Ich habe heute noch über etwas anderes
zu sprechen. Ich möchte an die Rede des Koll. Meissner
anschließen, die er das letzte Mal anläßlich
der Verhandlung der Arbeitskolonien hier im Hause gehalten hat.
Er kam zum Schlusse auch auf die Krise des Parlamentarismus zu
sprechen. Der Herr Ministerpräsident Švehla bestreitet
zwar, daß es eine Krise des Parlamentarismus gibt, er sagt:
"Die Krise ist abhängig von dem Benehmen der Abgeordneten,
sie müssen sich halt etwas anständiger benehmen, die
Arbeit muß in den Ausschuß verlegt werden; dort spricht
man sich sachlich aus und im Hause spricht man sich eben dann
politisch aus." Das ist nicht so einfach. Es ist über
die Krise des Parlamentarismus schon ungemein viel nachgedacht
und auch geschrieben worden. Und wie sollen wir eigentlich alle
wissen, wovon das abhängt? denn die verschiedenartigsten
Momente sind ja dafür maßgebend und da ist interessant
der Artikel der "Bohemia" vom 3. Feber, dem zu entnehmen
ist daß bei der vorjährigen Tagung der interparlamentarischen
Konferenz auf Anregung des schweizerischen Nationalrates Michels
die Frage untersucht worden ist in Form einer Rundfrage über
die Krise des Parlamentarismus. Er steht auf dem Standpunkt, daß
die Abgeordneten in kürzester Zeit mit so einer Unzahl von
Gesetzen überlastet sein werden, daß es dem einzelnen
natürlich gar nicht möglich ist, sie überhaupt
beherrschen zu können. Erstens namentlich die verschiedenartigen
Materien; bei uns kommt noch dazu, daß wir deutschen Abgeordneten
zum großen Teil auch mit der Sprache Schwierigkeiten haben.
So geht es auch den ungarischen und den karpathorussischen Abgeordneten;
und auf der anderen Seite fehlt natürlich die Einsicht, daß
zu einer sachlichen Arbeit auch Unterstützung mit dazu gehört.
Ich habe die verschiedenartigsten Anregungen diesbezüglich
gegeben - nennen Sie es Abschrift oder Durchschlag. Da steckt
auch ein Stück Krise des Parlamentarismus drin. Mit reinem
Chauvinismus läßt sich ein Staat nicht in dem Maße
regieren, wie Sie glauben. Das kann man eine zeitlang machen,
wenn man aber positive und tatkräftige Arbeit und Unterstützung
haben will, muß man weiter gehen, muß man weitsichtiger
sein, muß auch Gelegenheit zur Mitarbeit geben. Also, die
Materien, abgesehen von der sprachlichen Seite, sind verschiedenartigster
Natur und jeder Abgeordnete müßte ein Universalgenie
sein, um alle diese Materien beherrschen zu können. Ich stehe
auf dem Standpunkt, daß für die Abgeordneten ein ausreichender
Informationsdienst da sein müßte, und da machen wir
die komische Erfahrung, daß ganze Parteien und auch Abgeordnete
auf dem Standpunkt stehen: "Wir haben keine Sachverständigen
zu fragen, wir sind es, und nicht sie, die darüber zu entscheiden
haben." Ich führe hier als Beispiel die Verwaltungsreform
an. Der Juristentag stand auf dem Standpunkt, so und so müsse
sie gemacht werden, man hat aber erklärt: "Das geht
uns nichts an, es gehen uns die Sachverständigen nichts an,
wir entscheiden." Das ist nicht richtig, weil kein Mensch
alles verstehen kann. Dann führt er als Grund an, daß
Parlamentsmitglieder sich im Parlament als Vertreter besonderer
Interessengruppen betrachten und dementsprechend handeln. Aber
es ist interessant, was Professor Bonn sagt. Ich möchte Ihnen
das vorlesen und dabei auf ein Kapitel kommen, das besonders spruchreif
ist. Er sagt nämlich: "Die Politik wird durch das Listenwahlrecht
zur Parteimaschine bürokratisiert. Es besteht insbesondere
gar keine Möglichkeit, die Jugend am Parteileben beteiligen
zu lassen, wie z. B. in England." Er sagt dann weiter, daß
in den organisierten Berufsinteressen wirtschaftliche Machtgruppen
und verkalkte Parteisekretäre zu dominieren scheinen. Er
sagt mit anderen Worten, daß ein großer Teil der Parlamentskrisen
- nicht nur bei uns, es ist auch in der Umgebung so - in dem Listenwahlrecht
besteht, weil im Prinzip der Individualismus sich bei dem System
nicht durchsetzen kann. Denn im Prinzipe, wenn er sich durchsetzen
will und anderer Ansicht ist (Posl. Krebs: Mayer und Hanreich!),
wird er hinausgeschmissen. Da haben wir auch die Mittel dazu,
daß er dann sofort auch erledigt wird. Auf den Fall komme
ich noch nachher zu sprechen.
