Støeda 24. listopadu 1926

Das Vereins- und Versammlungsrecht, das schon längst eine dringende Neugestaltung erfordert, wird ärger als im alten Österreich gehandhabt. Vor allem werden die sozialistischen Vereine von den Behörden schikaniert, ihre Versammlungen überwacht und unter den nichtigsten Gründen verboten und aufgelöst. Die Anwendung des berüchtigten Prügelpatentes wird hier zur Methode. Einige Leiter von politischen Bezirksverwaltungen schlagen unter Duldung der höheren Behörden auf diesem Gebiete wahre Rekorde. Ein besonderes Exemplar dieser Gattung ist wohl der Rat der politischen Bezirksverwaltung in Schüttenhofen, ein Herr Végr, der früher den deutschen Namen Wegner führte. Diesem Bezirkspascha sind unsere Organisationen ganz einfach Freiwild. Er hat in einigen Monaten nicht weniger als 32 Veranstaltungen unserer Partei im Bezirk Schüttenhofen verboten, darunter einen Frauentag, einen Kindertag und die Matteotti-Feier. Eine Jugendversammlung verbot er, weil ein politisches Referat erstattet werden sollte. Die Abhaltung der Matteotti-Feier wurde von ihm mit der Begründung untersagt, daß dies ein Anlaß zu feindseligen Kungebungen gegen einen fremden Staat und den Repräsentanten desselben sei. Sicher ein Prachtexemplar èechoslovakischer Demokratie, das von den Prager Behörden gehegt und gepflegt wird. Bei den Matteotti-Feiern zeigte sich die politische Landesverwaltung überhaupt sehr besorgt und lies an alle Bezirksverwaltungen die Weisung gehen, diese Feiern strenge zu überwachen, damit ja kein Wort zu viel über den blutbefleckten Henker der italienischen Freiheit, den größenwahnsinnigen Duce, dessen Größenwahnsinn nur pathologisch sein kann, gesagt werde.

Von welchem rückständigen Polizeigeiste unsere Behörden beseelt sind, beweist die Tatsache, daß in Komotau die Polizei am Frohnleichnamstage einen Kinderausflug durch die Stadt verbot, die politische Bezirksverwaltung in Podersam die Teilnahme von Schulkindern an der sozialdemokratischen Maifeier untersagte.

