Die Vertreter des Bundes der Landwirte und der èechischen
Agrarier haben mit besonderem Nachdruck auf
die Ausscheidung weiter landwirtschaftlicher Arbeiterkreise aus
der Sozialversicherung gedrungen. Sie werden aller Wahrscheinlichkeit
nach gerade mit diesem Siegeserfolg, der in Wirklichkeit nichts
anderes ist als die Benachteiligung dieser landwirtschaftlichen
Arbeiter um die Wohltat der Sozialversicherung und daher eines
Teiles des landwirtschaftlichen Volkes - die Herren sprechen ja
immer von der Interessengemeinsamkeit der Landgemeinden und des
Landvolkes - vor ihre Wählerkreise hintreten und ihnen dies
tatsächlich als eine besondere Leistung einreden. Sie bedenken
nicht, daß sie einem Teile der am Lande wohnenden Arbeiterschaft
einen schweren Schaden zugefügt haben und daß dies
tatsächlich auch weitere Konsequenzen nach sich ziehen muß.
Die landwirtschaftlichen Kreise beklagen sich häufig darüber,
daß sie nicht genügend und oft auch nur vollständig
ungeeignete Arbeitskräfte für die landwirtschaftlichen
Arbeiten bekommen. Das Schlagwort von der Landflucht ist in Wirklichkeit
kein Schlagwort mehr, sondern eine ernste Frage des Bauernstandes
geworden. Wer in die Organe der Landwirte aller Parteien blickt,
und nicht nur in diesem Lande, auch im Deutschen Reiche und anderswo,
wird immer die Klagen über den Mangel an geeigneten landwirtschaftlichen
Arbeitskräften finden. Auch im persönlichen Verkehr
werden sie immer wieder auf die Frage des Mangels der Arbeitskräfte
in der Landwirtschaft stoßen. Was ist wohl die Ursache,
daß die Arbeiterschaft vom Lande in die Städte drängt?
In einem Aufsatze, den die "Deutsche Landpost" am 16.
Dezember 1927 über die Landarbeiterfrage veröffentlicht,
schreibt der Verfasser Hugo Schulz: "Weder ein Verbot der
Aufnahme Jugendlicher in die Fabriken, noch eine Zwangsbestimmung
kann die Dienstbotennot auf dem Lande beseitigen. Das Übel
muß an der Wurzel gefaßt werden. Wenn wir uns deshalb
nach der Darlegung der Ursachen die Frage vorlegen: Wie wird sich
der Landflucht Einhalt tun lassen?, so gibt es hiefür nur
eine Antwort, die lautet: Die Rentabilität der Landwirtschaft
muß gehoben, die Lebensverhältnisse müssen verbessert,
die Arbeitszeit verkürzt, der Lohn erhöht werden. Mit
einem Wort: Nur die Gleichstellung der Landwirtschaft mit der
Industrie löst die Arbeiterfrage auf dem Lande."
Diese Ausführungen, die das Organ des
Bundes der Landwirte selbst veröffentlichte, mit deren Inhalt
es sich also identifiziert, treffen das Problem richtig. Ich verkenne
nicht, wie schwierig es ist, die völlige soziale Gleichstellung
der Landwirtschaft und der Industrie durchzuführen. Wir wissen
aber, daß dies keinesfalls damit geschehen kann, daß
man weite Kreise der landwirtschaftlichen Arbeiter um soziale
Vorteile bringt, die ihnen bisher gesichert waren und die die
Industriearbeiterschaft auch weiterhin gesichert haben wird. Die
Herren vom Bunde der Landwirte sollten sich doch die Wirkung ihrer
Forderung nach Beseitigung der Sozialversicherung für weite
Kreise der landwirtschaftlichen Arbeiter einmal vor Augen halten.
