Hohes Haus! Im sozialpolitischen Ausschuß,
der sich Monate lang mit der Novelle zur Sozialversicherung beschäftigt
hat, waren die Mitglieder der deutschen Regierungsparteien still.
Selbst an den Tagen, wo eingehend und erregt über die wichtigsten
Teile der Novelle beraten wurde, konnte man kein Wort von den
deutschen Landbündlern und von den Christlichsozialen hören.
Sie schwiegen zu allen sachlichen Erläuterungen der Novelle,
sie blieben still, als ihnen vorgehalten wurde, daß der
Gesetzesantrag zur Sozialversicherung ein feindseliger und gehässiger
Vorstoß gegen die Arbeiterklasse sei, sie wehrten sich nicht
dagegen, wenn ihnen auseinandergesetzt wurde, daß sie alle
Erfahrungen auf dem Gebiete der Sozialpolitik mißachten
und sich bei Behandlung der Frage der Sozialversicherung nur von
ihrer antisozialen Einstellung, von ihrer feindseligen Gesinnung
gegen jede gesunde, weit ausgreifende Sozialpolitik leiten lassen.
Das Bild hat sich jetzt etwas gewandelt. Hier
im Plenum des Abgeordnetenhauses haben die Mitglieder der deutschen
Regierungsparteien ihre Stimme wieder gefunden. Jetzt sehen wir,
wie der Landbündler aus dem sozialpolitischen Ausschuß
auftritt und sich als ein Mitbeteiligter an den Verbesserungen
aufspielt, die an der ursprünglichen Novelle vorgenommen
wurden. Da kommt der Abg. Tichý für die deutsche
Gewerbepartei und sagt uns, er habe manches im sozialpolitischen
Unterausschuß und in den Beratungen dieses Ausschusses gelernt
und er sei von manchem Irrtum abgekommen, seitdem er diese Verhandlungen
mitgemacht habe.
Auch er nimmt für sich den Anteil an den
Verbesserungen, an den neuen Bestimmungen der Vorlage in Anspruch,
über die das Parlament nun entscheiden soll. Und erst recht
der dritte Vertreter der deutschbürgerlichen Regierungsparteien,
der christlichsoziale Abgeordnete Zajièek
will jetzt auf einmal der Öffentlichkeit
weismachen, daß die deutschen Christlichsozialen vom Anfang
an gegen die Pläne des Ministers Šrámek aufgetreten
seien und er meint, daß nicht die Opposition, nicht die
sozialistischen Arbeiter, nicht die Arbeiter in den Gewerkschaften
und politischen Organisationen die Verbesserungen herbeigeführt
hätten, sondern das sei das Verdienst vor allem der deutschen
Christlichsozialen. Es nimmt sich etwas eigenartig aus, daß
das ganze Jahr über länger als ein Jahr steht ja die
Frage der Sozialversicherung auf der Tagesordnung weder in der
christlichsozialen Presse, noch in den christlichsozialen Versammlungen
solche Töne zu hören waren. Mit Ausnahme der gewerkschaftlichen
Pressestimmen der christlichsozialen Arbeiter konnte man in der
Presse der deutschen Christlichsozialen niemals eine so feierliche
und bestimmte Betonung des Standpunktes hören, von dem gestern
Abg. Zajièek dem Hause
erzählte, daß er vom Anfang an das Denken - der christlichsozialen
Politiker beherrscht hätte. Aber der Herr Abg. Zajièek
ist bei der Betrachtung dieses Teiles der
Rede meines Kollegen Taub sehr vorsichtig gewesen. Er hat
vollständig übersehen, daß nach den ersten feindseligen
und gehässigen Presseäußerungen der Christlichsozialen
gegen die Forderungen der Arbeiterklasse auf dem Gebiete der Sozialversicherung
die christlichsozialen Arbeiter und insbesondere deren Organ die
"Christlichsoziale Textilarbeiterzeitung" in Zwittau
scharf gegen den Plan der Parität in den Krankenkassen Stellung
genommen haben, sowie dagegen, die Leistungen zu verkürzen,
die Verbände zu beseitigen und daß es erst, als die
christlichsozialen Arbeiter sich gegen die Pläne des Ministers
Šrámek wehrten, etwas ruhiger wurde in der
Betonung der gehässigen Gesinnung gegen die Arbeiter.