Der durch die Karlsbader Vorfälle berüchtigte Polizeikommissär Dr Wottawa - ich muß mich mit ihm schon etwas ausführlicher beschäftigen - hat sich eine Polizei erzogen, die diesem Staate besondere Ehre macht. Das Wirken dieser Polizei bestätigt unsere seinerzeitige Auffassung, daß sie nicht geschaffen wurde, um die allgemein polizeilichen Aufgaben zu erfüllen, sondern um die Bevölkerung die Faust fühlen zu lassen. Obwohl der Mannschaftsstand gegenüber früher ganz wesentlich erhöht wurde, läßt der Ordnungsdienst sehr viel zu wünschen übrig, so daß die Stadtgemeinde Karlsbad gezwungen war, eine Art Zivilpolizei zu errichten und dafür bedeutende Mittel aufzuwenden, nur um die eigentlichen polizeilichen Agenden, die in einem Kurort nicht vernachläßigt werden dürfen, durchführen zu können. Dagegen interessiert sich die Staatpolizei viel lebhafter für die politische Betätigung der Staatsbürger und sie ist vor allem bemüht zu zeigen, daß hier der Pendrek regiert. Sie schafft Zustände, die von den zahlreichen Kurgästen, die das ganze Jahr in Karlsbad weilen und aus allen Ländern stammen bemerkt und im Ausland diskutiert werden. Noch in aller Erinnerung sind die Vorfälle vom 2. März d. J., wo anläßlich einer Demonstration die Polizisten wie die Wilden hausten und ohne Anlaß in die wehrlosen Arbeiter einhieben. Sie haben aber auch dafür, daß die Arbeiter sich nicht ruhig niederschlagen lassen wollten, Rache genommen. Es erfolgten in den Tagen nach der Demonstration Verhaftungen über Verhaftungen. Die Opfer wurden zur Polizei geschleppt, dort blutig geschlagen und dem Gerichte übergeben, das über die Beschuldigten schwere Strafen verhängte. Zeugenschaft gaben nur die Polizisten. Welcher Wert diesen Aussagen beizumessen ist, geht daraus hervor, daß bei einer anderen Gelegenheit der Kellnerlehrling Otto Hein, der sich dem ortsfremden Wachmann gegenüber nicht legitimieren konnte, zur Wachstube geschleppt und dort derart geschlagen wurde, daß er bewußtlos zusammenstürzte. Der herbeigeeilte Polizeiarzt wurde belogen und im Krankenhaus erst, wohin der Bewußtlose geschafft wurde, kam die brutale Mißhandlung des Burschen ans Tageslicht. Nicht genug daran, wollte man den jungen Menschen auch noch ins Kriminal bringen, indem man ihn des Verbrechens der öffentlichen Gewalttätigkeit anklagte. Obwohl der prügelnde Wachmann seine Aussagen unter Eid machte, glaubte das Gericht den Behauptungen des Prügelpolizisten nicht und sprach den Mißhandelten frei. Der Polizist tut seinen Dienst heute noch, jene Wachleute aber, die bei den Kundgebungen am 2. März nach Ansicht einiger Spitzel nicht fest genug auf die Menge losschlungen, kamen in Disziplinaruntersuchung und es ist ein Wunder, daß sie nicht ums Brot kamen. Anlaß zu Zusammenstößen mit der Bevölkerung gibt die Polizei selbst, ja, das Urteil der gesamten Bevölkerung ist darüber einig, daß diese Anlässe geradezu gesucht werden. Es kann keine Versammlung, kein Fest veranstaltet werden, ohne daß die Polizei sich nicht in der herausforderndsten Weise einmischen würde. Es werden nicht nur die Freiheiten, die schon im alten Österreich im Bezug auf das Versammlungs- und Pressewesen bestanden und die bei der Besetzung der Stadt Karlsbad durch èechisches Militär von dem Kommandanten der Besatzungstruppen in feierlichster Weise unterstrichen wurden, mißachtet, es werden auch alle möglichen Schwierigkeiten gemacht, nur um die Bevölkerung zu reizen. Es darf keine Versammlung, kein Lichtbildervortrag, nicht die kleinste Zusammenkunft veranstaltet werden, ohne daß die Polizei vorher vorschriftsmäßig davon unterrichtet worden wäre, und es vergeht keine öffentliche Versammlung, die nicht wie in Metternichs Zeiten von einem Regierungsvertreter überwacht würde. Der Regierungsvertreter kommt aber nicht allein, sondern er bringt 30, 40, 50 Polizisten bis an die Zähne bewaffnet mit. Die Umgebung eines Versammlungslokales gleicht einem Heerlager. In einer Versammlung unter freiem Himmel befanden sich die bewaffneten Polizisten mitten unter der Menge und es mußte erst die volle Verantwortung des Regierungskommissärs festgestellt werden, um durchzusetzen, daß die Leute die Gesetze respektierten und sich entfernten. Neben den Bewaffneten finden sich in allen Versammlungen massenhaft Spitzel ein, um, wenn schon nichts anderes, so wenigstens bei Zusammenstößen sofort die Opfer aussuchen zu können. Seit Jahrzehnten hält die disziplinierte Arbeiterschaft des Karlsbader Bezirkes Versammlungen und Feste ab, die oft von vielen Tausenden Menschen besucht sind, ohne daß auch nur der geringste Zwischenfall zu verzeichnen gewesen wäre. Das wurde erst anders, als die Staatspolizei eingriff. Keine, auch die kleinste Unterhaltung darf vorübergehen, ohne daß sie von einem Polizeiorgan belästigt würde. Zu einem Ball der Karlsbader Lokalorganisation, wohl verstanden zu einem Tanzvergnügen im schönsten Saale der Stadt, wurde ein ganzes Aufgebot von Polizisten mit ihren Vorgesetzten kommandiert, zu einem gemütlichen Beisammensein, das unsere Karlsbader Frauenorganisation veranstaltete, stellte sich ein Aufsichtsbeamter ein und präsentierte seine Gebührenrechnung, nicht ohne dabei den damals zufällig anwesenden Kollegen de Witte zu beleidigen wofür er sich dann entschuldigen mußte. Es genügt nämlich nicht, daß zu allen Festlichkeiten und Unterhaltungen Polizeileute kommen, sie müssen auch noch bezahlt werden. Die Karlsbader Polizei scheint dafür ganz eigene Taxen zu haben, die anscheinend dazu dienen, das Einkommen der Wachorgane zu erhöhen. Wir sind die letzten, die den Wachleuten, die elend bezahlt sind und mit ihren Familien hungern müssen, eine Aufbesserung ihres Verdienstes nicht vergönnen würden. Aber es ist überall in der Welt so, daß der zu bezahlen hat, der einen Untergebenen irgendwohin schickt, nicht aber der andere, dem der Besuch durchaus nicht erwünscht ist und der ihn als überflüssig ansieht. Die Karlsbader Gastwirte können ein Lied davon singen, was sie im Laufe eines Jahres an Gebühren, die verschieden hoch bemessen werden, an die Polizei zu entrichten haben. Sie murren wohl darüber, können aber dagegen nicht öffentlich auftreten, weil sie fürchten müssen, in eine noch schwierige Situation zu kommen. Das ist eine Schande, das sind Zustände, wie sie höchstens noch in Rumänien angetroffen werden, wo die Polizei allmächtig ist und tun kann, was ihr beliebt. Die Regierung wird schon noch spüren, was es bedeutet, einigen übermütigen Polizeibeamten Vollmachten zur Etablierung von Willkür und Rechtlosigkeit zu erteilen. Sie wird vor allem nicht verhindern können, daß das Ausland unterrichtet wird über die Zustände in diesem Lande. Denn die vielen Fremden, die in Karlsbad weilen und dort das Treiben der Staatspolizei beobachten, schliessen mit Recht, daß es überall im ganzen Staate so sei, und so trägt die Karlsbader Staatspolizei dazu bei, daß im Ausland Meinungen verbreitet werden, die der Regierung durchaus nicht gleichgültig sein können.