Wenn altgewordene Industriearbeiter in kürzerer oder längerer
Frist, in 10, 12 oder 15 Jahren, die als Nachbarn neben den landwirtschaftlichen
Saisonarbeitern auf dem Lande leben, ihre Altersrente im Betrage
von einigen hundert Kronen allmonatlich erhalten werden und wenn
der daneben wohnende, ebenfalls altgewordene landwirtschaftliche
Saisonarbeiter ohne die geringste Unterstützung bis in das
höchste Lebensalter arbeiten und mit der kärglichsten
Entlohnung oder überhaupt ohne Entlohnung für den bloßen
Lebensunterhalt wird arbeiten müssen oder vielleicht als
Bettler auf die Straße geworfen wird, wenn daneben der Industriearbeiter
nach 65 Lebensjahren seine Rente erhalten wird, wenn die Frauen
und Witwen wirklich eine Versorgung erhalten, und wenn daneben
der Saisonarbeiter schutzlos sein wird, dann richte ich an Sie
die Frage: Was wird dieser Zustand auf dem Lande für die
heranwachsende Generation für Wirkung aufzuweisen haben?
Es wird für die neue heranwachsende Generation ganz bestimmt
kein Anlaß sein, am Lande zu bleiben und demselben traurigen
Lose zu verfallen wie die landwirtschaftlichen Saisonarbeiter.
Die Landflucht, über die die Agrarierkreise schon heute klagen,
wird noch größeren Umfang annehmen, als es bis heute
der Fall war. Wird damit der Landwirtschaft in Wirklichkeit gedient,
ist das der Weg, auf dem man der Landwirtschaft zum Erfolge verhelfen
kann? Glauben die Herren wirklich, daß die künftige
Generation ihnen für diese rückschrittliche Haltung
dankbar sein wird? Die Herren vom Bund der Landwirte stimmen für
alle, ja selbst für die schwersten Belastungen, ja, sie dienen
als Trabanten und stützen dieses System und sprechen nicht
mehr von den hohen Steuern, sondern nur von den hohen sozialen
Lasten, die in der Sozialversicherung aufgebürdet werden.
Wir wissen es anders, wir wissen, daß die Wirkung auf die
landwirtschaftliche Arbeiterschaft die bösesten Folgen für
die gesamte Landwirtschaft nach sich ziehen wird, gerade bei diesem
Anlaß, denn die Ausscheidung der Saisonarbeiter aus der
Sozialversicherung ist nur aus den Gründen der sogenannten
Ersparnis bei den landwirtschaftlichen Kreisen, in Wirklichkeit
bei den großagrarischen Kreisen vorgenommen worden. Es muß
bei diesem Anlasse einmal ganz klar und deutlich aufgezeigt werden,
mit welchen Mitteln diese Kreise gegen die Sozialversicherung
Stimmung gemacht haben, um sie in den Augen der landwirtschaftlichen
Kreise herabsetzen und als untragbar bezeichnen zu können.
Der Koll. Weiser hat am 30. November
1927 bei der Debatte zum Staatsvoranschlag von dieser Stelle aus
zur Lage der Landwirtschaft Stellung genommen und auch über
die Sozialversicherung einiges gesagt. In der Ausgabe vom 3. Dezember
1927 bringt die "Scholle" (Braunau) einen Auszug aus
dieser Rede, in der es unter anderem heißt: "Die Landwirtschaft
in diesem Staate ist mit weit über 5 Milliarden verschuldet.
Die verlorene Kriegsanleihe, die Vermögensabgabe, die hohen
Steuerlasten und die Sozialversicherung tragen ihren Teil bei.
Besonders das letzte Kapitel, die Sozialversicherung. Hier will
ich auf ein Beispiel verweisen, daß eine Landwirtschaft
mit 5 Arbeitskräften in 50 Jahren mit Zinsen und Zinseszinsen
nahezu eine halbe Million auf den Altar der Sozialfürsorge
niederlegt. Das ist ein Betrag, den man heute gar nicht mehr braucht,
um eine solche Wirtschaft zu kaufen." Ganz abgesehen davon,
daß die Bezifferung der Verschuldung der Landwirtschaft
mit 5 Milliarden nicht bewiesen ist und daß sie auf die
einzelne Wirtschaft berechnet einen verhältnismäßig
niedrigen Betrag von 5 bis 6000 Kè ergeben würde,
wird hier in einer ganz unverantwortlichen
Art und Weise gegen die Sozialversicherung Stellung genommen.
