Hohes Haus! Die gesamte ökonomische Entwicklung in der èechoslovakischen
Republik führt zum Untergange des Kleinbetriebes. Das ganze
indirekte Steuersystem, von der Umsatzsteuer angefangen bis zur
Zuckersteuer, die Luxussteuer, überhaupt alle indirekten
Steuern, schalten systematisch den Handwerksbetrieb aus dem schweren
Konkurrenzkampfe aus. Wir verwiesen wiederholt an anderer Stelle,
daß durch dieses indirekte Steuersystem der Gewerbestand
von seinen Produktionsmitteln getrennt wird, und dieser so zum
besitzlosen Lohngewerbler wird. Hand in Hand mit dieser Monopolisierung
der Produktionsmittel geht die Verdrängung der durch die
indirekten Steuern ohnmächtigen Kleinbetriebe durch kolossale
Großbetriebe, geht die Entwicklung des Werkzeuges zur Maschine,
geht das Wachstum der kapitalistisch eingestellten Produktivität
auf Kosten der gewerblichen Arbeit.
Wenn wir die Mitteilungen des statistischen
Amtes verfolgen, so finden wir, wie bedeutend die Zunahme der
Unsicherheit der gegewerblichen Existenzen, des Elends, des Drucks,
der Knechtung, der Erniedrigung, der Ausbeutung sich kennzeichnet.
Das rühmlichst bekannteste System des Thomas Baa
in der Èechoslovakischen Republik ist ein schlagendes Beispiel.
Dieses System hat 60.000 Schuhmacher in der Èechoslovakei
zur völligen wirtschaftlichen Ohnmacht verurteilt. Die Regierung
tat bisher nichts! Die Zuckerbarone
und der Direktor der Živnostenská banka, Herr Direktor
Preiss, haben auch den Zuckerbäckern ebenso keine Rosen gebracht.
Wir finden, daß auch dieses Gewerbe infolge der Zuckersteuer,
der Luxussteuer und wegen der hohen Zuckerpreise dem völligen
Ruin preisgegeben ist. Das handwerksmäßige Kleingewerbe
der Zuckerbäcker, der Schokolademacher, der Lebzeltner, welches
noch vor wenigen Jahren blühte, ist zahlenmäßig
in einem steten Rückgang begriffen. Eine ganz interessante
Feststellung können wir auch beim Schirmmachergewerbe feststellen.
Der Schirmmacher ist heute aus dem Erwerbsleben ausgeschaltet,
er ist nur noch der Diener der Industrie und betätigt sich
als kleiner Händler.
Das Gewerbe der Handschuhmacher ist heute nur
vorwiegend ein Verlagsgewerbe. Der kleine Gewerbsmann als selbständiger
Handschuhmacher ist heute undenkbar. Nach meinen Erkundigungen
mußte ich auch feststellen, daß der kleine Tischler
immer größere und größere Schwierigkeiten
hat. Die Gründung der großen Möbelmagazine in
den Städten zwingen ihn, seine Existenz, Schritt für
Schritt, aufzugeben. Die Bauschlosserei steht durchaus nicht in
einer blühenden Konjunktur. Als Konkurrenz tritt der Fabrikant
im Produktionsgebiete auf. Und so wird der Schlosser in seinen
Verdienstmöglichkeiten wesentlich eingeengt.
Die Betriebsform im Huf- und Wagenschmiedegewerbe
ist heute noch sehr häufig das Handwerk, doch das Produktionsgebiet
ist durch die Entwicklung der Kraftwagenindustrie wesentlich eingeengt
worden. Außerdem empfindet der Wagenschmied auch heute die
schwere Konkurrenz der kapitalistisch eingestellten fabriksmäßigen
Betriebe. Nun fragen wir, wie geht es dem Bindergewerbe? Brauereien,
Spiritus- und Essigfabriken, die großen Weinhandlungen erzeugen
ihre Gebinde zum großen Teil selbst. Und das einst so blühende
Bindergewerbe ist ebenfalls zurückgegangen. Und wie geht
es dann dem Schneidermeister? Die fabriksmäßige Kleidererzeugung
unter Anwendung von Kapital, Anwendung von Maschinen hat den selbständigen
Schneider von seiner Arbeitsstätte verdrängt. Das Handwerk
der Weißgerber ist von der Fabrik und der Technik in große
Gefahr gebracht worden. Die Entwicklung in der Weberei ist uns
bekannt. Die Großindustrie hat auf der ganzen Linie gesiegz
und manchem Weber geht es wohl schlechter, als dem schlechtest
bezahlten Arbeiter. So könnten wir auf Grund des Niederganges
im Gewerbeleben noch so manchen Beruf nennen, und den Beweis des
gewerblichen Zusammenbruches erbringen. Mit einem Worte, im Gewerbe
geht es zurück. Immer größer wird so die Zahl
der schlecht gestellten Lohngewerbler, immer massenhafter die
Armee jener Gewerbetreibenden, die oft weniger Verdienst haben,
als schlecht bezahlte Fabriksarbeiter, immer schroffer der Gegensatz
zwischen den besitzenden Gewerbetreibenden und Besitzlosen. Seit
Monaten hält der sozialpolitische Ausschuß und die
Prager National-Versammlung die Öffentlichkeit in voller
Spannung, was denn nun mit der Sozialversicherung weiter geschehen
werde.
