Wir protestieren auf das entschiedenste dagegen,
daß der freigewählte Bürgermeister abgesetzt werden
kann, daß man das Recht des freigewählten Bürgermeisters,
unter allen Umständen sein Amt zu behalten, durch diese Bestimmung
aufhebt, ihm nicht nur diese ungeheuerlichen Geldstrafen auferlegt,
sondern ihn auch noch seines Amtes als Bürgermeister entkleiden
kann. Auch da fragen wir die deutschen Regierungsparteien, ob
sie bereit sind, dafür zu stimmen, zumal schon bei der jetzigen
Konstellation und noch mehr bei der noch kommenden - wir sind
noch nicht am Ende unserer Tage - wo die deutschen Regierungsparteien
möglicherweise nicht mehr mitwirken werden am Staatskarren
- das kann sehr bald der Fall sein - wo wiederum ein System noch
gehässigerer Art als früher neuerdings sich ausbreiten
wird, wo dieser Gesetzesparagraph 8 zu den ungeheuerlichsten nationalen
Schikanen und Bedrohungen der Selbständigkeit unserer Gemeinden
ausgenützt werden kann. (Posl. Patzel: Da wird es dann
heißen: Das haben die deutschen Abgeordneten selbst gemacht!)
Ja, so wird es heißen, das haben die deutschen Abgeordneten
selbst gemacht, und mit Recht wird man uns das ins Gesicht sagen.
Wir erklären, daß die deutschen Regierungsparteien
kein Recht haben, im Namen des deutschen Volkes zu sprechen. Die
deutschen Regierungsparteien hätten nur dann ein Recht, für
diesen Paragraphen zu stimmen, wenn der Verband unserer deutschen
Selbstverwaltungskörper ihnen dazu die Ermächtigung
erteilt hätte. Wir stellen fest, daß die deutschen
Selbstverwaltungskörper überall einmütig gegen
diese Bestimmungen protestiert haben. Wir stellen weiter fest,
daß die Vertreter der deutschen Regierungsparteien in den
Gemeindevertretungen sogar gegen diese Bestimmungen mitgestimmt
haben und die deutschen Regierungsparteien gewarnt haben, diese
Bestimmungen Gesetz werden zu lassen. Wir protestieren auf das
entschiedenste dagegen, daß die deutschen Regierungsparteien
hier im Namen des deutschen Volkes ihre Stimmen abgeben. (Posl.
dr. Luschka: Im Namen welches Volkes? Wir haben unsere Wählerschaft
und Sie die Ihrige!) Des sudetendeutschen Volkes. Diese sudetendeutsche
Bevölkerung gibt Ihnen nicht das Recht dazu. Da müssen
Sie, Herr Dr. Luschka, dazu die Bevölkerung erst fragen,
ob sie Ihnen das Recht dazu gibt. Kommen Sie nur hinaus und machen
Sie eine Versammlung, wir werden es Ihnen schon zeigen. (Výkøiky
na levici.)
Místopøedseda Horák
(zvoní): Prosím
o klid.
Posl. Krebs (pokraèuje):
Wir schlagen dem Herrn Dr. Luschka nicht
vor, in eine öffentliche Volksversammlung zu gehen, wir schlagen
dem Herrn Dr. Luschka vor, in die Hauptversammlung des
Verbandes der deutschen Selbstverwaltungskörper zu gehen
und dort Rede und Antwort zu stehen. Dort werden Sie die Antwort
bekommen. (Posl. Knirsch k posl. dr Luschkovi: Ihre Vertreter
haben erklärt, daß die christlich-soziale Partei das
nicht mitmachen wird!) Jawohl, das haben sie öffentlich
erklärt. (Výkøiky posl. Kreibicha
a dr Luschky. - Místopøedseda
Horák zvoní.)
Hohes Haus! Ich habe mich schon... (Výkøiky
posl. Kreibicha a Knirsche.)
Místopøedseda Horák
(zvoní): Prosím
o klid. (Výkøiky posl. Kreibicha.)
Prosím o klid. Slovo má pan posl.
Krebs. (Výkøiky posl. Knirsche.)
Prosím o klid. Prosím pana øeèníka,
aby pokraèoval.
