So ist die jetzt zur Verhandlung stehende und
durch Monate vorbereitete Novellierung des Sozialversicherungsgesetzes
nichts anderes, als der Versuch der Bourgeoisie, ihre privatkapitalistische
Wirtschaft von den Lasten der sozialen Fürsorge zu befreien
und die Kosten auf die Arbeiterschaft zu überwälzen.
Der Angriff auf die Sozialversicherung ist nur ein Glied in der
großen Kette des Stabilisierungsplanes der kapitalistisch
en Klasse der Èechoslovakei, er liegt aber auch gleichzeitig
im Interesse der imperialistischen Politik des Staates, der sich
eine neue finanzielle Quelle durch seine Einflußnahme auf
den Sozialversicherungsapparat schafft. Bei
keinem Gesetz sieht die Arbeiterschaft so deutlich das Verwachsen
der kapitalistischen Interessen mit dem Staate, wie gerade bei
dieser Novelle. Der Staatsapparat und die Kapitalistenklasse werden
zu einem einheitlichen Gebilde, das sich mit allen seinen Nachteilen
gegen die Arbeiterklasse wendet. Je intensiver sich die Kapitalistenklasse
mit dem Staate verbindet, desto rascher versucht sie den Abbau
des Einflusses der Arbeiterschaft auf die einzelnen Einrichtungen
im Staate. Und wenn die Arbeiterschaft auf die Kranken- und Sozialversicherung
bis jetzt noch einen gewissen kleinen Einfluß hatte, so
soll durch diese Novelle der kleine Rest des Einflusses vollständig
vernichtet werden. Die Bourgeoisie will mit aller Macht, aber
auch mit allen Mitteln sich des Fürsorgeapparaates bemächtigen,
um dann mit seiner Hilfe leichter gegen die Arbeiter entscheiden
zu können. Unter dem Deckmantel einiger Scheinkonzessionen,
der sogenannten Verbesserungen an die reformistischen sozialistischen
Parteien, ist es den bürgerlichen Parteien gelungen, ihre
Bestrebungen, den Raub des Sozialversicherungsapparates, zu verwirklichen.
Und wenn die reformistischen Führer behaupten, daß
sie in diesem Kampfe durch ihre Taktik bedeutende Erfolge für
die Arbeiterschaft erzielten, so verschweigen sie wohlweislich
mit Bedacht, daß sie unter dem Deckmantel dieser Erfolge
den Sozialversicherungsapparat an die Bourgeoisie vollständig
auslieferten und die Autonomie der Versicherung zerstörten.
Der Erfolg ist also ein sehr zweifelhafter und wird sich an der
Arbeiterklasse selbst rächen.
Das beharrliche Vorgehen der Koalitionsparteien
bei der Novellierung des Sozialversicherungsgesetzes ist unter
den politischen Voraussetzungen ein raffiniert angelegtes, um
die Massen der arbeitenden Bevölkerung nicht auf die wahren
Ursachen ihres Bestrebens aufmerksam zu machen. Dies konnte ihr
vor allem deshalb gelingen, weil sie durch ein geschicktes Manövrieren
die sozialpatriotischen Führer von größeren Kampfhandlungen
abhielt. Die Sozialdemokratie erblickt in der Sozialpolitik die
hauptsächliche Sendung einer Arbeiterpartei. Im kapitalistischen
Staat und deren Wirtschaftsordnung ist die Sozialpolitik nur eine
bloße Reform, ein Nebenprodukt des Klassenkampfes. Wird
an den Grundfesten der Wirtschaftsordnung nichts geändert,
so kann das Proletariat keinen Erfolg zum Ziel verzeichnen, es
kann nur eine gewisse Einschränkung der Ausbeutung erreichen.
Auch in SSSR ist die Sozialpolitik nicht der Weg, wo man zum vollständigen
Sozialismus kommen kann, sie ist aber in der Übergangszeit
erforderlich. Deshalb setzt die K. P. Rußlands ihre ganze
Kraft auf die Umgestaltung der Wirtschaft in Industrie und Handel.
