Hohes Haus! Bevor ich auf das eigentliche Thema
des heutigen Tages, die Novelle zum Gesetze vom 9. Oktober 1924,
eingehe, muß ich auf einen Gegenstand zurückkommen,
der in weiteren Kreisen der Bevölkerung große Erregung
hervorruft. Es handelt sich um die Frage der Auszahlung der Zulagen
für die Altpensionisten. Wir haben im Feber des heurigen
Jahres, also vor nahezu 7 Monaten, ein Gesetz beschlossen, auf
Grund dessen nach jahrelangem Kampfe die Altpensionisten und Ruheständler,
die in der Nachkriegszeit durch die Entwertung der Valuta am schwersten
zu leiden hatten, eine geringfügige Erhöhung ihrer Bezüge
zu erwarten hatten. Der Senat hat diesen Beschluß des Abgeordnetenhauses
ebenfalls angenommen, so daß die Altpensionisten und die
gesamte Öffentlichkeit mit Recht glaubten, nunmehr endlich
in den Besitz einer etwas höheren Pension gelangt zu sein.
Wer beschreibt aber die Erbitterung der Altpensionisten, die trotz
monatelangem Zuwarten auch heute noch nicht in den Besitz der
längst beschlossenen Erhöhung ihrer Bezüge gekommen
sind! (Posl. Geyer: Beim Zucker gehts schneller!) Jawohl!
Will die Regierung mit der Aktivierung dieses Gesetzes noch monatelang
warten, wissen die verantwortlichen Regierungskreise nicht, daß
Monat für Monat eine große Anzahl Altpensionisten sterben
und so der letzten Hoffnung beraubt worden sind. Worauf wartet
die Regierung noch immer, indem sie mit der Auszahlung der erhöhten
Pensionsbezüge immer noch zuwartet? Wir verwahren uns von
dieser Stelle aus gegen diese unverantwortliche Behandlung vieler
tausender treuer ehemaliger Staatsbeamten und Bediensteten und
fordern von der Regierung, daß sie ihre gesetzliche Verpflichtung
den Altpensionisten gegenüber erfüllt, dem Beschlusse
des Parlaments nachkommt und die sofortige Auszahlung aller rückständigen
Bezüge veranlaßt. Bei diesem Anlasse richten wir an
die Regierung die Frage, wann sie endlich die Absicht hat, die
Gleichstellung der Alt- und Neupensionisten durchzuführen
und ob sie bereit ist, einen diesbezüglichen Antrag dem Abgeordnetenhause
zu unterbreiten. Hohes Haus! Als in den Septembertagen des Jahres
1924 das Prager Parlament das Gesetzgebungswerk über die
Sozialversicherung verhandelte, hat unser seither verstorbene
Abg. Patzel schon darauf hingewiesen, daß das Werk
das Ergebnis eines Kompromisses mit allen seinen Schattenseiten
sei. Aber es wurde auch damals schon gesagt, daß dieses
Kompromiß durchaus nicht auf einer sachlichen Grundlage
abgeschlossen wurde, sondern daß sich bei den Verhandlungen
der bittere Beigeschmack einstellte, daß bei Fertigstellung
des Sozialversicherungsgesetzes nicht Weltanschauungen
miteinander gerungen haben, sondern daß ein ganz erbärmlicher
Kuhhandel politischer Parteien eingesetzt habe und das Gesetz
verzerrt hätte. Insbesondere waren es damals die èechisch-agrarischen
Kreise, welche eine Reihe von Bestimmungen
in das Gesetz einführten, die dieses Gesetzgebungswerk von