Ich möchte nun noch an Herrn Dr Meissner
anknüpfen. Dr Meissner hat das Kapitel der Regierungsmehrheit
und der Opposition angeführt. Wir beide waren es im Budgetausschuß,
die eigentlich die vollständige Ignorierung der Opposition
nicht verstanden und darauf hingewiesen haben, und als damals
Ministerpräsident Švehla anwesend war, habe ich
mir erlaubt, an seine seinerzeitige Rede anzuknüpfen, wo
er sagte, Gleiche mit Gleichen regieren jetzt, die Opposition
solle nicht demagogisch sein, sie solle kritisch und sachlich
sein. Gerade dazu gehört natürlich auch das Verständnis
der Regierungsparteien. Die Regierungsparteien müssen sich
mit der Opposition verständigen können. Herr Dr Meissner
hat als ein Mann gesprochen, der sieben Jahre in der Regierungskoalition
war; ich spreche namens einer Partei, die seit 9 1/2
Jahren in Opposition ist, und
die Herrschaften von den èechischen Sozialdemokraten sind
gerade diejenigen, die darauf eigentlich nie Rücksicht genommen
haben. Sie haben auch ganz kalt lächelnd, ohne die Opposition
anzuhören, regiert. Bitte, ich bin sehr einverstanden
damit, daß Dr Meissner seine Ansichten korrigiert
hat, da ich an den dünnen Faden, den Koll. Bechynì
ausspinnt, nicht glaube und weil ich es
für möglich halte, daß Sie über den Faden
hinweggehen und mitregieren. (Posl. Bechynì:
Gehen Sie mit?) Herr Kollege, ich müßte
erst feststellen, ob wir zwei uns vertragen. Also: Gesetzt, Sie
sind in der Regierung und die anderen in der Opposition. Dann
bin ich neugierig, ob Sie von der neuen Einsicht werden Gebrauch
machen und ob Sie sich mit der Opposition verständigen werden.
Weil Sie gesagt haben, ob ich mit Ihnen gehe. Schauen Sie, da
müßte ich Ihnen eigentlich auch eine Vorgeschichte
erzählen. Sie pflegen die Idee der Verständigung mit
den deutschen Sozialdemokraten zum Zwecke des Zusammenschlusses.
Sie haben alle in den Vorreden zum Kongreß, die mich ungemein
interessiert haben, ganz offen erklärt, daß nur in
der geschlossenen Einheit in der Zusammenfassung die Kraft ruht.
Und ich finde es ganz begreiflich, und das hätte eigentlich
schon lange stattfinden sollen, daß sich Ihre zwei Gruppen
zusammenfinden. Das konnten Sie aber früher nicht, das konnten
Sie erst in dem Stadium machen, wo Sie in die Opposition kamen,
weil Sie vorher das nationale Moment dem internationalen voransetzten
und kaltlächelnd gegen Ihre eigenen deutschen Kollegen vorgingen.
(Posl. Knirsch: Jetzt auch noch!) Ich bin ein Mensch, der
immer an das Gute glaubt, bis er sich vom Gegenteil überzeugt.
Ich weiß, wie schwer eine Verständigungsarbeit ist,
Herr Kollege, und das werden Sie auch wissen. Aber Ihnen
als èechischen Kollegen sage ich, Sie werden ein bischen
mehr Verständnis haben müssen als die deutschen Kollegen,
weil Sie nämlich auf dem Standpunkt stehen müssen, daß
Sie neben den sozialpolitischen Problemen im Kampf gegen die bürgerliche
Mehrheitsregierung auch den Standpunkt beachten müssen: Gleiche
mit Gleichen, auch die deutschen Kollegen sind gleichberechtigte
Staatsbürger. Sehen Sie, Herr Kollege, dann werden Sie auf
dem Standpunkt stehen müssen: nachdem wir auf dem Boden der
Tatsachen stehen, ist nicht maßgeben, ob die deutschen Regierungsparteien
in der Regierung sind, sondern maßgebend ist, ob ein Ausgleich
von Volk zu Volk möglich ist, d. h. mit anderen Worten, ob
Sie von der Idee des Nationalstaates ablassen und sagen können,
die anderen Mitbewohner des Staates sind gleichberechtigte Bürger.
