Hohes Haus! Am 20. Juni d. J. gab es in den
"Národní Listy"
einen ganz charakteristischen Seufzer der Erleichterung. Das Blatt
stellte mit großer Befriedigung fest, daß die im Senate
überreichte Novelle zur Verwaltungsreform in aller Stille
und, wie es dort wörtlich heißt, ohne daß irgend
jemand mit der Wimper gezuckt hätte, dem Initiativausschuß
zugewiesen wurde. Man hatte sich in Koalitionskreisen allem Anscheine
nach auf allerlei Ungemütlichkeiten eingerichtet, man hatte
aller Wahrscheinlichkeit nach mit einer recht scharfen Verhandlungsouvertüre
gerechnet, und siehe da, es ging alles unheimlich glatt von statten,
nichts ist geschehen, gut ist es gegangen. Was sich da in der
Seele der "Národní Listy"
regte, war, bewußt oder unbewußt, das böse Gewissen
der Koalition, die gerade bei der Verwaltungsreform gar so viel
schon auf dem Kerbholz hatte und der parlamentarischen Abrechnung
mit einigem Unbehagen entgegensah. Es ist aber anders gekommen,
als man drüben erwartet hatte. Nicht etwa weil man die Auswirkungen
der Novelle auf die Bevölkerung unrichtig eingeschätzt
hätte, sondern weil die Bevölkerung unseres Landes bei
der Häufung von Rechtswidrigkeiten immer mehr abstumpft (Souhlas
na levici.) und
in Bezug auf gewisse politische Vorgänge einem für uneingeweihte
vollkommen unverständlichen Fatalismus verfallen ist. Aber
die Ruhe, die die Bevölkerung und mit ihr die parlamentarische
Vertretung in diesem Falle bewahrt hat, ist nur eine Kirchhofsruhe,
auf die sich die Machthaber dieses Staates nicht allzuviel zugutetun
dürfen. Im Gegenteil, sie haben allen Grund, in sich zu gehen,
in den gehäuften schier unerträglichen Zumutungen an
die Geduld der Bevölkerung innezuhalten und vor allem aus
gewissen betrüblichen Erscheinungen und gewissen Erfahrungen
anderer Länder zu lernen. Die Spuren schrecken, mögen
sich die Koalitionsfüchse sagen und mögen sie sich nicht
allzutief in die Höhle des Löwen hineinwagen.
Die Herren von der Koalition versuchen, die
neue Verwaltungsreformnovelle als durchaus harmlos hinzustellen.
(Výkøiky.) Monatelang
haben sie über die Aktivierung der Verwaltungsreform und
vor allem über den Termin des Wahlganges beraten, Woche für
Woche, zeitweilig Tag für Tag die Köpfe zusammengesteckt,
alles Mögliche und Unmögliche ausgeheckt, morgen wieder
eingestampft, übermorgen wieder ausgegraben, sich dabei gegenseitig
die Köpfe eingerannt und es beinahe bis zum Zusammenbruch
des Koalitionsgefüges gebracht, weil sie sich schließlich,
nachdem sie alle samt und sonders und mit ihnen die Bevölkerung
und der Staat bei der mehrmonatigen Keilerei tüchtige Beulen
geholt hatten, bis sie sich schließlich doch geeinigt haben,
mit Ach und Krach eine Einigungsformel zu finden vermochten. Und
nun verlangen sie, daß das aus den unmöglichsten Koalitionsmixturen
verfertigte Gebräu widerspruchslos von Bevölkerung und
Parlament hinuntergeschluckt werde. Aber dazu waren nicht einmal
gewisse ausgesprochene Koalitionskreise bereit, die in ganz unzweideutiger
Weise dem Unmut über den Verzweiflungsschritt der Koalition
Ausdruck gaben und gegen die geplante Verwaltungsmaßnahme
die warnende Stimme erhoben.