vornherein als eine wenig brauchbare Versorgung der Arbeiterschaft
gestalteten. Schon damals wurde von der nationalsozialistischen
Arbeiterpartei gesagt, daß dieses Gesetzgebungswerk schwere
Mängel und Lücken aufweise und sehr bald eine Novellierung
notwendig sein würde. Niemand aber konnte glauben, daß
dieses mangel- und lückenhafte Gesetz bestimmten Kreisen
noch viel zu weitgehend sei, daß sie eine Verschlechterung
des Gesetzes anstreben würden. Wir Nationalsozialisten haben
es ehrlich und aufrichtig begrüßt, daß für
alle alten und siech gewordenen Arbeiter durch das Sozialversicherungsgesetz
ein Schutz geschaffen werden sollte. Schon im alten Österreich
haben wir ununterbrochen darauf hingewiesen, daß im Deutschen
Reiche unter der Führung des Reichskanzlers Bismarck ein
mustergültiges Gesetz zur Versicherung der Arbeiter gegen
Krankheit, Siechtum, Alter und Unfälle geschaffen worden
ist und daß in dem sozial und kulturell ähnlich organisierten
Österreich ein gleiches Gesetzgebungswerk geschaffen werden
müsse. Es ist an dieser Stelle oft gesagt worden, daß
das Sozialversicherungswerk sich an das reichsdeutsche Gesetzeswerk
anlehne. Aber weder die ursprüngliche Gesetzesvorlage, noch
auch die jetzige Novelle, können in Wirklichkeit den Anspruch
erheben, auch nur im entferntesten an jene Leistungen heranzureichen,
die die reichsdeutsche Gesetzgebung der Arbeiterschaft gesichert
hat. Wir haben verstanden, daß das ursprüngliche Werk
Mängel aufwies und aufweisen mußte, aber wir haben
immer die Ansicht vertreten, daß dieses Gesetz immer mehr
und mehr verbessert und ausgebaut werden müsse, so daß
es dann, wenn es in seinem vollen Umfange in Kraft treten und
seine Bestimmungen erfüllen wird, einen brauchbaren und wertvollen
Schutz für die wirtschaftlich Schwachen darstellen wird.
Leider müssen wir heute am Abschluß der langwierigen
Verhandlungen über die Novellierung der Sozialversicherung
sagen, daß ein Großteil der Hoffnungen der Arbeiterschaft
auf Verbesserung der Vorlage nicht erfüllt worden ist. Es
soll zugegeben werden, daß manche Fehler und Lücken
des alten Gesetzes ausgefüllt und gut gemacht worden sind.
Die allgemeine Tendenz aber, unter der die schwarzgrüne Koalition
an die Novellierung dieses Gesetzes herangetreten war, ist unverkennbar
darauf gerichtet, große Teile der Arbeitnehmer aus der Sozialversicherung
auszuschalten und das Gesetz überhaupt zu verschlechtern.
Von dieser Stelle aus erhebe ich wie im sozialpolitischen Ausschuß,
vor allem Protest gegen die Art der Verhandlungsführung und
gegen die vollständige Ausschaltung jedes Einflusses der
Deutschen bei den Verhandlungen über die Novellierung. Ich
stelle hier ausdrücklich fest, daß bei diesen Verhandlungen
weder die deutschen Regierungsparteien, noch die Mitglieder
der deutschen Opposition beteiligt waren. Die Verhandlungen wurden
ausschließlich von den Mitgliedern der èechischen
Regierungsparteien und der èechischen Opposition geführt.
