Meine Damen und Herren! Auf der Tagesordnung
steht nur der mit dem kleinen Örtchen St. Gotthard
zusammenhängende Waffenschmuggel. Es gehört auf dieselbe
jedoch unseres Erachtens auch die Waffensendung der Èechoslovakei
nach China. (Souhlas poslancù nìm. strany nár.
socialistické.) Über
erstere hat gestern hier in Form einer feierlichen Regierungserklärung
der Stellvertreter des Ministerpräsidenten gesprochen, über
letztere der Kriegsminister im Wehrausschuß. Die Stellungnahme
der Regierung zu diesen beiden Waffenlieferungsaffären,
und der èechischen Redner, soweit solche bisher in die
Wechselrede eingegriffen haben, zeigen die ganze innere Unwahrhaftigkeit
der èechischen Politik auf und setzen die dauernd beunruhigenden
Verhältnisse in Europa in ein helles Licht. Ist es im Grunde
genommen nicht ein und dasselbe, ob
irgend eine italienische Firma Waffen an eine europäische
Kundschaft, um bei den Worten des Herrn Kriegsministers zu bleiben,
liefert, oder ob dies eine èechoslovakische Firma an eine
chinesische tut? (Posl. Krebs: Vielleicht
hätte sie auch Herrn Horthy Waffen geliefert!) Sehr
richtig. Nicht die Modalitäten der Lieferung, sondern deren
Zweckbestimmung ist doch entscheidend. Waffenlieferungen bedeuten
Rüstung und Rüstungen führen bekanntlich immer
zum Krieg. Das ist so in Europa und auch in Asien drüben.
Es ist eine sehr merkwürdige Moral, dem einen Gewehre zum
Kriegführen zu liefern und dies in vollster Ordnung zu finden,
den andern aber auf die Anklagebank zu setzen, weil er sich auch
Gewehre kauft. Zur Heuchelei wird aber diese Moral, wenn man im
Völkerbund sitzt, dort ständig von Abrüstung redet,
eine führende Stellung in der Abrüstungskommission des
Völkerbundes einnimmt, sich selbst bis an die Zähne
bewaffnet, durch Waffenlieferungen an Kriegführende den Krieg
schürt und nun im Namen des heiligen Friedens eine große
diplomatische Kampagne wegen einiger Waggons Waffen einleitet,
die angeblich an Ungarn geliefert worden sein sollen. (So ist
es!) Womit rechtfertigt die Regierung diese ihre Waffenlieferung?
Der Herr Kriegsminister hat im Wehrausschuß von den
Waffenlieferungen an China gesprochen und sie damit gerechtfertigt,
daß in Brünn eine große Waffenfabrik errichtet
wurde, an der auch der èechische Staat mit Kapital beteiligt
sei. Diese Waffenfabrik wurde, wie der Herr Kriegsminister sagt,
auf kommerzieller Grundlage aufgebaut
und sie ist daher darauf angewiesen, zu verdienen. Da aber der
èechoslovakische Staat die große Fabrik nicht dauernd
beschäftigen kann, so sei es selbstverständlich, daß
man sich Kundschaften anderwärts, in diesem Falle im Ausland,
sucht. (Posl. Krebs: Das ist förmlich eine Offerte an
die Ungarn. sich in Brünn Waffen zu besorgen!) Das
Geschäft sei ein vollständig legales, denn, sagt der
Herr Kriegsminister, die Èechoslovakei ist in keiner Hinsicht
durch die Friedensverträge oder andere internationale Abkommen
daran gehindert, Waffen oder Munition zu erzeugen und an wen immer
zu liefern. Hätte daher die Èechoslovakei nicht das
Geschäft mit China gemacht, so wäre dies für den
Staat ein wirtschaftlicher und sozialer Nachteil gewesen
und irgend ein anderer Staat oder eine andere Firma hätte
diese Lieferung übernommen. (Výkøiky
na levici.) So der Herr Minister! Nun wirft sich da doch zunächst
die Frage auf, warum die Èechoslovakei eine über ihre
eigenen Bedürfnisse weit hinausreichende
Waffenfabrik errichtet hat. Sie hat sie zweifellos schon im Hinblicke
auf eine allfällige Mobilisierung errichtet, um im gegebenen
Augenblicke auf der vollen Höhe (Posl. Krebs: Des Bedarfes!)