Ein weiteres Beispiel: In Eger löste die Regierungsvertretung eine Jugendversammlung auf, weil der Redner das in Vorbereitung befindliche Gesetz über die vormilitärische Erziehung als ein Schandgesetz bezeichnete. Ein besonderes Stückchen vollbrachte wohl die politische Bezirksverwaltung in Böhm. Krumau, die die Geldsammlung für die englischen Bergarbeiter verboten hat. Der Minister des Innern, der darüber interpelliert wurde, gab zwar die Zusage, daß er die politische Landesverwaltung veranlassen werde, das Verbot rückgängig zu machen, trotzdem bestrafte die politische Bezirksverwaltung in Böhmisch-Krumau mit Erlaß vom 11. August 1926, Zl. 13.739, die vier Bergarbeiter, die mit der Geldsammlung betraut waren, u. zw. mit 20 Kronen Geldstrafe, eventuell zwei Tagen Arrest. Das ist sicherlich eine Kulturschande für unsere Republik. In der ganzen zivilisierten Welt löste der heroische Kampf der englischen Bergarbeiter Bewunderung und Anerkennung aus und nirgends wurde der Hilfeleistung für diese Menschen ein Hindernis bereitet. Nur unseren Behörden blieb es vorbehalten. zu Gunsten der englischen Grubenbesitzer einzugreifen und sich damit gegen die englischen Bergarbeiter zu stellen. Diese Behörden, vor allem die politische Landesverwaltung, sind auch rasch mit dem Schutzgesetz bei der Hand, das sehr rigoros angewendet wird, wenn es gegen die Arbeiter geht. Man stellt sogar die lächerliche Behauptung auf, damit das Prestige des Staates zu schützen. Dafür nur ein Beispiel: Ich war Redner in einer vollkommen ruhig verlaufenen Versammlung gegen die Schuldrosselungen. Nach erstatteter Relation der politischen Bezirksverwaltung gab die Landesverwaltung den Auftrag, gegen mich die Anzeige wegen Verletzung des Schutzgesetzes zu erheben, weil ich unter anderem gesagt habe: "Die Èechoslovakei wird sein ein Bund freier Völker oder die Èechoslovakei wird nicht sein." Nach der Beweisführung zog allerdings die Staatsanwaltschaft die Anklage zurück, hat aber den Akt der politischen Bezirksverwaltung abgetreten mit der Bemerkung, mich auf Grund des Prügelpatents zu bestrafen. Ich glaube, daß diese angeführten Beweise wohl genügen dürften, um zu zeigen, daß dieses schmachvolle System reif zum Abbruch ist.