Ich werde ja noch darauf zu sprechen kommen,
wie die Ausführungen des Abg. Zajièek vom
gestrigen Tage zu bewerten sind. Lassen Sie mich zunächst
einmal einiges über die Geschichte dieser Gesetzesvorlage
sagen.
Es ist im Oktober des vorigen Jahres dem Abgeordnetenhaus
plötzlich eines Tages die Vorlage, im letzten Augenblick,
unterbreitet worden. Wenn man sich die damalige Vorlage zur Hand
nimmt und deren Bestimmungen überprüft, so kann man
nichts anderes, als das Urteil zu bestätigen, das damals
allgemein in der Arbeiterklasse ausgesprochen wurde: Die Vorlage
zur Sozialversicherung bildet einen herausfordernden Angriff gegen
die Arbeiterklasse. Sie sprach allen Erfahrungen, die man in der
Kranken-, Alters- und Invaliditätsversicherung in anderen
Ländern gemacht hat. Hohn, sie setzte sich über alle
bekannten Urteile über das Wesen der Sozialversicherung,
ihrer Aufgaben und ihrer Organisation hinweg und war einseitig
diktiert von dem Machtwillen der neuen bürgerlichen Koalition,
die in dem Augenblick zustande kam, als die deutschen Agrarier
ihre Zölle haben wollten und die Christlichsozialen die Erhöhung
der Kongrua für eine unbedingte Staatsnotwendigkeit hielten.
Es war ein einseitiges, brutales und rücksichtsloses Diktat,
das hier vorbereitet wurde, und man möge uns heute nicht
damit kommen, daß vom Anfang an bei einzelnen Koalitionsparteien,
so bei den deutschen Christlichsozialen, die Überzeugung
bestanden hätte, die Vorlage müsse einer gründlichen
Umgestaltung unterzogen werden. Die Vorgänge im sozialpolitischen
Ausschuß beweisen das Gegenteil. Es hat in wochenlangen
Beratungen im sozialpolitischen Unterausschuß nicht ein
einziges Merkmal gegeben, aus dem man hätte schließen
können, es sei der Koalition und auch den deutschen Mehrheitsparteien
wirklich daran gelegen, eine gute, brauchbare Novellierung der
Sozialversicherung vorzunehmen. Im Ausschuß selbst war erst
recht nichts davon zu spüren. Im März 1928 trat Minister
Šrámek im sozialpolitischen Ausschuß
mit einer Rede auf, in der er die Sozialversicherungsvorlage,
u. zw. die ursprüngliche Vorlage, verteidigte. Er sagte in
dieser Rede: Die Regierung steht ganz hinter dieser Vorlage, es
ist eine Ehrensache für sie, die Vorlage muß Gesetz
werden und die Regierung besteht darauf, daß bis zum 1.
Juli 1928 dieses Gesetz im Abgeordnetenhaus erledigt ist. Er hatte
damals die Anmaßung, zu sagen: Die Vorlage, die die Regierung
zur Sozialversicherung eingebracht hat, bedeutet die Rettung der
Idee der Sozialversicherung, und er spielte sich auf den Regierungsmann
auf, dem es darum zu tun sei, der Sozialversicherung wirklich
erst jene Form zu geben, die sie haben müsse, wenn nicht
die ganze Einrichtung in Mißkredit gebracht werden solle.