Der in derlei Dingen gewiß ganz unverdächtige
Nationaldemokrat Dr Borský erklärte, daß die
Verschiebung der Verwirklichung der Landesverwaltung gegen das
Gesetz verstoße, daß sie der politischen Tradition
des Landes schade, daß es nicht politisch klug sei, wiederum,
ebenso wie es bei dem Gaugesetze geschah, anders in der Slovakei
und anders in den übrigen Ländern vorzugehen. Die "Tribuna",
ein gut bürgerliches Blatt, schreibt, daß die Gründe,
die für die Vertagung der Verwaltungsreform in den historischen
Ländern ins Treffen geführt wurden, nachträglich
ersonnen wurden und auch nicht einmal der oberflächlichsten
Kritik standhalten. Die "Tribuna" schreibt, daß
sich die Koalition zu einem der schwersten Fehler rüstet,
den sie je begangen hat, daß die Führer der Koalition
diese Tat bedauern werden, daß sie nur mit den größten
Opfern wird gutgemacht werden können. Und um noch eine dritte
Regierungsnuance zu Wort kommen zu lassen, wollen wir feststellen,
daß das führende christlichsoziale Organ, die "Deutsche
Presse", noch am 31. Mai, also vor ganz kurzem, schrieb,
daß man sich über die Nachrichten, daß die Verwaltungsreform
nicht zum gesetzlichen Termin in Kraft treten werde, wundern müsse,
daß man sich wundern müsse, wie solche Nachrichten
überhaupt auffliegen können, und noch mehr wundern müßte,
falls sie wirklich auf Wahrheit beruhen würden. Das hindert
natürlich das fromme Blatt nicht, wenige Tage darauf über
uns, als auch wir uns über all das gewundert hatten, herzufallen,
unseren Protest als einen ganz wirkungslosen Schlager hinzustellen
und seinen Disput über die moralische Verwerflichkeit der
Opposition mit der Betrachtung zu schließen, daß die
deutschen Regierungsparteien sich gegenüber den Anwürfen
der Opposition darauf beschränken werden, Unmögliches
als unmöglich, Behauptung als Behauptung, Mann als Mann,
Weib als Weib hinzustellen, kurzum an den politischen Verstand
der Bevölkerung zu appellieren. Wir können dem Blatte
nur raten, bei dieser Methode zu bleiben, denn der Versuch, den
Mann als Weib und das Weib als Mann hinzustellen, würde auf
gewisse physiologische Schwierigkeiten stoßen, über
die der Schriftleiter des christlichsozialen frommen Blattes aus
kanonischen Gründen begreiflicher Weise nicht unterrichtet
sein kann. (Veselost na levici.)
Übrigens ist bis in die längste
Zeit hinein nicht nur die oppositionelle Öffentlichkeit,
nicht nur ein Teil der Koalition, sondern auch die Regierung selbst
mit aller Beharrlichkeit auf dem Standpunkte gestanden, daß
die Verschiebung des Zeitpunktes für den Wirksamkeitsbeginn
der Verwaltungsreform ganz unmöglich sei. Umsomehr muß
man über die im Ausschußberichte neuaufgetauchten Argumente
und Gründe staunen.
Als während der Verhandlungen über
die Verwaltungsreform von oppositioneller Seite eine Hinausschiebung
des Termins für den Wirksamkeitsbeginn angeregt wurde, der
1. Jänner 1929 in Vorschlag gebracht wurde, stieß diese
Anregung auf den heftigsten Widerstand der Koalitionsparteien,
welche ursprünglich sogar den 1. Jänner 1928 als Wirksamkeitsbeginn
des Reformwerkes in Aussicht genommen hatten. Und nun kommt heute,
nach einem vollen Jahr des Studierens, Probierens, Rüstens,
Vorbereitens, die Regierung daher und erklärt, daß
die Kompliziertheit des neuen Verwaltungsapparates, die Ungelöstheit
einer ganzen Reihe administrativer, technischer, personeller,
aber auch sachlicher Fragen, die sich aus der Auflassung des Doppelgeleises
der Verwaltung, die sich insbesondere aus der neuen Konstellation
des mährisch-schlesischen Verwaltungsgebietes ergeben, eine
Hinausschiebung des Wirksamkeitsbeginnes gerade in den Sudetenländern
notwendig machen, während sich die slovakischen Verwaltungsämter,
wie es im Ausschußbericht heißt, ohne alle Schwierigkeiten
in die neue Verwaltungsorganisation eingliedern lassen. Von all
dem wußte diese Senatsvorlage absolut nichts zu erzählen.