Der Jahresbeitrag für einen versicherten landwirtschaftlichen
Arbeiter beträgt zur Sozialversicherung rund 250 Kè.
Ein Landwirtschaftsbesitzer mit 5 Arbeitskräften hätte
also jährlich 1250 Kè Beitragsleistung
zur Sozialversicherung zu bezahlen, was in 50 Jahren etwa 60.000
Kè ausmacht. Der Abg. Weiser aber
spricht davon, daß der Beitrag zur Sozialversicherung 500.000
Kè, also nahezu das Zehnfache, was in Wirklichkeit gezahlt
werden müßte, ausmacht. (Výkøiky
na levici.) Man kann sich vorstellen, daß
ein mittlerer Landwirt mit 5 Arbeitskräften, wenn er hört,
daß er in 50 Jahren eine halbe Million allein für die
Sozialversicherung auf bringen müßte, ein Feind dieser
Versicherung sein muß, weil er sich einfach errechnen muß,
daß er diesen Betrag aufzubringen niemals in der Lage sein
wird. Es ist hier also in der empörendsten Art und Weise
geradezu eine falsche Berechnung zur Abschreckung der kleinen
Landwirte veröffentlicht und verbreitet worden. Es erübrigt
sich dabei, darauf hinzuweisen, daß außerdem die Annahme
von 50 Jahren hier nicht am Platze ist. Der Abg. Weiser hätte
ebensogut auch sagen können, daß man in 100 Jahren
eine Mill. Kè auf den Tisch der Sozialversicherung bei
5 Arbeitskräften zu zahlen hat. Die Tendenz solcher Ausführungen
ist offensichtlich und klar. Man will den breiten Massen der Beiträge
leistenden Landwirte einen solchen Schrecken
einjagen, daß sie mit allen nur erdenklichen Mitteln gegen
die Sozialversicherung auftreten.
Genau dieselbe Tendenz ist ja auch bei der
Ausscheidung der jugendlichen Arbeiter und Lehrlinge unter 16
Jahren aus der Sozialversicherung zu verzeichnen. Die Industrie
hat niemals gegen die Beibehaltung der jugendlichen Arbeiter und
Lehrlinge Einspruch erhoben und erst in den letzten Tagen vor
Abschluß der Verhandlungen im sozialpolitischen Ausschuß
wurden diesbezügliche Wünsche laut. Die Gewerbepartei
hat allerdings seit längerer Zeit für die Ausscheidung
der jugendlichen Arbeiter und Lehrlinge unter 16 Jahren aus der
Sozialversicherung Propaganda gemacht. Mit welchen Mitteln, ist
bekannt. Sie ähneln denjenigen, die ich vom Abg. Weiser
heute mitteilen konnte. Daß die Ausscheidung der jugendlichen
Arbeiter und Lehrlinge für diese eine große Gefahr
bedeutet, ist jedem Eingeweihten offenbar. Alle Jugendorganisationen,
sowohl die nationalsozialistischen als auch die bürgerlichen,
und die marxistischen Jugendverbände haben gegen die Ausscheidung
der Jugendlichen aus der Sozialversicherung Einspruch erhoben.