Monsignore Šrámek sprach damals im sozialpolitischen
Ausschuß so bestimmt, so entschieden und so herausfordernd
gegen die oppositionellen Parteien, daß er das nur in der
Überzeugung tun konnte, daß hinter ihm die Regierungskoalition
steht. Wenn es anders gewesen wäre, wenn damals schon dem
Minister Šrámek bekannt gewesen wäre,
daß eine Koalitionspartei, die deutschen Christlichsozialen,
unter gar keinen Umständen für eine solche Verschlechterung
der Sozialversicherung zu haben sein werde, dann hätte er
nicht in dieser herausfordernden Weise sprechen können. Wenn
schon damals Minister Šrámek nicht mehr so
ganz den Willen und die Überzeugung der Koalition wiedergegeben
hätte, dann wäre es notwendig gewesen, das festzustellen,
aber die Rede des Ministers Šrámek wurde damals
von den deutschen christlichsozialen Mitgliedern des Ausschusses
mit Jubel aufgenommen, man stimmte den festen und bestimmten Erklärungen
des Ministers Šrámek zu und wir wissen, daß
in den darauf folgenden Sitzungen wiederholt vom Referenten,
dem èechischen Agrarier Malík,
und vom Vorsitzenden des Ausschusses gesagt wurde: Die Vorlage
muß rasch zu Ende beraten werden, es sei dem Ausschuß
unmöglich zu warten, bis die Fachkommission der Zentralsozialversicherungsanstalt
mit ihrem Gutachten fertig sei, mann könne nur dann die Vorschläge
der Zentralsozialversicherungsanstalt berücksichtigen, wenn
sie rechtzeitig kommen, damit noch vor dem 1. Juli 1928 das Gesetz
im Hause erledigt werden kann. Das lautete nicht so, als ob man
gewillt gewesen wäre, sachlich an eine solche große
Arbeit zu gehen, sondern aus solchen Erklärungen mußte
man den Schluß ziehen, es sei der feste Wille der Koalition
- und er war es auch - die ursprüngliche Novelle durchzusetzen,
ihre gegenwärtige Macht im Parlamente, die allerdings nur
auf wenigen Stimmen beruht, brutal auszunützen, um ein Werk
zu verschandeln, das ihnen vom Anfang an in der Seele zuwider
gewesen ist. Ich habe schon früher einmal darauf verwiesen,
daß, als das Sozialversicherungsgesetz im Parlamente
beschlossen wurde, von den èechisch-bürgerlichen Politikern
einzelne erklärten, sie seien stolz darauf, ein so großes
sozialpolitisches Werk geschaffen zu haben. Mit dem Stolz muß
es nicht weit her gewesen sein, sonst ist es ganz unmöglich,
daß gleich nach dem Inkrafttreten des Sozialversicherungsgesetzes
auch in der Presse der èechischen bürgerlichen Parteien,
der ehemaligen Teilnehmer an der allnationalen Koalition, eine
wüste Hetze gegen die Sozialversicherung entstand. Die deutsch-bürgerlichen
Parteien, die Agrarier, die Gewerbetreibenden und auch die Christlichsozialen
haben ja nie eine besondere Liebe zur Sozialpolitik in diesem
Parlamente zutage treten lassen und es überraschte durchaus
nicht, als nach dem 1. Juli 1926 in der Presse der Deutschbürgerlichen
die Hetze gegen die Sozialversicherung in noch viel schlimmerem
Maße geführt wurde, als es in der èechischbürgerlichen
Presse geschah. Die Tat, die dann im Verlaufe dieser Hetze gesetzt
werden sollte, bildete die Novelle zur Sozialversicherung, die
Tat sollte gesetzt werden durch eine ausgiebige Verschandelung
und Verhunzung der Sozialversicherung.
Nun lassen Sie mich darauf zu sprechen kommen,
wie die wesentlichen Vorstöße aussahen, die man gegen
die Arbeiter in dieser Frage unternahm. Es ist von den beiden
Rednern der deutschen Koalitionsparteien gestern und vorgestern
wiederholt gesagt worden und zwar mit Recht, daß das im
Jahre 1926 inkraftgetretene Sozialversicherungsgesetz, das 1924
beschlossen wurde, auch nicht fehlerfrei gewesen ist, es habe
starke Mängel aufgewiesen und es gebe selbst unter den sozialistischen
Parteien niemanden, der das bestreiten könnte. Gewiß,
das Sozialversicherungsgesetz vom Jahre 1924 ist schon zu einer
Zeit zustandegekommen, als die bürgerlichen Klassen in der
Èechoslovakei an politischer Macht viel gewonnen hatten.