Nun tauchen plötzlich zur Unterstützung der von den
Senatsparteien ins Treffen geführten Argumente neue Momente
auf, die man allem Anscheine nach für schlagkräftiger,
für wesentlicher hält und die der Vorlage eine größere
Seriosität geben sollen. Wie soll man sich aber erklären,
daß man von all dem auch nicht ein einziges Wörtchen
im Motivenberichte und in dem von den Koalitionsparteien im Senat
überreichten Antrag zu hören bekam? Wie soll man sich
erklären, daß dort ausschließlich nationalpatriotische
Erwägungen, insbesondere die Jubiläumsfeierlichkeiten
ins Treffen geführt wurden, daß aber nicht mit einem
einzigen Wörtchen der großen, und plötzlich aufgetauchten
organisatorischen Schwierigkeiten gedacht wurde? Hohes Haus, wie
immer dem sei, angenommen, daß nicht der Motivenbericht
der Senatsvorlage, sondern der Bericht des Abgeordnetenhauses
der Wahrheit am nächsten kommt, wie will man damit alle die
Erklärungen in Einklang bringen, die Ressortminister Èerný.
die der stellvertretende Ministerpräsident Šrámek
zur Frage der Aktivierung der Verwaltungsrefom noch vor wenigen
Wochen in aller Öffentlichkeit abgegeben haben? Noch am 10.
Mai hat der Innenminister Èerný
einer aus Vertretern verschiedener Parteien, Regierungs - wie
oppositioneller Parteien, zusammengesetzten Abordnung des mährischen
Landesausschusses mit aller Dezidiertheit erklärt, daß
die Reform der öffentlichen Verwaltung in jedem Falle zu
dem im Gesetze vorgezeichneten Termin in Kraft gesetzt werde.
Das Gleiche hat aber auch der politische Achterausschuß
in seinem Mitte Mai ausgegebenen Kommuniqué ausgesprochen
und dabei hinzugefügt, daß der Innenminister Èerný
in der betreffenden Sitzung über die Frage der Verwaltungsreform
Bericht erstattete und hierbei feststellte, daß er mit den
Vorbereitungen für ihre Durchführung und die Ausschreibung
der Wahlen fertig sei. Schließlich hat - und das ist das
Entscheidende, das wollen wir festhalten und unterstreichen -
der stellvertretende Ministerpräsident Šrámek
am 11. Mai d. J. bei einem ausschließlich zu diesem Zweck
veranstalteten Presseempfang, über welchen ein Kommuniqué
ausgegeben wurde, im Namen der Regierung, wie er ausdrücklich
hervorhob, festgestellt, daß die Verwaltungsreform zu dem
gesetzlich festgelegten Termin in Kraft treten werde.
Hohes Haus, etwas mehr als einen Monat darauf
geschieht das gerade Gegenteil. Wer erinnert sich nicht an die
so oft zitierte, am 13. November 1924 im Budgetaussehuß
zur Frage der Aktivierung des Gaugesetzes abgegebene Erklärung
des damaligen Innenministers und heutigen Präsidenten des
Hauses Malypetr, wonach die Erfahrungen, die mit der Verwirklichung
der Gaureform in der Slovakei gemacht wurden, so günstig
seien, daß das Gesetz unbedingt auch in den Sudetenländern
und in Karpathorußland durchgeführt werden wird. Hohes
Haus! Kurze Zeit darauf ward das Gaugesetz über Bord geworfen
und sehr bald ward auch nicht ein einziger Buchstabe, genau wie
es jetzt mit den Erklärungen des Ministers Èerný
und des stellvertretenden Ministerpräsidenten Šrámek
der Fall ist, auch nicht ein einziger Buchstabe der abgegebenen
Erklärung übrig geblieben. Nun fragen wir: Was sind
nach all dem noch Ministerworte in diesem Lande? Wir fragen: Was
gilt nach all dem, was man auch schon früher erlebt hat -
ganz kurz will ich es streifen, will Sie erinnern an die Verstaatlichung
der Aussig-Teplitzer Eisenbahn, will Sie erinnern an die Episode
bei der Durchführungsverordnung zum Sprachengesetz, beim
Gaugesetz und schließlich bei der Sozialversicherung was
gilt da Treue und Glauben, was gilt ein politisches Wort auf diesem
Boden, in diesem Lande? (Výkøiky na levici.)
Hohes Haus! Mit diesem unerquicklichen Gefühle
treten wir in die Verhandlung der Verwaltungsreformnovelle ein.