Um die Grundsätze der kommunistischen
Partei und ihrer Führer zur Sozialversicherung im Kapitalistenstaat
kennen zu lernen, ist es von besonderem Interesse, was Lenin zu
dem Problem der Sozialversicherung im kapitalistischen Staate
sagt. Als im Jahre 1912 die zaristische Regierung daran gegangen
war, einen Abklatsch der Sozialversicherung im zaristischen Rußland
durchzuführen, fand im selben Jahre in Prag der Kongreß
der sozialdemokratischen russischen Partei der Bolschewiki statt,
auf welchem zur Frage der Sozialversicherung Lenin folgendes sagte:
"1. Der Teil des Reichtums, den der schaffende Lohnarbeiter
in der Form des Lohnes erhält, ist so klein, daß er
zur Befriedigung seiner allernotwendigsten Lebensbedürfnisse
kaum ausreicht. Der Proletarier ist so der Möglichkeit beraubt,
etwas von seinem Lohn zu ersparen für den Fall des Verlustes
seiner Arbeitsfähigkeit als Folge von Unfällen, Krankheit,
Alter, Invalidität und gleichzeitig für den Fall der
Arbeitslosigkeit, die untrennbar verbunden ist mit dem kapitalistischen
System der Erzeugung. Deshalb ist die Versicherung der Arbeiter
in allen angeführten Fällen nur eine Reform, die von
der ganzen jetzigen kapitalistischen Entwicklung diktiert wird.
2. Die beste Form der Versicherung der Arbeiter ist die staatliche
Versicherung, die auf folgenden Grundsätzen aufgebaut sein
soll: a) sie muß die Arbeiter in allen Fällen des Verlustes
der Arbeitsfähigkeit versichern (Unfall, Krankheit, Alter,
Invalidität; bei den Arbeiterinnen außerdem bei Schwangerschaft
und Entbindung; Renten den Witwen und Waisen nach dem Tode des
Ernährers) oder im Falle des Verlustes des Verdienstes bei
Arbeitslosigkeit; b) die Versicherung muß sich beziehen
auf alle Lohnarbeiter und alle Familien; c) die Renten der Versicherten
müssen ausgezahlt werden nach dem Grundsatze des Ersatzes
des vollen Verdienstes, wobei alle Versicherungsbeiträge
der Unternehmer und der Staat zu zahlen haben; d) alle Zweige
der Versicherung müssen durch einheitliche Organe der Versicherung
verwaltet werden, und zwar auf dem Grundsatz und dem Prinzipe
der territorialen vollständige Selbstverwaltung der Versicherten."
Also Lenin selbst nahm schon im Jahre 1912 eine Stellung zur Sozialversicherung
ein und gab der Arbeiterschaft so die Linie an, auf der sie sich
im kapitalistischen Staat zur Sozialversicherung zu bewegen hat.
Auch in Sowjetrußland wurde nach der Revolution die Sozialversicherung
durchgeführt, und wenn wir die Bilanz der letzten 10 Jahre
bezüglich Sowjetrußlands ziehen, finden wir, daß
die Resolution Lenins bis auf einen einzigen Punkt vollständig
durchgeführt wurde. Es gelang allerdings noch nicht in Sowjetrußland,
den vollständigen Ersatz des entgangenen Arbeitslohnes im
Falle des Verlustes der Arbeitsfähigkeit dem Betroffenen
zu bieten. Ansonsten aber müssen wir sagen, daß Rußland
das einzige Land ist, das die Sozialversicherung mustergültig
durchgeführt hat, so daß die Gesundheitsverhältnisse
in den letzten Jahren sich stark zugunsten der Arbeiterklasse
geändert haben. Darauf werde ich noch speziell zurückkommen.