Hätten wir vielleicht in den Jahren 1920
und 1921 an die Lösung der Sozialversicherung herangehen
können, so wäre manches anders ausgefallen. Aber seit
dem Jahre 1920/21 haben sich für die Arbeiterschaft einige
nachteilige Ereignisse abgespielt. Die politische Macht der bürgerlichen
Klassen hat zugenommen. Die Arbeiterklasse stand im Jahre 1924
nicht mehr so geschlossen hinter den sozialpolitischen Forderungen,
die zur Sozialversicherung gestellt wurden, als das einige Jahre
früher der Fall gewesen wäre. Die bedauerliche Zerreißung
der sozialistischen Arbeiterbewegung, die Schwächung der
Kraft der gewerkschaftlichen und politischen Organisationen bildete
für das Auftreten der bürgerlichen Partei en schon in
der allnationalen Koalition eine Aktivpost. Sie konnten jeder
vernünftigen Anregung in der allnationalen Koalition
ganz andere Schwierigkeiten machen als das vorher noch möglich
gewesen ist. In dem Augenblicke, wo dann im Jahre 1925 sowohl
das èechische als auch das deutsche Bürgertum an Einfluß
im Parlament gewannen, eine ausgesprochen bürgerliche
Mehrheit aus den Wahlen hervorgegangen war, setzte man sich ohne
Zagen und Bedenken bei den èechischen bürgerlichen
Parteien darüber hinweg, was hinsichtlich der Sozialversicherung
mit den èechischen sozialistischen Parteien vereinbart
war. Es ist nicht meine Sache, darüber
viel zu reden, ich habe nur darauf hingewiesen, weil auch einer
der drei deutschen bürgerlichen Redner zur Sozialversicherung
diese Angelegenheit gestreift und gemeint hat, warum denn die
sozialistischen Parteien in der allnationalen Regierung nicht
gleich ein nach allen Richtungen fehlerfreies Gesetz zustandegebracht
haben, warum im alten Gesetz Bestimmungen enthalten sind, die
sich nachher als nicht einwandfrei erwiesen haben?
Demgegenüber muß darauf hingewiesen
werden, daß es sich dabei ausschließlich um
Bestimmungen handelt, die unter dem Druck der Unternehmerverbände
und der èechischen bürgerlichen Parteien hier in diesem
Hause zustande gekommen sind. Jetzt allerdings wird in der Regierungskoalition
nicht mehr darum gekämpft, inwieweit den
Arbeitern weiter entgegenzukommen, die sozialpolitischen Forderungen
der Arbeiterklasse in Gesetzen zu verankern seien, heute spielen
sich die Kämpfe innerhalb der Koalition um andere Dinge ab.
Die Politik der jetzigen Regierungskoalition geht darauf hinaus,
die besitzenden Klassen in der Steuerfrage zu entlasten und den
Besitzlosen, den breiten Massen der Arbeiter immer mehr Lasten
aufzuerlegen. Wenn sie in der Koalition untereinander uneinig
sind und streiten, dann geht gewöhnlich der Streit darum,
wie groß der Teil sein soll, den jede einzelne der bürgerlichen
Gruppen aus der Bedrückungspolitik gegenüber den arbeitenden
Klassen herausholen will. Wenn die Agrarier mit Hochschutzzollforderungen
gekommen sind, als man sich gegenseitig gefunden hatte, dann meldeten
sich die Christlichsozialen und forderten die Erhöhung der
Kongrua. Wenn bei der Steuerreform für die eine Gruppe der
besitzenden Klassen ein Nachlaß in Aussicht genommen war,
der für sie eine Erleichterung bedeutete, meldeten sich die
anderen, die natürlich auch ihren Anteil an diesen Begünstigungen
gegenüber der Arbeiterklasse haben wollten. Das ist heute
der Kampf, wie er sich in der Koalition abspielt. Sonst ist man
einig. Alle jetzigen Koalitionsparteien stehen, was die Stellung
zur Arbeiterklasse und zum gesamten Wirtschaftsleben betrifft,
auf dem gleichen Standpunkt. Sie sind ohne Unterschied privatkapitalistisch
eingestellt und ihr politisches Denken und Handeln richtet sich
ausschließlich gegen die Arbeiterklasse. Darin sind sie
einig.