Es ist sehr interessant, wenn man sich ein bischen philosophisch
damit beschäftigt, die Ängste und Nöte zu sehen,
wie Sie um den Nationalstaat kämpfen. Bitte, ich begreife
das. Schauen Sie: Masaryk hat gesagt: "Kolonisten",
er hat gesagt: "Organischer Bestandteil". Hodža
werkelt zum 50ten Geburtstag herum und
sagt: "Nationalstaat, aber die Deutschen gleichberechtigt."
Genieren Sie sich nicht, nur einmal heraus mit der Farbe. Brauchen
Sie die andern mit dazu, oder wollen Sie sie mit dazu haben,-
dann geht die Geschichte ganz anders. Von diesem Gesichtspunkt
aus, wenn Sie es ehrlich meinen und wenn es wahr ist, daß
Sie neben der Losung der sozialpolitischen Probleme auf Ihre Fahne
auch die Lösung der nationalen Probleme gesetzt haben, indem
Sie sagen: wir wollen alle Staatsbürger gleich behandeln,
gehe ich mit Ihnen, Herr Kollege. Also verstehen wir uns recht!
Wir haben damals erklärt: Jawohl, wir wollen aktiv und positiv
mitarbeiten, aber unter anderen Bedingungen, und die bürgerliche
Mehrheit, die heute am Ruder ist, hätte sich das eine klarmachen
sollen, daß Sie den Vorwurf von Ihnen nicht ertragen müßte,
sie habe kein nationalpolitisches Programm. Ja, ob Sie das nationalpolitische
Programm im Sinne des Ausgleiches meinen, oder im Sinne der weiteren
Verfolgung gegen die 3 1/2
Millionen Deutschen, das ist etwas anderes. Aber gespannt bin
ich, Herr Kollege - weil ich der Ansicht bin, daß aus dem
Faden der Strick wird, der nicht reißt ob Sie tatsächlich
die Richtlinien des Kongresses auch in dem Punkte der Lösung
des nationalen Problems restlos durchführen werden.
Sehen Sie, Herr Kollege, von dem Gesichtspunkte aus geht auch
bei uns der Verständigungsgedanke. Man hat in den èechischen
Zeitungen die verschiedensten Ansichten lesen können. Da
hat man gesagt: Die Deutschen wollen sich nur
verständigen, um gegen uns aufzutreten. Nicht war? Die anderen
verhöhnten das, andere suchten wieder etwas anderes dahinter
und da will ich Ihnen etwas sagen: Wenn Sie selbst bezüglich
des eigenen Volkes dorthin kommen und sagen: Volk, halte zusammen,
bleibe ganz, dann müssen Sie auch auf der anderen Seite den
3 1/2
Millionen Deutschen gestatten, daß sie sich zusammenschließen,
weil ich der Ansicht bin, wenn Sie ehrlich den Grundsatz aufrecht
erhalten "Gleiche mit Gleichen" wenn gilt, daß
Sie die Deutschen als gleichberechtigte Staatsbürger behandeln
wollen, dann muß Ihr Verhalten ein ganz anderes werden.
Denn täuschen Sie sich nicht: In Wirklichkeit geht das System
der Verfolgung der nationalen Zwecke trotz der Teilnahme der deutschen
Parteien an der Regierung, mag das auch geleugnet werden, restlos
weiter. Wir werden in Zukunft sehen, wie Sie das System fortsetzen.
Sie werden einmal die Maske des doppelten Spieles ablegen müssen.
Von dem Gesichtspunkt aus, daß nicht parteimäßig
ein Ausgleich von Volk zu Volk geschlossen werden kann, daß
das nur durch den Zusammenschluß zustande kommen kann, habe
ich Ihren Kongreß begrüßt und kann es nicht dulden,
daß Sie auf der anderen Seite vielleicht irgend wie eine
Verständigung unter den anderen deutschen Parteien verhöhnen,
belachen. Da ist es doch sehr interessant, Folgendes wahrzunehmen:
Als dieser Gedanke ausgesprochen wurde, da war es Koll. Windirsch,
der als Antwort darauf von der Lächerlichkeit und Groteske
der deutschböhmischen Landesregierung sprach. Darauf erfolgten
im Hause die weiteren Ausfälle, bis wir endlich bei der gurgelnden
Jauche waren. Man mag darüber denken, wie man will, das gehört
jedenfalls zur Krise des Parlamentarismus. (Posl. Weisser:
Vergessen Sie die Watsche nicht, Herr Kollege!) Die ist mit
drin, selbstverständlich, die vergesse ich keinesfalls, die
hätte aber Ihr Kollege nicht gekriegt, wenn Windirsch
nicht so gesprochen hätte. (Potlesk poslancù
nìm. strany národní a nár. socialistické.)