Die in Verhandlung stehende Vorlage hat, bevor
sie ins Haus gelangt ist, einen förmlichen Leidensweg durchzumachen
gehabt, monatelang wurde hinter den Kulissen des Parlamentes der
Schacher zwischen den sozialistischen und den bürgerlichen
Parteien getrieben. Das Bestreben der bürgerlichen Parteien
war, unter allen Umständen die Sozialversicherung, d. h.
den Apparat an sich zu reißen, sei es auch unter den größten
Opfern; es war dahin gerichtet, vor allem anderen nicht die Sozialversicherung,
wie man das Wort oft mit einem einfachen Schlagwort gebrauchte,
zu verschlechtern, sondern sich, wie ich bereits erwähnt
habe, des Apparates zu bemächtigen, weil das für die
bürgerlichen Parteien eine politische Bedeutung hat. In der
gestrigen Verhandlung der Vorlage hat dies auch der klerikale
Abg. Petr ausdrücklich gesagt, indem er erklärte,
man spreche immer wieder von einer Verschlechterung, und doch
säßen die oppositionellen Parteien hier ganz ruhig,
weil die Vorlage keine Verschlechterung bedeute, sondern weil
die Novellierung eine politische Bedeutung habe. Und darin hat
der Abg. Petr vollständig recht. Es handelt sich der
Bourgeoisie vor allem darum, den Einfluß der Arbeiter auf
die Sozialversicherung, auf den Apparat zu brechen und ihnen diesen
zu entwinden. Und wenn sie gezwungen ist, damit die Arbeiterschaft
diesen Schachzug nicht bemerkt, einige Verbesserungen anzubringen,
so tut sie es nur deshalb, damit die Arbeiterschaft nicht merkt,
um was es dabei geht: Vor allem um die Bemächtigung des Apparats,
um die Abwälzung der Lasten auf die Versicherten und Schaffung
einer neuen Reserve im Interesse der imperialistischen Politik
des Staats. Und das ist der Bourgeoisie völlig gelungen dadurch,
daß sie es zustande gebracht hat, die sozialistischen Führer
von einem größeren Kampf abzuhalten, wodurch es ihr
gelungen ist, jene Stimmung zu erhalten, die in diesem Jubiläumsjahr
notwendig ist. Und so maskierte sie die Novellierung mit einigen
sogenannten Verbesserungen. Wie aber in Wirklichkeit die Verbesserungen
aussehen, wollen wir auf Grund einiger Bestimmungen dieses Gesetzes
dartun.
Vor allem anderen hat schon der Berichterstatter
des Budgetausschusses erklärt, daß die ursprüngliche
Regierungsvorlage eine Ersparnis von 79 Mill. Kè
für die Volkswirtschaft bedeutet hat. Nach Abänderung
der Vorlage durch den sozialpolitischen Ausschuß betrage
diese Ersparnis nur 73 Mill., d. h. sie ist um 6 Mill. gesunken.
Obzwar die Berechnungen, die der Berichterstatter des Budgetausschusses
Adámek vorgebracht
hat, ebenso wie der Berichterstatter Malík, obzwar
alle Berechnungen der Fachkommission der Zentralsozialversicherungsanstalt
und einiger Fachmänner unkontrollierbar sind, weil bei den
einzelnen Berechnungen die Ziffern von 6.000 bis 30.000 variieren,
so sagen wir: Wenn die Herrschaften eine Ersparnis von 73 Mill.
für die Volkswirtschaft der kapitalistischen Klasse zugeben,
so wissen wir, daß diese sogenannte Ersparnis bedeutend
höher ist. Wenn der Abg. Adámek als Berichterstatter
erklärte, es habe sich darum gehandelt, eine Ersparnis zu
machen, ohne dadurch die Verbesserungen zu gefährden, so
erklären wir demgegenüber, daß die sog. Verbesserungen
nur auf Konto der Reserven der Sozialversicherung, auf Konto ihrer
Sicherheit gegangen sind. Die Sparmaßnahmen kommen vor allem
den Agrariern zugute, die industrielle Arbeiterschaft wird sozusagen
die Melkkuh für agrarische Kreise sein. (Pøedsednictví
pøevzal místopøedseda Zierhut.)