Man will jetzt erzählen, daß in
der Koalition die Christlichsozialen gleich in den ersten Tagen,
als die ursprüngliche Novelle bekannt geworden war, aufmarschiert
wären, um gegen diesen verbrecherischen Versuch, die Sozialversicherung
zu verschlechtern, vorzugehen. Daran glauben wir nicht. Alles,
was man seither beobachten konnte, was wir seit Oktober 192 7
gesehen haben, beweist das Gegenteil und erst als der Aufschrei
der Massen der Arbeiter zu hören war, erst als die Arbeiterklasse
ohne Unterschied der Nation dieses Attentat auf alte Rechte brandmarkte,
als in gewaltigen Kundgebungen die Arbeiter erklärten, sie
ließen sich nie und nimmer eine solche Behandlung gefallen,
erst dann sah man sich gezwungen, sich mit den Einwänden
gegen die ursprüngliche Novelle zu beschäftigen und
sie zu überprüfen. Und wenn bei langen Beratungen Verbesserungen
herausgekommen sind, wenn das vor uns liegende Gesetz, die Vorlage,
die wir heute erledigen sollen, anders ausschaut, sozialpolitisch
besser aussieht als die erste Vorlage, dann ist das ausschließlich
das Verdienst des Kampfes der Arbeiterklasse gegen das ruchlose
Beginnen, im zehnten Jahre des Bestandes der Èechoslovakischen
Republik und im vierzigsten Jahre des Bestandes der Krankenversicherung,
eine Krankenversicherung zurecht zu bauen,
an der die Arbeiter kein Interesse mehr hätten haben können
und die nichts anderes bedeutet hätte als eine neue Domäne
für die Industriellen und für die Unternehmer, ihre
Macht den Arbeiter fühlen zu lassen, eine Krankenversicherung,
die nichts anderes bedeutet hätte, als daß die Agrarier
ihren sehnlichsten Wunsch, den sie geäußert haben,
erfüllt gesehen hätten, die Arbeiter auch in der Krankenversicherung
vollständig unter ihren Einfluß zu bringen. Es hat
der Herr Abg. Schubert gesagt, die Forderung nach landwirtschaftlichen
Krankenkassen sei eine berechtigte und es sei für die Landwirtschaft
eine Zurücksetzung, daß bisher nur so wenige landwirtschaftliche
Krankenkassen errichtet wurden; er meinte, das müsse noch
gut gemacht werden, er erblicke in der Vorlage überhaupt
nur eine Abschlagszahlung auf die Forderungen der Landwirtschaft
hinsichtlich der Sozialversicherung und der Krankenversicherung.
Wir sehen darin auch nichts anderes. Aber wenn der Herr Abg. Schubert
meint, daß es in späteren Tagen möglich sein
werde, die Sozialversicherung so zu verschlechtern, wie es ihnen
diesmal nicht gelungen ist, dann wird er sich irren. Im übrigen
ist das für alle eine Frage, die zu denken gibt. Herr Abg.
Schubert sagt uns hier, wie die Landwirte, die er vertritt,
wie die Großbauern über die Sozialversicherung denken.
Für ihn ist es ganz gleichgültig, wie die Arbeiter darüber
urteilen. Wollen denn die landwirtschaftlichen Arbeiter eine eigene
landwirtschaftliche Krankenkasse? Seit 1917 sind sie in
der Èechoslovakei gegen Krankheit pflichtversichert. In
den Jahren von 1919 angefangen bis zur Schaffung des Sozialversicherungsgesetzes
waren die landwirtschatflichen Arbeiter in den Bezirkskrankenversicherungsanstalten.
Nun, wir kommen doch einigermaßen mit
den Arbeitern in Berührung, auch mit den landwirtschaftlichen.
Aber es ist uns nicht bekannt, daß jemals unter der landwirtschaftlichen
Arbeiterschaft eine Rebellion dagegen ausgebrochen wäre,
daß sie mit den industriellen und gewerblichen Arbeitern
zusammen in der gleichen Organisation der Krankenversicherung
stehen. Im Gegenteil, wo die landwirtschaftlichen Arbeiter befragt
worden sind und unbeeinflußt sprechen konnten, was sie in
der Frage der Krankenversicherung wünschen, haben sie sich
überall dafür ausgesprochen, daß die landwirtschaftlich
en Arbeiter keine besonderen Krankenkassen brauchen, die aus mancherlei
Gründen nichts anderes sein könnten als Positionen der
Landbündler und der agrarischen Partei. Es ist gewiß
kein Beweis für die Notwendigkeit der Errichtung landwirtschaftlicher
Krankenkassen, daß immer nur die landwirtschaftlichen Arbeitgeber
danach rufen und nie die Arbeiter. Wir stehen heute noch wie immer
auf dem Standpunkte, daß die Krankenversicherung einheitlich
organisiert werden soll, daß die Arbeiter ohne Unterschied
in eine Krankenversicherung zusammengefaßt werden sollen,
ob sie nun landwirtschaftliche oder industrielle Arbeiter sind.
Und es hat nicht, wie der Abg. Schubert meinte, auf der
Genfer internationalen Arbeiterkonferenz Anhänger der selbständigen
landwirtschaftlichen Kassen gegeben, im Gegenteil, unter dem Widerspruch
der landwirtschaftlichen Unternehmer mußte das internationale
Arbeitsamt zwei Konventionen zur Krankenversicherung vorlegen.
