Dieser Mißtrauensantrag richtet sich naturgemäß
und ausdrücklich gegen eine Regierung gegen ein System, das
als solches wie jede Regierung in jedem Staate eine vorübergehende
Erscheinung ist, eine vorübergehende Verwalterin der staatlichen
Interessen darstellt. Nichtsdestoweniger hat die Koalition diesen
Mißtrauensantrag wiederum nicht als einen gegen sich, sondern
direkt gegen den Staat abgeschossenen Pfeil behandelt, denn anders
wäre es nicht denkbar, daß sie ihn mit ganzer Gewalt
und unter den formalsten Ausflüchten dem einzig berufenen
Form entzogen hätte, dem Staatsgerichtshof oder dem Ministergerichtshof.
Gerade das Gegenteil hätte eintreten sollen. Eine Regierung
und eine Koalition, die diesen Ministergerichtshof nicht zu scheuen
hätte und die sich insbesondere dessen bewußt gewesen
wäre, die Interessen des Gesamtstaates redlich und nützlich
verwaltet zu haben, die hätte eine solche Gelegenheit benützen
müssen, um durch ein unparteiisches Forum sich vor aller
Welt ihr richtiges Verhalten dem Staatsinteresse gegenüber
bestätigen zu lassen. Nun aber verhindert die Koalition die
Erörterung ihres Wertes oder Unwertes vor dem höchsten
kompetenten Forum, dem Ministergerichtshof. Sie zwingt die Sache
wiederum auf einen Weg, der von den ersten Parlamentskämpfen
des Jahres 1920 angefangen bis heute nicht nur in den Millionen
des deutschen Volkes, sondern in der ganzen Opposition das Gefühl
der tiefsten Verletzung, der tiefsten Empörung hervorgerufen
hat und der die Hauptschuld an dem Niedergang des hiesigen Parlamentarismus
trägt. Wir kommen auch in diesem Falle des Vertrauens oder
Mißtrauens nicht zum verfassungsmäßig einzig
kompetenten Forum des Gerichtshofes, wir kommen vielmehr zur brutalen
Abstimmungsentscheidung hier im Hause: To je vìtšina,
und damit ist die Sache absolviert.
Wie ganz anders ist die Stellung der Opposition. Die hat durch
die Stellung des Mißtrauensantrages geradezu ihr Vertrauen
zu der durch die Verfassung begründeten staatspolitischen
Institution dieses Staatsgerichtshofes ausgedrückt, während
die Koalition durch die von ihr beschlossene Behandlung des Mißtrauensantrages
nicht nur ihr schlechtes Gewissen verrät, sondern das Vertrauen
zu dieser Obersten Staatsgerichtsstelle selbst untergräbt.
Man operiert schon wieder mit dem Vorwurf der angeblichen Staatsfeindlichkeit:
wir haben das aus den gestrigen Reden gehört, wir werden
das heute noch mehr hören, denn es stehen uns ja noch die
Ausführungen des Herrn Dr. Kramáø bevor
und wir hören das aus der Regierungspresse in allen Tonarten,
die alten Melodien von der Loyalität und von der Illoyalität.
Aber wären wir tatsächlich staatsfeindlich in dem Sinne,
wie wir immer hingestellt werden, ich frage: hätten wir dann
ein System, das wir als schädlich erachten, vor einen innerpolitischen
Richterstuhl und vor den einzig kompetenten innerpolitischen Richterstuhl
fordern können?
Man wirft uns immer vor, daß wir ins Ausland gehen. Schön,
aber man nimmt uns jede Gelegenheit, im Inland mit unseren Beschwerden
hervorzutreten und sie einem legitimen Forum zu unterbreiten.
Wir haben es wieder versucht, vor dieses legitime Forum zu gehen,
indem wir einen Mißtrauensantrag eingebracht haben, und
wiederum ist dieser Versuch der deutschen Politiker, vor einem
inländischen Forum Gehör und Abhilfe zu finden, mißlungen,
oder genauer gesagt, zum Mißlingen gebracht worden. Dieses
Mißlingen geht aber schließlich auf Rechnung der Einstellung
der Gegenseite, auf Rechnung des schlechten Willens und jener
Illoyalität, die gegenüber allen Ansprüchen des
Sudetendeutschtums, auch den berechtigsten immer vorhanden ist
und die zu den immanenten Eigenschaften des herrschenden Systems
zu gehören scheint. Dabei fordert man aber vom Sudetendeutschtum
immer und immer wieder die Loyalität und stellenweise geht
man mit dieser Forderung bis zur Geschmacklosigkeit herunter.