Die Verhandlungen sind von den Abg. Èuøík,
Petr und Malík einerseits und den Abg. Dr
Winter und Tuèný anderseits
geführt worden. Es ist die tragische Schuld der deutschen
Regierungsparteien, daß sie auch diesmal bei den Verhandlungen
das Gewicht der deutschen Stimmen nicht zur Geltung brachten und
daß diese Novellierung im wesentlichen auch diesmal
von den Mitgliedern der allèechischen Koalition durchgeführt
wurde, so daß sich die Konturen einer neuen Koalition wieder
am politischen Himmel abheben. So ist es auch verständlich,
daß trotz der angeblichen Gegensätzlichkeit
der èechischen Regierungsparteien und der èechischen
Opposition die Deutschen in Wirklichkeit bei der Novellierung
dieses Gesetzes keinerlei Einfluß hatten und daß daher
auch die wenigen deutschen Forderungen an das Sozialversicherungsgesetz
nicht nur nicht erfüllt, sondern so gut
wie gar nicht erörtert worden sind. Wir verweisen darauf,
daß die Anträge, die die nationalsozialistische Arbeiterpartei
auf die Durchführung der national autonomen Gliederung der
Sozialversicherung nicht nur nicht behandelt wurden, sondern auch
von den deutschen Regierungsparteien nicht unterstützt worden
sind. Das festzustellen ist umso wichtiger, weil auch bei diesen
Fällen klar und deutlich gezeigt werden kann, daß die
Regierungsparteien ihre einstige programmatische Stellung längst
aufgegeben haben und daß daher das sudetendeutsche Volk
von ihnen, die ihr eigenes Programm verrieten, in politischer
Beziehung nichts zu erwarten hat. Ich verweise darauf, daß
anläßlich der Beratungen über das Sozialversicherungsgesetz
am 17. September 1924 der Redner der deutschen christlichsozialen
Volkspartei Abg. Schälzky in der 287. Sitzung des
Abgeordnetenhauses wörtlich sagte: "Die Opfer der Sozialversicherung
werden leichter gebracht werden, wenn die interessierten Kreise
die Überzeugung haben, daß diese Aufwendungen ihnen
selbst zugute kommen, daß diese Bereicherung für sie
eine soziale Notwendigkeit ist und durch die eigene Mitwirkung
der Versicherten die Gewähr einer sparsamen und zweckentsprechenden
Verwaltung gegeben ist. Daher erheben wir auch hier die Forderung
nach Aufbau auf autonomer und nationaler Grundlage und verlangen,
daß diese Gesetzesvorlage nicht hinter Schloß und
Riegel der "Pìtka"-Männer ausgearbeitet
werde, sondern in engem Zusammenwirken der Arbeiter, der einzelnen
Berufsstände und der Nationen zustandekomme."
Der Abg. Schälzky sagte in seiner
Rede ferner wörtlich: "Wenn wir bei den Verhandlungen
gesehen haben, wie allen nationalen Forderungen, z. B. dem Verlangen
auf Errichtung national getrennter Versicherungsanstalten, dem
Verlangen, auch den nationalen Minderheiten eine Vertretung in
der Direktion zu sichern, dem Antrag auf Sicherung eines Vizepräsidenten
in der Zentralsozialversicherungsanstalt, wenn allen diesen Verlangen
von Seiten der Mehrheitsparteien entgegengetreten wurde, wurden
wir in der Annahme bestärkt, daß hinter diesen Beschränkungen
der Selbstverwaltung nationale Gründe stehen, die auch bei
dieser Gesetzesvorlage eine große Rolle spielen, um die
Stellung der Staatsnationa zu stärken. Der Herr Berichterstatter
hat zu dem Antrag auf Errichtung einer Vizepräsidentenstelle
zugestanden, daß ein dritter Vizepräsident aus der
Reihe der Fachleute genommen werde und daß man bei der Ernennung
auf die Deutschen Rücksicht nehmen würde. Aber gesetzlichen
Anspruch zu geben, hat man sich krampfhaft geweigert. Wir können
uns daher vorstellen, wie wenig Deutsche in der Zentralsozialversicherungsanstalt
sein werden.
Es wurde in der Debatte auf die Haltung
der Vertreter des èechischen Volkes bei Behandlung der
Pensionsversicherung im alten Österreich hingewiesen, wo
damals national getrennte Landesstellen verlangt und durchgesetzt
wurden. Bei diesem Gesetz kommt eine ganz andere
Zahl von Versicherten in Betracht. Bei 3 1/2
Millionen Deutschen kann man vielleicht mit 600 bis 800 Tausend
deutschen Versicherten rechnen, und jetzt will man von einer nationalen
Scheidung nichts wissen. Wenn wir bei der hiesigen nationalen
Praxis erwägen, daß die Bestimmungen des Sprachengesetzes
auch auf die Versicherungsanstalt und auf die Zentrale ausgedehnt
werden, obwohl es sich hier nicht um staatliche Ämter handelt,
sondern um autonome Institute, wenn wir erwägen, daß
dann auch der Verkehr mit den einzelnen Versicherten in der Staatssprache,
im besten Falle doppelsprachig erfolgt, kann man sich vorstellen,
wie dies den Geschäftsgang erschweren, verlangsamen und verteuern
wird." (Posl. Geyer: Wobei in den historischen Ländern
mehr als 50% der Versicherten Deutsche sind!) Jawohl,
wenigstens in manchen Gegenden, in den historischen Ländern.