des Kriegsbedarfes zu sein. Aber das gibt doch dem Staate,
der, wie ich schon sagte, im Völkerbund sitzt, dessen Außenminister
in der Abrüstungskommission eine so große Rolle spielt,
schon vom moralischen Standpunkt aus kein Recht, Waffen und Rüstungen
für andere kriegführende oder kriegführen wollende
Staaten oder Gruppen zu liefern. Wir meinen, es gäbe genug
Möglichkeiten, sich auf andere Produktionszweige zu verlegen
als auf Gewehre, Kanonen und Munition. Der Kernpunkt der Darlegungen
des Herrn Ministers Udržal liegt aber in seinem
Hinweis darauf, daß die Èechei durch
keinerlei Verträge gebunden oder verhindert sei, Waffen oder
Munition an wen immer zu liefern und solche zu erzeugen. Man könnte
demgegenüber nichts einwenden, wenn gleiches Recht für
alle gälte. Aber der Herr Stellvertreter des Ministerpräsidenten
hat ja gestern ausgeführt, daß Ungarn kein Recht habe,
Waffen einzuführen, denn die Friedensverträge untersagen
dies dem ungarischen Staat, Ungarn stehe unter der Kontrolle des
Völkerbundes, dürfe daher keinerlei Waffen oder Munition
einführen. In dieser Ungleichheit liegt die Ursache aller
Konflikte, aller europäischen Beunruhigungen. (Souhlas
na levici.) Die Friedensdiktate haben in Europa unmögliche
staatliche und wirtschaftliche Zustände geschaffen und die
Völker in freie und hörige eingeteilt. Die Hörigen
sollen dauernd machtlos und wehrlos bleiben, aber sie rütteln
ständig an ihren Ketten und suchen selbstverständlich
die Knechtschaft abzuschütteln. Zu diesen Hörigen gehört
auch Ungarn, und wenn die geschmuggelten Waffen wirklich für
Ungarn bestimmt waren - vorläufig wird das nur von
den Èechen behauptet - so ist die Sendung wohl nicht den
legalen Weg gegangen, aber moralisch ist sie genau so zu bewerten,
wie die èechoslovakische Waffensendung nach China. (So
ist es!) Herr Dr. Kramáø
hat gestern von dieser Stelle aus auch seinen Standpunkt zu dieser
Waffensendung dargelegt und es für gut befunden, darauf hinzuweisen,
daß am heutigen Tage in Prag die Abrüstungskommission
des Völkerbundes zusammentritt, welchen Umstand er begrüßte.
Er meinte, daß sich die Kommission hier werde überzeugen
können, wie sehr kompromittierend es für den Völkerbund
sei, wenn er nicht mit voller Autorität in Hinkunft die geheimen
Waffensendungen unterbinde. Auch wir begrüßen es, daß
die Abrüstungskommission des Völkerbundes in den Mauern
von Prag weilt. Sie hat hier wirklich Gelegenheit, in ein den
Frieden bedrohendes Rüstungsarsenal zu blicken, und sie wird
bei unvoreingenommener Beurteilung der Lage feststellen können,
daß die wahnwitzigen Rüstungen hierzulande und unsere
exportierende Waffenindustrie für den Völkerbund viel
kompromittierender sind als der Waffenschmuggel von St. Gotthard.
Dr. Kramáø
hat gestern an dieser Stelle aus einem Großmachtsgefühl
und Selbstbewußtsein heraus gesprochen und wiederum versucht,
der Welt vorzumachen, wie gut es den Deutschen in diesem Staate
geht und wie gerecht es die Entente bei Abschluß der Friedensverträge
mit dem deutschen Volke meinte. Er verwies darauf, daß im
Gegensatz zu einstmals heute unsere Volksgenossen in der Slovakei
unten ihre Schule haben, während sie früher unterdrückt
wurden, er verwies weiter darauf, daß es doch ein Zeichen
des Rechtlichkeitsgefühles gewesen sei, daß man mit
Abschluß der Friedensverträge einige Zehntausende deutscher
Volksgenossen des heutigen Burgenlandes vor der vollständigen
Magyarisierung gerettet hat. (Výkøiky
na levici.) Dieser Hinweis auf Gerechtigkeit
zeugt von einem ganz merkwürdigen Gerechtigkeitsgefühl.