Der Herr Abg. Schubert soll sich die beiden Konventionen
anschauen und er wird finden, daß die Konvention für
die Krankenversicherung der landwirtschaftlichen Arbeiter wörtlich
übereinstimmt mit der Konvention für die Krankenversicherung
der industriellen und gewerblichen Arbeiter. Und er wird weiter
finden, daß in den grundlegenden Fragen der Krankenversicherung
die internationale Arbeitskonferenz einen ganz anderen Standpunkt
eingenommen hat, als er hier vertreten wurde.
Wenn die Koalition hätten kommen wollen,
um die Mängel des bisherigen Gesetzes zu beseitigen, dann
hätte sie einen anderen Weg einschlagen müssen. Um ein
solches Werk zu schaffen, darf man vor allem nicht über jene
hinweggehen, die daran arbeiten. Daß wir dann im Verlauf
der Beratungen über die Novellierung der Sozialversicherung
ernste Gegenvorschläge tiefdurchdachter Art bekamen, daß
wir schließlich ein in allen Teilen durchgearbeitetes Elaborat
erhalten haben, das war nicht verursacht durch das Bestreben der
Koalition, die Fachleute kennen zu lernen, nein, der Ausschuß
der Zentralsozialversicherungsanstalt hat sich dagegen verwahren
müssen, daß die wichtigste Einrichtung der Sozialversicherung,
nämlich das Zentralinstitut, bei der Ausarbeitung einer derartigen
Gesetzesvorlage übergangen werde und die Fachkommission der
Zentralsozialversicherungsanstalt hat unaufgefordert, aus Sorge
um die Zukunft der Sozialversicherung, sich daran gemacht, diese
schwere, wirklich hochstehende Arbeit zu leisten. Und wie ist
sie anfänglich behandelt worden? Haben wir nicht wiederholt
hören müssen: Wir können nicht auf das warten,
was die Fachleute sagen, wir sind daran gebunden, daß das
Gesetz mit 1. Juli 1928 fertig ist, wir können uns nicht
darauf einlassen, die Beratungen und sachlichen Erwägungen
abzuwarten, die im Fachausschuß der Zentralsozialversicherungsanstalt
vor sich gehen. Ja, die jetzige Regierungskoalition macht es sich
bei derartigen Fragen nicht so schwer, sie ist bald fertig, beherrscht
von ihrer Gehässigkeit gegen die Arbeiter. Immer wieder muß
betont werden. So schleuderhaft, so leichtfertig und so
frivol und ist noch in keinem Parlament der Welt eine derartige
Vorlage von der Regierung und von den Regierungsparteien ausgearbeitet
worden. In jedem anderen Parlament würde man sich schämen,
so vorzugehen, würde man es als eine Beleidigung des gesunden
Menschenverstandes betrachten, wenn man einer Abgeordnetenversammlung
zumuten wollte, sie solle, weil die Koalition es so für gut
findet, einem derartigen Gesetzentwurf die Zustimmung geben. Ja,
sie wollten nicht einmal einen Buchstaben ändern lassen,
für sie war des alles wohl durchdacht und die deutschen Gewerbetreibenden,
Christlichsozialen und Landbündler waren einig darin, daß
ohne Gesetzwerdung der Novelle, wie sie damals vorlag, der Gewerbestand
nicht bestehen kann, die Landwirtschaft nicht bestehen kann, wozu
noch die Unternehmer erklärten, auch sie müßten
Wert darauf legen, daß die Novelle ohne weitgehende Änderung
angenommen werde.
Heute kommt die Mehrheit und sagt: Was wollt
Ihr? Wir haben euch ja ein ganz anderes Gesetz vorgelegt, die
heutige Vorlage enthält eine Reihe von Verbesserungen. Das
hat der Abg. Schubert getan, der Abg. Tichý,
damit hat geprungt der Abg. Zajièek.