Bringt aber das Sudetendeutschtum loyal gesetzlich e Mittel zur
Verbesserung seiner Lage in Anwendung, so sieht es sich immer
und immer wieder durch diese Illoyalität der Gegenseite,
hinter der sich nichts anderes verkörpert als unversöhnlicher
Machtwille, auf andere Wege gedrängt.
Der Geist dieser illoyalen Unversöhnlichkeit ist es auch,
der zu der Inkongruenz zwischen Innen- und Außenpolitik
führt, die jetzt geradezu schreiend in Erscheinung getreten
ist. Zur gleichen Zeit, wo man in der Weltpolitik sich an der
Schaffung eines Locarno beteiligte, wird in der Innenpolitik ein
zweites kleines Saint Germain geschaffen, das Saint Germain der
Sprachenverordnungen, und das im siebenten Jahre nach dem großen
Saint Germain und das in den Tagen, wo um den Eintritt Deutschlands
in den Völkerbund gerungen wird. Kann es einen größeren
Gegensatz geben, als den, den wir in den letzten Monaten hierzulande
erlebt haben? In Locarno und im Salon der Weltpolitik tritt Dr.
Beneš für eine systematische Pazifizierung der
einzelnen Staaten und Nationen ein. Er entwickelt einen geradezu
rührenden Übereifer in der Schaffung immer neuer Friedenskombinationen
und Befriedungsvorschläge. Er geht soweit, im heftigsten
Kugelregen der Propaganda von hüben und drüben selbst
Ungarn ein Locarno anzubieten. Und zur gleichen Zeit wird hier
im Inneren zu dem Sprachenoktroi vom Jahre 1920 ein zweites schlimmeres
Oktroi hinzugefügt, die Sprachenverordnungen. Denn, meine
Herren, das erste Sprachenoktroi vom Feber 1920 konnte ja immerhin
noch die unmittelbare Nachkriegsatmosphäre, die Nachkriegsmentalität,
um dieses schöne Wort wieder einmal zu zitieren, auf seiner
Habenseite verbuchen. Außerdem enthält ja dieses erste
Oktroi eine Reihe von Rahmenparagraphen über die Regelung
des Sprachenverkehrs bei den Verwaltungsbehörden, bei den
Gemeinden u. s. w., vor deren Ausfüllung man sich im Jahre
1920 gescheut hat. Selbst die nationalen Heißsporne des
Jahres 1920 haben damals vor der Ausfüllung dieser Rahmenparagraphen
durch einen bloß ernannten Revolutionskonvent zurückgescheut,
und heute ist es für uns eine sehr intessante Lektüre,
die damaligen Stimmen zum Sprachengesetz auf èechischer
Seite zu verfolgen, die Stimmen, wie sie niedergelegt sind in
den Verhandlungsschriften des Nationalkonvents und die Stimmen
der Zeitungen und die Stimmen, die auf den Prager Gassen und Plätzen
ertönten. Ich behaupte, daß es im Jahre 1920 mehr Hemmungen
gegeben hat, mehr reale Einsicht vorhanden war, als im Februar
1926. (Pøedsednictví se ujal pøedseda
Malypetr.)
Fiel einmal hier die für den Revolutionskonvent vielleicht
noch möglich gewesene Ausrede weg, daß sich die Deutschen
freiwillig von der legislativen Mitarbeit ausgeschlossen hätten,
so gilt das für das zweite Oktroi absolut nicht mehr, denn
das zweitemal lag eine ganz offiziele Zusage an die Deutschen
vor, daß die Sprachenverordnungen den Weg der Verhandlungen
passieren werden, bevor sie erlassen würden, und der Herr
Innenminister hat sich gestern abends sehr bemüht, diesen
heiklen Punkt durch eine langatmige Erklärung zu entkräften,
mit der er sehr we nig Glück gehabt hat und die in ihrer
Art die zweite Überraschung war, die er persönlich uns
bereitet hat. Meine Herren! Mit einem noch so langatmigen Dreh
schafft man solche Verstöße nicht aus der Welt und
es ist sehr bedenklich, wenn hochstehende offizielle Stellen zu
solchen Kunststückchen ihre Zuflucht nehmen müssen.