Die Verbilligung der Versicherung erzielt man
vor allem dadurch, daß man den Versicherungskreis soweit
als möglich einschränkt. So kam es zur Ausschaltung
der jugendlichen Arbeiter aus der Alters- und Invalidenversicherung,
aber auch gleichzeitig zur Ausschaltung der landwirtschaftlichen
Familienangehörigen aus der Krankenversicherung. Die Agrarier
klagen immer, daß ihnen auf dem flachen Lande keine Arbeitskräfte
zur Verfügung stehen, daß die Leute in die Fabriken
laufen und die Beschäftigung in der Landwirtschaft meiden.
Gerade die Ausschaltung der Familienangehörigen der Landwirte
zeigt aber, daß die Herren kein Interesse an der Sicherung
der landwirtschaftlichen Arbeiter haben, sondern daß es
ihnen darum geht, wo nur möglich auf Konto der Versicherung
dieser Personen zu sparen. Wenn die Agrarier und die Klerikalen
vorgeben, daß sie für den kleinen Mann auf dem flachen
Lande eintreten, so zeigt uns gerade die Ausschaltung der Familienangehörigen
aus der Versicherung beim kleinen Landwirt und Häusler, welche
Gefahren für diese Bevölkerungsschichte erwachsen. Nach
dem alten Gesetz mußten die Familienangehörigen, wenn
sie im Haushalt, d. h. in der eigenen Wirtschaft, beschäftigt
waren, versichert werden. Sie genossen den Vorteil, im Falle der
Erkrankung Arzt, Medikamente und ev. ein Krankengeld zu bekommen.
Sie genossen weiters den Vorteil, daß sie im Falle der Spitalsbehandlung
durch 28 Tage davon verschont waren, irgendwelche Leistungen an
die Landesfonds oder Heilanstalten selbst zu leisten. Wie wird
es aber nach Ausschaltung der Familienangehörigen in der
Landwirtschaft aussehen? Bekanntlich bestellt der Häusler
und Kleinbauer mit seiner Frau und seinen Kindern das Feld selbst.
So ein Kleinhäusler oder Besitzer eines Pachtackers verfügt
nicht über die Mittel, im Falle der Erkrankung irgendeines
Familienmitglieds Arzt und Medikamente aus eigener Tasche zu bezahlen.
Die Gemeinden, bei denen durch das Gemeindefinanzgesetz die Einnahmen
so furchtbar gedrosselt sind, sparen an allen Ecken und Enden
und lehnen es schon heute ab, jenen Leuten des Dorfes, die auch
nur über einen ganz geringen Besitz verfügen, sei es
auch nur eine kleine verfallene Bude oder ein Stückchen Pachtacker,
ein Armuts- oder Mittellosigkeitszeugnis auszustellen. Dadurch
wird der Kleinhäusler und Bauer gezwungen sein, noch auf
seinen kleinen Besitz eine Hypothek aufzunehmen, um Arzt und Medikamente
zu bezahlen. Noch schlimmer aber werden sie betroffen, falls irgendein
Familienangehöriger, der nach dem alten Gesetz versicherungspflichtig
war, in Spitalspflege aufgenommen wird. Wir kennen ja die Praxis
der Spitalsverwaltung. Wenn die 28 Tage um sind, nach welchen
die Krankenkasse keine Beiträge mehr bezahlt, und der betreffende
Arbeiter über keine Mittel verfügt, so wird recherchiert,
ob nicht die Eltern oder Anverwandten irgendwelchen Besitz haben,
um für den Betreffenden die Spitalskosten zu bezahlen. Umso
schlimmer wird aber der Häusler und Kleinbauer am Lande betroffen
werden, wenn er überhaupt aus der Versicherung ausgeschaltet
wird. Er muß dann vom ersten Tage an für seine Kinder
und für sich selbst die Spitalskosten bezahlen.