Die Verwaltungsreformnovelle ist ein recht kleines, recht winziges,
recht zierliches Ding, einfach in die Westentasche zu stecken,
leicht in einer Nußschale, leicht in einen Fingerhut unterzubringen,
es sind nur wenige gezählte Worte, aus denen die Novelle
besteht, eigentlich nur drei: Sudetenland, 1. Juli, 1. Dezember.
Nichts einfacher als dieses. Nach Außenhin kein Hintertürchen,
keine Auslegungskünste möglich, klar und deutlich steht
es hier vor uns geschrieben und für jedermann erkennbar,
was die Regierung eigentlich will. Gäbe es keine Vorgeschichte
der Novelle, gäbe es keine Motivenberichte der Antragsteller,
gäbe es vor allem nicht die mit einer solchen Vergangenheit
belasteten Schöpfer und Antragsteller dieses Gesetzes,
wir alle müßten uns eigentlich gegenseitig beglückwünschen,
daß wir in der deutsch-èechischen Regierung, in der
deutsch-èechischen Koalition eine Vorsehung gefunden haben.
die uns mit der erdenklichsten Fürsorge und Vorsorge umgibt,
die sich nach den katastrophalen Auswirkungen
und Erfahrungen, die mit dem Gemeindefinanzgesetz gemacht wurden,
nur langsam, nur tastend, nur nach gemachter Erprobung an die
schweren und komplizierten Probleme heranwagt, mit der Aktivierung
eines so komplizierten Werkes lieber noch zuwartet, nichts überstürzt
und uns dadurch vor einem Debacle, vor einem Zusammenbruch bewahrt,
wie wir ihn beim Gemeindefinanzgesetz erlebt haben.
Noch ein zweites Moment. Wir müßten
uns alle unsäglich darüber freuen, daß wir eine
Regierung besitzen, welcher Demokratie und Parlamentarismus kein
leerer Schall sind, welcher Demokratie und Parlamentarismus in
Fleisch und Blut übergegangen sind und die trotz der im Verwaltungsreformgesetz
gegebenen Möglichkeiten eine zeitlang auch ohne Mitwirkung
der Bevölkerung die Verwaltungsorganisation durchzuführen,
trotz aller gegenteiligen Ratschläge der Verfassungsadvokaten,
wie z. B. des Sektionschefs Dr. Joachim, die Entscheidung des
Parlaments ohne Not hört, sie anruft und ihrer Verbeugung
vor der Demokratie einen geradezu demonstrativen Charakter gibt.
Wir alle müßten vor allem ein solches Übersprudeln
an demokratischer Gesinnung, wie sie in vier kleine Zeilen der
Novelle gegossen wird, wie sie uns in ein paar Worten komprimiert
von der Koalition kredenzt wird, direkt geblendet, wir müßten
direkt berauscht sein, würden wir nicht die Vorgeschichte
der Novelle, würden wir nicht die Gedankengänge ihrer
Schöpfer, würden wir nicht die am Werk befindlichen
Triebkräfte und würden wir nicht vor allem die wirklichen
Absichten der Machthaber kennen. So aber, hohes Haus, wissen wir,
daß das, was uns hier verabreicht wird, nicht das Produkt
demokratischen und parlamentarischen Gewissens, demokratischer
und parlamentarischer Gesinnung, nicht das Ergebnis ehrlichen
Ringens um die Heranziehung der Bevölkerung zur Mitarbeit
an der Verwaltung des Staates ist, sondern der Ausfluß der
schweren Krise der zum Bürgerblock verbundenen, zusammengeschlossenen
deutschen und èechischen Parteien, diesich um jeden Preis
an der Macht halten wollen und nacb dem letzten
Strohhalm greifen, der sich ihnen bietet. Und so präsentiert
sich denn die kleine Novelle als das letzte Gestammel der dem
Tode geweihten Koalition, deren Zuckungen vielleicht noch die
Jubiläumsfeierlichkeiten überdauern werden, vielleicht
auch nicht, aber deren Tage gezählt sind und förmlich
mathematisch genau an den Fingern berechnet werden können.
Und so wird die Novelle, die einer wahren Zangengeburt ihr Leben
verdankt und die aus jeder Zeile die schwere Krise atmet, der
der Bürgerblock verfallen ist, förmlich zu ihrer Verkörperung.