Was von der Regierung Tusar als Notwendigkeit versprochen
worden ist, in einer innerstaatlichen Angelegenheit, an der in
erster Reihe dreieinhalb Millionen des zweitstärksten Volkes
dieses Staates auf das Stärkste interessiert waren, das mußte
unter allen Bedingungen von den folgenden Regierungen diesen dreieinhalb
Millionen gegenüber eingehalten werden. Das verlangte vor
allem die politische Klugheit, und ich wäre dem Herrn Dr
Kramáø, der ja später zu Worte kommen
wird, sehr dankbar, wenn er bei seinen Erinnerungen an die alte
österreichische Zeit, die er uns heute im Anschluß
an die Ausführungen des Herrn Kollegen Dr Czech geben
wird und zu denen Herr Kollege Knirsch auch sehr dankenswerte
Erinnerungen gebracht hat, wenn er uns sagen würde, wie sich
denn die altösterreichischen Ministerpräsidenten verhalten
haben. Mir ist nur bekannt, daß Badeni, Gautsch, Koerber
bei ihren Verordnungen und Sprachengesetzen die beiden Parteien
verständigt haben. Wie es der alte Taaffe getan hat, weiß
ich freilich nicht, aber ich glaube nicht, daß die Maximen
speziell dieses Mannes vorbildlich sein müßten für
alle anderen.
Würden also die gegenwärtigen Sprachenverordnungen inhaltlich
auch nicht zu den geringsten Bemängelungen Anlaß geben,
so sind sie vom formalen Standpunkte, durch die Art und Weise,
wie sie erlassen wurden, eine schwere Illoyalität gegen die
deutsche Bevölkerung. Es ist keine Entschuldigung, es verstärkt
die Schuld, daß diese Illoyalität, dieses Verharren
auf dem Standpunkte der bekannten harten Faust, die man den Deutschen
nur zeigen müsse, auf das Drängen der chauvinistischesten
Gruppe in der Regierungskoalition zurückzuführen ist.
Leider gesellte sich aber zu dieser formalen Illoyalität
eine noch bedeutendere inhaltliche. Darüber haben berufene
Kenner des Sprachenrechtes geschrieben und gesprochen, darüber
wurde in der bisherigen Debatte wertvolles Material beigebracht,
darüber wird noch sehr viel gesprochen werden und darüber
werden vor allem jene Instanzen zu sprechen haben - und wir Deutsche
haben die feste Überzeugung, daß sie darüber nur
eindeutig in unserem Sinne sprechen werden - jene Instanzen, deren
Existenz in jedem geordneten Staate mit dem Spruche steht und
fällt, der über dem Tore der Wiener Hofburg steht: "Justitia
regnorum fundamentum." Der Verwaltungsgerichtshof wird mit
diesen unseligen Sprachenverordnungen noch viel Arbeit haben.
Der Präsident hat gesagt: "Jeder Mensch hat das Recht
sich zu wehren." Auch unser Volk hat in diesem Falle das
Recht sich zu wehren und insbesondere dann, wenn es in seinen
autonomen Körperschaften so eingeschränkt wird, wird
und muß es an jene Instanzen gehen, die schließlich
die Entscheidung zu bringen haben.
Es ist eine sehr schwere Schädigung, die dem deutschen Volke
durch diese Sprachenverordnungen zugefügt wurde. Weit müßten
wir in der Geschichte der böhmischen Länder, für
die das wechselvolle Ringen der beiden Sprachen um ihren Geltungsbereich
eines der charakteristischen negativen Merkmale bildet, zurückgehen,
vielleicht vier Jahrhunderte, vielleicht in das Jahr 1500, vielleicht
bis 1615, um ein Gesetz, eine Verordnung, eine Landesordnung zu
finden, die von der gleichen Wucht und Schwere für das deutsche
Volk war.