Ich vertrete den Standpunkt, daß der
Handwerker an der Sozialpolitik selbst stark interessiert ist.
Der Handwerker selbst ist nicht nur Unternehmer, sondern auch
gleichzeitig Fachmann; er hat die Stufen Lehrling und Geselle
selbst durchlaufen. Daher ist sein Verhältnis zu Lehrlingen
und Gesellen ein anderes, wie das des Industrieunternehmers zu
seinen Arbeitnehmern. Eine Scheidung nach Klassen und Standespolitik
widerspricht dem Handwerk. So stehen auch wir auf dem Standpunkt,
daß hier ein sozialer Ausgleich zu schaffen sei, und daß
eine Brücke geschlagen werden muß, zwischen Arbeitgeber
und Arbeitnehmer. Dort, wo heute noch, wie in vergangenen Jahrhunderten
Geselle und Lehrling im Hause des Meisters Kost und Wohnung haben,
wie dies bei so verschiedenen Gewerben heute noch der Fall ist,
ist die Verbindung zwischen Unternehmer und Arbeiter, zwischen
Meister und Gesellen eine noch engere. Geselle und Lehrling gehören
zum Familienstand des deutschen Handwerkes. Dieses enge Verbundensein
zwischen dem Arbeitgeber und dem Arbeiter kann gewiß viel
zur Milderung der sozialen Gegensätze beitragen. Aus diesem
Grunde haben wir auch die Frage der Sozialversicherung für
den Selbständigen und für den Arbeiter wesentlich anders
zu beurteilen. Weiterhin kommt noch hinzu, daß das Handwerk
nicht bloß die Brücke zwischen Arbeitgeber und Arbeiter
bedeutet, sondern auch für den Gesellen einen Weg öffnen
kann, sich selber später einmal selbständig zu machen.
Während der Industriearbeiter nicht hoffen kann, einmal Fabriksherr
zu werden, ist die Möglichkeit, einmal selbständiger
Handwerker zu werden, bei den Gesellen des Handwerkes unter Voraussetzung
günstiger Erwerbsverhältnisse immer noch geboten.
Diese Mittelstellung des Handwerkes macht es
zu einem nicht zu unterschätzenden sozialen Faktor. Aus diesem
Grunde und in dieser Ansicht haben wir deutschen Nationalsozialisten
stets den Standpunkt vertreten, daß die "Kluft"
zwischen Gewerbegesellen und Gewerbemeister, mithin die Geschlossenheit
des deutschen Gewerbestandes, nicht zersetzt und zerklüftet
werden darf. Die große Mehrheit der Gewerbetreibenden hat
noch ganz offen sich für die obligatorische Altersversicherung
ausgesprochen. Ich erinnere nur an die Stellungnahme bekannter
gewerblicher Abgeordneter. Ich nenne hier u. a. den verstorbenen
Abgeordneten Lohgerber Vinzenz Kraus. Nicht nur hier im
Hause, sondern in vielen Zeitungsartikeln trat der verstorbene
Koll. Abg. Vinzenz Kraus für die Versicherung der
Selbständigen ein. Vor mir liegt das stenographische Protokoll
der 288. Sitzung vom 18. September 1924 der Prager Nationalversammlung.
In diesem Protokoll ist auch die Stellungnahme des Führers
der deutschen Gewerbepartei des Koll. Abg. Stenzl niedergelegt.