Wenn man ganz ehrlich ist: die Watsche
hat doch ein Falscher gekriegt. (Posl. Weisser: Sie müssen
doch wissen, wem Sie sie geben wollten!) Ich habe sie doch
nicht ausgeteilt. (Veselost.) Nun stellen Sie sich Folgendes
vor: Da konstatiert Koll. Windirsch in einer Versammlung
in Neundorf bei Kratzau, die Nationalpartei habe sich auf den
Boden der Tatsachen gestellt, die Nationalpartei will die Ausscheidung
des Persönlichen. Das wird begrüßt.
Und der Aufruf der Fünfzig zur Einigung
wird auch begrüßt. Bis dorthin geht die Rede schön.
Und dann wagt Koll. Windirsch zu sagen: "Eine Zusammenarbeit
zwischen Regierungsparteien und Opposition ist ausgeschlossen,
weil sie das sofortige Ende der Koalition bedeuten würde."
Ich habe lange Geduld, das können Sie mir glauben. Aber wenn
ich das höre, daß an einem Verständigungsgedanken
eine Koalition zugrunde gehen soll, wenn ich höre, daß
eine Zusammenarbeit zwischen deutschen Regierungsparteien und
der deutschen Opposition unmöglich sein soll, wenn
ich höre, daß er erklärt, wir müssen den
èechischen Kollegen gegenüber loyal sein nun, was
ist es mit der Loyalität gegenüber den Deutschen? -
dann muß ich erklären, daß dieser Standpunkt
unrichtig ist und diese Äußerung
entweder ungeschickt oder in böser Absicht gemacht wird und
daß man mit den beiden Methoden (Výkøiky
na levici.) keine sudetendeutsche Volkspolitik
macht. (Sehr richtig!) Wenn ich es hier von dieser Tribune
erkläre, fühle ich das Recht dazu, weil Koll. Windirsch
diese Erklärung in einer öffentlichen Versammlung
tat. Ich rufe hier der ganzen deutschen Öffentlichkeit zu,
daß es Koll. Windirsch ist, der erklärt, eine
Zusammenarbeit zwischen Regierungsparteien und Opposition sei
ausgeschlossen. Ich bin weit entfernt, die anderen Mitglieder
des Bundes der Landwirte damit zu identifizeren, weil ich einfach
nicht glauben kann, daß die anderen Mitglieder des Bundes
der Landwirte damit einverstanden sein können. (Výkøiky
na levici.) Aber wir können es nicht
zulassen, daß die sudetendeutsche Volkspolitik auf diese
Basis gestellt werde. Verzeihen Sie mir wenn ich dem Koll. Windirsch
darauf folgendes erwidere: Wenn er der Ansicht ist, daß
eine Zusammenarbeit zwischen Regierungsparteien und Opposition
unmöglich ist, dann verweise ich ihn auf die Ausführungen
des Koll. Dr Meissner auf der einen Seite und auf die Ausführungen
der "Národní Politika" auf der anderen
Seite, die mit vollem Recht am 5. Feber auf meinen Artikel: "Die
dringendsten Notwendigkeiten für unser Sudetendeutschtum"
folgendes schrieb: "Wir wissen nicht, wie oft schon nach
ähnlichen sudetendeutschen Organisationen gerufen wurde,
wieviel Pläne schon entworfen wurden. Das eine ist aber sicher,
daß durch eine bloße Aktion auf dem Papier weder Dr.
Rosche noch die übrigen deutschen Parteien jemanden
überzeugen werden von der Aufrichtigkeit und dem Ernst ihrer
Verständigungs- und Einigungsbestrebungen. Warum traten die
Herren nicht schon endlich zusammen, um sich auszusprechen und
- einig zu werden über diese "Einheitsfront der Sudetendeutschen"?