Sie haben in einer Denkschrift darauf hingewiesen, daß in
vielen gewerblichen Betrieben der Maschinenbetrieb längst
eingeführt ist und daß die Unfallsgefahr auch durch
das Krankheitsrisiko für die jugendlichen Arbeiter und Lehrlinge
ein außerordentlich großes sei, ja, daß es größer
sei, als das der erwachsenen Arbeiter. Die Lehrlinge und jugendlichen
Arbeiter würden daher auch einen größeren Anspruch
auf Schutz haben. Statt dessen werden sie aus der Sozialversicherung
vollständig ausgeschieden und gehen damit der Heilfürsorge,
die manchen jugendlichen Arbeiter und Lehrling vor einem vorzeitigen
Siechtum und den Folgen von Betriebsunfällen und Berufskrankheiten
schützen konnte, verlustig. Auch auf diesem Gebiete bedeutet
also die Novellierung eine schwere Verschlechterung des bisherigen
Zustandes und muß auf die Abwehr aller sozial einsichtigen
Kreisen stoßen.
Einer der wichtigsten Teile der Sozialversicherung
ist der finanzielle Teil. Zunächst handelte es sieh hier
um die grundsätzliche Einstellung zum sogenannten Kapitalsdeckungssystem.
Wir haben von allem Anfang an schwere Bedenken gegen die ungeheuere
Ansammlung gewaltiger Geldbeträge erhoben, die nach dem heutigen
Beitragssystem bei der Zentralsozialversicherungsanstalt aufgehäuft
werden sollen. Nach den ursprünglichen Berechnungen soll
die Zentralsozialversicherungsanstalt nach 20 Jahren ein Vermögen
von mehr als 10 Milliarden angesammelt haben. Diese Gesamtsumme
wird auch nach der Novellierung keine Änderung erfahren.
Neben diesen gewaltigen Beträgen werden vielleicht ebenso
große Mittel in der Angestellten- und Unfallversicherung
und in anderen sozialen Anstalten angesammelt werden. Man kann
annehmen, daß der gesamte Vermögensstand der sozialen
Versicherungsanstalten nach 20 Jahren auf mindestens 20 Milliarden,
also das Doppelte eines gegenwärtigen Staatshaushaltes, eingeschätzt
werden muß. Damit wird diese Anstalt zum größten
Geldinstitut der Republik und es ist natürlich von der allergrößten
Bedeutung, wie die Rückführung dieser gewaltigen Beträge
in die Wirtschaft erfolgt und unter welchen Bedingungen und zu
welcher Verzinsung diese Beträge angelegt werden. Die Regierungsparteien
haben geglaubt, durch eine möglichst hohe Verzinsung die
Lasten der Versicherten mindern zu können. Sie haben in ihrem
Gesetzestext eine dauernde 4 1/2%ige
Verzinsung festgelegt. Es ist für die Geldwirtschaft einerseits
und für die Sozialversicherung andererseits keineswegs gleichgültig,
welcher Verzinsungssatz in Anrechnung kommt. Bei der starren Beibehaltung
eines 4 1/2%igen
Zinsfußes wird gewiß eine höhere Rentabilität
gewährleistet, aber es ist die Frage, welchen Preis die gesamte
Wirtschaft für die höhere Verzinsung bezahlen wird und
ob sich dieser Zinsfuß auch dauernd aufrecht erhalten läßt.
Die gewaltigen Mittel der Sozialversicherungsanstalt werden in
der nächsten Zukunft, aber noch mehr in späteren Jahren
einen immer größeren Einfluß auf den Zinsfuß
in der gesamten Wirtschaft dieses Landes ausüben. Ist von
der Majorität genügend erwogen worden, was es für
die anleiheversorgten Gemeinden, Bezirke und andere Institutionen
bedeuten würde, wenn sie eine höhere Verzinsung leisten
müßten, als dies möglicherweise in einigen Jahren
beim Privatkredit der Fall ist? (Posl. Geyer: Der Herr Finanzminister
hat im vorigen Jahr gesagt, daß der Zinsfuß der Angelpunkt
der ganzen Wirtschaft sei!) Jawohl.