Damals sagte Koll. Abg. Stenzl, daß die Sozialversicherung
ein bedeutungsvoller Gesetzentwurf sei, der in sozialer Beziehung
für die breitesten Schichten des deutschen Volkes von großer
Bedeutung und eminenter Wichtigkeit ist. Herr Abg. Stenzl erklärte,
die deutsche Gewerbepartei, als deren Vertreter er zu der Vorlage
über die Einführung der Alters- und Invaliditätsversicherung
spreche, begrüße ein derartiges Gesetz, nachdem die
ihr angeschlossenen Mitglieder arbeitende und erwerbende Menschen
sind, und diesen notwendigen sozialen Maßnahmen das vollständige
Verständnis entgegengebracht werden muß. Damals führte
Abg. Stenzl aus, daß der deutsche Gewerbestand seine
vollste Zustimmung diesem Gesetze nur dann geben kann, wenn an
dem Junktim, welches zwischen der Versicherung der unselbständig
Erwerbstätigen und der selbständig Erwerbstätigen
keine Änderung geschieht, wornach beide Versicherungen gleichzeitig
in Kraft zu treten haben. Also auch damals setzte sich der Führer
der deutschen Gewerbepartei Abg. Stenzl für den Ausbau
der Sozialversicherung der Selbständigen ein. Heute, wo in
allen Lagern und Berufen des gewerblichen Lebens der völlige
wirtschaftliche Zusammenbruch vor sich geht, ist auf einmal alles
still geworden. Wir können doch durchaus nicht behaupten,
daß die Lage für den deutschen Gewerbestand eine bessere
geworden ist. Wir stellen heute auf Grund des Rechnungsabschlusses
die Beweise zur Verfügung, wie der Gewerbestand gegenüber
dem Bauernstand, pünktlich und präzis durch den Steuerexekutor
gezwungen wurde, die schwersten Steuern zu entrichten. Das Lasttier
für die ganzen Steuern ist zweifellos der Gewerbestand. Ein
jeder vernünftig Denkende wird die Frage aufrollen: warum
darf denn nicht der Gewerbetreibende einst, wenn er alt, krank
und von der Arbeit zusammengebrochen ist, wenn er trotz schwerer
Arbeit besitzlos geblieben ist, eine Versicherung erhalten?
Wir deutschen Nationalsozialisten sind stets
für die Arbeiter-Schutzgesetzgebung eingetreten. Wir erkennen,
daß Arbeiterschutz und Arbeiterversicherung, Kranken-, Unfall-,
Alters-, Invaliden-, Hinterbliebenen- und Angestellten-Versicherung
eine Forderung der Zeit sei. Wir rollen aber auch hier die Frage
auf, ob es richtig ist, daß man die Hunderttausende kleinen,
schwankenden gewerblichen Existenzen so übergeht und vergißt?
Ist vielleicht der Gewerbetreibende kein Arbeiter? Schafft er
vielleicht weniger im Kampfe des Daseins wie ein Arbeiter und
Angestellter? Wir deutschen Nationalsozialisten haben schon damals,
als Koll. Abg. Josef Patzel zur Sozialversicherung gesprochen
hat, grundsätzlich unseren Standpunkt zur Sozialversicherungsfrage
im Interesse der gewerblich Selbständigen erklärt. Wir
deutschen Nationalsozialisten kennzeichnen es als ein schweres
Unrecht, daß die gegenwärtige Regierung und ihre Hintermänner
eine so stiefmütterliche Haltung zum gesamten Gewerbestand
der Republik einnehmen. Ja, ich sehe heute schon im Geiste das
höhnische Gesicht und die abneigende Haltung gewisser klassenbewußter
kapitalistisch eingestellter Gewerbepolitiker, wenn wir diese
Forderung erheben!
Das alte Schlagwort, mit des Handwerks goldenem
Boden, gilt nicht mehr! Aus dem einstmals goldenen Boden ist ein
durchrosteter, blecherner Boden geworden. An Stelle des blühenden
Kaufmannsgewerbes sind die Konsumvereine und die Großwarenhäuser
"Gec" getreten. Den Kleingewerbler brachte die Fabrik
um.
Vom blühenden Gewerbe kann keine Rede
mehr sein! Das Schlagwort, der Gewerbetreibende möge sich
nur seine Sozialversicherung ersparen, ist schön gedacht.
