Ich habe mich vor allem deshalb zum Worte gemeldet,
weil Dr Luschka in seinen Ausführungen auch auf meine
Partei und ihre seinerzeitige Zugehörigkeit zum Deutschen
Verbande verwiesen hat. Er hat es unterlassen zu sagen und ich
habe ihn in einem Zwischenrufe darauf aufmerksam gemacht - daß
die zwei anderen Parteien des Deutschen Verbandes - die deutsche
Gewerbepartei nenne ich nicht in diesem Zusammenhange, weil sie
nicht selbständig vorgehen darf - also der Bund der Landwirte
und die Christlichsozialen, hinter dem Rücken der dritten
Verbandspartei also hinter unserem Rücken durch Wochen hindurch
verhandelten, und als wir sie zur Verantwortung zogen und sagten,
daß damit jede Zusammenarbeit aufhöre, haben sie uns
das Anbot gemacht - das war der springende Punkt - da wir dem
Verbande noch angehörten, eine Politik mit verteilten Rollen
zu machen.
Nun, wie hat diese Politik mit verteilten Rollen
ausgesehen? Sie sah so aus, daß die Herren einige wenige
Wochen, ja Tage später trotz ihrer Zusage gegen Anträge
stimmten, die von ihnen selbst unter Patronanz des Herrn Justizministers
unterschrieben worden sind und bei welchen sie die ausdrückliche
Zusicherung gaben, nicht nur selbst dafür zu stimmen,
sondern auch die èechischen Regierungsparteien zum Mitstimmen
zu veranlassen. Ich kann feststellen, daß die Haltung meiner
Partei eine reine und verantwortungsvolle war, daß wir uns
nur zu einer kurzen Zusammenarbeit bereit erklärten, aus
dem Grund und unter der Voraussetzung und ausdrücklichen
Zusicherung, daß nun irgend etwas für unser Volkstum
herausgeholt würde. (Posl. Krebs: Man mußte ihnen
auch dieses Argument wegnehmen!) Sehr richtig! Wir waren alle
zusammen selbstverständlich der Anschauung, daß der
Eintritt in die Regierung - und die Frage steht heute nicht zur
Erörterung, ob die Parteien überhaupt in die Regierung
eintreten sollten oder nicht, sondern unter welchen Voraussetzungen
sie eintraten und was sie sich damals zum Ziele setzten - auf
Grund der von Dr Spina als dem damaligen deutschen Vizepräsidenten
des Abgeordnetenhauses abgegebenen staatsrechtlichen Erklärung
vom 18. Dezember 1925 erfolge, daß die Parteien, die diese
feierliche Erklärung hier abgeben ließen, die Grundsätze
dieser Erklärung auch zur Grundlage ihres Eintrittes und
ihrer Mitarbeit in dieser Regierung machen werden.
Hier aber gibt es nun die große Enttäuschung.
Denn wenn wir überprüfen, ob denn irgendwelche Voraussetzungen
und Verhandlungen, bezw. Zusicherungen diesem Eintritt in die
Regierung vorangingen, so erklären die heutigen deutschen
Regierungsparteien, daß dies nicht der Fall war, daß
sie voraussetzungslos in die Regierung hineingegangen sind. Das
ist die Ursache, weshalb sie in dieser Regierung das fünfte
Rad am Wagen spielen und keine Spur von Einfluß besitzen.
Wenn heute ein Zwischenrufer gesagt hat, sie könnten jeden
Augenblick austreten, mag dies formell richtig sein. Aber die
Frage ist die, was können sie als bisher erzielten Erfolg
ihrer Tätigkeit in der Regierung aufweisen? (Posl. Krebs:
Das Gemeindefinanzgesetz!) Sehr richtig! Hat sich etwas am
System geändert, gebessert, ist beispielsweise in sprachenrechtlicher
Hinsicht etwas geschehen? Ganz im Gegenteil! Nicht nur daß
weder am Sprachengesetz, noch an der Sprachenverordnung etwas
geändert wurde, hat man uns vor kurzem hier eine Regierungsvorlage
ins Haus geworfen, durch welche die seinerzeitige Entscheidung
des Verwaltungsgerichtshofes in der Sprachenfrage über die
Bezeichnung der Gasthöfe glatt umgeworfen wurde und den Behörden
eine weit größere Macht bei der Knebelung unserer geringen
Sprachenrechte eingeräumt wird. Wenn die vorläufige
Zurückziehung dieser Vorlage schon einen Erfolg bedeuten
soll, so müssen wir sagen, es gehöre eine ungeheuere
Bescheidenheit dazu.