Oder wollen sie das vermeiden in der Ahnung, wie die Vorkehrungen
zu dieser "dringendsten Notwendigkeit für das Sudetendeutschtum"
ausfallen werden?" Diese Belehrung muß sich Koll. Windirsch
geben lassen. Gleichzeitig verweise ich darauf, was Dr Kramáø
auf dem Studentenkongreß erklärt
hat: "Wir müssen auch den anderen Nationalismus zulassen",
wo also Dr Kramáø den
berechtigten Nationalismus zuläßt. Und ich erkläre
Koll. Windirsch, daß man auch auf èechischer
Seite seinen Standpunkt nicht billigen kann, und ich erkläre
weiter, daß ich trotz diesen Äußerungen des Koll.
Windirsch
die ich für vereinzelt halte, bevor nicht der Bund der Landwirte
ausdrücklich geschlossen erklärt, daß er sich
dahinter stellt, mich deswegen vom Gedanken der Verständigung
nicht abbringen lasse und ich rufe ihm zu: Die Verständigung
wird auch ohne ihn zustandekommen, nur muß man dann Windirsch
beibringen, daß seine Politik nicht gemacht werden kann.
Wir haben einen zweiten Fall, der anschließend
die Öffentlichkeit beschäftigt, das ist die Mandatsaberkennung
Mayers und Hanreichs. Ich erkläre, daß
es im Prinzip eine Angelegenheit des Bundes der Landwirte ist
und daß ich absolut nicht gewillt bin, zu untersuchen, inwieweit
Recht hier und Recht dort ist. Darüber soll die Öffentlichkeit
entscheiden. Aber eines erkläre ich, daß für den
Bund der Landwirte und für die gesamte sudetendeutsche Politik
und Öffentlichkeit der Fall ungemein traurig ist, weil er
unter allen Umständen eine neue Zersplitterung im sudetendeutschen
Lager bedeutet. Menschlich betrachtet, bin ich darüber erschüttert,
wenn ich sehe, daß ein Parlamentarier, der 20 Jahre die
Interessen des Landvolkes vertreten hat, nicht weil ihm ein diffamierender
Vorwurf im Sinne des Strafgesetzes gemacht werden konnte, sondern
aus dem Grunde mandatslos in seine Heimat gehen muß, weil
er erklärt hat: Seien wir doch etwas nationaler! Dies trifft
auch bei dem zweiten Abgeordneten zu, und aus diesem Grunde wird
diese Angelegenheit sowohl für den Bund der Landwirte wie
auch für die sudetendeutsche Politik bedauert. Wir können
aber daraus Schlüsse ziehen. Merken Sie sich alle, die Sie
da bei den Parteien sitzen: Wagen Sie nicht, Opposition zu machen!
Das Beispiel ist gegeben, der Spruch ist gefällt, das Intermezzo
hat begonnen. Ich glaube, jetzt werden Støíbrný
und Trnobranský- oder wie
er heißt - daran kommen, und wenn wir alle hier, ob da,
ob dort (ukazuje napravo a nalevo) einmal Opposition machen
werden: Wer der Mächtigere ist, der schmeißt den anderen
hinaus!
Aber wir sehen noch Folgendes bei diesem Falle,
der traurig ist, der eigentlich Ihr Sprachengesetz und Ihre Sprachenverordnung
ad absurdum führt. Hier sehen Sie das Beispiel, daß
sich eine deutsche Wahlgruppe nicht getraut, die Klage
deutsch einzubringen. Sie bringt sie èechisch ein und sie
sagt, als es zur Verhandlung kommt, man wahre sich das Recht,
deutsch zu verhandeln, man verhandle aber èechisch, um
das Verfahren zu beschleunigen. Und auf der anderen
Seite wird lediglich aus Loyalität den beiden Angeklagten
gestattet, deutsch zu sprechen, es wird ihnen aber nicht gestattet,
einen Dolmetsch zuzuziehen, und es wird nicht gestattet, daß
ihre Verteidiger deutsch sprechen. Ad absurdum wird dieses Sprachengesetz
und wird diese Sprachenverordnung dadurch geführt, indem
man den Anwalt von den Klienten trennt, die doch prozeßrechtlich
sonst eine Person sind. Von diesem Gesichtspunkte aus ist es ungemein
bedauerlich. Die Zukunft wird natürlich lehren, wie die Sache
aufgefaßt wird.
Jedenfalls darf auch dieses Vorkommnis keinesfalls
den eingenommenen Standpunkt irgendwie beirren, und es
wird lediglich auf die èechische Mehrheit ankommen, wie
sie sich ihr Verhalten einrichten wird. Man wird aber auf den
Standpunkt kommen müssen, daß man Demokratie Demokratie
sein läßt, wenn Demokratie Diskussion sein, die tatsächliche
Volksherrschaft darstellen soll. Dann wird man auch im Parlamente
als Regierungsmehrheit zur Opposition einen anderen Standpunkt
einnehmen und sich auch dann entschließen müssen, einen
anderen Gesichtswinkel zu beziehen und Wort und Schrift gelten
lassen.