Wir fordern daher mit allem Nachdruck eine Neugestaltung des Vereins- und Versammlungswesens, die Aufhebung des Prügelpatentes, Beseitigung der Sonderbestimmungen für politische Vereine, die Abschaffung des Schutzgesetzes und die Einführung der vollständigen Vereins- und Versammlungsfreiheit. Nur dann wird sich diese Republik zu einem modernen Staatswesen gestalten, wenn die wirkliche demokratische Selbstverwaltung eingeführt wird und jedem Bürger auch gestattet ist, seine Meinung frei zu äußern. Daran denkt die Regierung vorläufig aber nicht, es wird vielmehr eine wahre Aufzucht der Polizei vorgenommen. So sind im Budget bei diesem Kapitel für die Errichtung neuer staatlicher Polizeiämter 4,800.000 Kè vorgesehen. Wir sind gegen die Errichtung dieser Polizeiämter, weil sie überflüssig sind. Kommt doch noch hinzu, daß dieser allmächtigen Bürokratie neben der starken Polizeigewalt auch noch eine ungeheuere Gendarmeriemacht zur Verfügung steht, die weniger im Interesse der Sicherheit da ist, sondern zur Bespitzelung und Überwachung der Staatsbürger benützt wird. Wir besitzen nicht weniger als 12.733 Gendarmen, mit den Offizieren sogar über 13.000. Auf je 1000 Einwohner entfällt ein Gendarm. Schlimmer schaut es noch in Karapthorußland aus, welches wie eine Kolonie behandelt wird. Dieses Land hat mit seinen 500.000 Einwohnern d 900 Gendarmen. An Gendarmerieoffizieren wird durchaus nicht gespart. Während im alten Österreich die Gendarmerie unter dem Kommando eines einzigen Generals stand, bei sitzen wir gleich drei solcher Generäle. Der Aufwand für die Polizei und das Gendarmeriewesen ist direkt horrend und für die Slovakei bedeutend größer als für Böhmen, am größten aber für Karpathorußland. Der Aufwand beträgt für die Polizei in den historischen Ländern und der Slovakei 132,508.390 Kè, für Karpathorußland 6,662.350 Kè fur Gendarmerie in den historischen Ländern und der Slovakei 220,405.220 Kè, in Karpathorußland 17,634.720 Kè. In Böhmen wird für die Polizei ein Betrag von 94 5 Millionen Kè ausgegeben, in der Slovakei 64.5 Millionen Kè. Obzwar die Slovakei nur ein Drittel der Einwohner von Böhmen zählt, sind die Ausgaben nicht viel niedriger, als bei uns. Will man den Slovaken die Liebe zur Republik mit Hilfe der Polizei und Gendarmerie beibringen? Wir glauben, daß gerade das Gegenteil damit erzielt wird. Die Gendarmen selbst werden in echt militärischem Drill und mit militärischer Disziplin erzogen, die fachliche Ausbildung ist Nebensache. Dabei wird ihnen die Ausübung der primitivsten bürgerlichen Rechte entzogen. Während in anderen Staaten den Gendarmen gestattet ist, sich zum Schutze der wirtschaftlichen Existenz zu organisieren, wird ihnen hier dieses Recht vorenthalten. Wir verlangen, daß diese Zurücksetzung beseitigt wird und daß man diesen Menschen so wie jedem anderen Staatsbürger das Koalitionsrecht einräumt.