Weiters geht das Bestreben der Mehrheit dahin,
nicht nur die jugendlichen Arbeiter aus der Altersversicherung,
die Familienangehörigen in der Landwirtschaft aus der Kranken-
und Altersversicherung auszuschalten, sondern auch die Saisonarbeiter
in der Versicherungspflicht zu begrenzen, indem man erklärt,
daß nur jene versicherungspflichtig sind, die über
90 Tage im Jahre einer versicherungspflichtigen Beschäftigung
nachgehen. Das was ich bei den Familienangehörigen der Häusler
und Kleinbauern gesagt habe, kommt auch bei den Saisonarbeitern
in Betracht. Der Häusler muß im Winter, wenn er leben
will, irgendeiner Arbeit nachgehen, in den meisten Fällen
Waldarbeit. Die Waldarbeit ist aber von der Witterung und den
Schneeverhältnissen außerordentlich abhängig,
weil das Holz nur bei Schnee aus dem Walde geschleift werden kann.
Wenn also der Arbeiter keine 90 Arbeitstage aufweist, wird er
nicht der Versicherungspflicht unterliegen. Das bedeutet, daß
er empfindlich geschädigt wird, indem bei ihm dasselbe in
Betracht kommt wie beim Häusler, daß er aber außerdem
noch fürchten muß, wenn er die 90 Arbeitstage nicht
aufbringt, zwar die Versicherungsbeiträge zu bezahlen, aber
der Vorteile der Versicherung verlustig zu gehen. Bisher hatte
beinahe jeder dieser Häusler und Kleinbauern im Winter seinen
ständigen Arbeitsort, wo er die Möglichkeit hatte, über
den Winter sein Auslangen zu finden. Dadurch aber, daß ausgesprochen
wird, daß nur jene Leute versicherungspflichtig sind, die
über 90 Tage arbeiten, wird auch der ständige Arbeitsplatz
für den Betreffenden bedroht. Aber Sie haben auch für
die Heimarbeiter die Möglichkeit geschaffen - das ist die
neueste Methode, die sich die Regierung zu Recht gelegt hat -
im Verordnungswege bestimmte Kategorien und in bestimmten Gebieten
von der Versicherungspflicht auszuschalten. Die Heimarbeiter sind
sicherlich die ärmsten der Armen, die ihr Leben notdürftig
fristen, ihr Wochenlohn ist tief unter dem Lebensstandard,
es gibt Löhne von 30 bis 40 Kè wöchentlich und
die ganze Familie ist gezwungen mitzuarbeiten. Ich verweise nur
auf die Knopferzeugung und Bürstenerzeugung im Adlergebirge,
auf die Hausweber und andere Kategorien. Nachdem man sich
aber schämte und die Arbeiter nicht zur Rebellion treiben
wollte, wurde ein Ausweg gefunden. Ursprünglich sollten die
Saison- und Heimarbeiter glatt aus dem Gesetze ausgeschlossen
werden. Da hat die Fachkommission der Zentralsozialversicherungsanstalt
einen anderen Weg gezeigt und, um das schreiende Unrecht der arbeitenden
Bevölkerung schmackhafter zu machen, haben die Koalitionsparteien
zu dem Gutachten der Zentralsozialversicherungsanstalt gegriffen.
Ursprünglich sollten alle Heimarbeiter,
die weniger als 60 Kè verdienen, aus der Versicherung
ausgeschlossen werden. Da wurde nun in einer der letzten Sitzungen
des sozialpolitischen Ausschusses diese Grenze von 60 Kè
fallen gelassen, weil sich herausgestellt hat, daß nach
diesem jetzt bestehenden Gesetz und nach der
Novellierung es Kategorien gibt, die noch weniger Lohn erhalten
und trotzdem versicherungspflichtig sind. Man überläßt
es also dem Verordnungswege, bestimmte Kategorien auszuschalten
und so wird es in manchen Gebieten vorkommen, daß Heimarbeiter
aus der Versicherungspflicht ausgeschaltet werden, die einer bestimmten
Kategorie angehören oder eine bestimmte Lohngrenze nicht
erreichen. Das kann in den einzelnen politischen Bezirken verschieden
sein. So werden z. B. Hausweber oder Heimarbeiter der Bürstenindustrie
oder Knopfindustrie der Grenzgebiete der politischen Bezirke,
wo sie für verschiedene Faktoren arbeiten, durch einige Wochen
versicherungspflichtig sein und dann, wenn sie für einen
anderen Faktor in einem anderen politischen Bezirk arbeiten, wieder
aus der Versicherungspflicht ausgeschlossen werden. Sie sehen
den Widersinn dieser Bestimmung. Als zum ersten Male der sozialpolitische
Ausschuß zusammengetreten ist, da erklärte der Herr
Pater Šrámek, oder vielleicht war es der klerikale
Abg. Petr - es hat sich da um die Heimarbeiter gehandelt
- daß zu ihm bei einem Kongreß der klerikalen Partei
eine Deputation der Heimarbeiter gekommen sei, die mit hochgehobenen
gefalteten Händen gebeten hätten, daß sie aus
der Versicherungspflicht ausgeschlossen werden; sie seien
außerstande, mit dem geringen Verdienst von 30 bis 40 Kè
die Versicherungsbeiträge zu bezahlen. Statt daß diese
Vertreter des wirklichen Christentums erklärt hätten,
daß es selbstverständlich sei, daß in solchen
Fällen, wo der Arbeiter 30 bis
40 Kè wöchentlich verdient, der Unternehmer oder der
Staat verpflichtet sei, die Beiträge für diese armen
Teufel zu bezahlen, fanden sie eine einfache Lösung, indem
einfach diese Arbeiter aus der Versicherung ausgeschlossen werden.