Ich meine die Beschlagnahmungen. Da habe ich
jüngst wirklich gelacht. Als meine Partei eine Reichsparteileitungssitzung
hatte und der Bericht - mit dem ich übrigens nichts zu tun
hatte - ausgegeben wurde, da sah die "Bohemia" an zwei
Stellen vollständig weiß aus. Da hat die èechische
Presse geschrieben, es wäre ganz gut gewesen, wenn man gewußt
hätte, was Dr Rosche gesagt
hat. Das will ich Ihnen sagen: Ich habe einmal vom Selbstbestimmungsrecht
gesprochen und zum Schluß erklärt, daß wir Sudetendeutschen
zusammenhalten müssen. Und diese Stellen hat man konfisziert!
Ich stehe auf folgendem Standpunkt - ob es deutsche oder èechische
Parteien sind, kommt nicht in Frage: Wo hält man nicht am
Selbstbestimmungsrechte fest? Sie haben Ihre Verfassung, die Proklamation
baut sich auf dem Selbstbestimmungsrecht der Völker auf,
Sie nehmen es für sich in Anspruch, und auch wir Sudetendeutsche
werden es in Anspruch nehmen können. Wenn wir soweit kommen,
daß hier vielleicht ein staatsgefährliches Moment darin
erblickt wird, daß man selbst das Reden über das Selbstbestimmungsrecht
beschneiden will, dann sage ich Ihnen: Dann leben wir nicht in
einem demokratischen Staate, sondern in einem Polizeistaate. (Výkøiky
posl. Bechynì.) Haben
Sie eine Ahnung, Herr Koll. Bechynì!
Sie haben die Eisenbahnerbewegung mitgemacht. Halten Sie es für
möglich, daß eine Zeitung, die eine Notiz darüber
brachte, laut Erlasses des Eisenbahnministeriums und der Eisenbahndirektion
um den Verkauf bei den Verschleißstellen kam? (Posl.
Bechynì: Sprechen Sie
mit Mayr-Harting, nicht mit mir!) Ich
spreche mit Ihnen, weil ich weiß, daß Sie sich für
Politik interessieren. Minister Mayr-Harting ist leider
nicht da. Ich kann doch nicht zu seinem leeren Stuhl reden! Aber
eine Anfrage richte ich an den Herrn Minister: Das ganze System
der Beschlagnahmungen beruht nicht nur auf dem Justizministerium,
sondern hauptsächlich auf dem Innenministerium. Ich erlaube
mir an den Minister Mayr-Harting die höfliche Anfrage
- Herr Koll. Dr. Luschka, vielleicht sagen Sie es ihm (Veselost.)
- er möchte dem Parlamente bekannt geben, wieviel Beschlagnahmen
seit Bestand der Republik vorgenommen worden sind - es ist das
vielleicht ein bißchen viel also sagen wir, seit zwei Jahren,
und er soll auch bekanntgeben, wieviel Beschlagnahmen durch den
Pressesenat aufgehoben worden sind. (Posl. dr Petersilka: Wieviel
in den ersten 8 Jahren und wieviel in den Jahren seiner Ministerschaft!)
Einverstanden.
Wenn man wegen Staatsgefährlichkeit oder
aus sozialpolitischen Gründen, weil die Eisenbahner eventuell
streiken könnten, die Beschlagnahme gelten läßt,
so kann das vom Standpunkt der anderen eventuell gerechtfertigt
sein. Aber mir liegt ein derart krasser Fall von Beschlagnahme
vor, daß man sich an den Kopf greifen muß, wie das
möglich war.
Wie Sie wissen, hat die Finanzverwaltung ungemein
komplizierte Bekenntnisformulare hinausgegeben, vor denen normalerweise
tatsächlich der arme Staatsbürger sitzt und sich nicht
auskennt. (Posl. Krebs: Muß sich halt einen Advokaten
nehmen!) Kommt vor, daß er das Geld dazu nicht hat.