Was Herr Dr. Kramáø
hier als nationale Gerechtigkeit hinstellt, ist doch nichts anderes,
als eine Politik, die darauf hinausläuft, zu teilen und zu
herrschen (Souhlas na levici.)
und das Deutschtum zum Zankapfel
zwischen den Nationen zu machen.
Das deutsche Schulwesen in der Slovakei unten
wurde - das ist richtig - im Gegensatz zur früheren Zeit,
da es unter magyarischer Herrschaft stand, wirklich wieder der
eigenen Bestimmung durch unsere Volksgenossen zurückgegeben.
Aber man hat es bei Gott nicht getan, um dort das Deutschtum zu
stärken, seine Entwicklung für dauernde Zeit zu sichern,
sondern um dort das deutsche Element gegen das Magyarentum auszuspielen
und der Welt zu zeigen, wie sehr dieser Staat bestrebt ist, den
kulturellen Bedürfnissen der Deutschen Rechnung zu tragen.
(Výkøiky na levici.) Aber
zu derselben Zeit, da man in der Slovakei die eine oder die andere
Schule eröffnete, oder wieder den deutschen Sprachunterricht
einführte, hat man in kulturell so hoch entwickelten Landen,
wie es die Sudetenländer sind, Tausende Schulklassen gesperrt
und unser Schulwesen um Jahrzehnte zurückgeworfen. Aus diesem
Gegensatze sieht man klar, zu welchen politischen Zwecken auch
hier die sogenannte Kulturpolitik in der Slovakei mißbraucht
wurde. Es ist weiters doch jedem der in der Politik nur einigermaßen
Bescheid weiß, klar, daß die Zuteilung eines Teiles
des heutigen Burgenlandes an Deutschösterreich doch nicht
die Ursache etwa darin hatte, daß man dem Selbstbestimmungsrecht
der Völker Rechnung tragen wollte, sondern man hat es von
Ungarn losgetrennt und an Österreich angeschlossen, um einen
dauernden Zankapfel zwischen Deutschösterreich und Ungarn
zu schaffen. (Výkøiky na levici.)
Zu derselben Zeit, da man uns Sudetendeutschen,
die wir uns nach dem Zusammenbruch kraft des gewährleisteten
Selbstbestimmungsrechtes der Völker souverän erklärten,
darangingen, unsere eigene Landesverwaltung einzurichten, da wir
kraft freien Entschlusses uns an unsere Volksgenossen in Deutschösterreich
anschlossen, zu derselben Zeit, da man mit brutaler militärischer
Macht diese unsere Willensmeinung unterdrückte und erstickte,
machte man der Welt den Schein der Gerechtigkeit vor (Posl.
Krebs: Den Schwindel!), den Schwindel, einen Streifen deutschen
Landes an das kleine Deutschösterreich anzugliedern. Damit
Deutschösterreich aber ja nicht leben und wieder aufsteigen
kann, verhindert man gleichzeitig den von allen gewollten Anschluß
an das Deutsche Reich und man verwehrt diesen heute noch. Das
ist die Politik der nationalen Gerechtigkeit, von der von dieser
Stelle gestern Dr. Kramáø
sprach, aufzufassen und auszulegen, der Gerechtigkeitssinn, von
dem Dr. Kramáø
sprach, ist in Wirklichkeit nur das raffinierte politische Bestreben,
die Deutschen als Zankapfel zwischen die Völker zu werfen
und Unfrieden in die Welt zu tragen. Denn wäre es anders,
müßte man vor allem daran gehen, in diesem Staate andere
Verhältnisse und Zustände zu schaffen. Daß
die Zustände hier in nationaler Hinsicht nicht gerecht sind,
davon scheint auch der letzte Redner von èechischer Seite
gestern doch bereits durchdrungen zu sein oder eine Ahnung zu
haben, der Herr Abgeordnete Dr. Mièura, der gestern
im Namen der èechischen Volkspartei erklärte, daß
die èechische Volkspartei bestrebt sein werde, und zwar
vom Standpunkt der christlichen Gerechtigkeit aus, den Minderheiten
in diesem Staate alle Rechte zuzugestehen, die ihnen nach menschlichem
Rechte zukommen. (Výkøiky na levici.)