"Im Unterausschuß wurde bereits
von dem Vertreter der Regierung erklärt, daß die Anwendung
des Sprachengesetzes auf die Sozialversicherung keinem Bedenken
unterliegen könne, wobei er sich auf die Bestimmungen
der Verfassung und des Sprachengesetzes berief. Für uns Deutsche
erregt die nationale Seite der Vorlage die ärgsten Besorgnisse.
Die Ernennung èechischer Beamter bei den Bezirksversicherungsanstalten,
die vollständige Beherrschung der Zentralanstalten,
die Verwaltung und die Anlage des freien Vermögens werden
die Handhabe bieten, dieses Gesetz gegen uns Deutsche anzuwenden."
Die Bedenken des Abg. Schälzky bestehen
heute nach vier Jahren noch genau so, wie sie im Jahre 1924 bestanden
haben. Aber auch dann, wenn diese nationalen Bedenken nicht bestehen
würden. (Posl. Geyer: Noch ärger, weil inzwischen
die Verwaltungsreform gekommen ist!) Überdies aber auch
die mögliche Änderung in der Koalition wird eine große
Reihe von derartigen Möglichkeiten bieten. Selbst wenn diese
nationalen Bedenken nicht bestehen würden, könnte uns
dies nicht hindern, die nationale Selbstverwaltung der deutschen
Krankenkassen und ihre Gesamtvereinigung innerhalb der Zentralsozialversicherung
zu fordern. Es kommt gar nicht darauf an, ob eine èechische
Verwaltung in einem toleranten oder einem national gleichmütigem
Geiste geleitet wird, sondern es kommt vor allem darauf an, daß
das grundsätzliche Recht den Versicherten zugestanden wird,
ihre Institutionen selbst zu verwalten und
die von ihnen eingezahlten Mittel in einem solchen Sinne anzuwenden,
daß es der kulturellen und nationalen Eigenart der Versicherten
entspricht. (Souhlas na levici.) Es darf nicht von der
Gnade und dem Wohlwollen der herrschenden Staatsnation
abhängen, daß in den Versicherungsanstalten deutsche
oder èechische Beamte angestellt werden, und von den von
ihnen eingezahlten Millionen deutscher Beiträge auch die
Deutschen wieder ihre entsprechenden Anteile erhalten. Es muß
vielmehr an die Stelle einer etwaigen loyalen oder illoyalen Haltung
der Staatsmajorität, an die Stelle von Gnade oder Ungnade,
das natürliche Recht auf nationale Selbstverwaltung treten.
Dieser Ansicht waren die heutigen Regierungsparteien auch zu jener
Zeit, da sie noch nicht in der Regierung saßen. Seither
haben die Verhältnisse sich geändert, und es ist meine
Pflicht als Angehöriger des deutschen Volkes, ganz klar und
deutlich auf den Umfall der deutschen Regierungsparteien aufmerksam
zu machen.
Es ist besonders interessant, in den Reden
der deutschen Regierungsparteien vor 4 Jahren zu blättern.
Damals hat z. B. der Abg. Schubert vom Bund der Landwirte,
der auch diesmal wieder im sozialpolitischen Ausschuß bei
der Novellierung des Sozialversicherungsgesetzes mitwirkte, am
16. September 1924, wörtlich folgendes gesagt: "Die
ganze Vorlage durchweht der Geist des starren Zentralismus. Die
Selbstverwaltung wird überall eingeschnürt und eingeengt,
der Regierung werden weitreichende Ermächtigungen eingeräumt.