Posl. Krebs (pokraèuje):
Über dieses Kapitel werden wir ja
noch im gegebenen Zeitpunkt weiter sprechen. Ich möchte heute
zum Abschluß meiner Darlegungen noch einiges über den
Dotierungsfond sagen. Welche Hoffnungen man auf den Dotierungsfond
setzt, das haben wir in den verschiedenen Beratungen des Budgetausschusses
gehört. Aber wir fragen heute, welche Mittel denn diesem
Dotierungsfond überhaupt zur Verfügung stehen werden
und welchen Sinn dieser Fond überhaupt haben kann. Wir wissen
heute nicht, nach welchen Grundsätzen in Wirklichkeit die
Verteilung der Dotierungen erfolgen wird. Es gibt keinerlei Garantien
dafür, daß unsere deutschen Gemeinden auch wirklich
nach der Bedürftigkeit aus dem Dotierungsfond bedacht werden.
Ich habe heute eine ganze Reihe von Gemeinden genannt, die ohne
bedeutende Zuweisungen aus dem Fond nicht mehr die Möglichkeit
haben, ihre Zinsen zu decken oder ihre Beamten zu zahlen. Aber
für uns kommt, wie ich ausdrücklich schon gesagt habe,
noch in Frage, daß die Gemeinden in noch höherem Grade
unter die Botmäßigkeit einer chauvinistischen und zentralistisch
gesinnten Bürokratie gestellt werden, daß sie zu Lakaien
und Untergebenen dieser Bürokratie gemacht werden. Alles
deutet in diesem Staate darauf hin, daß man die freie Entwicklung
unserer Autonomie nicht nur beschränken, sondern vernichten
will. Ich habe vor mir einen Artikel, den der Sektionschef des
Ministeriums des Innern, der im Budgetausschuß der Referent
für diese Sache war, Dr. Bobek - er ist leider jetzt weggegangen
- in der Märzfolge des Jahres 1927, also in der letzten Nummer,
des Organs der Amtswalter der Selbstverwaltungkörper der
republikánská strana "Naše Samospráva",
also des Organs einer Regierungspartei veröffentlicht hat,
wo er folgendes über die neue Organisation der politischen
Verwaltung und der Selbstverwaltung geschrieben hat:
"Wenn der erste Satz der Verfassungsurkunde
erklärt, daß das Volk die alleinige Quelle aller staatlichen
Macht in der Èechoslovakischen Republik ist und
der § 86 derselben Verfassungsurkunde erklärt, daß
in den unteren Verwaltungsbehörden, das heißt, in den
Behörden mit Ausnahme des Ministeriums nach Möglichkeit
das bürgerliche Element vertreten sein soll, so ist es ersichtlich,
daß die Definition von der Zulassung der Staatsgewalt hinfällig
ist und daß das Volk durch die Verfassungsurkunde zur Teilnahme
an der öffentlichen Verwaltung berechtigt und berufen und
ein wichtiger und verfassungsmäßig anerkannter Faktor
der staatlichen Verwaltung überhaupt ist." Jetzt aber
passen Sie gut auf, was der Mann sagt: "Die Konsequenz
hieraus hat auch schon der Hauptkongreß der stärksten
èechoslovakischen Partei, der Strana republikánská,
im Jahre 1925 gezogen, der in einer gefaßten Resolution
anstrebt, daß die Gemeinde durch Gesetz als Bestandteil
der staatlichen Verwaltung erklärt wird."
Ich meine, hier ist die Maske einmal gefallen. Hier sagt man ganz
offen, daß man den Grundsatz, die Selbstverwaltungskörper
weiterhin aufrechterhalten zu wollen, aufgibt, daß man die
Gemeinden nicht nur noch mehr, sondern überhaupt zu reinen
Organen der Staatsverwaltung herunterwürdigen will, daß
man die größte Errungenschaft, wie ich schon sagte,
des 19. und des beginnenden 20. Jahrhunderts, die Mitwirkung der
Bevölkerung an der Verwaltung, zu beseitigen gedenkt und
daß die maßgebenden Faktoren in diesem Staate darauf
lossteuern, die Gemeinden zu Organen des Staates zu gestalten.