Ein Kapitel für sich bildet die Verleihung der Staatsbürgerschaft, die von den Behörden ganz willkürlich gehandhabt wird. Es haben darunter besonders die Arbeiter zu leiden, denn Tausende gibt es, die in diesem Staate schon Jahrzehnte lang leben und denen ohne Begründung die Staatsbürgerschaft verweigert wird. Viele Existenzen und Familien werden dadurch zerstört. In der Slovakei will man tausende Personen kurzerhand ausweisen. Stellen Sie sich das Martyrium vor, das diese Leute durchzumachen haben, die aus ihrem Beruf, von ihrem Besitz verjagt und um Verdienst und Arbeit gebracht werden. Nebenbei besteht auch ein unerhörtes Protektionssystem. In vielen Fällen wenden sich die Behörden direkt an die "Národní jednota", also an einen privaten Verein, um Auskunft über jene Personen einzuziehen, die um die Staatsbürgerschaft ansuchen. Fällt diese Auskunft ungünstig aus, d. h. gehört der Bewerber nicht zur èechischen Nation, wird das Ansuchen rundwegs abgelehnt. Wir fordern, daß jenen Personen, die gezwungen sind, hier zu leben, die Staatsbürgerschaft zuerkannt wird, denn sie müssen dem Staate und der kapitalistischen Gesellschaft ebenfalls ihren Tribut leisten.

Charakteristisch ist auch die präliminierte Ausgabe für die Filmzensur im Betrag von 1.8 Millionen Kronen. Wir finden diese Ausgabe sowie die Filmzensur selbst als höchst überflüßig, weil durch die Zensur die Herstellung von künstlerischen und erzieherischen Filmen unterbunden wird. Dadurch wird es auch unmöglich gemacht, das Kino, welches tatsächlich von den Volksmassen besucht wird, zu einer wirklichen Bildungstätte auszugestalten. Während man den größten Schundfilm unbeanständet läßt, verschandelt man durch die Zensur hervorragende Filmkunstwerke. Als drastisches Beispiel dafür dient der "Potemkinfilm", der von unserer Zensur derart verstümmelt und kastriert wurde, daß er nur mehr ein Fragment darstellt. Es muß um die Sicherheit des Staates sehr windig ausschauen, wenn zu solchen Mitteln gegriffen wird. Wir fordern daher die Abschaffung der Filmzensur und verweisen darauf, daß dieselbe in Österreich und in anderen Ländern längst nicht mehr besteht.

So ist weit und breit auf keinem Gebiete in diesem Staate auch nur ein Hauch von wirklicher Demokratie zu spüren. Nicht nur aus dem Kapitel "Ministerium des Innern", sondern aus dem gesamten Staatsvoranschlag grinst uns die Fratze einer erzreaktionären kapitalistischen Bürgerregierung entgegen, die ihren Kurs rücksichtslos gegen die Arbeiterschaft richtet, einer Regierung, die einen schamlosen Bereicherungsfeldzug des èechisch-deutschen Bürgertums einleitet, der sich auf Kosten der arbeitenden Menschen vollzieht. Dieser Regierung sprechen wir nicht nur unser Mißtrauen aus, sondern wir wer, den ihr innerhalb und außerhalb dieses Hauses unseren schärfsten Kampf entgegenstellen. (Potlesk nìm. soc. demokratických poslancù.)