Mit dieser Erklärung gab er
zu, daß in diesem Staate bisher die Minderheiten noch nicht
einmal die bescheidenen menschlichen Minderheitsrechte zugestanden
bekamen. Was wir bisher hier an nationaler Gerechtigkeit zu spüren
bekamen, war alles andere als - das wird wohl auch ein Christlicher
bestätigen christliche und menschliche Gerechtigkeit. Wir
sind aber keine Minderheit, wir sind hier ein geschlossenes Volk
auf eigenem Boden, das ein Recht hat auf Eigenleben (Souhlas
na levici.) und wir fordern hier daher auch nicht etwa nur
Gerechtigkeit im Sinne der Minderheitsbestimmungen der Friedensverträge,
sondern fordern volle nationale Gleichberechtigung, wie sie einem
freien selbständigen Volke zukommt. (Potlesk na leviei.)
Damit schließe ich. Wir werden die Erklärung des
Herrn Ministers nicht zur Kenntnis nehmen. (Potlesk poslancù
nìm. strany nár. socialistické.)
Meine Damen und Herren! Die gestern von dieser
Stelle abgegebene Regierungserklärung beleuchtet blitzartig
die naturnotwendigen Auswirkungen der Friedensdiktate, mit welchen
trotz aller Lehren der Weltgeschichte die Sieger und Mitsieger
des Jahres 1918 glaubten, Europa einen dauernden Unrechtfrieden
aufzwingen zu können. Es ist für jeden geschichtlich
gebildeten Menschen eine Binsenweisheit, daß Völker
nach einem solchen schweren blutigen Krieg - der auch nach seinem
Abschlusse durch die furchtbaren Wirkungen der aller Menschlichkeit
hohnsprechenden Hungerblokade fortgesetzt wurde - zwar gezwungen
werden können, ein Friedensdiktat zu unterschreiben, aber
es ist auch selbstverständlich, daß innerlich gesunde
Völker bestrebt sind - wollen sie nicht Selbstmord begehen
- an den aufgelegten Sklavenketten zu rütteln und kein Mittel
unversucht zu lassen, diesem Zustande der mit allem Raffinement
ausgedachten modernen Sklaverei sobald als möglich ein Ende
zu bereiten.
Wie die sittlich hochstehenden, ihrer Menschheitsverantwortung
sich bewußten Männer aller Kulturnationen heute schon
über diese Schandfriedensverträge denken, ist nur allzu
bekannt und ich will daher auf die Wiedergabe einzelner Zitate
verzichten und mich mit den Auswirkungen dieser, die betroffenen
Völker an ihrem Lebensnerv bedrohenden, fälschlicherweise
als Friedensverträge bezeichneten, Diktate beschäftigen.
An die Spitze meiner Betrachtungen will ich die Tatsache setzen,
daß in dem neuen demokratischen Friedenszeitalter schon
das Abrollen eines Eisenbahnzuges mit 5 Waggons zerlegten Maschinengewehren
genügt um die Welt oder zumindest die Kleine Ententewelt
in Aufregung und Schrecken zu versetzen. Daß Dr. Beneš
als der geistige Urheber, als der geistige Vater dieses Staatenkomplexes
augenblicklich schwerste Zeiten durchlebt, ist doch nur die Frucht
der bösen Tat, die auf ihm lastet. Noch vor zwanzig Jahren
konnten ganze Eisenbahnzüge schwer beladen mit Munition und
Waffen durch die Welt kreuzen, Grenzen kreuzen, ohne daß
man darin eine Bedrohung des Weltfriedens erblickt hätte.
Dies allein ist meines Erachtens schon ein Beweis dafür,
daß sich die Zustände in dieser Richtung in der Nachkriegszeit
bedeutend verschlechtert haben und daß in der Zwischenzeit
Maßnahmen gesetzt wurden, die an dieser, den wahren Weltfrieden
bedrohenden Entwicklung in erster Linie die Schuld tragen müssen.