Zu diesen schweren materiellen Schäden, die in erster Linie
unsere autonomen Gemeinden treffen werden, gesellt sich aber auch
das brennende Gefühl, daß man es uns Deutschen mit
allen Mitteln unmöglich macht, wie eben die Verhandlung des
Mißtrauensantrages wieder zeigt, zu einer der jure-Anerkennung
unserer berechtigten Beschwerden zu kommen. Dieses Gefühl
geht in unsere breiten Volksmassen immer mehr über, es durchdringt
heute alle Schichten und es ist sehr unklug von den Machthabern
dieses Staates, diese tiefe Erregung eines Millionenvolkes gering
zu schätzen, eines Volkes, zu dessen ureigenstem Wesen ein
ausgebildetes Gefühl für Gerechtigkeit, für Recht
und Unrecht gehört, und in dem nun einmal die Überzeugung
- und ich möchte lieber sagen der Kinderglaube verwurzelt
ist, daß der oberste unerschütterliche Schützer
jeden Rechtes in erster Linie die Staatsgewalt sein muß.
Das sind Eigenschaften, die einem Volke hohen inneren Wert verleihen,
und die Schritt für Schritt höher steigende Geltung
Nachkriegsdeutschlands in der internationalen Welt ist der beste
Beweis dafür, daß man den inneren Wert des deutschen
Volkes überall in der Welt anders einschätzt als hierzulande.
(Souhlas na levici.) Ein Chauvinist vom Range Viktor Dyks
konnte sich freilich gestern im Senat den haßgeschwollenen
Ausspruch leisten, das Sudetendeutschtum sei ein verdorrender
Zweig. Der Wunsch ist hier der Vater des Gedankens.
Ich möchte diese hervorragende Eigenschaft, dieses Ethos
unseres sudetendeutschen Volkes mit einer Goldader vergleichen,
die freilich leider mitten in einem großen drohenden Granitkoloß
eingesprengt und dadurch von der Welt und von der Wirksamkeit
abgeschlossen ist. Dieser Granitkoloß ist der èechische
Chauvinismus in allen seinen Schattierungen. Gibt es in diesem
Staate noch Staatsmänner mit Weitblick, dann mögen sie,
so lange es Zeit ist, dafür sorgen, daß dieser Granitblok
Stück für Stück abgetragen wird. Und es ist bei
Gott sehr viel abzutragen, weil in den letzten acht Jahren unendlich
viel aufgehäuft wurde, und dann kann die Zeit kommen, wo
diese Erzader schon sichtbar werden wird. Ihr habt sie verschüttet,
nur Ihr könnt sie wieder freilegen! Einer Regierung aber,
die immer neue Granitkolosse zu sammenträgt, um diese Ader
zu verschütten, dieser Regierung sprechen wir und sprechen
alle unterdrückten Minderheiten dieses Staates ihr schärfstes
Mißtrauen aus. (Potlesk na levici.)
Hohes Haus! Für die Notwendigkeit der Einbringung des Mißtrauensantrages
und für die Notwendigkeit zu dessen Annahme spricht, glauben
wir, ein politisches Ereignis aus den letzten Tagen eine beredte
Sprache, und zwar ist es die Suspendierung der staatsbürgerlich
gewährleisteten Rechte in Fischern. Ich weiß, daß
im Senat die Kollegen unserer Partei darüber gesprochen haben
und daß der Minister Dr. Nosek darauf geantwortet
hat. Aber dieser Vorfall ist weder durch die Antwort des Ministers
aufgeklärt, noch ist diese Antwort zufriedenstellend, noch
sind die Antwort und der ganze Vorfall darnach, daß wir
ihn im Zusammenhang mit dem Mißtrauensantrag nicht erwähnen
sollten. Ich darf wohl sagen: so leichtfertig, so grundlos und
so ungesetzlich sind wohl kaum jemals in einem Staate staatsgrundgesetzlich
gewährleistete Rechte suspendiert worden. Diese Suspendierung
der staatsbürgerlich gewährleisteten Rechte muß
als ungeheuerlich bezeichnet werden, ungeheuerlich wegen ihrer
Ursache.