Ein mächtiger Schritt auf dieser Linie
ist das vorliegende Gesetz über die Regelung der Finanzen
der territorialen Selbstverwaltungskörper, ein Schritt, der,
wenn eimal gemacht, nicht mehr rückgängig gemacht werden
kann, der, obzwar er die ungeheuerlichsten Schwierigkeiten bringen
wird, in finanzieller Hinsicht nicht die Rettung unserer Selbstverwaltungskörper
bringen wird, sondern deren finanziellen Ruin. Wahrscheinlich
wird aus diesem Ruin dann neuerdings deduziert werden, daß
jetzt erst recht die staatliche Verwaltung an Stelle der autonomen
gesetzt werden müsse. (Posl. Patzel: Das ist ein Verrat
am Andenken Kudlichs!) Das ist ein Verrat an allen jenen,
die im Jahre 1848 auf deutscher und èechischer Seite
für die Freiheit der Gemeinde gekämpft haben, für
die Mitwirkung eines freien Bürgertums, für die Idee,
daß in der Gemeinde der Bürger, der Einwohner - ich
spreche hier nicht von dem Klassenbegriff, sondern vom
Begriff Bürger, im Gegensatz zu den Herrschenden - der freie
Bürger in der Gemeinde sein freies Entscheidungsrecht hat.
Wir warnen die Regierungsparteien in letzter
Stunde, diesen Schritt zu tun, und wir haben jetzt gerade vor
einigen Augenblicken das traurige Beispiel gesehen, wie man sich
jetzt schon geradezu mit fanatischem Haß gegen uns wendet,
weil die Herren genau wissen, daß die Tat, die sie jetzt
begehen wollen, nicht derart ist, um sie der freien Athmosphäre
der öffentlichen Meinung vertreten zu können, sondern
weil sie genau wissen, daß auf ihnen eine ungeheuerliche
Verantwortung und schließlich auch Schuld liegen wird. Wir
verwahren uns von dieser Stelle aus dagegen, daß diese Vorlage
zum Gesetz erhoben werde und werden selbstverständlich gegen
ihre Bestimmungen und gegen das Gesetzt selbst stimmen. (Souhlas
a potlesk nìm. nár. socialistických poslancù.)
Schon in den Berichten über die erste
Sitzung des Hauses, welche der Debatte über die Steuervorlage
gewidmet war, mußte festgestellt werden, daß sich
die Debatte unter völliger Teilnahmslosigkeit abwickelt.
Diese Teilnahmslosigkeit ist im Wesen dieses Parlamentarismus
wohl begründet. Jederman weiß, daß die parlamentarische
Erledigung dieser Gesetzentwürfe nur eine Formalität
ist und daß die Entscheidung nicht im Parlament fällt,
sondern schon früher anderswo gefallen ist. Die heutige Regierungskoalition
setzt die Tradition der allnationalen Regierungskoalition fort,
die schon das Schwergewicht der Entscheidungen in der Gesetzgebung
in die geheimen Konventikel der regierenden Machthaber verlegte.
Im besonderen Falle der zur Debatte stehenden Vorlagen wurde der
Schwindel dieses Parlamentarismus von der Regierungsmehrheit geradezu
demonstrativ enthüllt. Dieselbe Kanzlei des Abgeordnetenhauses,
die zum Druck dringlicher Interpellationen oft Monate braucht,
konnte den fast 500 Seiten starken Ausschußbericht über
die Steuervorlage schon etwa in 15 Stunden nach der Abstimmung
im Ausschusse dem Hause vorlegen. Der Ausschußbericht über
die Vorlage, betreffend die Finanzen der Selbstverwaltungskörper,
wurde uns schon ein paar Stunden nach der Abstimmung im Ausschuß
im Druck vorgelegt. Es gibt keine Druckerei, die dieses technische
Wunder hätte fertig bringen können. Die Ausschußberichte
waren einfach schon längst vor der Erledigung der Vorlagen
im Ausschuß fertiggedruckt, weil doch auch die Ausschußverhandlungen
von der Regierungsmehrheit nur als eine notwendige und lästige
Formalität betrachtet werden und die Entscheidung schon früher
getroffen war. An diesem Beispiele kann der ganze Schwindel dieses
bürgerlichen, demokratischen Parlamentarismus sozusagen technisch
exakt festgestellt werden. Die Gesetzesmacherei ist eben im bürgerlichen
Staate so wie das Regieren ein dunkles Geschäft, das zwischen
den Kapitalisten, den bürgerlichen Parteien, eventuell unter
Mitwirkung eines sozialistischen Koalitionsanhängsels und
der hohen Regierungsbürokratie abgewickelt wird. Die Abwicklung
dieses Geschäftes verträgt natürlich nicht das
Licht der Öffentlichkeit und muß sich daher in geheimen
Konventikeln vollziehen. Die parlamentarische Erledigung verfolgt
nur den Zweck, den gläubigen Massen das Theater der Demokratie,
die Komödie des Parlamentarismus vorzuspielen und die Diktatur
der Kapitalisten zu verhüllen.