Meines Erachtens ist es unser aller Pflicht, ist es die sittliche
Pflicht eines jeden wahren Friedensfreundes, ist es die Pflicht
eines jeden, der an der Menschlichkeit nicht verzweifeln will,
der sich seiner Verantwortung bewußt ist der neue blutige
Kriege verhindern will, die, Schuld jener aufzuzeigen, die an
der Entwicklung dieser Zustände in erster Linie ausschlaggebend
mitgewirkt haben. Hiezu ist es aber meines Erachtens notwendig,
das Übel schon an der Wurzel zu fassen und nicht an Stelle
einer befreienden Tat sich mit billigem pazifistischen Phrasengewäsch
zu begnügen. Die Verurteilung des Krieges ist an sich eine
schöne Sache, wirklich verhindern kann man Kriege auf Erden
nur, wenn man nach den Ursachen forscht, die zu neuen kriegerischen
Entwicklungen führen, und auch den Mut besitzt, nach Möglichkeit
mit friedlichen Mitteln diese Ursachen zu beheben. Von diesem
einzig richtigen Standpunkt beurteilt, muß schon der einleitende
Satz der hier abgegebenen Regierungserklärung: "Die
Regierung ist sich bewußt, daß die Einhaltung der
Friedensverträge und die richtige Erfüllung aller Verpflichtungen,
welche die einzelnen Staaten durch die Verträge übernommen
haben, Grundlage des guten Verhältnisses zwischen den Staaten
und Voraussetzung des Friedens ist" mit aller Entschiedenheit
zurückgewiesen werden, da es sich bei diesen sogenannten
Friedensverträgen nicht um den freien Entschluß zweier
Vertragspartner handelt, sondern um ein einseitiges Vernichtungsdiktat,
zu dessen Anerkennung der zweite Teil nur durch Drohungen schwerster
Art - wie es im vorliegenden Falle der Fall war, durch eine Hungerblokadedrohung
- einfach gezwungen wurde.
Selbst aus den Reihen der damaligen Diktatoren
sind heute schon Männer wie Lloyd George aufgetreten, die
eine Revision dieser von den Betroffenen unerfüllbaren Friedensbestimmungen
fordern, in der realen Erkenntnis, daß ein starres Festhalten
an den einzelnen Bestimmungen naturnotwendig zu einer Katastrophe
führen müsse. Lloyd George erklärte wörtlich,
daß die Ursachen neuer Kriegsgefahren in Europa in den Grenzkonflikten
liegen, die entstanden sind, weil man im Jahre 1919 die Friedensverträge
geschaffen hat, als man durch den langen Krieg erbittert war,
und den Verbündeten damals unzureichende und unpraktische
Informationen - man denke doch nur an den verlogenen Inhalt des
berüchtigten Mémoire IIl - zur Verfügung standen.
Lloyd George erklärte weiters, daß die Grenzfragen
in Europa nur auf friedlichem Wege durch den Völkerbund und
auch dann erst nach einer Abrüstung der europäischen
Mächte gelöst werden können. Ich verweise ferner
darauf, daß die Mantelnote Clémenceaus vom 16. Juni
1919 zum Vertrage von Versailles ausdrücklich eine Revisionsmöglichkeit
verspricht und erkläre, daß der Völkerbund seine
Aufgabe verfehlt, wenn er es ablehnt, diesen Weg zu beschreiten.
Diese Erkenntnis bricht sich also überall Bahn. Sie ist eine
Frucht des begangenen schweren Verrates an den 14 Punkten Wilsons,
der den aufhorchenden, nach einem wahren Völkerfrieden lechzenden
Völkern einen Frieden zu bringen versprach auf der Grundlage
der unbeeinflußten Ausübung des Selbstbestimmungsrechtes
der Völker, daß also jedes Volk selbst zu entscheiden
hat, wohin es gehören und wie es regiert werden wolle.