In Wahrheit aber ist es nicht ihr Verdienst, man kann ruhig sagen,
es ist das Ergebnis eines harten, leidenschaftlichen Kampfes der
Arbeiterklasse für die Erhaltung der Sozialversicherung,
gegen die Bedrohung der Sozialversicherung, und es ist auch mit
das Werk jener Männer im Vorstande der Zentralsozialversicherungsanstalt,
die in stundenlangen Beratungen bei Tag und bei Nacht durch eine
neue Vorlage die bürgerlichen Parteien, soweit sie ernst
zu denken vermochten, von ihrer Absicht abgeschreckt haben, so
daß einzelnen von ihnen erst bewußt wurde, daß
das, was sie zu tun sich anschickten, eigentlich ein Schandwerk
sei, mit dem sie keinen Ruhm einheimsen werden.
Hohes Haus! Die Einstellung der Bürgerkoalition
zur Sozialpolitik ist überhaupt eine gehässige. Seit
dem Umsturz spielt die Sozialpolitik, die soziale Verwaltung in
allen Staaten eine gewaltige Rolle. Es gibt keinen Staat, mit
Ausnahme der Negerländer, in dem nicht auch die bürgerlichen
Parteien mitarbeiten würden, die soziale Gesetzgebung fortzuentwickeln.
In den großen Gesellschaften für die Förderung
der Sozialpolitik sitzen nicht nur Sozialdemokraten, sondern
auch Bürgerliche, überall merken wir, daß von
Jahr zu Jahr an der Verbesserung der sozialpolitischen Einrichtungen
gearbeitet wird. Es ist also durchaus keine Schande, wenn die
Èechoslovakei ein Gesetz aus dem Jahre 1924 verbessert,
welches an einigen Stellen verbesserungsbedürftig ist. In
Deutschland ist die Reichsversicherungsordnung seit ihrem Bestehen
schon sehr oft verbessert worden, seit 1918 ist eine ganze Reihe
von Verbesserungen vorgenommen worden und jetzt arbeitet man in
Deutschland abermals an einer Prüfung der Reichsversicherungsordnung
und wird sie weitgehend umändern. Aber wenn Sie die sozialpolitische
Arbeit der anderen Parlamente und anderen Regierungen betrachten,
merken Sie eines: überall schöpft man aus den Erfahrungen,
überall berücksichtigt man das, was man bei Anwendung
eines Gesetzes wahrgenommen hat, überall berücksichtigt
man die Arbeiterklasse in der Sozialpolitik. Mit einer solchen
Schroffheit aber wie bei uns geht kein Staat, ausgenommen vielleicht
am Balkan, gegen sozialpolitische Maßnahmen vor. Greifen
wir einen Punkt dieser Vorlage heraus: Wer ist berechtigt, in
der Krankenversicherung entscheidend zu bestimmen? Die Gewerbeparteiler
sagen: Wir zahlen 100% der Prämien, deshalb ertragen wir
die Versicherung der Lehrlinge gegen Alter und Invalidität
nicht, die Bauern, die Landbündler kommen damit, daß
die Landwirtschaft so belastet ist, daß sie die Kosten der
Alters- und Invaliditätsversicherung niederdrücken,
ihre Eintwicklung behindern. Ja, im Herbst des Jahres 1927 ist
sogar ein agrarisches Blatt, die "Scholle" in Braunau,
damit gekommen, daß sie erklärt, die Versicherungspflicht
braucht in der Landwirtschaft erst vom 30. Lebensjahre zu beginnen.
(Hört! Hört!) Solche verrückte Ideen und
Gedanken sind wahrhaftig in der agrarischen Presse erörtert
worden. Dann kommen sie bei der Forderung der Parität damit:
Ja, wir zahlen doch die Hälfte der Beiträge in der Krankenversicherung,
infolgedessen müssen wir einen entsprechenden Einfluß
haben, infolgedessen muß die Parität geschaffen werden.