Was ist geschehen? Der Polizeirat von Karlsbad erklärte,
die öffentliche Ruhe wurde gestört, die Sicherheit der
Person und des Eigentums der Bewohner wurde gefährdet. (Výkøik:
Von wem wurde sie gestört?) Wir haben die öffentliche
Ruhe und Ordnung nicht gestört, die Sicherheit der Person
und des Eigentums der Bewohner nicht gefährdet, vielmehr
tat dies die Polizei und außer der Polizei niemand. (Souhlas
na levici.) Sie hat wehrlose Menschen niedergeknüppelt,
das Eigentum der Stadtgemeinde Fischern und das der Gewerbetreibenden
schwer gefährdet. Man kann um die Ursachen befragt werden
und der Herr Minister wurde darum befragt, und er hat im Senat
eine mehr als unzureichende Antwort darauf gegeben. Und doch wäre
es einfach gewesen, die richtige Antwort darauf zu geben. Ich
möchte sie mit einem Satze feststellen: ein verrückter
Baumeister hat nicht nur die Polizei in Karlsbad, sondern die
Staatsverwaltung und scheinbar auch die Mehrheit der Minister
um Besinnung und Verstand gebracht. Anders läßt sich
dieses Ereignis absolut nicht qualifizieren. Wenn Sie glauben,
daß dies eine Staatsverwaltung schon dazu berechtigt zu
drohen, wie es der Minister des Innern für gut befindet,
wenn Sie glauben, daß das Stärke einer Staatsgewalt
ist, dann dürften Sie einem großen Irrtum verfallen
sein. Das ist nicht Stärke, das ist lächerliche Furcht,
die man sich nur verursacht denken kann durch das schlechte Gewissen
der Staatsverwaltung gegenüber den deutschen Arbeitern im
besonderen und den Minoritäten im allgemeinen. Der Ausnahmszustand
wurde aufgehoben, aber die Aufhebung ist fast noch merkwürdiger
als die Verhängung. Der Polizeirat erklärt in der Aufhebungskundmachung
ganz unrichtig, daß die Einhaltung von Ruhe und Ordnung
ihm verbürgt wurde. Kein Mensch kann Aufklärung darüber
geben. In einer riesigen Vertrauensmännerversammlung unserer
Partei wurde die Frage gestellt; von unserer Partei hat er keine
Bürgschaft dafür erhalten. Und von anderer Seite auch
nicht. Aber nicht nur daß diese Aufhebungskundmachung diese
Unwahrheit enthält, die Aufhebungskundmachung droht auch
für den Fall, als sich irgend welche Unruhen wiederholen
würden, mit der neuerlichen Außerkraftsetzung der staatsbürgerlichen
Rechte. Man spricht hier so oft von Vergleichen mit dem alten
Österreich. Ich möchte auch vergleichen und möchte
deshalb von den Vorgängen von 1908 reden. Im Jahre 1908 gab
es in Prag Krawalle, gar nicht unbedeutende Krawalle wegen des
Studentenbummels der farbentragenden Studenten am Graben, Krawalle,
die sich durch Wochen und Monate hingezogen haben, Krawalle, bei
denen es schon etwas abgab. Prüfen wir, was die österreichische
Regierung, von der wir uns angeblich soweit entfernt haben, damals
getan hat. Der Bericht darüber lautet: Als die Krawalle sich
wiederholten, erhielt Statthalter Graf Coudenhove den Auftrag,
mit den schärfsten Mitteln zu drohen, aber erst nach Wiederholung
dieser Krawalle und wenn die Ordnung nicht hergestellt wäre,
diese Drohungen auch anzuwenden. Und daraufhin, meine Herren,
hat die Prager Polizeidirektion mit einem Erlaß die Ansammlungen
in Prag verboten und die zeitliche Torsperre angeordnet, auf Grund
alter österreichischer Polizeiverfügungen und Polizeiverordnungen.
Bezeichnend ist weiter: Erst als die Verhandlungen der Parteiobmänner
im Abgeordnetenhause, die über diese Angelegenheit stattgefunden
haben zur Bereinigung dieser Angelegenheit, zur Vermeidung von
Zusammenstößen in Prag, wirkungslos geblieben waren,
hat der Statthalter den Auftrag erhalten, das Standrecht zu verhängen.
So geschah es in Österreich. Verhandelt hat die Regierung
mit den Parteiobmännern. Gemessen an dem, was in Fischern
geschehen ist, muß man sich doch fragen, ob denn eine Großstadt
der Welt überhaupt noch ohne Ausnahmszustand existieren würde,
wenn solch lächerliche Ereignisse wie ein angeblicher Steinwurf,
der einen Polizisten am Fuße traf und ihn, wie der Minister
ausdrücklich zugibt, ganz leicht verletzt hat, genügend
Anlaß sein sollten, um die persönlich gewährleisteten
Freiheiten der Bevölkerung einer ganzen Stadt einzuschränken.