In diesen Formularen hat die Finanzverwaltung in ihrer rührenden
Ängstlichkeit auch gefordert, daß bei den Spareinlagen
nicht nur die Art und die Höhe, sondern auch die Institute
angegeben werden sollen. Das hat einen ziemlichen Wirbel gemacht
und es scheint, als ob bei den Geldanstalten ein Geldabfluß
eingetreten sei. In Wirklichkeit hatte ja die Finanzverwaltung
Absichten, denn sie hat diese Frage in die Formulare hineingegeben,
rechtfertigte sich aber später, daß der Staatsbürger
auch laut § 301 des Gesetzes über die direkten Steuern
seiner Verpflichtung nachkomme, auch wenn er das Institut nicht
angibt. Die "Bohemia", Nummer vom 29. Jänner 1928,
hatte sich erlabut, einen Leitartikel darüber zu schreiben,
mit der Überschrift: "Die Kehrseite der Medaille."
Von diesem Artikel hat man nicht einen Buchstaben stehen lassen,
man hat den ganzen Artikel samt und sonders konfisziert. (Posl.
Krebs: Diese Nummer ist die beste Auslandspropaganda!) Das
ist wahr. Der Artikel lautet, hören Sie zu, urteilen Sie
gerecht, ob mein Standpunkt der richtige ist (ète):
"Die Kehrseite der Medaille. Kaum sind
die Formulare für die Bekenntnisse zur Einkommensteuer herausgekommen,
muß schon der Finanzminister Beruhigungskundgebungen veröffentlichen,
während die Polizei telephonisch Zensurmaßnahmen androht,
wenn über dieses oder jenes Gerücht eine Zeile geschrieben
werden sollte. Diese Erscheinungen sind überaus bezeichnend
für die Nervosität, die sich der Öffentlichkeit
bemächtigt hat, seit sie sich nur einigermaßen mit
dem Inhalt der neuen Steuervorschriften bekannt gemacht hat. Selbstverständlich
ist es weit weniger die Höhe der Steuern, sind es viel weniger
die Steuersätze, die so beunruhigend wirken, wie der polizeiliche
Geist, von dem das neue Steuerverfahren erfüllt ist. Der
Steuerzahler wird zum Objekt degradiert, auf ihn wird die ganze
Beweislast überwälzt, er sitzt gewissermaßen unausgesetzt
auf der Anklagebank einer das ganze Jahr dauernden Verhandlung,
sein Kalender zerfällt fortan in eine ganze Skala von Steuerterminen,
die er bei Androhung empfindlicher Strafen strenge einzuhalten
hat, und er muß eigentlich jeden Tag gefaßt sein,
daß wegen eines Versehens, einer kleinen Schlamperei, aber
auch wegen der Gehässigkeit eines unvernünftigen Finanzbeamten
die Strafguillotine auf seinen Nacken niedersaust.
Die jede liberale Anschauungsweise wie die
Pest meidenden neuen Vorschriften haben eine Stimmung erzeugt,
ja erzeugen müssen, die von einem ungeheueren Mißtrauen
gegen die Finanzverwaltung erfüllt ist. Namentlich die Provinzbevölkerung
wittert heute hinter jedem Schritt der Finanzbehörden eine
Tücke oder einen Überfall. So ist es auch zu erklären,
daß die Phantasie in der letzten Zeit, als man aus den Überschriften
auf den Bekenntnisformularen das Interesse der Steuerbehörden
für gewisse Einzelfragen wahrnahm, sofort allerhand weitere
Folgerungen ableitete, daß man von neuen Vermögenskonskriptionen
zu munkeln begann und die Einleger massenweise zu den Sparkassen
strömten, um ihr Geld wieder in den Strümpfen, in den
Schubladen oder im Ausland vor der Neugierde und dem Zugriff der
Finanzbehörden in Sicherheit zu bringen. Diese Rückwanderung
der Einlegergelder ist nun begreiflicherweise keine geringe Gefahr
für die ohnehin noch immer recht kapitalsarme Volkswirtschaft,
und der Finanzminister hat sich fast zu lange Zeit gelassen, ehe
er sich entschloß, seine Beruhigungskundmachungen durch
die Zeitungen zu verbreiten.
Von besonderer Wichtigkeit ist es nun, daß
er dabei auch auf das sogenannte Bankgeheimnis zu sprechen kommt.
Er macht aufmerksam, daß die Geldinstitute nicht verpflichtet
sind, Mitteilungen über die Höhe der Einlagen zu machen,
auch wenn der Einleger sein Bekenntnis nicht ordentlich ausgefüllt
haben sollte, und verweist dabei auf den § 301 der Steuernovelle,
die die Wahrung des Geschäftsgeheimnisses behandelt. Allerdings
wäre es wohl nicht zutreffend, wenn man aus dem Wortlaute
des Gesetzes allein die unbedingte, schrankenlose Wahrung des
Bankgeheimnisses ableiten wollte; denn in dem angeführten
Paragraphen heißt es:
"Wenn es sich um ein Geschäftsgeheimnis
handelt, d. h. um einen Tatumstand, dessen Geheimhaltung eine
so wichtige Grundlage der Tätigkeit des Gefragten ist, daß
eine Enthüllung die Tätigkeit in ihrem bisherigen Umfang
unmöglich machen oder zumindest ernstlich erschweren könnte,
so kann die Zeugenaussage verweigert werden."