4. Øeè posl. Simma (viz str. 675 tìsnopisecké zprávy):

Hohes Haus! Es ist über ein Jahr her, daß ich namens meiner Partei zur Schulpolitik sprach. Es war das anläßlich der Stellungnahme zum vorjährigen Schulvoranschlag am 29. September 1925. Mit Recht verwies ich in meinen seinerzeitigen Worten darauf, daß sich der Kampf in diesem Hause niemals so heftig gestalte, als wenn die Schulpolitik des èechischen Staates, eines Teiles der Staatspolitik überhaupt, zur Debatte steht. Wir erleben dann immer einen nach außen hin deutlich vermerkbaren Höhepunkt des Ringens der nichtèechischen Völker um die genügende Berücksichtigung ihrer Lebenserfordernisse, dem dann freilich sich stets Argumente der Staatsverwaltung gegenüberstellten mit der Absicht, uns in unsern Klagen zu entkräften. Die Höhepunkte dieses Ringens hier in diesem Hause sind begreiflich, die Schule ist nun einmal das wichtigste Lebenserfordernis einer Kulturnation. Sie dient der absolut nötigen Funktion der Ausbildung, deren Störung gleichbedeutsam ist mit einer Störung des Gesamtorganismus der Nation. Je kultivierter die Nation ist, umso deutlicher tritt das Bestreben zu Tage, gerade in dieser Funktion unbehindert zu sein. Es ist tausendfach erwiesen, wie solche Behinderung rückwärts bringt und schließlich umkommen läßt. Die Soziologen wissen, daß sie einem Volke gerecht werden müssen in seinem Verlangen nach Bildung. Ich wüßte zum Beweise dessen nichts Besseres, als die hierauf geltenden Worte des Präsidenten des Staates anzuführen, der in einem seiner Werke über die Bildung spricht: "Es ist das erste Erfordernis der Menschlichkeit, die erste Norm der Soziologie, daß ein jeder die Möglichkeit hat, sich zu bilden. Wer einem Volke dem Streben nach Bildung in den Weg tritt, begeht eine Todsünde. Das Recht sich zu bilden hat jeder Mensch genau so wie das Recht zu leben." Ich möchte diese Worte in ihrer besonderen Bedeutung hervorgehoben haben, ihrer Feststellung der Bildung als Voraussetzung zum Leben.

Also ist es verständlich, wenn sich bei der Besprechung des Schulvoranschlages, der auch heuer nicht in dem Sinne besserer Erkenntnisse läuft, gefühls- und verstandesmäßige Widerstände jener Nationen auslösen, deren Lebensrechte berührt werden. Das gilt zunächst einmal allgemein: Wenn wir den Beweis der Berechtigung unserer besonderen Klagen als Deutsche vorerst außeracht lassen, wenn wir annehmen wollten, daß das, was wir Störung der Bildungsfunktion nennen, in der Tat sich gleichmäßig den Völkern des Staates aus dessen ungünstigen Verhältnissen mitteilte, schon dann wäre es kein Ehrenmal. Es gibt unserer Meinung nach für eine Verminderung eines in einer Zeit freier Gesinnung geschaffenen Schulwesens keine Begründung. Diese Begründung müßte erst am Ende des Staates selbst stehen. Das Programm eines Staates, seine Verfassungsgesetze sollen etwas Sakrosanktes sein. Jede Verletzung derselben fällt in den Bereich schwerster Verfehlungen. Ist es aber nicht eine Verletzung des guten Geistes, der ihnen Pate gestanden hat, wenn seit Jahr und Tag, ohne dafür die Gründe zu haben, gegen das Schulwesen, die Zellen der Bildungsfunktion in unverantwortlicher Weise vorgegangen wird, wenn seit den Tage der zweckhaft geschaffenen, revolutionären und nachrevolutionären Schulgesetzgebung tausende von Bildungszellen zetrümmert wurden und diese herostratische Arbeit weiterdauert?

Hier feiert die Gegensätzlichkeit zwischen Theorie und Praxis der Staatsführung die größten Orgien.