Da dürften in Wien, Paris, New-York und London niemals die
vollen staatsbürgerlichen Rechte in Kraft sein, denn dort
kommen ganz andere Sachen vor. Die Sache ist nicht anders zu erklären,
als daß wirklich jemand die Besinnung verloren hat. Und
wenn von den Regierungsbänken die Oppositionsparteien und
daher auch wir zu Besinnung gemahnt werden, so möchte ich
demgegenüber ruhig und leidenschaftslos antworten: Nein,
wir, die Vertreter der deutschen Arbeiter, haben die Besinnung
keinen Moment verloren; wir haben sie Gott sei Dank nicht verloren,
auch dann nicht, als Sie sie anscheinend verloren hatten. Ich
möchte Sie aber nun an die Äußerungen unseres
unvergeßlichen Genossen Adler erinnern, die er im österreichischen
Parlament 1908 zur Zeit des Standrechtes in Prag getan hat. Er
sagte: "Das Standrecht ist wirklich eine einfache Lösung.
Es gehört nicht viel Verstand dazu, den Henker von Wien nach
Prag zu rufen. Es ist nichts anderes, als der nackteste Bankerott
der alten österreichischen Regierungsmethoden, ein Beweis
für die völlige Unfähigkeit der herrschenden Parteien."
Meine Herren, die Worte, die Adler damals über die österreichische
Regierung sprach, die kann man heute getrost auf das Regierungssystem
dieses Staates anwenden. Getrost kann man den Vergleich anstellen,
der Vergleich fällt keineswegs zum Nachteil Österreichs
aus. (Souhlas na levici.)
Wenn jemand glaubt, daß die Karlsbader Ereignisse nicht
von der Polizei provoziert wurden, so lese man doch die Versammlungsbewilligung
eines ganz einfachen Polizeirates nach, der hineinschrieb: "Sie
haben den Anordnungen der Polizei zu gehorchen." Man muß
lange in der Geschichte der österreichischen Bürokratie
such en, ehe man einen solchen rohen und rüpelhaften Polizeiton
gegenüber den Staatsbürgern findet. Ich möchte
Ihnen, die Sie die Wünsche und die Verlangen der deutschen
arbeitenden Bevölkerung in allem und jedem mißachten,
die Unabhängigkeitserklärung in Erinnerung bringen,
die Sie am 18. Oktober 1918 in Paris abgegeben haben, u. z. w.
der jetzige Staatspräsident Masaryk, General Štefánik
und Dr. Eduard Beneš. Wie heißt es in dieser
Unabhängigkeitserklärung? "Die Demokratie hat die
theokratische Autokratie aus dem Felde geschlagen, der Militarismus
ist überwunden, die Demokratie ist siegreich. Auf der Grundlage
der Demokratie wird die Menschheit reorganisiert werden. Die Macht
der Finsternis hat dem Sieg des Lichtes gedient, die ersehnte
Zeit der Menschlichkeit beginnt zu tagen". Nun, wenn man
die Debatte am gestrigen und heutigen Tage verfolgt, so schaut
das (Pøedsednictví pøevzal místopøedseda
Slavíèek.) verflucht wenig nach Menschlichkeit
und sehr wenig nach Demokratie aus. Sie sind mit allen Fehlern
des alten Österreich belastet in ihren neuen Staat eingegangen
und sind großartige gelehrige Schüler, die österreichischen
Zustände nicht nur mechanisch zu übertragen, sondern
sie noch zu steigern, was vordem als schwer, als schier unmöglich
bezeichnet worden wäre. Die Außerkraftsetzung der staatsbürgerlichen
Rechte ist auch eine glatte Ungesetzlichkeit, das ist schon wiederholt
nachgewiesen worden. Ich will rekapitulieren. Auf Grund einer
Ministerialverordnung setzt der Polizeikommissär staatsbürgerliche
Rechte außer Kraft, während der § 113 der Verfassungsurkunde
der Èechoslovakischen Republik bestimmt, daß nur
durch Gesetz bestimmt werden kann, inwieweit und ob staatsgrundgesetzlich
gewährleistete Rechte eingeschränkt werden können.