Ein klassisches Beispiel dieser Gesetzesmacherei
ist das Zustandekommen des Gesetzes über die Finanzwirtschaft
der Selbstverwaltung. Ich will nicht von der oberflächlichen
saloppen Begründung der Vorlage durch die Regierung sprechen,
in welcher gegen die gesamte Selbstverwaltung der Vorwurf der
schlechten Finanzwirtschaft und der Schuldenmacherei als Pauschalverdächtigung
ohne Anführung von Beweisen erhoben wird. Aber dieses Gesetz
soll jezt durchgepeitscht werden, ohne daß über die
Agenden der Selbstverwaltung und ihre Aufteilung auf die einzelnen
selbstverwaltenden Körper entschieden worden wäre, und
bevor die Wirkung des neuen Steuergesetzes auf die Steuergrundlage
der Selbstverwaltung bekannt ist. Man weiß also nicht, wie
die Selbstverwaltung in Zukunft aussehen wird, man kennt noch
nicht die Grundlage für die Berechnung der Steuerzuschläge
der Selbstverwaltung und wagt es trotzdem, schon jetzt über
die Einnahme der Selbstverwaltung und über die Höhe
der Zushläge für die ganze Zukunft zu entscheiden. Dabei
hat man es nicht einmal für notwendig befunden, diejenigen,
die durch dieses Gesetz betroffen werden, deren Schicksal mit
diesem Gesetz entschieden werden wird, vorher um ihre Meinung
zu fragen. Man lehnt jede Mitarbeit der Gemeinden und Bezirke
an diesem Gesetze ab und entscheidet ohne sie, weil man eben gegen
sie entscheiden will. Schon das ist ein Beweis der Feindseligkeit
der Regierung und ihrer Mehrheit gegen die Selbstverwaltung.
Hätten wir es mit einer gewissenhaften
und gründlichen Gesetzgebung zu tun, so müßte
zunächst unter Mitwirkung der in der Selbstverwaltung tätigen
Faktoren eine gründliche Neuordnung der gesamten öffentlichen
Verwaltung vorgenommen werden, die nach unserer Ansicht nur auf
der Grundlage der vollen Selbstverwaltung erfolgen dürfte.
Erst wenn man so volle Klarheit über die Aufgaben und den
Umfang der Agenden der einzelnen Selbstverwaltungskörper
geschaffen hätte, könnte man die Frage der Einnahmen,
welche sie benötigen, und der Quellen, aus denen diese Einnahmen
fließen sollen, lösen. Eine gründliche Reform
der Finanzwirtschaft der Selbstverwaltung müßte mit
dem Zuschlagssystem brechen und diese Finanzwirtschaft auf die
Grundlage besonderer Steuern und Abgaben bei völliger Finanzautonomie
stellen. Behält man aber die bisherige Grundlage der Zuschläge
bei, dann müßte das Ergebnis des neuen Steuergesetzes
abgewartet werden. Die jetzige Erledigung des Gesetzes über
die Finanzen der Selbstverwaltung ist daher ein Beispiel oberflächlicher
und liederlicher Gesetzesmacherei. Daher sehen wir auch in der
Ausschußvorlage die Absurdität, daß hier in einem
Gesetze ein anderes zitiert wird, das man noch gar nicht genau
bezeichnen kann, nämlich das Gesetz über die direkten
Steuern, und ein zweites vorweggenommen wird, das überhaupt
noch nicht existiert, u. zw. das Gesetz über die Verwaltungsreform.
Ebenso sachlich unbegründet ist auch die Hast und die Eile,
mit der man dieses Gesetz jetzt im Hause erledigt; es kann erst
am 1. Jänner 1928 in Kraft treten und erst für die Voranschläge
des Jahres 1928 in Frage kommen, daher besteht kein Grund, es
zugleich mit der Steuervorlage und noch vor der Präsidentenwahl
zu erledigen. Wenn man das trotzdem mit Hochdruck tut, so nur
deshalb, weil man die Öffentlichkeit überrumpeln will,
weil man will, daß das Interesse der Öffentlichkeit
für dieses Gesetz in der Beratung der Steuervorlage untergehe.