Klagen wir mit den fortschrittlichen Elementen des Staates den Geist der Reaktion an, der sich in den Maßnahmen der Schul-Verwaltung au tobt, besonders jener der Präsidien der Landesschulräte, so haben wir als Deutsche des weiteren Beschwerden zu führen über die Einseitigkeit, mit der dieser Geist im Besonderen sich gegen uns richtet. Lassen wir die Berechtigung gelten jeder Klage über den Verlust einer Schule, einer Klasse, über den Verlust einer èechischen so gut wie einer deutschen, so liefern wir heute neuerlich den Beweis dafür, daß unsere Klagen unter dem Druck der schwersten Folgewirkungen, wie sie so schwer kein anderes Volk zu tragen hat, entstanden. Schon was im Vorjahre geschehen ist, war ein Höchstmaß unverantwortlicher Eingriffe in unsere Kultur, dessen Tendenz kaum den Laien unerkennbar blieb, umsoweniger dem Politiker, Volkswirtschaftler und Soziologen. Was heuer trotz allem und allem dazu geschieht, das ist einfach unerträglich.

Ich wiederhole einige schon im Vorjahr gebrachte Ziffern: Wir hatten als Deutsche bis Ende des Schuljahres 1924-1925 von ursprünglich 11.747 Klassen im Gesamtstaatsgebiete deren 2.779, das sind 24% verloren. Der Kollektiv-Drosselungserlaß vom Jahre 1925 brachte uns allein in Böhmen einen weiteren Verlust von 635 Schulen bzw. Klassen, eine Zahl, welche durch Rücknahme einiger Schulsperrungsfälle auf 535 zurücklief. Aber es stand damals schon ein Gesamtverlust an deutschen Schulen und Klassen von 4.000 zu buchen. Die Zahl blieb unwidersprochen, sie besteht demnach gewiß zu Recht. Und noch nicht soll genug getan sein. In den letzten Wochen erflossen neue Schulsperrungsverfügungen. Hierüber wissen wir bisher keine genaue Zahl anzugeben, aber es scheint so, als ob zumindestens jene 100 Klassen durch die neuen Maßnahmen endgültig verloren gingen, die wir voriges Jahr noch zu retten vermochten. Nach den Mitteilungen des mährischen Schulausschusses handelt es sich in Mähren allein nm 22 Klassenauflösungen. In diesem Lande wurde seit dem Umsturz 106 Volksschulen und 25 Bürgerschulen insgesamt mit 771 deutschen Volksschulklassen und 83 deutschen Bürgerschulklassen aufgelöst.

Die neuen Schulsperren sind die Folgewirkung eines ministeriellen Erlasses, dessen Autor bisher nicht gefunden wurde. (Posl. inž. Jung: Deus lex! Hundert Personen suchen einen Autor!) Jawohl. Eines ist sicher, daß dieser ministerielle Erlaß, also ein Kollektiverlaß ähnlich dem vorjährigen Schulsperrenerlaß besteht. Die verantwortlichen Funktionäre der Präsidien der Landesschulräte entschuldigen sich für ihre Verwaltungsmaßnahmen mit ihm. Bei den letzten Vorsprachen in den Landesschulräten, die dem Zwecke der Korrektur der neuen Schuldrosselungen galten, hörten wir so. Der Erlaß und seine Autorschaft interessiert uns schon mit Rücksicht darauf, als sein Inhalt entgegengesetzt ist dem Inhalte der letzten im Budgetausschuß gefallenen Äußerungen des Chefs der Schulverwaltung. Ist Herr Minister Hodža der Autor des neuen Drosselungserlasses und setzte er sich dadurch, daß er bei Erlassung desselben in Widerspruch mit seinen Worten geriet, zu uns bewußt in ein unliebsames Verhältnis? Oder ist der Autor des Erlasses ein anderer? Wir vernahmen als Datum des Erlasses den 1. Oktober. Seine Expedition erfuhr er jedoch erst später. Wer ist also der Autor? Für uns, die wir Kritik üben, ist die Kenntnis hierüber sehr nötig. Herr Hodža soll von uns keine unverdiente Kritik erfahren.