Das ist eine Auffassung, der nicht nur wir nicht beitreten können,
sondern der selbst bürgerliche Sozialpolitiker und Nationalökonomen
nicht beitreten und nicht beigetreten sind. Es ist nicht richtig,
den Teil, den der Unternehmer für die Alters-, Invaliditäts-
und Krankenversicherung zahlt, als eine Leistung des Unternehmers
zu betrachten. Nach der Auffassung von Nationalökonomen und
bürgerlichen Sozialpolitikern älteren Datums hat der
Lohn des Arbeiters zu umfassen nicht nur die Erhaltungskosten
der Gesundheit, nicht nur die Lebenshaltungskosten, sondern vielmehr,
es soll ein Lebenslohn sein, der den Arbeitern zu geben ist. So
schreibt in einigen seiner Briefe Riccardo an einen anderen Nationalökonomen
vom Jahre 1811 bis 1823 an einer Stelle: "Die Arbeitslöhne
müßten und würden unter einem wirklich guten System
so hoch sein, daß sie nicht nur für den Arbeiter und
seine Familie ausreichten, wenn er volle Beschäftigung hat,
sondern sie müßten es ihm auch ermöglichen, Rücklagen
für außergewöhnliche Fälle zu machen! "
Und in derselben Zeit sagte der bürgerliche Nationalökonom
und Mitschöpfer der bürgerlichen Sozialpolitik Sismondi:
"Der Arbeitslohn ist nicht nur eine Entschädigung für
die Arbeit und deren Dauer nach Stunden berechnet, er ist das
Einkommen des Armen. Infolgedessen soll er nicht allein für
seinen Unterhalt während der Aktivität, sondern auch
während der Zeit, in der keine Arbeit geleistet wird, ausreichen.
Er soll für die Krankheit und das Alter ebenso vorsorgen,
wie für die Mannesjahre, für die Krankheit ebenso wie
für die Gesundheit, für die zur Erhaltung der Kräfte
notwendigen Ruhetage wie für die Arbeitstage." Was steckt
in dieser Erklärung des Arbeitslohnes? Der Lohn soll es dem
Arbeiter ermöglichen, nicht nur von der Hand in den Mund
zu leben, sondern er soll ihm sein Leben überhaupt möglich
machen. Der Lohn soll für die Erhaltung der Familie ausreichen.
Nun sehen wir uns doch einmal heute die Arbeitslöhne an.
Ist das, was Bürgerliche und Nationalökonomen vor mehr
als 100 Jahren bei der Bezahlung der Arbeitskräfte als notwendig
bezeichnet haben, irgendwo in der kapitalistischen Welt der Fall?
Familienmitglieder müssen mit in die Arbeit gehen, weil es
dem männlichen Arbeiter nicht möglich ist, seine Kinder
und seine Frau von seinem Verdienste zu erhalten. Sie werden aber
sagen: "Das sind alte Erkenntnisse, heute denken die bürgerlichen
Nationalökonomen ganz anders." Aber auch das stimmt
nicht. Dem christlichsozialen Abg. Zajièek sei
gleich gesagt, daß der Führer der christlichsozialen
gewerkschaftlich organisierten Arbeiter der gleichen Auffassung
ist, daß der Versicherungsbeitrag ein Teil des Arbeitslohnes
ist und daß die Unternehmer infolgedessen gar kein Recht
haben, zu verlangen, über die Verwendung der Versicherungsbeiträge
ausschließlich entscheiden zu können. Denn um das geht
es ihnen bei der Einführung der Parität. (Posl. Pohl:
Der Unternehmerbeitrag ist auch von den Arbeitern verdient!) Gewiß,
der Unternehmer zahlt keine Beiträge, wenn nicht vorher der
Arbeiter den dazu notwendigen Wert erarbeitet hat, der Versicherungsbeitrag
ist also ein Teil des Arbeitslohnes. Aber da sagt Friedrich List,
ein bürgerlicher Volkswirtschaftler und Sozialpolitiker Deutschlands,
daß die Sozialpolitik als eine Produktion von produktiv
en Kräften betrachtet werden muß, also nicht so beurteilt
werden darf, wie es die Unternehmerssekretäre so gern tun.
"Der Mensch ist ein gesellschaftliches Gut," erklärt
er, "jeder Verbraucher menschlicher Arbeitskraft haftet der
Gesellschaft für ihre Existenz, Erhaltung und Ersatz."
Was sagt das? Das sagt, daß der Unternehmer, der menschliche
Arbeitskraft verwendet, der Gesellschaft schuldig ist dafür
zu sorgen, daß diese Arbeitskräfte nicht zerstört
werden, dafür zu sorgen, daß sie erhalten werden, daß
sie ein Gut der Gesellschaft sind, und es ist durchaus die Pflicht
des Unternehmers, dafür einzutreten und dafür mitzusorgen,
daß, wenn die Löhne nicht ausreichen, alle diese Sicherstellungen
durch Gesetze ermöglicht werden, daß vorgesorgt wird,
daß die Arbeitskraft, wenn sie von Krankheit bedroht ist,
bald wieder hergestellt wird.