Das ist die einzige Medizin, die diese Herrschaften
für die armen Teufel übrig haben. Wir wissen auch, daß
in der Steuerpraxis Fälle vorgekommen sind, daß diesen
Bürstenmachern und Knopfmachern im Adlergebirge, die in einem
förmlich zusammengefallenen Häuschen wohnten, die Steuergrundlage
für das Häuschen mit 17.000 Kè eingeschätzt
wurde. Das Erkrankungsprozent bei den Heimarbeitern insbesonders
an Tuberkulose ist gewaltig. Was wird im Falle der Erkrankung
geschehen? Die Gemeinden verweigern das Armutszeugnis, sie haben
nicht die Möglichkeit infolge der Abstriche
in den Budgets der Gemeindeverwaltungen, irgendwelche Vorsorgen
für diese Leute zu treffen. Sie sind einfach der Willkür
der Gemeindepaschas und der herrschenden Klassen in diesem Staate
ausgeliefert. Es wird Fälle geben, wo das Mittellosigkeitszeugnis
zur ärztlichen Behandlung durch die Gemeinde verweigert wird,
weil der eine oder andere irgendein morsches Dach über dem
Haupte hat.
Wie kraß die Zustände der Heilfürsorge
in einzelnen Gemeinden sind, will ich an einem Fall nachweisen.
Die kleine Gebirgsgemeinde Klöppel in Nordmähren besteht
aus einigen Häuschen, die Bevölkerung ist gezwungen,
den steinigen Boden anzubauen und sich so notdürftig zu ernähren,
sie ist gezwungen, Waldarbeit und Gelegenheitsarbeit zu verrichten.
Die Einnahmen der Gemeinde sind so gering, daß in einem
Falle, wo ein Einwohner in die Irrenanstalt überführt
werden mußte, die Ausgaben für diesen einen Kranken
höher waren, als die ganzen Gemeindeabgaben. Die Verpflegskosten
für den Kranken in der Irrenanstalt betrugen 17.000
Kè, die Gemeindeeinnahmen aber nur ca 10.000 Kè.
Nun fragen wir, was geschieht in den Fällen von Epidemien,
wenn hygienische Maßnahmen zu treffen sind, wenn die Gemeinden
ihrer Einnahmen beraubt sind und keine Vorkehrungen für die
Bevölkerung treffen können? Wenn der Herr Pater Šrámek
gesagt hat, mit aufgehobenen Händen hätten ihn die
Heimarbeiter gebeten, daß sie aus der Versicherungspflicht
ausgeschaltet werden, so will ich nicht sagen, daß diese
Deputation vielleicht eine bestellte war. Aber Tatsache ist es,
daß alte Arbeiter jahrelang von ihren wenigen Groschen,
die sie haben, sich freiwillig die Versicherung in den Krankenkassen
zahlen, damit sie in ihrem Alter den Arzt und die Medikamente
bekommen, weil sie es verschmähen, die elende und notdürftige
Behandlung und Gewährung von Medikamenten durch die Gemeinden
zu erhalten. 60, 70 und 80 Jahre alte Arbeiter halten die freiwillige
Versicherung in den Krankenkassen bis zum Lebensende aufrecht,
nur damit sie Anspruch auf die Wohltaten der Versicherung haben.