Gegen diese Erkenntnis, gegen das weitere Umsichgreifen
dieser Erkenntnis stemmen sich nur die Kriegsgewinnler unter den
Völkern, die die heiligen Friedensgrundsätze verletzend,
an Stelle von Gerechtigkeit ein Gewaltsystem aufgerichtet haben,
wie es die Welt vorher kaum gekannt hat. Für sie ist auch
der Völkerbund nur ein Mittel zum Zweck für die Aufrechterhaltung
der Friedensbestimmungen um jeden Preis, da sie wissen, daß
in dem Augenblicke, wo an die Stelle des Zwangsdiktates wahre
Gerechtigkeit treten würde, sie gezwungen wären, auf
ihre Eroberungen zum größten Teil zu verzichten, Eroberungen,
die sie im Kampfe der Lüge und der Verdrehung der Tatsachen
gegen die Wahrheit, vor einem unterrichteten Forum im Jahre 1919
errungen haben. Diesem Siege der Lüge und der Gewalt gegen
Wahrheit und Gerechtigkeit sind allein in Mitteleuropa 40 Millionen
Menschen unterlegen, die heute gegen ihren laut und feierlich
verkündeten Willen, losgerissen von ihrem angestammten Volkstum,
fremder Knechtschaft unterworfen sind.
Der ehemalige italienische Ministerpräsident
Nitti spricht in einem seiner Werke von den sechs neugeschaffenen
Elsaß-Lothringen und sieht in ihnen die schwerste Bedrohung
des Weltfriedens. Wer also wirklich für die Erhaltung des
Weltfriedens arbeiten will, muß diesen Tatsachen auf den
Grund gehen und sich von dem Bestreben leiten lassen, die schwere
Versündigung an diesen 40 Millionen solbad als möglich
wieder gutzumachen. Nur dann, wenn der Völkerbund in dieser
Richtung - Abänderung unhaltbar gewordener, den Weltfrieden
bedrohender Bestimmungen - seine Tätigkeit entfalten wird,
ist zu erhoffen, daß seine Gründung als Heil für
die Menschheit und sein Wirken als segensreich in der Weltgeschichte
verzeichnet werden kann. Die bisherige Tätigkeit des Völkerbundes
stimmt uns aber durchaus nicht hoffnungsvoll. Entgegen den heiligen
Idealen, auf Grund welcher er in die Welt gesetzt wurde, hat er
trotz seines neunjährigen Bestandes keinen wirklichen Schritt
in der vorgezeichneten Richtung getan, ja im Gegenteil, wir mußten
bis heute in ihm nur ein Machtinstrument zur Aufrechterhaltung
dieser Gewaltfriedensverträge erblicken und seit dem Eintritt
Deutschlands feststellen, daß er in erster Linie bestrebt
ist, der Lösung aller bedeutsamen Fragen auszuweichen um
ein gerechtes Eingreifen Deutschlands im Völkerbundrate von
vornherein unmöglich zu machen.
Eine der wichtigsten Fragen, mit der sich der
Völkerbund kraft seiner Satzungen zu beschäftigen hätte
und hat, ist bekanntlich die Abrüstungsfrage, als allgemein
anerkannte Voraussetzung für einen wahren Völkerfrieden.
Lloyd George hat, wie bereits vorhin erwähnt, als Vorbedingung
für eine durchgreifende Revision, der auf die Dauer unhaltbaren
Bestimmungen der sogenannten Friedensverträge vor allem die
Abrüstung der noch nicht abgerüsteten Staaten bezeichnet.