Auf den ersten Blick ist zu erkennen, daß
nicht der Wortlaut, sondern erst eine Interpretation in dem Sinne,
daß die Nichtbewahrung des Bankgeheimnisses die Tätigkeit
der Banken allmählich vollständig untergraben müßte,
dazu führt, daß in dem erwähnten § 301 ein
hinreichender Schutz gegen eine Verletzung des Bankgeheimnisses
erblickt werden kann, obwohl richtiger schon die Anfrage der Behörde
im Gesetz hätte verboten werden sollen.
Trotz alledem bleibt immer noch eine Frage
offen: Wie steht es denn mit den Revisionskommissionen? Zugegeben,
daß die Bank auf Anfragen der Steuerbehörde über
ein bestimmtes Konto oder eine bestimmte Einlage - notabene, wenn
sie sich traut - die Antwort verweigert: was tut sie aber, wenn
sich die berüchtigte Revisionskommission, im Volksmund Steuertscheka
genannt, in ihre Büros setzt, die Bücher zu durchstöbern
beginnt und sich ihre Aufzeichnungen macht? Kann denn die Bank
kontrollieren, welcher Gebrauch von dem gefundenen Material gemacht
wird? Hat sie überhaupt einen Einfluß auf die Tätigkeit
einer solchen Kommission?
Der Finanzminister weiß ganz genau, wie
sehr gerade die Revisionskommissionen, das personifizierte Mißtrauen
des Staates zum Steuerzahler, das Verhältnis zwischen dem
besteuerten Bürger zur Finanzverwaltung vergiftet haben.
Aber er ist so verliebt in dieses Requisit eines übelwollenden
Steuerabsolutismus, daß er nicht zu bewegen war, diese Kommissionen
zu beseitigen. Solange aber nicht eine legislatorische Maßnahme
herausgegeben wird, wonach das Bankgeheimnis auch der Steuertscheka
gegenüber bedingungslos gilt, so lange ist, da die Einlegerpsyche
wieder einmal aufgewühlt zu sein scheint, mit einer vollen
Beruhigung kaum zu rechnen. Der Finanzminister kann zwar sagen,
die Maßnahmen der Steuernovelle dienten bloß der Hebung
der Steuermoral und der Fassionswahrheit, aber das Leben geht
nun einmal seine eigenen Wege, und auch der bravste Steuerzahler
wird bockig, wenn er zusehen muß, wie ihm der Fiskus unablässig
hinter die Möbel, unter die Kästen und in alle Töpfe
guckt.
Es wurde eben des Guten zuviel getan. Gewarnt
wurde rechtzeitig und eindringlich genug. Man hat trotzdem hinter
jeden Steuerzahler einen Polizisten gestellt; der Steuerzahler
hat ihn erblickt und fängt an, stutzig zu werden. Kapitalflucht
ist dann erfahrungsgemäß die höchst unerwünschte
nächste Folge. F. B."
Diesen Artikel hat man samt und sonders vom
Anfang bis zum Ende glatt konfisziert. (Výkøiky
komunistických poslancù: Jetzt
wird ihn der Malypetr konfiszieren!) Das
glaube ich nicht. Herr Kollege, wenn Sie da recht haben, dann
gehen wir bitteren Zeiten entgegen, vielleicht gerade im Jubiläumsjahre
den bittersten Zeiten. Ich kann nicht glauben, daß Sie in
dem Falle Recht haben, weil das lediglich eine rein wissenschaftlich
theoretische Diskussion ist, die jedem sowohl in der Zeitung als
auch mündlich gestattet sein muß. Ich bin der Ansicht,
daß ein derartiges Polizeisystem unter keinen Umständen
haltbar ist, daß Wandel geschaffen werden muß. In
dieser Hinsicht werden wir mit allem Nachdruck auf den Minister
des Innern wie auf den Herrn Justizminister einwirken müssen,
daß hier Ordnung gemacht werde, denn diese Zustände
sind unhaltbar.(Potlesk poslancù nìm.
strany národní a nár. socialistické.)