Da will man sagen, daß eine Deputation mit aufgehobenen
Händen gebeten hat, man solle sie aus der Versicherung ausschließen?
Wenn es auch der Fall war, so war es Pflicht dieses christlichen
Herrn, des Herrn Šrámek, dafür zu sorgen,
daß vom Staat oder von den Unternehmern, die vom Elend dieser
Arbeiter leben, die Beiträge bezahlt werden.
Die Verbilligung der Versicherung wurde neben
der Ausschaltung der Jugendlichen bis zum 16. Lebensjahre, der
Ausschaltung der beschäftigten Familienmitglieder in der
Landwirtschaft, der Beschränkung der Versicherungspflicht
der Saisonarbeiter und der Heimarbeiter noch weiters dadurch erzielt,
daß man auch gleichzeitig die Soldaten, für die nach
dem alten Sozialversicherungsgesetz das Nationalverteidigungsministerium
verpflichtet war, die Beiträge an die Zentralsozialversicherungsanstalt
zu leisten, in die niedrigste neugeschaffene Klasse, in die Aa-Klasse,
eingereiht hat. Was das Nationalverteidigungsministerium erspart
hat, zeigen uns folgende Ziffern: Nach dem alten Gesetze sollte
das Ministerium für nationale Verteidigung ungefähr
16 Mill. an Versicherungsbeiträgen jährlich bezahlen.
Nach der neuen Vorlage, nach der Umreihung der Soldaten in die
niedrigste Klasse, beträgt diese Summe nur neun Mill.
Kè. Das bedeutet, daß das Ministerium für nationale
Verteidigung 7 Mill. Kè erspart. (Výkøiky
na levici: Um neue Kanonen kaufen zu können!) Jawohl!
Kanonen sind wichtiger als die Versicherung der Arbeiter, die
man aus den Betrieben herausgerissen und eingekleidet hat, damit
sie dem Vaterlande dienen. Aber es wäre weit gefehlt, wenn
man annehmen wollte, daß das Nationalverteidigungsministerium
seine Verpflichtung gegenüber der Zentralsozialversicherungsanstalt
vor der Novellierung voll und ganz erfüllt hätte.
Das Ministerium hätte für das erste Jahr 1926/27 16
Mill. Kè und bis heute ungefähr noch zwei Drittel
zu bezahlen. Von den 24 Millionen, die es zu bezahlen gehabt hat,
hat das Ministerium bis heute für 1927 2 Mill. Kè
und für 1928 50.000 Kè bezahlt.
(Výkøiky na levici.) Das
heißt, das Ministerium ist das Geld schuldig geblieben.
Wir wollen nicht untersuchen, ob das Ministerium für diese
Schulden Zinsen bezahlt. Wenn ein kleiner Gewerbetreibender, irgendein
armer Teufel Beiträge an die Krankenversicherung schuldig
bleibt oder wenn ein Gewerbetreibender, ein Arbeiter oder sonst
irgendjemand Steuern schuldig bleibt, dann ist die Exekution sofort
da, da pfändet und nimmt man dem armen Teufel, wo nur was
zu nehmen ist. Aber wenn das Nationalverteidigungsministerium
auf einen Betrag von 24 Mill. Kè bis heute nur 2 Mill.
Kè bezahlt hat, schert sich kein Mensch darum. Man schafft
Gesetze nur für die anderen. Für die Herren, für
die Regierung gelten aber die Gesetze nicht. (Výkøiky
na levici.)
Die Versicherung wie die ganze Gesundheitspolitik
hängen, wie ich schon anfangs meiner Ausführungen gesagt
habe, nicht allein von den Maßnahmen der Versicherung im
Falle der Krankheit ab, das wichtigste sind vielmehr die vorbeugenden
Maßnahmen; dies ist Aufgabe der Krankenkassen und des Staates.