Ist andererseits auch Bedacht darauf genommen
worden, welch hemmende Wirkung auf die Senkung des Zinsfußes
das starre Festhalten eines der größten Geldinstitute
an dem festen Zinsfuß für die Preisbildung und für
die Wirtschaft überhaupt bedeutet? Bedenken Sie, daß
gerade diese Tatsache für die Konkurrenz dieses Staates im
Auslande, für die Weltwirtschaft von größter Bedeutung
ist. In der Vorkriegszeit hatte die Bank von England einen 2%igen
Zinsfuß und wir wissen doch gut, daß sich in ganz
kurzer Zeit diese Verhältnisse wieder einstellen werden.
Wenn wir in unserem größten Institut 4 1/2%
Zinsfuß haben, so muß das die Konkurrenzunfähigkeit
unserer Wirtschaft auf dem Weltmarkte zur Folgen haben. Ist endlich
darauf Bedacht genommen worden, daß für den Fall, als
dieser feste Zinsfuß von 4 1/2%
sich doch nicht auf die Dauer aufrecht erhalten läßt,
ein gewaltiger Abgang der Rentenauszahlung entstehen muß?
Der Herr Minister Šrámek hat allerdings im
sozialpolitischen Ausschuß erklärt, daß solche
Abgänge eben aus den Staatskassen gedeckt werden müssen.
Wir bezweifeln, daß dies überhaupt bei der schweren
Steuerbelastung der Bevölkerung möglich sein wird. Aber
auch dann, wenn es möglich wäre, wäre es ein Spiel
mit dem Feuer. (Posl. Geyer: Siehe die Altpensionisten!) Ganz
richtig. Die Grundlagen der Sozialversicherung werden auf diese
Weise gefährdet.
Wir haben von allem Anfang an gegen das Kapitaldeckungssystem,
wie es in dieser Vorlage vorgesehen ist, Stellung genommen, weil
wir in der Ansammlung so ungeheuerer Vermögensbestände
eine wirtschaftliche und politische Gefahr für die Allgemeinheit
erkennen. Wir erklären aber auch ganz offen, daß in
der Überführung dieser Kapitalsmacht in die Hände
eines Instituts, in dem die Deutschen nicht die geringsten Rechte
auf Selbstverwaltung besitzen, eine schwere nationalpolitische
Gefahr erblickt werden muß. Wir haben daher gefordert, daß
diese gewaltigen Geldansammlungen erheblich herabgesetzt werden
und daß daher auch das sehr schwierige Problem einer richtigen
Vermögensanlage der Gelder der Sozialversicherung wenigstens
teilweise an Bedeutung verliert. Es wird nicht immer leicht sein,
solche gewaltige Gelder in geeigneter produktiver Art in Verwendung
zu bringen und dabei mit dem 4 1/2%igen
Zinsfuß stets zu rechnen. Vielleicht gelingt es noch in
den nächsten zwei bis drei Jahren, je länger aber diese
Kapitalsanhäufung dauern wird, desto schwieriger wird die
Unterbringung dieser gewaltigen Mittel zu dem unveränderlich
festgesetzten Zinsfuß sein. Schon aus diesen Gründen
haben wir das Umlagedeckungsverfahren, das als das weitaus billigere
und geringere Mittel anhäufende System in Frage kommt, in
Vorschlag gebracht. Wir haben von diesem System auch wesentlich
höhere Leistungen erwarten können als dies bei der teueren
Kapitalsdeckung der Fall ist. Das ist nicht nur deshalb wichtig,
weil die Rentner dann auch in der Tat höhere Leistungen zu
erwarten hätten, sondern auch deshalb, weil es wirtschaftlich
wichtiger ist, daß die in den nächsten 15 bis 20 Jahren
invalid werdenden Personen einen um 50 bis 60% höheren Rentensatz
genießen, als daß man sich schon heute ängstlich
an bestimmte Höchstbeträge klammert, die erst nach mehr
als 40 Jahren voll in Erscheinung treten und also von der lebenden
Generation gar nicht erreicht werden.