Sie wird trotz ihrer Winzigkeit, trotz ihrer Einsilbigkeit, trotz
ihrer Niedlichkeit zum Sinnbild des Verfalls des Bürgerblocks,
sie präsentiert sich als Krise des Bürgerblocks in Pastillenform.
Hohes Haus! Sehen wir uns nun einmal diese
Vorlage näher an und ziehen wir zur Nachprüfung den
Motivenbericht der Antragssteller, aber auch den Kommentar des
führenden Koalitionsorgans "Venkov"
heran. Danach würde es, da die Bezirks- und Länderwahlen
nicht durchgeführt wurden, da sie weiter nach Auffassung
der Antragssteller nicht durchgeführt werden können,
weder den Wünschen der Öffentlichkeit, noch, wie es
wörtlich heißt, den Intentionen des Gesetzgebers entsprechen,
wenn die Verwaltungsreform in den Sudetenländern in Wirksamkeit
treten würde, bevor die Wahlen durchgeführt und der
Bevölkerung die Anteilnahme an der Verwaltung ermöglicht
würde. Im Jubiläumsjahr, wird weiter gesagt, empfehle
sich die Ausschreibung der Wahlen vor dem November nicht, darum
mußte die Rechtswirksamkeit des Gesetzes hinausgeschoben
werden. (Rùznì výkøiky.)
Hohes Haus! Wir haben da gleich eine ganze
Reihe von Fragen zu stellen. Das Gesetz über die Verwaltungsreform
wurde am 14. Juli 1927, das bezügliche Wahlgesetz am 12.
August 1927 verlautbart. Die Regierung hatte ein volles Jahr Zeit,
die Wahlen vorzubereiten, sie auszuschreiben. Wiederholt wurde
vom Innenminister - auch das stellen wir fest - verlautbart, daß
er für die Wahlen gerüstet und daß der Wahlapparat
vollständig fertig sei. Monatelang wurde die Bevölkerung
mit dem Wahltermin genarrt - Sie erinnern sich wohl alle daran
- monatelang mit dem Wahlgang in Atem gehalten, die in diesem
Lande zur Regel gewordene Wahlüberfalltaktik machte allen
Parteien rechtzeitige Bereitschaft zur Pflicht, immer und immer
wieder flogen neue Nachrichten über den Wahltermin auf, um
am nächsten Tage von der Regierung, von den Koalitionsparteien
desavouiert zu werden. Alle Fragen an offizieller Stelle blieben
unbeantwortet oder werden mit einem Achselzucken erledigt. Die
nervenzerrüttende Spannung wuchs von Woche zu Woche und beschränkte
sich nicht etwa bloß auf die politischen, nicht auf die
parlamentarischen Kreise, sondern sie ergriff die ganze politische
Öffentlichkeit und weite Schichten der Bevölkerung.
Es war eine geradezu unerträgliche Atmosphäre, deren
Qual die ganze politische Öffentlichkeit zu spüren begann.