Ich zeigte dieselben schon an dem mährischen Beispiel auf. Die hier genannten Zahlen müssen jedoch noch eine besondere Illustration erfahren: Schulen, die noch vor 4 Jahren sechs Klassen gezählt haben, sind im Vorjahre auf 3 gesunken, nunmehr auf 2. Die Dinge liegen heute so, daß von einer ordnungsgemäßen Unterrichtserteilung überhaupt nicht mehr die Rede sein kann. In den übriggebliebenen Klassen finden sich die Schüler der verschiedensten Schuljahre kunterbunt zusammengepfercht vor. (Posl. Krebs: Die Herren des Landesschulrates sollte man hinschicken!) Ja wohl! Welcher Lehrer vermöchte unter solchen Verhältnissen, wie sie heute bestehen, für einen Unterrichtserfolg zu garantieren in der Lage sein? Ich nahm persönlich Gelegenheit, in einzelne Schulklassen zu schauen und sage hier ohne Übertreibung, daß ich über das Gesehene bestürzt war. Ich kann mich bei dem Studium der Gründe der letzten Maßnahmen nicht des Eindruckes erwehren, als ob in dem Jahre vor dem Inkrafttreten des durch § 5 des kleinen Schulgesetzes festgelegten mäßigeren Bedingungen der Schülerzahlen, von 1928 gilt die Zahl 70 anstatt 80, die letzte Möglichkeit der Schädigung unseres Schulwesens ausgenützt sein sollte. Es scheint - ich habe in dieser Beziehung Herrn Hodža in Bezug auf die Autorschaft des letzten Drosselungserlasses nicht unbegründet gefragt - als ob ein Klüngel von Leuten der Schuladministrative sich geradezu bewußt über Maßnahmen der Regierung hinwegsetzt, welche letztere der Entspannung der zwischen den Völkern des Staates bestehenden Atmosphäre dienen sollen. Es scheint, als ob diesem Klüngel von Leuten die Sabotage des Friedens Orgie ist. Wer die Dinge in der Schulverwaltung nur einigermaßen aus eigener Anschauung kennt weiß, was diese Worte bedeuten sollen.

Depopulation und Finanznot des Staates können nur scheinheilig zur Begründung der letzten Maßnahmen herangezogen werden. Wenngleich die Depopulation zugestandenerweise bei den vorjährigen Maßnahmen immerhin als Begründung geführt werden konnte, so ist es anderseits doch klar, daß sich heuer der Geburtenrückgang als Folge des Krieges schon wieder zu beheben anschickt. Das spiegelt sich ja gerade in den dermaligen Schülerzahlen wieder. Im übrigen stellten wir die Begründung der Reduktionsmaßnahmen durch die Depopulation schon früher auch auf das richtige Maß zurück. Und die Finanznot des Staates? Sollte die sich nicht lieber bei anderen Budgetposten wirkend machen als beim Schulposten? Fast uns selbst zum Überdrusse stellen wir wiederum diese Frage.

Ich sprach hievon schon einleitend, daß wir an 4000 deutsche Volks- und Bürgerschulklassen seit dem Umsturze verloren haben. Nimmt man den Durchschnittsbezug eines Lehrers mit jährlich 20.000 Kronen an, so ergibt das einen Betrag von 80 Millionen Kronen, den der Staat jährlich am deutschen Schulwesen schon erübrigt. Ich glaube, sagen zu dürfen, daß solcherart dem staatsfinanziellen kategorischen Imperativ in Beziehung auf das deutsche Schulwesen genügend Berücksichtigung geworden ist. Wir würden das alles mit weit weniger Erregung feststellen, wenn wir die gleiche Betonung der Staatsnöte auch gegenüber dem èechischen Schulwesen betont fänden. Aber was geschieht da nicht an Gegenteiligem?

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