Und was sehen wir? Der Staat wie auch die Krankenkassen kümmern
sieh nicht um die Heilfürsorge, nicht um die erforderlichen
vorbeugenden Maßnahmen, weil die notwendigen Mittel angeblich
nicht aufgebracht werden können, um vorbeugend wirken zu
können. Erst wenn der Arbeiter erkrankt ist, greifen die
Krankenversicherungsanstalten ein. Wir wissen, wie die Gesundheitspolitik
mit der Wohnungsfürsorge, mit den Krankenhäusern, der
Kinder- und Mutterfürsorge usw., mit der Hygiene in den Betrieben,
in den Gemeinden, kurz überall zusammenhängt. Aber für
all das gibt es kein Geld. Wir wissen, daß die Èechoslovakei
in der Tuberkulosenfürsorge an 14. Stelle steht, daß
unsere Wohnungsverhältnisse elende sind. Das wurde schon
in der letzten Debatte von unseren Parteigenossen
treffend und eingehend erörtert. Man braucht nur in Prag
herumzusehen, in welchen elenden Löchern die Arbeiter wohnen
müssen, und kann ermessen, welchen Gefahren die Arbeiter
ausgeliefert sind; und wir dürfen uns dann nicht wundern,
wenn die Tuberkulose gewaltig um sich greift, die Kinder rhachitisch
werden und jen Widerstandskraft nicht mit auf den Weg bekommen,
die in dieser rationalisierten Wirtschaft erforderlich ist. Wir
wissen aber auch, daß die Krankenhäuser mangelhaft
ausgestattet sind, über wenige Infektionspavillone verfügen,
nicht die notwendige Bettenzahl haben. (Výkøiky
na levici: Die Kranken müssen auf dem Fußboden liegen!)
Jawohl, so ist es! Die Einrichtungen der
Spitäler sind nicht, ich will nicht sagen, mustergültig,
aber auch nicht so, daß sie den Anforderungen entsprechen.
Die Mutter- und Kinderfürsorge läßt nach. Man
überläßt sie der privaten Fürsorge. Der Staat
glaubt, sich der Verpflichtung, um Mütter und Kinder zu sorgen,
entheben zu dürfen, abgesehen davon, daß der Staat
für die überalten Personen nichts macht, daß er
sie einfach der Gnade der Gemeinde und ihrer Bekannten
in der Umgebung überläßt. Wir wissen, daß
die Sozialpolitik in der Èechoslovakei, aber auch in jedem
anderen bürgerlichen Staate ein eigener Typ ist. Man beurteilt
die Einrichtungen der Sozialpolitik nach den Schichten der Bevölkerung,
nach ihrer Wichtigkeit für den Staatsapparat
und die Bourgeoisie. Es werden in der Versicherung die Beamten
in den staatlichen Ämtern anders behandelt, anders die Privatangestellten,
anders die Arbeiter, anders die Selbständigen, anders die
Pensionisten, die alten und die neuen. Wir haben eine derartige
Versicherungstechnik in der Sozialpolitik, daß für
jeden Stand und für jede Kategorie ein anderer Maßstab
angewendet wird. Am schlechtesten hat es in der Sozialpolitik
der Èechoslovakei die Arbeiterfrau. Die Arbeiterfrau ist
am schlechtesten gestellt. Anders werden die Frauen der Beamten,
der Staatsbeamten und auch der Privatbeamten behandelt und anders
die Frauen der Arbeiter. Ich will nicht all
das wiederholen, was zu dieser Frage bereits die Redner der einzelnen
Parteien gesagt haben. Aber Tatsache ist, daß die Frauen
an und für sich die ganzen Härten der kapitalistischen
Wirtschaftsordnung am eigenen Leibe spüren, daß die
Frauen die schwersten Lasten dieser Wirtschaftsordnung zu tragen
haben, wir sehen, daß in der sozialen Gesetzgebung die Frau
am stiefmütterlichsten behandelt wird.