Ich stelle weiter fest, daß sich an dem
System auch in anderer Hinsicht nichts änderte. Man zeige
uns einen einzigen aus dem Staatsdienste abgebauten Deutschen,
der wieder seinen Posten zurückerhalten hätte, auch
nur einen einzigen Deutschen, der inzwischen in den Staatsdienst
wieder aufgenommen worden wäre. Abgesehen davon, wo sind
die wirtschaftlichen und sozialen Verbesserungen? Was bemerken
wir denn seit dem Zeitpunkte, da die Deutschen in der Regierung
sitzen? Leider Gottes das eine, daß diese deutschen Parteien
sich zu Trägern und Verfechtern der sozialen Reaktion hergeben,
daß sie damit den nationalen Gedanken vor aller Öffentlichkeit
bloßstellen und damit die Kluft in ihrem Volkstum noch vergrößern.
(Souhlas na levici.) Und was ist der Dank dafür? Die
Anerkennung des Dr Kramáø und
des Dr Hodža, daß
die Deutschen den Staat wohl gemerkt: den Staat, nicht das eigene
Volkstum - vor schweren Krisen und Erschütterungen durch
ihre Mitarbeit bewahrt hätten. (Posl. Knirsch:
Dr Kramáø hat das öffentlich
festgestellt!) Aber auch Minister
Dr Hodža sagte, daß
die Deutschen in einem Augenblick dem Staate beisprangen, wo er
sich in sehr schwierigen außenpolitischen Verhältnissen
befand.
Es handelt sich nicht etwa um die Wiederaufrollung
der Frage, ob der Aktivismus oder Negativismus das entscheidende
sei, sondern darum, ob ein Volk von 3 1/2
Millionen, die stärkste, wenn man es so nennen will, nationale
Minderheit, die es in Europa gibt, ob das Sudetendeutschtum, das
stärker ist als die Bevölkerung manchen europäischen
Staates, ob ein Volk, von dem selbst das Oberhaupt dieses Staates
kürzlich in einer teilweisen Überprüfung früherer
Aussprüche gesagt hat, es sei ein organischer Bestandteil
des Staates, ob ein solches Volk sich mit lumpigen Brosamen zufrieden
geben soll, die bisher noch nicht einmal vom Tisch der prassenden
Herren gefallen sind, aber vielleicht einmal von diesem Tische
fallen können. Die Herren haben doch bisher tatsächlich
nur eine Hoffnung und noch keine Sicherheit dafür.
Der Gegenstand, der mich eigentlich zur heutigen
Wortmeldung veranlaßt hat, und es wird ja auch das eine
Antwort auf gewisse Ausführungen des Koll. Luschka
sein, ist auch durch einen Zwischenruf des Koll. Dr. Koberg
beleuchtet worden. Es war dies ein Zwischenruf über die Immunität,
auf welchen Herr Dr. Luschka eine äußerst kennzeichnende
Antwort gab, die bei einem Volksvertreter äußerst merkwürdig
berühren muß. Er meinte mämlich, daß seiner
Ansicht nach die Einrichtung der Immunität durchaus nicht
begrüßenswert sei, woraus dann natürlich hervorgeht,
daß diese Herren äußerst merkwürdige Demokraten
sind und daß wir uns dann über das System, das sich
insbesondere in der Handhabung der Zensur ausdrückt, nicht
zu wundern brauchen. Herr Dr. Luschka hätte sich damit
einem Regenten, wie etwa dem alten Kaiser Franz, auf das angenehmste
empfohlen (Posl. Knirsch: Und seinem Metternich!) und auch
der alte Metternich hätte mit ihm äußerst zufrieden
sein können. Dieses, vielleicht etwas unbeabsichtigte Eingeständnis,
das ihm nur so ausgerutscht ist im Eifer des Gefechtes, das kennzeichnet
den Geist dieser heutigen Regierungskoalition auf das allertreffendste.