(Posl. Heeger: Aus welchem Jahr stammt diese Ministerialverordnung?)
Aus dem Jahre 23. (Posl. Heeger: 1823?) Nein, 1923!
In dem Gesetz über die Beschränkung der Freiheiten vom
14. April 1920 heißt es in § 3: "Zu den außerordentlichen
Verfügungen ist ein vom Präsidenten der Republik genehmigter
Beschluß der Regierung notwendig" und ich frage mich,
wie so es denn möglich ist, daß das ganze èechische
Volk einschließlich der èechischen Arbeiter und ihrer
politischen und parlamentarischen Vertretungen an einer so willkürlichen,
an einer so mutwilligen Einschränkung der staatsbürgerlich
gewährleisteten Rechte so achtlos vorüber geht. Das
ist ein Kennzeichen des Tiefstandes unserer Demokratie, aber auch
des Tiefstandes unserer politischen Verhältnisse. Der Herr
Minister Dr. Nosek hat im Senat diese Maßnahme, die
wir immer als den Auswuchs, als den Übergriff eines nicht
mehr ganz gesunden Polizeigehirns bezeichneten, gutgeheiß
en und gedeckt und mit Säbelrasseln - als Säbel kann
man das eigentlich nicht bezeichnen - geantwortet. Ich glaube,
daß nach dieser Rede des Herrn Minister Dr. Nosek im
Senat der Mißtrauensantrag, der hier vorliegt, auf diesen
mitausgedehnt werden muß, weil die Regierung die Ungesetzlichkeit
von Fischern hier offiziell gedeckt hat. (Souhlas na levici.)
Nun glauben Sie, daß die Debatte etwa irgendeine Wirkung
zum Besseren ausgeübt hat? Es hat an guten Anregungen und
vernünftigen Argumenten seitens der Opposition während
dieser Debatte nicht gefehlt. Sie wollen Loyalität. Zehnmal
haben wir es gehört. Meine Herren, wir wollen nicht illoyal
sein wie ihr gegenwärtiger Minister Viškovský,
der in Österreich gefragt hat: "Was bekommen wir dafür,
zahlt es sich aus, loyal zu sein in diesem Staate?" Aber
fragen wir: wo nehmen Sie die Kühnheit her, an uns überhaupt
eine solche Zumutung zu stellen, nach der Art, wie Sie uns seit
sieben Jahren behandeln, nach dem System, wo jeder Buchstabe des
Gesetzes, der Verordnungen und der Vollzugsgewalt Haß und
Rache gegen die Klasse der Arbeiter und gegen die deutsche Bevölkerung
im allgemeinen atmet. Eine solche Debatte würde in einem
anderen Staate reinigend wirken, man käme dort zur Besinnung,
daß man zu weit gegangen ist. Hier ist das nicht der Fall.
Aber wir lassen uns durch Ihren Scheinradikalismus, durch Ihre
Scheinstärke nicht täuschen. Je schwächer Sie werden
in der Koalition, je größer der Widerstand wird und
je weniger Fähigkeiten Sie beweisen, den Staat mit Ihren
Methoden zu regieren, um so gewalttätiger müssen Sie
gegen die anderen werden. (Souhlas na levici.) Das ist
ein Faktum. Aber auf Bajonetten kann man nicht dauernd sitzen
und mit dem Ausnahmszustand, hat ein Politiker einmal gesagt,
kann zwar jeder Esel regieren, aber nicht auf immer, nur für
eine vorübergehende Zeit. (Souhlas na levici.) Von
einer Einkehr ist bei Ihnen, wie gesagt, nichts zu sehen. Ich
erhielt heute vormittag den Bericht, daß die politische
Bezirksverwaltung in Weipert uns für den 15. d. M. eine ordnungsgemäß
angemeldete Volksversammlung verboten hat, mit der Begründung,
daß anläßlich der herrschenden Zustände
im Lande (Hört! Hört!) die Aufrechthaltung der
Ruhe und Ordnung nicht verbürgt wäre. Ich muß
sagen, wenn das die Demokratie ist, von der uns so viel gesprochen
wird, (Posl. Heeger: Uns hat man die Versammlung am Sonntag
verboten, weil der Präsident Geburtstag hat!) wenn zur
Zeit der Tagung des Parlamentes ein derart offensichtlicher Übergriff
eines untergeordneten Polizei- oder Staatsorganes vorliegt, was
macht man? Man wendet sich an den Herrn Minister. Das habe ich
vor 20 Minuten getan. Ich habe dem Herrn Minister das Innern Dr.