Bei der Frage der Kapitalsdeckung hat man auch
eine andere überaus wichtige Frage, nämlich die der
Wertbeständigkeit unbeachtet gelassen. Nirgends im ganzen
Gesetzestext hat man auch nur eine einzige Sicherung gegen die
Entwertung des Geldes festgestellt. Während sich die Aktionäre
der Nationalbank ihre Dividenden in Goldrenten durch das Gesetz
über die Notenbank sichern ließen, ist die Rente der
alten invalid gewordenen Arbeiter in keiner Weise gesichert. Es
ist nirgends im ganzen Gesetzestext auch nur der geringste Versuch
unternommen worden, eine Entwertung, wie sie der Währungsverfall
in einer Reihe von Staaten in der Nachkriegszeit heraufgeführt
hat, zu verhindern. Es ist in der Debatte um die Sozialversicherung
viel darüber gesprochen worden, ob diese oder jene Lohnklasse
erhöht oder erniedrigt werden soll, mehr oder weniger Leistungen
aufzuweisen hat. Das ist sicher wichtig und von großer Bedeutung
für die Rentner. Viel bedeutender aber ist es, daß
der Kaufwert der Rente ein dauernd gesicherter ist, damit die
Geldbeträge nicht eines schönen Tages ebenso entwertet
werden wie die Pensionen und die Altersversicherung der Staatsangestellten
eines Tages in der Nachkriegszeit finanziell verschlechtert worden
sind. Auch auf diesem Gebiete ist leider keinerlei Schutz für
die Massen der Sozialversicherten vorgesehen worden und unsere
Warnungen sind vergeblich geblieben. Statt dessen hat man in einer
Reihe von Gesetzesbestimmungen, in den §§ 80, 81, 180,
181, 259 a) den Einfluß des Finanzministeriums auf die Zentralsozialversicherungsanstalt
erweitert und damit dieses Geldinstitut unter die Kuratel der
jeweiligen Regierungskoalition gestellt.
Wir protestieren dagegen, daß ein Institut,
das zur Sicherung der Versorgung der Arbeiterschaft gegen Krankheit,
Alter und Invalidität geschaffen worden ist, zur bequemen
Finanzierung der unterschiedlichen Staatsgeschäfte verwendet
wird. Die Sozialversicherung ist für die Arbeiter und nicht
für den Finanzminister und seine Pläne geschaffen worden.
(Sehr richtig!)
Einer der umstrittensten Punkte ist auch die
verhältnismäßige Vertretung der Arbeitgeber und
der Arbeitnehmer in den Krankenkassen gewesen. Wir haben seit
jeher den Standpunkt vertreten, daß die Krankenkassen Institute
der Arbeiter sind und daß sie auch von diesen im Sinne der
Selbstverwaltung verwaltet werden sollen. Bis zur Novellierung
dieses Gesetzes bestand das Verhältnis, daß im Verwaltungsausschuß
8 Arbeitnehmer und 2 Arbeitgeber Sitz und Stimme hatten, während
dies im Aufsichtsrat im umgekehrten Verhältnis der Fall war.