(Posl. dr Schollich: Von Geist ist nicht viel zu spüren!)
Auch das kann man sagen.
Ich möchte nur im Zusammenhang mit dieser
aufgeworfenen Frage der Immunität einige Beispiele anführen,
die mich und meinen Klubkollegen Knirsch betreffen. Die
Immunität in diesem merkwürdigen Parlament sieht so
aus, daß auch aus unseren hier gehaltenen Reden und aus
unsern hier eingebrachten Interpellationen ganze Teile beschlagnahmt
werden. (Hluk. - Výkøiky na levici.)
Aus meiner Rede am 12. Juni, in welcher
ich die am 21. Oktober 1918 abgegebene staatsrechtliche Erklärung
wörtlich anführte, also bitte, sicherlich eine historische
Tatsache, die doch verzeichnet werden muß und die in Schriften
und in Büchern bisher auch stets verzeichnet wurde, aus dieser
staatsrechtlichen Erklärung hat mir das Präsidium des
Hauses eine ganze Stelle einfach gestrichen. (Výkøiky.)
Weiters bekomme ich heute auf einmal ein Poststück
mit 2 Liebesbriefen vom Präsidium des Abgeordnetenhauses,
worin mir mitgeteilt wird, daß das Präsidium des Abgeordnetenhauses
am 5. Juni gemäß § 9 der Geschäftsordnung
beschlossen habe, aus meiner Interpellation, betreffend die Beschlagnahme
der Zeitschrift "Der Tag", Nr. 85 vom 1. Mai 1928 in
Aussig, als eine die Sicherheit gefährdende Äußerung
zwei Sätze nach den Worten "Vereinigten Bundesstaaten"
zu entfernen. Das betrifft abermals die staatsrechtliche Erklärung
vom 21. Oktober 1928.
Die zweite Zuschrift bezieht sich auf die Zensurierung
einer zweiten Interpellation, betreffend Beschlagnahme unseres
Organes "Neue Zeit", Nr. 18 vom 3. März 1928, u.
zw. auf den Aufsatz "Ein hartes Urteil". Es war nämlich
dort das Urteil, welches über einige Gesinnungsgenossen in
Böhm. Leipa gefällt worden ist, kritisiert und dagegen
Stellung genommen worden. Auch diese Stelle wurde aus der Interpellation
gestrichen.
Noch etwas Schöneres ist dem Kollegen
Knirsch passiert. Aus seiner letzten hier gehaltenen Rede
hat das Präsidium den Ausspruch des einen Verteidigers
im Kolmarer Autonomistenprozeß beschlagnahmt, nämlich
den Ausspruch, daß sich die Elsässer nicht vor dem
Geßlerhut beugen sollen. Ich stelle fest, daß dieser
Verteidiger ein Franzose war und ich darf fragen: Was ist denn
dieser Staat, der sich Èechoslovakei
zu nennen beliebt, ist er denn der Büttel Frankreichs? (Posl.
Krebs: In Frankreich hat man das nicht zensuriert, alle französischen
Blätter haben es gebracht!) Hier darf man das nicht einmal
in einer Parlamentsrede vorbringen.
