Nacht des scheidenden
Jahres in Lärm und Rausch versank, da mag es
anders gewesen sein, denn da konnten die Men-
schen mit einer gewissen Berechtigung hoffen,
dass das neue Jahr ihnen Erfüllung ihrer Wün-
sche bringen wird. Allein diese Hoffnung und die-
sen Glauben hat uns die Härte der Zeit zer-
schlagen.

Und dennoch! Wir dürfen den Mut nicht

verlieren, denn
Mut verloren,
alles verloren,
da wäre es besser nicht geboren.


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