Sie sind in dieser Frage Zentralisten vom reinsten Wasser, während
wir unter anderem auch darauf bestehen, daß die Herstellung
der Fühlung zwischen den Versicherungsverträgen und
den Versicherten, sowie die Besorgung der Ortsgeschäfte durch
Heranziehung der landwirtschaftlichen, gewerblichen und kaufmännischen
freiwilligen Verbände zu bewirken wäre. Nur diese freiwilligen
Verbände böten die Gewähr für eine billige,
gerechte und sachentsprechende Führung. In früherer
Zeit dachten sie über diese Sache wesentlich anders. Bei
der Beratung dieser Frage im österreichischen Parlament war
es der Abgeordnete Sláma, der den Antrag stellte,
mit Rücksicht auf die Verschiedenheit der nationalen, sozialen
und wirtschaftlichen Verhältnisse im Staate - es handelte
sich damals um Zisleithanien - mehrere Versicherungszentralen
zu bilden. Das war Ihr Standpunkt im alten Österreich. Sie
haben diesen Standpunkt verlassen und uns erklärt, daß
die Verhältnisse im Staate diesbezüglich jetzt anders
sind als damals. Wir bezweifeln dies entschieden, und es genügt
der bloße Hinweis auf Karpathorußland, um die Hinfälligkeit
dieser Behauptung zu erweisen. Aber als nackte Zentralisten wollen
Sie von getrennten Selbstverwaltungen, trotzdem Zweckmäßigkeitsgründe
dafür sprechen, nichts wissen. Es sind überdies hauptsächlich
auch nationale Gründe, die Sie zurückhalten, den autonomen
Bestrebungen ein Recht zukommen zu lassen."
Aber derselbe Abg. Schubert,
der vor 4 Jahren die Haltung der èechischen Agrarier im
alten Österreich nicht genug unterstreichen und verstehen
konnte, der es damals als eine wichtige Frage erklärte, daß
an Stelle eines starren Zentralismus aus Gründen der Zweckmäßigkeit,
aus Gründen der Billigkeit und aus Gründen
der nationalen Interessen die nationale Selbstverwaltung eingeführt
werde, derselbe Abg. Schubert hat gar nichts dazu beigetragen,
den von der nationalsozialistischen Arbeiterpartei aufgestellten
Forderungen nach der nationalen Selbstverwaltung in der Sozialversicherung
zum Durchbruche zu verhelfen.
Es muß aber auch gesagt werden, daß
die deutschen Sozialdemokraten in diesem Belange vollständig
versagten und die Interessen der deutschen Arbeiter nicht vertraten.
In ihren Initiativanträgen fordern sie zu § 39,
daß neben der Errichtung der èechisehen Anstalt eine
Anstalt für alle übrigen Nationalitäten der Èechoslovakischen
Republik eingerichtet werde. Es war nicht nur von vornherein klar,
daß auf ein so künstliches Gebilde die
èechische Majorität und auch die èechischen
Sozialdemokraten nicht eingegangen sind, sondern daß gerade
durch diese Antragstellung die Forderung nach der nationalen Selbstverwaltung
in der Sozialversicherung nur erschüttert wurde. Gerade diesmal
hätten die deutschen Sozialdemokraten
zeigen können, daß ihre Behauptung, die èechischen
Sozialdemokraten würden die berechtigten Forderungen der
deutschen Arbeiter anerkennen und ihnen zum Siege verhelfen, richtig
sei. Es handelt sich bei diesem Grundsatze doch keineswegs
um eine nebensächliche Frage. Der sozialpolitische Ausschuß
hat sich oft mit kleinen Details stundenlang beschäftigt.