Wir wissen, daß die ständige Bedrohung der Welt und
des Weltfriedens verursacht wird durch die politische Haltung
Frankreichs und der von ihm geführten Vasallenstaaten. Wir
wissen, daß die Abrüstung Deutschlands und der Mittelmächte
restlos vollzogen ist, wir wissen aber auch, daß es eine
Vertragspflicht der anderen Vertragspartner war und ist, nunmehr
selbst abzurüsten. Statt einer einsetzenden Abrüstung
in diesen Staaten konnten wir aber nur ein allgemeines Wettrüsten
feststellen. Zur Irreführung der pazifistischen Kreise setzt
man zwar die Sitzungen der Völkerbundsabrüstungskommission,
die bekanntlich unter dem Vorsitz des èechoslovakischen
Außenministers Dr Beneš tagt,
noch immer unentwegt fort, beschäftigt sich mit den verschiedensten
Vorfragen, die zu lösen sind, um nur nicht zu einer Abrüstung
der FeindStaaten zu gelangen. Man versteht es die Sache immer
wieder so zu formulieren, daß immer unerfüllbarere
Vorbedingungen gestellt werden, so daß man trotz angeblich
besten Willens zu einer wirklichen Abrüstung nicht kommen
kann. Ich verweise darauf, daß vor allem erklärt wird,
daß augenblicklich eine Abrüstung der ehemaligen Feindbundstaaten
deshalb nicht möglich ist, weil es an gemeinsamen Vergleichsunterlagen
mangle, um den derzeitigen Stand der Rüstungen in den einzelnen
Staaten feststellen zu können. Zu Beginn des Vorjahres ist
eine eigene Sitzung nach Paris einberufen worden, beschickt von
den Vertretern von 27 Mächten, die sich der Aufgabe zu unterziehen
hatten, ein Einheitsschema für die Militärsbudgets auszuarbeiten.
Dr Beneš hat in seinem eigenen Staat dafür Sorge
getragen, daß dieses Einheitsschema für die
Militärbudgets schon Monate vorher in Kraft getreten ist.
Erinnern Sie sich doch - es war in dem Zeitpunkt, wo man es plötzlich
für notwendig gefunden hat, im èechoslovakischen Staatsvoranschlag
Schiebungen vorzunehmen, indem man Posten, die früher
im Militärbudget zu finden waren, plötzlich im Budget
des Ministeriums für soziale Fürsorge und des Arbeitsministeriums
vorfand, oder in andere Ministerien verschob, um so zu einer klareren
"Einsicht" und "Durchsicht" des Militärbudgets
zu gelangen. Sie erinnern sich an jenes Gesetz, ich glaube vom
16. oder 17. Dezember 1926, wo außerdem beschlossen wurde,
daß beim Militärbudget in Zukunft die Höchstgrenze
von 1400 Millionen nicht überschritten werden dürfe,
wobei gleichzeitig die Bestimmung aufgenommen wurde, daß
ein militärischer, zwar nicht geheimer, sondern nur für
die Umwelt geheimer Militärausrüstungsfond ins Leben
gerufen wird, der jährlich mit 350 Millionen Kronen gespeist
wird. Das alles waren Maßnahmen, scheinbar vielleicht auch
gegen den Widerstand des Herrn Dr Beneš. Ich bin darüber
nicht unterrichtet und es ist auch keiner der Herren Minister
anwesend, um uns darüber Aufklärung zu geben. Es dürfte
hier wahrscheinlich die böse Absicht der anderen gesiegt
haben über den guten Willen des Herrn Dr Beneš,
endlich zu einem klaren durchsichtigen Einheitsschema für
das Militärbudget zu gelangen. Tatsache ist, daß der
èechische Staat alle Vorsorgen getroffen hat, um die Umwelt
vor eine fertige Tatsache zu stellen, das heißt zu düpieren,
indem seine Vertreter nunmehr mit einem Militärbudget bei
den einzelnen Sicherheitskommissionen herumreisen, das in Wirklichkeit
dem tatsächlichen Aufwand für die militärischen
Angelegenheiten im èechischen Staate nicht entspricht,
denn wie auf Grund des letzt vorgelegten Staatsvoranschlages
nachzuweisen ist, betragen die Ausgaben nicht 1400 Millionen Kronen,
sondern in Wirklichkeit 2.1 Milliarden. Wir sehen also,
daß rund 700 Millionen Kronen, verteilt auf andere Kapitel
des Staatsvornaschlages untergebracht wurden, um dem allgemeinen
Wunsche nach einer durchsichtigen, allen Staaten gemeinsamen Unterlage
des Einheitsschemas für Militärbudgets entsprechend
Rechnung zu tragen.