Die Regierungsparteien wissen ganz genau, daß ihre eigenen
Anhänger, soweit sie in der Selbstverwaltung tätig sind
und an ihr ein Interesse haben, gegen dieses Gesetz sind. Das
trifft besonders auf die deutschen Regierungsparteien zu, deren
Anhänger z. B. bei der letzten außerordentlichen Hauptversammlung
des Verbandes der deutschen Selbstverwaltungskörper einmütig
für die Resolution gestimmt haben, in welcher dieses Gesetz
abgelehnt wird. Die Regierungsparteien fürchten für
den Fall einer ernsten, gründlichen und gesonderten parlamentarischen
Erledigung dieses Gesetzes das Wachsen des Widerstandes in ihren
eigenen Reihen und darum die Hast, mit welcher es im Ausschuß
und im Plenum durchgepeitscht wird.
Und nun möchte ich mich mit der Steuervorlage
und mit der Frage der Steuern überhaupt beschäftigen.
Die Frage der Steuern ist eine Frage des gesamten Staates, sie
hängt mit der Rolle und den Aufgaben des Staates zusammen
und die Stellung zu den Steuern muß daher auch von den einzelnen
Klassen von ihrem Standpunkte zum Staate aus eingenommen werden.
Die Steuervorlage ist ein Werk der besitzenden Klassen, bezw.
ihrer Parteien, und muß als solches auch charakterisiert
und erklärt werden aus der ganzen Stellung der besitzenden
Klassen zum Staate selbst. Auch für das Proletariat muß
selbstverständlich die Stellung zum Staate auch entscheidend
sein für die Beurteilung der ganzen Steuerfrage.
Der bürgerliche Staat hat zum Unterschied
vom Feudalstaat, der die Steuerfreiheit der herrschenden Klassen
statuierte, den Grundsatz der allgemeinen Steuerpflicht proklamieren
müssen, einen Grundsatz, der zusammenhängt mit all den
demokratischen Grundsätzen, auf die sich die Bourgeoisie
in ihrem Kampfe um die Staatsmacht gegen den Feudalstaat berufen
mußte und ohne welche sie nicht imstande gewesen wäre,
die Massen zum Kampf gegen den Feudalstaat für den bürgerlichen
Staat aufzurufen. Aber ebenso wie der freie Arbeitsvertrag, der
gegen die leibeigene Gebundenheit des Mittelalters von der Bourgeoisie
als Grundsatz aufgestellt wurde, nur eine Phrase war, nur ein
Deckname für die Lohnsklaverei, so ist auch die allgemeine
Steuerpflicht nur eine Phrase, nur ein hohles gesetzliches Prinzip,
das aufgestellt wird, um die wirkliche Verteilung der Steuern
auf die verschiedenen Arten des Einkommens im bürgelichen
Staate nach außenhin zu verschleiern. Das wirkliche einzige
Prinzip der Bourgeoisie in der Steuerfrage ist die Abwälzung
der Steuerlasten des Staates auf die arbeitenden Klassen, bzw.
die Entlastung des Ausbeutungseinkommens, des Mehrwertes und die
Belastung des Arbeits- und Lohneinkommens durch die Steuer. Die
Durchführung dieser Grundsätze der bürgerlichen
Klassen wird gefördert und ermöglicht durch die ungeheuere
Komplizierung des gesamten Wirtschaftslebens, die ja auch ein
Zeichen der kapitalistischen Wirtschaft ist. Welches ist das Verhältnis
der Bourgeoisie zum Staate? Wir müssen es hier charakterisieren,
um eben auch die Steuerfrage richtiger er fassen zu können.