Wäre es möglich gewesen, den èechischen Sozialdemokraten
die Notwendigkeit, ja die Selbstverständlichkeit der Durchsetzung
der nationalen Selbstverwaltung in der Sozialversicherung
begreiflich zu machen und wären diese für diese Forderung
der deutschen Arbeiter miteingetreten, dann wäre es zweifellos
auch gelungen, die deutschen Regierungsparteien auf ihre seinerzeitige
Haltung zu verpflichten und so eine Majorität für die
nationale Selbstverwaltung zu gewinnen. Aber gerade diesmal zeigte
es sich, daß das Rezept der deutschen Sozialdemokraten nicht
stimmt, daß die èechischen Sozialdemokraten gar nicht
daran denken, die deutschen Arbeiter in ihren nationalen und kulturellen
Interessen zu unterstützen. Aber auch sonst ist die Haltung
der deutschen Regierungsparteien von ihrem einstigen Standpunkt
stark abgewichen. Im § 180 des ursprünglichen
Gesetzes wurde festgelegt, daß die Zentralsozialversicherungsanstalt
für die Vermögensanlage Richtlinien ausarbeiten werde,
welche vom Ministerium für soziale Fürsorge im Einvernehmen
mit dem Finanzministerium zu genehmigen sind. Der Abg. Schubert
sagte in seiner oben angeführten Rede zur Sozialversicherung:
"In Kapitalsanlage und in Sachen von Staatspapieren ist das
Finanzministerium nicht immer der allerbeste Ratgeber. Ein demokratischer
Staat darf nie und nimmer dem Finanzministerium eine solche Machtfülle,
ein solches Monopol einräumen. Die Sozialversicherung wird
sonst damit eine Art Staatsbank werden, mit der das Finanzministerium
nach Gutdünken verfährt."
Wenn man sich heute die Novelle zur Sozialversicherung
vor Augen hält und gerade jene Abänderungen betrachtet,
die die Verwaltung und die Anlage des Vermögens betreffen,
dann muß man feststellen, daß der Abg. Schubert,
der früher einmal in besseren Tagen, als er und seine Partei
noch in der Opposition standen, gegen ein Übermaß von
staatlichem Einfluß auftrat, gerade diesmal für alle
jene geradezu ungeheuerlichen Aufsichtsbestimmungen der Staatsorgane
und Einräumung weiter bedeutender Einflüsse der Nationalbank
und des Finanzministeriums stimmte. Und nun hören Sie, daß
nicht nur in einer ganzen Reihe von Paragraphen, die ich später
noch anführen werde, die Rechte des Finanzministers wesentlich
erweitert worden sind, sondern daß im § 259 a) der
neuen Fassung eine Bestimmung eingeführt worden ist, die
folgenden Wortlaut hat: "Wo in diesem Gesetze die Entscheidung
dem Minister für soziale Fürsorge vorbehalten ist, entscheidet
dieser Minister; handelt es sich um Fragen von größerer
finanzieller Bedeutung und ist dies im Gesetze auch nicht ausdrücklich
festgelegt, im Einvernehmen mit dem Finanzminister. Einigen sich
der Minister für soziale Fürsorge und der Finanzminister
nicht, so entscheidet die Regierung." Es ist also gesagt,
daß auch dort, wo nicht im Gesetze die Rechte des Finanzministers
ausdrücklich erweitert worden sind, für alle übrigen
finanziellen Maßnahmen die Zustimmung des Finanzministers
notwendig ist. Derselbe Herr Schubert, dieselben Regierungsparteien,
die damals den Herrn Finanzminister oder das Finanzministerium
als Abstractum, als einen schlechten Ratgeber in finanziellen
Dingen bezeichnet haben, ermächtigen nun den Finanzminister
in allen Stücken und bei jeder Transaktion der Sozialversicherungsanstalt
einzugreifen und mit seinem Veto eine Transaktion unmöglich
zu machen. (Posl. Geyer: Die Durchführungen werden jahrelang
dauern!) Auch diese Erwägung ist außerordentlich
wichtig, weil die Entscheidungen monatelang durch die Ministerien
hingezogen werden können.
Aber es ist nicht nur bezeichnend, daß
die deutschen Regierungsparteien, Bund der Landwirte, Christlichsoziale
und Gewerbepartei sich nicht für die nationale Selbstverwaltung
in der Sozialversicherung einsetzten, die ja zwar auch ihr Programm
war und von der sie ihren Wählern soviel zu versprechen gewöhnt
waren, sondern es müßte den Unwillen, ja die Empörung
der arbeitenden Schichten des deutschen Volkes hervorrufen, wenn
wir genau so wie bei der Verwaltungsreform sehen, daß diese
Parteien den lezten Rest der nationalen Selbstverwaltung, der
in den deutschen Kassenverbänden bestanden hat, beseitigen.