Nosek mitgeteilt: das und das ist geschehen, wollen Sie
nicht die Liebenswürdigkeit haben, den Fall untersuchen zu
lassen und sich Bericht erstatten zu lassen, womit das Verbot
begründet ist und eventuell die Aufhebung dieses unsinnigen
Verbotes zu bewirken. Darauf hat mir Herr Dr. Nosek zur
Antwort gegeben: "Nein, der Bezirkshauptmann wird schon gewußt
haben, warum er sie verboten hat. Ordnung muß sein im Staate!"
(Posl. Myslivec: Vejprty nejsou daleko od Karlových
Varù!) Sie waren nicht hier, Herr Kollege Myslivec,
reden Sie nicht von Karlsbad. Ich habe vorhin den Fall besprochen
und wiederhole es privat für Sie. In Karlsbad hat niemand
die öffentliche Ruhe und Ordnung gestört als die Polizei
und dafür gibt es nur eine Entschuldigung, daß durch
die Narretei, durch einen verrückten Baumeister die Staatsgewalt
und Polizei um den Verstand gekommen ist. Ich bitte das zur Kenntnis
zunehmen. Karlsbad ist kein Objekt, auf das Sie sich berufen können.
Ich möchte fragen, was im alten Österreich ein èechischer
Abgeordneter getan hätte, wenn ihm seitens eines Ministers
eine solche provokatorische Antwort in einer so eminent wichtigen
politischen Frage erteilt worden wäre! Sie haben alle Ihre
sogenannte demokratische Erziehung vergessen, und wenn jemand
einen Appell zu richten berechtigt ist, so niemals Sie an uns,
immer wir an Sie. Kehren Sie zurück zu Ihren demokratischen
Traditionen, so lange es nicht zu spät ist, schaffen Sie
die Grundlage dafür, daß alle Bewohner dieses Staates
Ursache haben, sich in dem Staate als gleich- und vollberechtigte
Bürger zu fühlen und Sie brauchen kein Bekenntnis der
Loyalität. Die deutsche Arbeiterschaft und die gesamte deutsche
Bevölkerung wird zu diesem Staate stehen wenn Sie ihn wohnbar
gemacht haben, wenn wir uns darin heimisch fühlen können.
Ihre ganze Vergangenheit - unser Genosse Dr. Czech hat
Ihnen eine ganze Auslese vorgelesen, wir könnten sie fortsetzen
bis in die jüngste Zeit - haben Sie ganz vergessen und nichts
gelernt. Bauen Sie ab den Haß, das ist der Rat, den wir
Ihnen zurufen, bauen Sie ab die Rache, versuchen Sie sich hineinzudenken
in eine Situation, in der es weder Unterdrückte noch Unterdrücker
gibt, damit nicht der Eindruck entsteht, daß die èechische
Nation und ganz besonders ihr Bürgertum nur in zwei Funktionen
leben können; entweder als Unterdrückte oder als Unterdrücker.
Was Sie als Unterdrücker in den letzten Jahren getan haben,
dessen ist das Maß voll, die Sprachenverordnungen, die Einschränkung
der persönlichen Freiheit sind Krankheitssypmtome eines Staatswesens
und nicht Symptome der Konsolidierung, nicht Symptome der Stärke
und inneren Gesundheit, sondern das Gegenteil davon. Und wenn
Sie Ihre Republik lieben, sowie Sie es vorgeben, und Sie wirklich
gern haben, dann befolgen Sie den Rat und das Beispiel Ihrer großen
Männer über das Verhältnis zu den anderen Nationen,
zu dem Staate, und Sie werden der Republik, die Sie angeblich
lieben, den größten Dienst erwiesen haben; und wenn
Sie es ernsthaft meinen, dann stimmen Sie mit für unseren
Ausgleichsautrag und schaffen sie weg dieses Regierungssystem,
das Werk der Koalition. (Souhlas a potlesk na levici.)