Und ein geradezu auftauchendes weiteres Beispiel
für unsere vielgerühmte Immunität ist die gerade
verteilte Einladung zur Sitzung des Immunitätsausschusses
am 3. Juli, auf welcher, sage und schreibe 69 Immunitätsfälle
verzeichnet sind. Man zeige uns den Staat - und ich glaube, da
genügt Europa nicht, es genügt nicht einmal nach Afghanistan
und Beludschistan zu gehen - man zeige uns den Staat, in dem derartige
Dinge ständig auf der Tagesordnung sind. Und dann verschiebe
man die Erdkugel, die Erdachse, und behaupte nicht, daß
dieser Staat in Mitteleuropaliege. (Posl. dr Schollich: Im
Herzen und am Nabel von Mitteleuropa!) Ja, im Herzen und am
Nabel.
Demokratie ist Diskussion, lautet eines von
den soviel zitierten Worten des Präsidenten Masaryk.
Ich frage, was ist das für eine Diskussion, mit wem sollen
wir diskutieren? Wollen wir unmittelbar mit der Regierung diskutieren,
so ist sie nicht da und wollen wir unmittelbar mit ihr diskutieren,
indem wir eine Rede halten, wird uns die Rede beschlagnahmt. Also
jede Diskussion ist unmöglich. Dann sagen wir es aber glatt
heraus: Dann möge sich aber auch das Oberhaupt dieses Staates
gewisse Aussprüche schenken, weil er dabei Gefahr läuft,
von den von ihm ernannten und gebilligten Regierungen bloßgestellt
zu werden. (Posl. Krebs: Die Diskussion scheint so zu
sein: Der General hält eine Ansprache, die Soldaten
haben zu kuschen!) Sehr richtig! Oder man beschränke
sich auf die Führung der Diskussion mit den Gummiknüppeln,
was ohnehin am meisten dem Wesen dieses Staates entspricht. Man
hat das alte Österreich immer einen Polizeistaat genannt,
gewiß nicht mit Unrecht, ich frage aber: was ist erst dieser
Staat? War es im alten Österreich möglich, daß
aus irgendeiner Parlamentsrede oder Interpellation auch nur ein
Wort herausgenommen werden durfte? Im nächsten Augenblick
hätte es eine Regierungskrise gegeben. (Posl. Knirsch:
Als sich Hochenburger einmal versprochen hatte, gab es stundenlang
Krawall und Skandal!) Jawohl, Hochenburger hat augenblicklich
eine Erklärung abgeben müssen. (Výkøiky
èsl. soc. demokratických poslancù.) Ich
meine, es steht gerade einem Herrn von der èechischen Sozialdemokratie,
als heutige Oppositionspartei, der noch dazu Mitglied des früheren
Reichsrates war, sehr wenig an, das heutige
System zu verteidigen.
Wenn wir alles über die Verwaltungsreform
zusammenfassen, so ist das letzte Wort noch nicht gesprochen.
Die Herren haben seinerzeit das von ihnen verbrochene Gemeindefinanzgesetz
über den grünen Klee gelobt. Heute aber liegen die Dinge
so, daß nicht nur ihre einfachen Parteivertreter, die in
den Gemeindestuben sitzen, sondern daß auch Herr Luschka
und P. Rýpar, die auch Mitglieder von Gemeindevertretungen
sind, selbst zugeben müssen, daß dieses Gesetz ein
Fehlschlag war und daß es gründlich novelliert werden
muß. (Posl. Simm: In einem Jahr wird Luschka von der
Verwaltungsreform ebenso reden!) Jawohl, er wird in einem
Jahr bescheidener geworden sein und in einem Jahr wird sich auch
herausstellen, was wir von der Verwaltungsreform sagen, daß
sie keinen Schritt zur Verbesserung bedeutet, sondern die dauernde
Verknebelung unseres Volkstums und aller freiheitlichen Rechte
in diesem Staate.
Im übrigen können wir es der Geschichte
überlassen, über diese Herren ihr Urteil zu fällen.
Wir wissen, wie dieses Urteil ausfallen wird. Und wenn Sie glauben,
daß die von Ihnen gepflogene Demokratie ein so ungeheuerer
Fortschritt ist, dann sagen wir Ihnen darauf: Diese Demokratie,
dieses System, kann uns gestohlen werden. (Potlesk poslancù
nìm. strany nár. socialistické.)