Die Regierungsparteien forderten ursprünglich die Parität,
das heißt ein Verhältnis von 5 Arbeitnehmern zu 5 Arbeitgebern
in beiden Ausschüssen. Dieser Antrag ist im Laufe der Verhandlungen
gefallen und an seine Stelle ein Kompromiß getreten, demzufolge
im Verwaltungsausschuß 9 Arbeitnehmer- und 3 Arbeitgeber
Vertreter und im Aufsichtsrat im umgekehrten Verhältnis einander
gegenüberstehen. Dadurch aber, daß man insbesondere
das Recht, über die Ernennungen und Entlassungen von Beamten
zu entscheiden, der gemeinsamen Sitzung des Vorstandes und des
Überwachungsausschusses vorbehalten hat, wurde in der Tat
die Parität hergestellt. In den gemeinsamen Sitzungen stehen
in Zukunft 12 Arbeitnehmer 12 Arbeitgebern gegenüber. Wir
sind Gegner dieser Parität, weil wir auf dem Standpunkt stehen,
daß die Arbeitervertreter das Recht besitzen, ihre Institute
selbst zu verwalten. Was würden die Regierungsparteien sagen,
wenn in einer neuen politischen Konstellation, die doch über
kurz oder lang kommen wird, die sozialistischen Parteien verlangen
würden, daß auch in den Gewerbekammern neben den Vertretern
des Handels und Gewerbes auch die Arbeiter die Hälfte der
Verwaltungsratposten fordern, was würden sie sagen, wenn
sie in den Geldinstituten, soweit sie irgendwie öffentlichen
Charakter tragen, wie Sparkassen, Landeshypothekenbanken und andere
Geldinstitute, ebenfalls die Hälfte aller Verwaltungsposten
fordern würden? Was würden insbesondere die Herren vom
Bund der Landwirte dazu sagen, wenn die landwirtschaftlichen Arbeiter
nicht nur die Forderung nach einer paritätischen Vertretung
in den Landeskulturräten aufstellen, sondern auch durchsetzen
würden? Es würde sicherlich in allen diesen Fällen
mit Empörung die Anmaßung der Arbeiter zurückgewiesen
werden. Und doch könnte man mit ruhigem Gewissen behaupten,
daß diese Forderungen mindestens ebenso große, wenn
nicht größere Berechtigung hätten, als die paritätische
Vertretung in den Krankenkassen. Wenn die Regierungsparteien die
Forderung nach einer größeren Vertretung der Unternehmerkreise
in den Krankenversicherungsanstalten damit begründet haben,
daß die sogenannte Mißwirtschaft in den Krankenkassen
endgültig durch den Einfluß der Unternehmervertreter
beseitigt werden müsse, so verweisen wir darauf, daß
in der ausführlichen Wechselrede im sozialpolitischen Ausschuß
ausdrücklich nachgewiesen wurde, daß in der Tat eine
Mißwirtschaft nirgends besteht und die Krankenversicherungsanstalten
im allgemeinen gut verwaltete Körperschaften sind. Längst
wäre aber auch der Schein gewisser Mißstände und
parteipolitischer Ausnützung der Krankenkassen verschwunden,
wenn sich die Regierung schon früher dazu entschlossen hätte,
die Wahlen in die Krankenkassen auszuschreiben. Wir Nationalsozialisten
haben wiederholt die Ausschreibung der Wahlen in die Krankenkassen
gefordert, schon in der Legislaturperiode 1920 bis 1925, aber
auch in der darauf folgenden Zeit ist diese Forderung von uns
immer wieder erhoben worden. In den Jahren 1924 und 1926, also
knapp vor und nach der Beschlußfassung über das Sozialversicherungsgesetz
haben wir eine diesbezügliche Interpellation eingebracht
und Minister Schießl hat im Jahre 1924 auf die Interpellation
geantwortet, daß sofort nach Beschlußfassung des Abgeordnetenhauses
über das Sozialversicherungsgesetz die Wahlen in die Krankenkassen
ausgeschrieben würden. Im Herbst 1924, also wenige Monate
nach der Antwort, wurde das Gesetz beschlossen, aber trotz neuerlicher
Interpellation und neuerlichen Drängens konnte die Ausschreibung
der Wahlen in die Krankenkassen nicht durchgesetzt werden. Wir
haben tatsächlich seit 15 Jahren in den Krankenkassen keine
Wahlen gehabt, ein Zustand, der nicht nur unbegreiflich, undemokratisch,
sondern geradezu unerhört ist in einem Staate der sogenannten
Demokratie. Es ist kein Wunder, wenn die Arbeiter, die keine Gelegenheit
haben, ihre Ansicht über die Verwaltung der Kassen mit dem
Stimmzettel in der Hand zum Ausdruck zu bringen, mißtrauisch
und allem Einfluß sozialreaktionärer Kreise zugänglich
geworden sind. Wir hoffen, daß die Regierung jetzt, nachdem
auch die letzte Ausrede in dieser Hinsicht gefallen ist, endgültig
mit den Wahlen in die Krankenkassen vorgehen wird und damit die
Sicherheit für eine saubere und den Wünschen der Arbeiterschaft
entsprechende Verwaltung erfolgt. (Pøedsednictví
pøevzal místopøedseda Horák.)