Wenn auch die letzte Fassung der diesbezüglichen Bestimmungen
scheinbar die Möglichkeit bietet, daß die Verbände
noch eine Zeitlang leben bleiben, so ist es doch eine Ungeheuerlichkeit,
eine solche grundsätzliche Frage, wie die der Einrichtung
der Kassenverbände, einfach einer Verordnung des Herrn Ministers
für soziale Fürsorge zu überlassen und über
diese Institutionen dauernd das Damoklesschwert einer Verordnung
zu hängen, die der Herr Šrámek vielleicht
am letzten Tage seiner Regierungstätigkeit noch erlassen
kann. Die jetzige Vorlage räumt auch mit dieser wichtigen
Einrichtung auf und die Zentralsozialversicherungsanstalt wird
nunmehr eine vollständig auf zentralistischer Grundlage eingerichtete
Anstalt sein, die in Zukunft nicht einmal das Korrektiv
der Kassenverbände aufzuweisen haben wird, sondern ein nationalèechisches
Institut sein wird, obzwar mehr als 35% aller Versicherten, im
Jahre 1927 nahezu 800.000, genau 779.319 Versicherte deutscher
Nationalität, deutsche Arbeiter sind, die ein Recht
darauf haben, ihre Kassen- und Versicherungsinstitutionen selbst
zu verwalten. In den Bezirkskrankenkassen gibt es 621.240 deutsche
Versicherte, in den landwirtschaftlichen Krankenkassen 53.782,
in den genossenschaftlichen Gremialkassen 80.858, in den Betriebskrankenkassen
23.439, insgesamt im Jahre 1927 779.319 deutsche Versicherte,
denen man in diesem Staate nicht das Recht zubilligt, ihre nationalen
Interessen in der Krankenkassa zu organisieren und zu verwalten.
Wenn Sie daran denken, daß nicht einmal ganz 100.000
èechische Angestellten in der Pensionsversicherung im Jahre
1909 oder 1910 die èechischen Landesstellen in Böhmen
und Mähren zugebilligt erhielten, dann werden Sie erkennen,
um wieviel chauvinistischer, um wieviel zentralistischer, um wieviel
die nationalen Interessen weniger berücksichtigend
dieser Staat heute organisiert ist als der alte österreichische
Staat überhaupt war.
Aber auch die Widersprüche, die sich innerhalb
der christlichsozialen Anschauungen aufgetan haben, müssen
eingehend besprochen werden. Die christlichen Gewerkschaften haben
offen zu der Sozialversicherungsnovelle Stellung genommen und
ihre schweren Bedenken gegen dieselbe geäußert. Im
4. Heft der "Sudetendeutschen Arbeit" 1927 schreibt
der Gewerkschaftssekretär Hans Schütz: " Also doch
Novellierung, trotzdem wir warnten. Wem nicht zu raten ist, dem
ist auch nicht zu helfen. Vielleicht bereut man es einmal in den
beteiligten Kreisen, daß man in dieser Sache so wenig auf
uns gehört hat. Wir können es nicht ändern. Was
man sich eingebrockt hat, das wird man auslöffeln müssen.
Hoffentlich ersticken die Herren nicht daran." Und in demselben
Aufsatz heißt es: "Tatsächlich bestehen die Hauptschwächen
der Novelle in folgenden Punkten: 1. Es scheiden aus der Versicherung
aus alle unter 16 Jahre alten Versicherten, die Heimarbeiter und
die Saisonarbeiter. 2. Die Zwangsverbände für die Krankenkassen
werden aufgelöst. 3. In den Bezirkskassen wird für den
Vorstand und Aufsichtsrat die Parität eingeführt. 4.