Doch wie sieht die praktische Auswirkung aus. Von 100 Handwerkern
haben vielleicht 10 das Glück, auf die alten Tage einige
Spargroschen zu haben. Die anderen 90 schuften, bis sie
alt und grau geworden sind, und sinken als schwer schaffende Menschen
bettelarm in die Grube. Das ganze Wesen der èechoslovakischen
Republik ist nicht dazu angetan, um den wirtschaftlich Schwachen
zu schützen, dafür sprechen schlagende Beweise
und da spricht der Wahrheitsbeweis der bisherigen Entwicklung
in der èechoslovakischen Republik.
Es wird die Frage aufgerollt: woher soll denn
das Geld genommen werden, um den Gewerbestand für die Sozialversicherung
entsprechend zu sichern? Aus dem Voranschlag des Staatshaushaltes
1929 sehen wir, daß ein Viertel aller Ausgaben für
die Soldaten- und Offizierspielerei verwendet wird. (Posl.
inž. Jung: Und ein volles Zwölftel für die Schuldknechtschaft!)
Sehr richtig. Dies sind die Erscheinungen im
Zeichen der Abrüstung. Gewiß ist es leicht,
Kritik zu führen und den Weg der Finanzierung nicht zu kennzeichnen.
Die Èechoslovakei veranschlagt in ihrem Staatsvoranschlag
für 1929 die Ausgaben für die Landesverteidigung mit
1400 Mill. Kè. Hierzu kommt aber noch
der im Voranschlag nicht erscheinende Anteil am sogenannten
Rüstungsfond von 302 Mill. Kè. Der Aufwand für
die Erhaltung militärischer Bauten, die Zinsen für Anleihen
für Rüstungszwecke, die Fürsorge für invalide
Soldaten, erfordert Riesensummen.
Für den Gewerbestand soll es nicht
langen; und doch sehen wir, daß durch die Ausgaben in dieser
Art und die Ausgaben für den Rüstungsfond sich der Heeresaufwand
auf 2.250 Mill. Kè, das sind 23.5%
der Gesamtausgaben für das Jahr 1929 ergibt.
Mir wurde einmal von einem Regierungsparteiler
erklärt: "Der Militarismus als solcher sei ein notwendiges
Übel". Die Militärausgaben der Èechoslovakei
sind aber relativ höher, als die von Frankreich (13%) und
Italien (20%). Die èechoslovakischen Ausgaben für
Militär werden in Europa nur von Polen
mit 30% übertroffen. Auf je 6 Mann des Heeres entfällt
ein Gehaltsempfänger. Es gibt 111 Generäle. An Stabsoffizieren
zählt man 2353, an Stabshauptleuten 4164, an Rittmeistern
8816 und an Oberleutnants und Leutnants 3452. Das Flugwesen kostet
für 1929 über 60 Mill. Kè. Für die Spezialausrüstung
der Artillerie 1.8 Mill. Kè,
für Automobile 25 Mill. Kè, für Munition und
Sprengstoffe 76 Mill. Kè und für Handwaffen und Geschütze
29 Mill.
Waffenübungen und Manöver kosten
neben den Transportauslagen von 43 Mill. Kè immerhin
die Summe von 50 Mill. Kè und nahezu 21 Mill. Kè
werden für das Pferdewesen ausgegeben.
Das stehende Heer beträgt 110.000 Mann, dessen Erhaltung
235 Mill. Kè kostet. Daneben erhält die Èechoslovakei
noch die Gendarmerie und Staatspolizei mit 150 Mill. Kè.
Die "äußere" und die "innere" Sicherheit
kosten den èechoslovakischen Staat somit mehr als 2600
Mill. Kè.
Diese furchtbaren Lasten müssen aufgebracht
werden für die Offizier- und Soldatenspielerei, für
die sozialen Zwecke des Gewerbestandes ist dann kein Geld da.
Wir deutschen Nationalsozialisten verlangen
nach wie vor, daß nicht nur die Sozialversicherung der Arbeitnehmer
im besten Sinne ausgebaut wird, sondern auch die Sozialversicherung
der Selbständigen erstehen müsse.
Zu diesem Zwecke bringen wir einen Resolutionsantrag
ein. Die Begründungen zum Resolutionsantrag sind gewiß
nach jeder Richtung gegeben. (Souhlas a potlesk poslancù
nìm. strany nár. socialistické.)
V Tìsnopisecké zprávì o 162. schùzi
posl. snìmovny ze dne 19. záøí 1928
má první odstavec ve 2. sloupci na str. 13 zníti:
Dávám slovo prvému zapsanému øeèníku
na stranì "proti" jímž je
p. posl. dr Winter. (Potlesk poslancù èsl.
soc. dem. strany dìlnické.)