Wenn wir heute abschließend das Ergebnis
des Kampfes um die Sozialversicherung zusammenfassen wollen, dann
muß festgestellt werden: In einigen Teilen ist zweifellos
eine Verbesserung des Gesetzes erreicht worden. Daß die
Opposition das Verdienst dafür für sich in Anspruch
nimmt, ist selbstverständlich. Die Witwenrenten konnten,
wenn auch nur unbedeutend, erhöht werden, die Beiträge
der Versicherten sind um ein Geringfügiges erniedrigt worden,
was wir nicht gerade als den größten Erfolg betrachten.
Die Herabsetzung der Karenz von 3 auf 2 Tage konnte durchgesetzt
werden, die Wartezeit im Falle der Invalidität wurde von
150 auf 100 Wochen herabgesetzt. Was steht aber diesen geringfügigen
Verbesserungen, die kaum nennenswert sind, an Verschlechterungen
gegenüber? Der Kreis der Versicherten wurde verringert, tausende
landwirtschaftliche und Saisonarbeiter, Kinder der Arbeitgeber
und jugendliche Arbeiter werden dauernd der Wohltat der Versicherung
beraubt. Die Selbstverwaltung der Sozialversicherungsinstitute
ist arg beschnitten und die Aufsichtsrechte der staatlichen Behörden
und Ministerien, besonders des Finanzministeriums neuerdings erweitert.
Die Krankenkassenverbände sind unter das Damoklesschwert
der dauernden Drohung der Auflösung gestellt und so ist auch
der letzte Rest eines Ansatzes einer nationalen Selbstverwaltung
der sozialen Gesetzgebung vernichtet. Die Rechte der Arbeiter
in der Verwaltung der Krankenkasse sind bedeutend eingeschränkt.
Gewiß, wären die Absichten der Koalition ohne Widerstand
durchgesetzt worden, so wäre es der Opposition nicht gelungen,
doch einige Verbesserungen zu erreichen. Die Vorlage wäre
viel schlimmer für die Arbeiter und für die Idee der
Versicherung überhaupt ausgefallen. Wir deutschen Nationalsozialisten
haben unter Parlamentsdruck 1418 einen eigenen Initiativantrag
auf Novellierung der Sozialversicherung eingebracht. Wir bekennen
uns zu diesem Initiativantrag und halten ihn voll aufrecht, als
Programm für die nächste Zeit und als Weg, auf dem wir
weitergehen wollen. Es ist nicht gelungen, den dort niedergelegten
Grundsätzen Geltung zu verschaffen, die Mehrheit hat vielmehr
eine Novelle beschlossen, die in wesentlichen Punkten eine Verschlechterung
des Gesetzes bedeutet.
Aus diesen Gründen sind wir nicht in der
Lage, für den vorliegenden Gesetzesantrag zu stimmen. Wir
werden aber weiterkämpfen und arbeiten, daß aus der
Sozialversicherung, die heute eine unzulängliche und für
die Arbeiterschaft durchaus nicht brauchbare Form der Sorge für
die Zukunft ist, endlich auch ein Werk wird, bei dem die Arbeiter
nicht nur wenigstens einigermaßen in der Sorge für
die wirtschaftliche Zukunft erleichtert werden, sondern in dem
sie sich auch fühlen können nicht als Objekt, sondern
als Subjekt der Gesetzgebung, als eine sich selbst verwaltende
Institution. Das wollen wir in Zukunft tun und darauf soll unsere
zukünftige Arbeit gerichtet sein! (Potlesk poslancù
nìm. strany nár. socialistické.)