Man könnte nun auch behaupten, daß
diese geheimen Rüstungen - denn man kann da eben nur von
geheimen Rüstungen sprechen - eigentlich nichts anderes
bezwecken, als endlich einmal den Friedenswillen der Èechoslovakei
nach innen restlos Rechnung zu tragen, das heißt durch eine
entsprechende Aufrüstung, die den anderen unbekannt ist,
jenen Machtfaktor zu schaffen, der dann
im gegebenen Augenblick, wenn gegen den Willen der regierenden
Kreis die Gewehre losgehen, die Èechoslovakei in die Lage
versetzt, den sich wehrenden Dritten entsprechend abzuführen.
Das nennt man heute Abrüstung, das nennt man Rechnung tragen
der allgemeinen Weltfriedensforderung, möglichst rasch und
möglichst gründlich abzurüsten.
Man hat aber auch neben diesen Abrüstungskommissionsschwindel
sich noch eine zweite Formel zurecht gelegt. Und zwar die bekannte,
die berüchtigte Sicherheitsformel. Nachdem Lloyd George erklärt
hatte, daß zur Durchführung der notwendigen Revision
der Friedensverträge es unbedingt notwendig sei, daß
zuerst die europäischen Staaten abrüsten, erklärt
man nun, daß eine Abrüstung nicht früher möglich
sei, bevor nicht jeder einzelne Staat, und zwar jeder der Kriegsgewinnerstaaten
die restlose Sicherheit besitze, daß an den Bestimmungen
der Friedensverträge, und wären sie auch im praktischen
Völkerleben noch so undurchführbar, festgehalten werden
müsse, verlangen alle Sicherheiten dafür, daß
eine Revision der Friedensverträge niemals, auch nicht durch
den Völkerbund anerkannt werde. Meine sehr geehrt en Damen
und Herren. Sie werden sich erinnern, daß der Herr Staatspräsident
Masaryk wiederholt seiner Meinung dahin Ausdruck gegeben
hat, daß diese Friedensverträge, wie sie heute vorliegen,
einer Verbesserung bedürftig sind, und daß seiner Meinung
nach auch Grenzkorrekturen möglich sein werden, im Interesse
des weiteren Ausbaues des Friedens in Mitteleuropa. Das sagte
der Herr Staatspräsident. Der Herr Minister des Äußern
hat in einer der letzten Sitzungen zwar erklärt, und zwar
beeinflußt durch jenen bekannten Oktoberartikel Lloyd Georges,
der geradezu wie eine Bombe in Prag eingeschlagen hat, daß
auch er als wahrer Verfechter des Friedensvertrages auf der Durchführung
aller Bestimmungen des Völkerbundpaktes und der Friedensverträge
bestehe, daß auch er anerkenne, daß auf Grund des
Artikels 18 des Völkerbundpaktes es möglich sei zu einer
Revision der Friedensbestimmungen zu schreiten. Als ihm aber nahegelegt
wurde und er gefragt wurde, ob er diese Möglichkeit auch
darauf erstrecke, daß es zu einer Korrektur der unmöglichen,
den ethnographischen Verhältnissen widersprechenden Grenzen
kommen könnte, erklärte er: "unter keinen Umständen".
Er verleugnet also selbst jene Friedensverträge und Völkerbundpakte,
an dessen Schaffung er so großen Anteil hatte, in dem Augenblicke,
wo sich seine Bestimmungen gegen seine eigenen Wünsche und
Pläne richten könnten. Man kann ruhig sagen: Herr Dr
Beneš ist ein wirklicher, ehrlicher und überzeugter
Völkerbundanhänger. (Posl. dr Lehnert: Ist
ja einer wie der andere. Ich glaube, er ist noch der Beste von
allen!) Ich gratuliere Dir, zu Deiner Ansicht.
Diese Beratungen, nunmehr auf das Geleise der
Sicherheitsformel abgeschoben, werden bekanntlich am morgigen
Tage in Prag fortgesetzt werden. Man kann zwar nicht behaupten,
daß sie unter einem ungestümen Andrang der Vertreter
der verschiedenen Staaten der Welt stattfinden werden. Soweit
man durch die offiziöse Presse erfährt, ist der Andrang
außerordentlich gering und es werden sich nur wenige Vertreter
einfinden, um gewissermaßen als unbeteiligte Zuhörer
den neuen Friedensversicherungen Benešs Gehör
zu schenken