Der bürgerliche Staat hat die Aufgabe, erstens ein Machtapparat
der bürgerlichen Klasse nach außen und innen zu sein;
nach außen Machtapparat zur Führung des Konkurrenzkampfes
gegen die Bourgeoisie der anderen Staaten und Nationen, nach innen
Machtapparat zur Niederhaltung der arbeitenden Klassen, zur Aufrechterhaltung
der Klassenherrschaft der Bourgeoisie. Die zweite Aufgabe des
Staates besteht darin, in den wilden, zügellosen Konkurrenzkampf
der Kapitalisten gegeneinander, der verschiedenen Schichten der
besitzenden Klassen gegeneinander regulierend einzugreifen, damit
nicht die ganze Maschinerie zerbreche. Die dritte Aufgabe des
States besteht darin, die schlimmsten Folgen der Ausbeutung der
arbeitenden Klassen, durch welche die Existenz der ganzen Nation
und damit auch des Staates in Frage gestellt würde, zu verhindern,
dem Klassenkampf die schärfsten Spitzen abzubrechen, eine
Korrektur der Ausbeutung herbeizuführen, mit einem Wort,
auf dem Wege der Sozialpolitik zu versuchen, den Klassenkampf
abzustumpfen.
Diese Aufgaben des Staates sind für die
Aufrechterhaltung der Herrschaft der Bourgeoisie unerläßlich,
die Bourgeoisie braucht daher diesen Staat, infolgedessen stellt
sich die Bourgeoisie in den entscheidenden Stunden immer an die
Seite des Staates. Das bedeutet aber nicht, daß die Bourgeoisie
den Staat lieben würde, die Haltung der Bourgeoisie dem Staat
gegenüber ist oft eine sehr kritische, die Bourgeoisie empfindet
den Staat und die Erledigung seiner Aufgaben als ein zwar notwendiges,
aber doch als ein Übel und im Verlauf der Erfüllung
dieser Aufgaben ist der Staat wohl oder übel gezwungen, in
die absolute Selbstherrlichkeit der besitzenden Klassen, der einzelnen
Kapitalisten gelegentlich einzugreifen, ihre absolute Selbstherrlichkeit
im Interesse der Gesamtheit des kapitalistischen Systems und der
bürgerlichen Gesellschaft in manchen Punkten zu beschneiden.
Die Lage der Bourgeoisie ist eben die: Sie herrscht zwar, aber
sie regiert nicht unmittelbar im Staate. Die Bourgeoisie hat daher
gegenüber dem Staat immer den kritischen Standpunkt eingenommen,
daß die Aufgaben des Staates auf das Allernotwendigste beschränkt
werden sollen, darum das Streben der Bourgeoisie danach. Das kommt
z. B. zum Ausdruck in dem Bestreben, das Budget des Staates soweit
wie möglich zu drosseln. Das Ideal der Bourgeoisie in Bezug
auf die Finanzpolitik des Staates ist die Herabsetzung der Ausgaben
des Staates, die Drosselung seines Budgets, was natürlich
nichts anderes ist als die Einschränkung seiner Aufgaben.
Selbstverständlich kommt hiezu noch der Wechsel in der Lage
der Machtverhältnisse der Klassen im bürgerlichen Staate
und die wechselnde Rolle der verschiedenen Schichten der besitzenden
Klassen im Verlaufe der kapitalistischen Entwicklung. Vor dem
Kriege war die ganze Frage des Staates vom Gesichtspunkt der Steuerleistung
nicht allzu bedeutend, bei weitem nicht so bedeutend wie heute.
Berechnungen haben ergeben, daß vor dem Kriege die Ausgaben
des Staates höchstens 10% vom Nationaleinkommen beanspruchten;
heute in der Zeit nach dem Weltkriege ist diese Frage wichtiger.
Dies vor allem auf Grund der Änderung der Gesamtlage der
kapitalistischen Wirtschaft und der Veränderung der Machtverhältnisse
innerhalb der kapitalistischen Wirtschaft. Der Machtapparat des
Staates muß heute nach außen größer sein,
wegen der Verschärfung des internationalen Konkurrenzkampfes,
wegen der Verschärfung der imperialistischen Spannungen;
er muß nach innen hin größer sein wegen der Verschärfung
der Klassengegensätze, der Klassenkämpfe gegenüber
der Zeit vor dem Weltkriege. Infolge der chronischen Krise, infolge
der gewaltigen Erschütterungen des Wirtschaftslebens ist
die ganze kapitalistische Wirtschaft stellenweise aus dem Gleichgewicht
geraten, weshalb der Staat viel mehr regulierend eingreifen muß
als es vor dem Kriege der Fall war. Vom Gesichtspunkte der kapitalistischen
Wirtschaft und der kapitalistischen Klassen, im Interesse der
notwendigen Stabilisierung der ganzen kapitalistischen Ordnung
mußte also der Staat auch schärfer in das ganze Wirtschaftsleben
eingreifen. In dritter Hinsicht ist die Sozialpolitik eine wichtigere
Frage geworden, weil infolge der Verschärfung der Klassengegensätze
eben auch größere Anstrengungen der Bougeoisie notwendig
waren, sozialpolitische Anstrengungen, um die arbeitenden Klassen
zu beruhigen, um sie vor dem äußersten Schritt im Klassenkampfe,
vor dem Endkampf um die politische Macht, zurückzuhalten.