Die Verwaltung wird auf ein Doppelgeleise geschoben, dadurch daß
nicht mehr bloß die Zentralsozialversicherungsanstalt über
die Bezirkskrankenkassen das Aufsichtsrecht ausübt, sondern
daß auch die politischen Behörden erster und zweiter
Instanz mit dieser Führermacht ausgestattet werden. Überhaupt
wird in der Novelle der Gedanke der Selbstverwaltung stark beschnitten
und dem staatlichen Bürokratismus in allen Linien Vorschub
geleistet." Ich werde mich mit diesen einzelnen Punkten,
inwiefern sie durch die Beratungen im sozialpolitischen Ausschuß
eine Änderung erfahren haben, noch eingehend beschäftigen.
Die èechischen Parteien und Abgeordneten, die heute den
Zentralismus in der Sozialversicherung vertreten und die der nationalen
Selbstverwaltung unter gar keinen Umständen Zugeständnisse
mach en wollen, haben diese Frage in früheren Zeiten anders
behandelt. Anläßlich der Beratungen
des sozialpolitischen Ausschusses im österreichischen Abgeordnetenhause
1906 hat der damalige Abg. Šrámek, der gegenwärtig
nicht nur stellvertretender Ministerpräsident, sondern auch
Minister für soziale Fürsorge ist, also an dem Zustandekommen
dieses Gesetzes ein ganz besonderes Interesse haben muß,
eine Rede gehalten, in der er sich ganz besonders gegen die zentralistische
Organisation des Pensionsversicherungsgesetzes der Angestellten
wendet und ausdrücklich eine weitgehende Autonomie
in der Sozialgesetzgebung fordert. Der èechische Abgeordnete
Reichstätter sagt unter anderem: "In einem mehr zentralistischen
Aufbau der Versicherungsanstalt erblicke ich Nachteile für
unser politisches und nationales Leben. Wer unser nationales Ringen
des letzten Jahrhundertes betrachtet, muß zugeben, daß
es ein schweres Opfer ist und er wird es zu würdigen wissen,
daß es nicht nur im Interesse der èechischen oder
slovakischen Nation, sondern der Privatangestellten gebracht wurde.
Das Pensionsgesetz wird gewiß
bald einer Reform bedürftig sein. Bis zu jener Zeit, glauben
wir, wird sich die Unzweckmäßigkeit der zentralistischen
Verwaltung selbst ergeben haben." Diese Reden sind außerordentlich
belehrend. Die Gründe, die die èechischen Redner vor
20 Jahren für eine den autonomen
und nationalen Verhältnissen Rechnung tragende Organisation
dieser Sozialversicherungsanstalt angeführt haben, sind vollkommen
zutreffend. Die seinerzeit von den èechischen Abgeordneten
im Wiener Parlament geltend gemachten nationalpolitischen
Gründe müßten aber heute noch mehr als damals
gerade von den èechischen Parteien verstanden werden. Sie
stehen auf dem Standpunkte, daß wir in einer Demokratie,
also in einer Verfassung leben, in der das Volk sich selbst beherrscht.
Tatsächlich spricht auch die Staatsverfassung
davon, daß der Wille des Volkes die Quelle aller Macht sei.
Es wird allerdings nicht gesagt, welches Volk die Quelle dieser
Macht sei. Wenn sich also die Èechen zu diesem Prinzip
bekennen, dann dürfen sie nicht einfach
die Majorität der Zahl zur Geltung bringen, u. zw. so, daß
eine geringe Mehrheit eine so bedeutende Zahl anderer Volksstämme
einfach beherrschen kann, wie es in diesem Lande der Fall ist.
Diese Fragen sind außerordentlich wichtig, weil wir schon
in der allernächsten Zeit zur Beratung der Novelle zur Versicherung
der Angestellten kommen und weil dort eine schon bestehende nationale
Sektionierung vor der Gefahr ihrer Beseitigung steht. Die Selbstverwaltung
der Sozialversicherung durch die Arbeiter jeder Nation
ist eine begründete Forderung, die die èechischen
Parteien früher einmal selbst vertreten haben. Wir werden
von ihr nicht ablassen, bis wir diesem Grundsatze zum Siege verholfen
haben.