Man kam, wie Sie alle wissen, was sie alle empfunden und gespürt
haben, nicht zur Ruhe und wurde kontinuierlich in entnervender
Spannung gehalten. Hohes Haus! Wir raten jedem Besucher der Brünner
Jubiläumsausstellung auf dem Spielberge die bis in die heutigen
Tage hinein erhaltene Marterkette zu besichtigen, an die die politischen
Häftlinge des alten Österreich gelegt wurden und die
des nachts Stunde für Stunde in Bewegung gesetzt wurde, damit
die Häftlinge nur ja keinen Augenblick zur Ruhe kommen. So
ähnlich erging es in den ersten Monaten dieses Jahres allen
Menschen, die im politischen Leben, die im Parteigetriebe stehen
und die die parteimäßigen Vorsorgen für den Wahlgang
vorzukehren hatten und denen insbesondere die Aufgabe zufiel,
sich durch die bekannte Überfallstaktik der Koalitionsparteien
nicht hineinlegen zu lassen. Und die Regierung sah diesem schnödem
Spiele ruhig zu und auch die deutschen Regierungsparteien, die
die Erbärmlichkeit dieser Machinationen oft genug am eigenem
Leibe zu spüren hatten, machten dieses Falschspiel ohne weiters
mit. Und warum das alles? Warum alle diese nervenzerrüttenden
Trieks, warum keine Wahlausschreibung? Nun einfach, weil jeder
der letzten Wahlsonntage nur Hiobsposten in das Koalitionslager
brachte, weil jeder Gemeindewahlgang die schwersten Einbussen
der Regierungsparteien und insbesondere der klerikalen Parteien
aufzeigte, weil die Regierungsparteien von ihrem gegenüber
den Oppositionsparteien im Jahre 1925 erzieltem Plus per 178.267
Stimmen auch ohne jeden Wahlgang schon durch das bloße Ausscheiden
der ungarischen Nationalpartei aus der Mehrheit, auf die bekanntlich
109.000 Stimmen entfallen, den weitausgrößten Teil
des Plus über die Oppositionsstimmen eingebüßt
hatten und durch die schweren Verluste, die ihr die letzten Kommunalwahlgänge
brachten, längst schon zu einer Minderheit geworden war,
deren Schicksal schon heute endgiltig besiegelt erscheint und
die jedem Wahlgang, der ihren Zerfall nunmehr auch ziffernmäßig
klar manifestieren könnte, in weitem Bogen aus dem Wege gehen,
obwohl sie sehr gut wissen, daß aufgeschoben nicht aufgehoben
ist.
Hohes Haus! Hier bei diesem Punkte beginnt
das Verbrechen der Koalition, der deutschen und èechischen
Koalitionsparteien, die sich nun durch Überreichung der Vorlage
ein parlamentarisches, demokratisches Mäntelchen umhängen,
in Wirklichkeit aber in diktatorischer Weise den im Gesetz vorgesehenen
Wahlgang sabotierten und verhinderten und sich
so in autokratischer Weise eine Lebensverlängerung verschafft
haben. Nun wollen sie auf parlamentarischem Wege Indemnität
erhalten. Aber für einen solchen Parlamentarismus bedanken
wir uns schön, denn bei solchen Methoden wird Wesen und Inhalt,
wird Sinn und Bedeutung des Parlamentarismus durch die leere Form
erschlagen.
Mit demselben Rechte schließlich könnte,
rein theoretisch betrachtet, die Regierung die Wahlen auch durch
fünf Jahre verschieben und sich nachträglich auf parlamentarischem
Wege auch für eine solche Verschiebung die Nachsicht oder
Indemnität holen. Nach solchen Methoden regiert auch Mussolini,
der sich des Parlaments als Deckmantel für alle seine Atentate
auf die staatsbürgerlichen Rechte, auf die Presse, auf die
Freiheit des Staates, auf die freie Meinungsäußerung,
auf das Koalitionsrecht, auf den Achtstundentag, auf die sozialpolitische
Gesetzgebung, auf das Gewerkschaftsrecht der Arbeiterklasse bedient
(Rùznì výkøiky na
levici.) und
sich beispielsweise die Verlängerung des Arbeitstages und
den Mandatsraub an der Opposition ganz kunstgerecht durch das
Parlament sanktionieren ließ, ohne aber dabei gleichzeitig
die Ambition gehabt zu haben, als Demokrat zu gelten oder gar
als solcher anläßlich der fünfjährigen Bestandfeier
des Fascimus als Demokrat gefeiert zu werden. (Výkøiky
na levici.) Ganz
anders unsere Regierung und die Koalitionsparteien. Immer und
immer wieder weisen sie auf das Jubiläumsjahr hin und erklären
einen Wahlgang im Jubiläumsjahr für unmöglich.
So steht es im Motivenbericht der Antragsteller zur Verwaltungsreformnovelle
zu lesen und dadurch bekommen wir jetzt einen neuen Jubiläums-Knigge.
(Veselost na levici.) In
seiner Nummer vom 20. Juni liefert der "Venkov" eine
Art Interpretation dieser Novelle und führt dann folgendes
aus: "Die Mehrheit hat verhindert, daß die Feierlichkeiten
des 10jährigen Bestandes der Republik im Wahlgebrülle"
volebním ryku - "stattfinden, welches Gebrülle
bei uns die regelrechten Formen der wüstesten allgemeinen
Rauferei" - všeobecná pranice - "annimmt."