Die Bourgeoisie mußte Zugeständnisse machen. Der politische
Einfluß der arbeitenden Klassen erforderte diese Zugeständnisse,
machte sie notwendig, nicht nur von Seiten des Staates, sondern
auch von Seite der Selbstverwaltung, der Gemeinden. Darum wuchsen
die Aufgaben des Staates, wie auch der gesamten Verwaltung und
der Selbstverwaltung.
Während so auf der einen Seite die Aufgaben
und die Rolle des Staates an Umfang gewaltig zugenommen haben
und daher gewaltigere Mittel erfordern, um sie bewältigen
zu können, ist auf der anderen Seite infolge derselben Erscheinung,
infolge dieser gewaltigen Erschütterung des ganzen kapitalistischen
Systems auch der Widerwille der besitzenden Klassen gegenüber
den Leistungen an den Staat gestiegen. Die gewaltige Krise im
Zusammenhang mit dem Weltkrieg hat in vielen Staaten einen Stillstand
in der Akkummulation herbeigeführt, stellenweise zu einer
Desakkumulation geführt, die Nationaleinkommen sind stark
gesunken und infolgedessen beanspruchen heute die öffentliche
Verwaltung und der Staat einen viel größeren Teil des
Nationaleinkommens als früher.
Dazu kommt die allgemeine Absatzkrise. Die
Störung des ökonomischen Gleichgewichtes zwischen den
einzelnen kapitalistischen Staaten, die Störung des internationalen
Geschäftsverkehrs, der internationalen Wirtschaftsbeziehungen,
ferner der Zerfall einheitlicher Wirtschaftsgebiete, der den Aufbau
neuer Industrien aus rein staatlichegoistischen Gesichtspunkten
brachte - das alles hat eine allgemeine Absatzkrise, eine Verringerung
der Produktionsbasis in vielen kapitalistischen Staaten herbeigeführt,
wozu dann noch die Einschränkung des Konsums der Massen infolge
des Sinkens ihrer Lebenshaltung kam. Außerdem ist aber die
Wiederaufnahme der Akkumulation als eine der wichtigsten Erfordernisse
der sogenannten Stabilisierungspolitik des Kapitalismus notwendig
geworden.
Aus all diesen Gründen: daß einerseits
die Rolle und die Aufgaben des Staates gewachsen sind und größere
Mittel erfordern und auf der andern Seite das nationale Einkommen
gesunken ist und zigleich aber auch die Notwendigkeit der Akkumulation
zur Lebensfrage des kapitalistischen Systems geworden ist, werden
heute von den besitzenden Klassen die Lasten des Staates viel
drückender empfunden und deshalb spielt diese Frage, die
Frage der Steuern, eine viel gewaltigere Rolle als früher.
So sind auch die verschiedenen Argumente der besitzenden Klassen
der bürgerlichen Parteien zu erklären, wie wir sie jetzt
während der Verhandlung der Steuerfragen immer wieder gehört
haben; und das sind die beiden Hauptargumente, daß die Aufgaben
der Verwaltung zu sehr gestiegen seien und daß der Staat
und die Verwaltung den Staatsbürgern zu hohe Lasten aufbürden.
Diese Klagen kommen sehr lebhaft und am allerlebhaftesten - und
das ist bezeichnend für die Lebhaftigkeit, mit der die besitzenden
Klassen ihr Klasseninteresse empfinden und zum Ausdruck bringen
- von Seiten der besitzenden Klassen, obwohl sie es seit dem Umsturze,
seit dem Ende des Weltkrieges verstanden haben, den größeren
Teil der Lasten des Staates, der öffentlichen Verwaltung,
auf die Schultern der arbeitenden Massen zu legen.