Das soll nun im Jubiläumsjahr verhindert werden. Und damit
bekommen wir eine neue Bereicherung des bisher schon bestandenen
èechoslovakischen Wahlsittenkodex. Bisher genügte
es hervorzuheben, daß am Wahltage nicht
gesoffen werden darf. Nun wird aber jetzt von Gesetzes wegen angeordnet,
daß im Jubiläumsjahr auch nicht gerauft werden darf.
Im Jubiläumsjahr wird nicht gerauft werden können. Erst
im November, so ist es nachträglich zu lesen, kann, um mit
dem "Venkov" zu sprechen, die všeobecná
pranice beginnen. Mit Verlaub, eine Frage: wenn der Wahlgang wirklich
im November stattfinden könnte, werden die Agrarier, werden
die Nationaldemokraten, die Klerikalen es auch so halten, werden
sie bis zum 28. Oktober schön brav die Hände auf der
Schulbank halten? Werden, fragen wir weiter, die Parteien der
Herren Zuleger, Böhr, Hilgenreiner,
die die Novelle als Antragsteller unterschrieben haben und um
einen idyllischen Verlauf der Jubiläumsfeierlichkeiten gar
so sehr besorgt sind, bis zum 28. Oktober die Hände in den
Schoß legen und sich ruhig und beschaulich der stillen Jubiläumsandacht
hingeben, um erst nach dem großen Feste zum "volební
ryk" und der "všeobecná
pranice" überzugehen? Ich wage das
zu bezweifeln, denn schon einen Tag nach der Einbringung der Novelle
hatten die Koalitionskreise schon vergessen, was im Motivenbericht
gesagt wurde und man konnte im führenden Koalitionsblatte,
den "Venkov" lesen, daß die Oppositionsparteien
jetzt fünf Monate Zeit haben zur Wahlagitation. ein Zeitraum,
der selten einer anderen Opposition, in einem anderen Lande, eingeräumt
wurde, welche Konstatierung die "Deutsche Presse" dahin
ergänzt. daß man in fünf Monaten mehr als eine
Kiste von Wahlschlagern aller Art ausleeren könne. Also wird
man. wie das tapfere christlichsoziale Organ meint, die Wahlkanonaden
doch schon vier Monate vor dem Jubiläumstage loslassen können.
Aber wenn das gestattet sein soll, wird damit der ganze Mogel
des Motivenberichtes, der ganze Mißbrauch der Jubiläumsfeierlichkeiten
für parteimäßige Zwecke des Bürgerblockes
nach allen Regeln der Kunst entlarvt und damit richtet er sich
naturgemäß von selbst. Überhaupt wird mit den
Jubiläumsfeierlichkeiten ein unglaublicher Unfug getrieben.
Ich begreife schon, daß es den jetzigen Machthabern
in den Kram passen würde, die gesamte èechoslovakische
Öffentlichkeit auf den sogenannten Gottesfrieden für
die Jubiläumsdauer, auf eine Art von Waffenstillstand für
die Jubiläumszeit festzulegen und damit die Masse der Bevölkerung
über den wahren Charakter des jetzt herrschenden
bürgerlichkapitalistischen Regims, über die wahren Absichten
seiner Sachwalter hinwegzutäuschen. Aber der Waffenstillstand,
den die jetzige Koalition anbahnt, ist nicht etwa so gedacht,
daß er auch die Koalitionsparteien bindet, sondern er soll
ihnen nach wie vor zur Vollendung ihres volksfreundlichen Wirkens
die Hände freilassen, er soll lediglich den Oppositionsparteien
die Hände binden, indem er ihnen die stärkste Waffe
entwindet, die darin besteht, sich den Regierungsparteien in dem
vom Gesetz vorgezeichneten Termin zum Wahlkampf zu stellen und
mit ihnen auch eine Wahlschlacht zu schlagen. Man sollte meinen,
daß ein Jubiläumswaffenstillstand aufs Ganze gehen,
das ganze politische, wirtschaftliche und soziale Leben ergreifen
müßte, indem er dem In- und Auslande ein Bild der Festigung
und Geschlossenheit des ganzen Staates und des ganzen Volkes vor
Augen führen und die innigste Verbundenheit und Zusammenheit
aller seiner Glieder aufzeigen würde. Aber von einem solchen
Waffenstillstand will man in der Koalitionsmehrheit nichts wissen,
vielmehr verlangt man einen Waffenstillstand, der den Regierungsparteien
den Raub der fundamentalsten politischen und wirtschaftlichen
Rechte und vor allem der Rechte der Arbeiterklasse sowie die systematische
Abgrabung der Errungenschaften des Proletariates ermöglicht,
andererseits aber gleichzeitig den Koalitionsparteien im Jubiläumsjahre
einen Wahlpardon zusichert. Man verlangt einen Waffenstillstand,
der den Agrariern die mächtigsten Kundgebungen in grandiosester
Aufmachung mitten im Herzen des Landes ermöglicht, die Kundgebungen
anderer Parteien im Herzen des Landes aber unter Verbot stellt.
Man nimmt im Jubiläumsjahr für sich den Aufmarsch einer
nach allen Regeln der Kunst auf Grund weitest
verzweigter organisatorischer Gliederung errichteten Jízda
in Anspruch, jagt aber die für interne Zwecke eingerichteten
roten Ordnerwehren auseinander. Man läßt bei katholischen
Prozessionen sowie bei nationalen Aufmärschen die Kinder
zu Hunderten und Tausenden in Reih und Glied aufmarschieren, während
man die sozialistischen Kinder mitten aus den Festzügen herausgreift
und die Eltern obendrein noch unter Strafe setzt.
Daß das alles im Jubiläumsjahr zulässig
und mit dem Jubiläumskodex vereinbart sei und daß sich
in diesem Zerrbild ein Generalwahlpardon einfügen soll, das
will uns absolut nicht in den Sinn. Aber schon gar nicht vermögen
wir es zu verstehen, und mit der Jubiläumsfeier und Jubiläumsstimmung
in Einklang zu bringen, daß man in Regierungs- und Koalitionskreisen
ruhig und kaltblütig zusieht, wie sich mitten im Jubiläumsjahr
die ganze autonome Verwaltung des Landes durch das unter werktätiger
Mitwirkung der deutschen Regierungsparteien geschaffene Finanzgesetz
- in einen veritablen Friedhof verwandelt, die gesamte Jugendfürsorge
nahezu vollständig stillgesetzt, der Betrieb der sozialen
Fürsorgeinrichtungen, der Waisen- und Siechenhäuser,
der Krüppelheime und Blindenanstalten, der Tuberkulose-Heilanstalten
nahezu vollständig unterbunden, der Bau von Schulen und Krankenhäusern
zum Stillstand gebracht, begonnene Wasserleitungs- und Kanalisationsarbeiten
brachgelegt, nahezu alle Einrichtungen zum Schutz des Lebens und
der Gesundheit der Bevölkerung in ihrem Bestande gefährdet.
Arbeiterentlassungen in unabsehbarer Zahl durchgeführt werden
und selbst die Fortzahlung der Gehälter der autonomen Angestellten
in Frage gestellt wird. Und schon gar nicht wird es unser Hirn
fassen können, daß es aus ästhetischen oder moralischen
oder patriotischen Gründen wohl notwendig erscheinen kann,
im Jubiläumsjahre einen Wahlgang um jeden Preis zu verhindern,
daß es aber gestattet sein soll, das nach so hartem Ringen
durch Vereinbarung mit den seinerzeitigen Koalitionsparteien zustande
gekommene Sozialversicherungsgesetz mitten im Jubiläumsjahre
zur Strecke zu bringen, ganze Kategorien schutzbedürftiger
Personen der Wohltat des Gesetzes zu berauben, dadurch eine elementare
Bewegung der Arbeiterschaft zu entfesseln, durch Verschlechterung
eines Gesetzes, mit dem man im Auslande so viel Parade zu machen
verstand, die Leidenschaften bis zur Gluthitze aufzupeitschen.
Darum weisen wir für unseren Teil die Zumutung, diesen Doppelspiel
und Falschspiel durch parlamentarische Annahme der Novelle unsere
Zustimmung zu geben, mit aller Entschiedenheit zurück. Was
die Regierung - mit dem Prälaten Šrámek
an der Spitze - will, das ist die Herstellung einer Harmonie zwischen
den Jubiläumsfeierlichkeiten und dem Massaker der politischen
und kulturellen, der wirtschaftlichen und sozialpolitischen Gesetzgebung
des Landes. (Sehr richtig!)